Kapitel 1
Abfüllanlage im Taschenformat – Wie Smartphones Angst und Neid füttern
„Man will nicht nur glücklich sein, sondern glücklicher als die anderen. Und das ist deshalb so schwer, weil wir die anderen für glücklicher halten, als sie sind.“
Charles-Louis de Montesquieu
Ich erinnere mich gut: In einem Vortrag in Mannheim berichtete ich 2012 das erste Mal von steigenden Zahlen mobiler Mediennutzung. Und die entwickelte sich bis heute rasant weiter. Die Nutzungszahlen sind exponentiell gestiegen. Das ist die wirkliche digitale Revolution in unser „digitalen Welt“, die eigentlich eine „mobile Revolution“ heißen müsste.
Nutzungsrevolution statt digitale Revolution
Die „digitale Revolution“, die uns von Internetunternehmern, Medien und Politik seit Jahren angetragen wird, ist in Wahrheit eine Nutzungsrevolution, die durch mobile Geräte getragen wird. Seit einiger Zeit schlagen vor allem Mediziner, Psychologen und Suchttherapeuten Alarm. Sie sehen in der exzessiven und unreflektierten Nutzung von digitalen Medien deutlich Suchtpotential und warnen vor den langfristigen Folgen. Das klingt in den Details dramatisch – und das ist es auch.
2012 waren nur 14 Prozent der Deutschen per Mobile regelmäßig online. Zwei Jahre später waren es 41 Prozent und im Jahr 2016 werden es 85 Prozent sein.
Zu diesen Zahlen tragen die überdurchschnittlichen Nutzungszeiten bei. Die Nutzung in den jüngeren Generationen ist bereits gesättigt. Das Wachstum wird seitdem vor allem von Erwachsenen ab dem 29. Lebensjahr nach oben getrieben. Selbst die Nutzungszeiten der Ü50-Generation steigen mittlerweile stetig an.
Angst vor dem Sozialen
Je höher die Nutzung, desto höher der Bedarf an Handlungsempfehlungen. Die ersten Seminare und Workshops zur „Digitalen Entgiftung“ werden bereits in Deutschland angeboten. „Digital Detox“ ist eine mental-beeinflussende Methode, die darin besteht, für einige Tage auf das Smartphone gänzlich zu verzichten und den Fokus mehr auf die Kommunikation mit dem eigenen Inneren („Was will ich aktuell wirklich?“) und nach außen, auf die Mitmenschen zu richten. Dank Smartphones in der Hosentasche wissen wir das oft zu verhindern. Oder wann haben Sie das letzte Mal einen Passanten in einer fremden Stadt nach dem Weg gefragt? „Das ist ja viel zu aufwändig.“ „Auf eine fremde Person zugehen? Nö.“ „Die könnten mich ja blöd angucken und sich fragen, wo kommt die Person denn her?“ „Dem sage ich mal gar nichts.“ Es handelt sich dabei um Antworten von Kongressteilnehmern auf die Frage, warum sie nicht Passanten nach dem Weg, sondern lieber ihr Smartphone fragen.
Haben wir Angst, dass uns ein falscher Weg gezeigt wird? Möchten wir gar nicht mehr so gern auf Menschen zugehen? Ersetzen wir nicht zunehmend den sozialen Kontakt durch mobile Daten? Wir könnten uns ärgern, weil wir wieder wichtige Wischzeit – Entschuldigung: Lebenszeit – verdaddeln, statt den sozialen Kontakt zu suchen.
Diese vielfältigen Ängste, Scham und Introvertiertheit lassen immer mehr Menschen lieber die App-Maschine aus der Tasche zücken und einem fremden Kartendienst vertrauen als den sozialen Dialog zu suchen. Immer mehr sehen darin sogar einen wichtigen Vorteil ihrer eigenen Smartphonenutzung.
Doch es lohnt sich auch ein völlig anderer Blick auf das Phänomen. Welche Wirkungsmechanismen entstehen bei häufiger und anhaltender Smartphonenutzung bei uns Menschen? Und haben diese wiederum Konsequenzen für unsere Gesundheit, Glück und Wohlbefinden?
Neurowissenschaftliche Grundlagen
Was uns Menschen an den zahlreichen Digital-Geräten hält, ist mit Hilfe der neurologischen Wissenschaft und der Psychologie zu erklären. Die Begeisterung für Neues entspringt unserer Neugier. Diese stimuliert das limbische System in unserem Kopf, das wiederum im Zusammenspiel mit anderen Hirnarealen für die Verarbeitung unserer Emotionen und für unser Triebverhalten verantwortlich ist; vor allem für die Ausschüttung von Endorphinen. Endorphine sind körpereigene Morphine. Sie werden mitverantwortlich gemacht für die Entstehung von Euphorie.
Wussten Sie schon, dass Neugier die Triebfeder für gute und schlechte Laune ist?
Euphorie steuert das Denken und Handeln von Menschen, die man als neugierig, humorvoll, spaßgetrieben, hedonistisch, offen, kreativ, extravagant beschreiben kann. Neugier geht der Euphorie voran. Sie ist ein angeborener Trieb, um Menschen im Alltag zu stimulieren und bei Laune zu halten. Verhalten sie sich neugierig, zum Beispiel indem sie immer hinter den neuesten Nachrichten und Benachrichtigungen her sind, so halten sie sich bei Laune. Doch irgendwann tritt die digitale Sättigung ein und die gute Laune schlägt ins Gegenteil um.
Auf Neugier folgt schlechte Laune
Damit die dauernde Neugier befriedigt werden kann, suchen Menschen nach Neuem und Unerwarteten. Das Smartphone ist ein Mekka des Neuen. Die neuen Funktionen, die neue App, der neue Kontakt, die neue Nachricht eines Kontaktes, ein neues Like in Facebook, eine weitergeleitete Nachricht in Twitter, die neue E-Mail die vielen Updates. Die meisten bergen Neues und Überraschendes, zum Beispiel, dass Sie ein „Jesus von Nazareth“ als Facebook-Freund eingeladen hat oder eine Nachbarin auf Facebook ihren Beziehungsstatus geändert hat. Sie ist plötzlich und unerwartet verheiratet. Das wäre doch ein schöner Grund für eine persönliche Einladung zu einem realen Kaffeekränzchen ;-)
Die Vielzahl an Informationen fließt in das neuronale Sammelbecken. Unser Frontalhirn, verantwortlich für die gesamte Informationsaufnahme und für die Weiterleitung der Information in den relevanten Hirnbereich, arbeitet dauerhaft auf Hochtouren. Es sehnt sich nach Erholung und mittelfristiger Entlastung von der steigenden Reizüberflutung. Die Orientierung gerät durcheinander und das kann dem Menschen erheblichen Schaden zufügen. Sie leben dann „in einem Nebel euphorisierender Neurotransmitter“ (Teuchert-Noodt 2016). Reflexion kann nicht mehr stattfinden. Der heranschleichenden Abhängigkeit sind dann Tür und Tor geöffnet.
In den Depri wischen
Der Stresspegel steigt, ohne dass wir unmittelbar körperliche Symptome wahrnehmen. Die Temperaturen im Wechselbad von Glücks- und Unglücksgefühlen durch die allzeitliche Nachrichtenlage auf den mobilen Endgeräten schlagen über die Zeit immer höher aus. Die Wiederholung schürt das (vermeidbare) Unglück. Das neue Fahrzeug des Nachbarn, der tolle Urlaub eines Bekannten – meist sind es materielle Dinge und Statusunterschiede, die den größten Neid verursachen.
Sollten Sie am Montagmorgen auf dem Weg zur Arbeit also bereits schlechte Laune haben, schauen Sie sich an der nächsten roten Ampel flugs die neuen Urlaubsbilder Ihrer Freunde an. Nichts zieht so sehr runter du macht neidischer als ein Urlaubsbild eines Freundes mit Sonnenbrille und Hut am Strand im Süden, eine Caipirinha in der Hand und dem Bildtext „Alles easy hier – prima Wetter! Malocht nicht so viel zu Hause. Prost!“
Wussten Sie schon, dass heute jeder Zweite nach der Nutzung von Facebook mit negativen Gefühle kämpft?
Der soziale Vergleich macht auf Dauer krank. Das ist abhängig von der eigenen Persönlichkeit. Menschen mit einer höheren neidhaften Disposition neigen schneller zu pathologischen Symptomen.
Der Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Netzwerke und dem subjektiven Glücks- und Unglücksempfinden wird wissenschaftlich wiederholt bestätigt. Die tägliche Nutzung der Facebook-App von durchschnittlich einer Stunde führt bei jedem zweiten Nutzer zu stimmungssenkenden Wahrnehmungen, die pathologisch zur Depression führen können. Die depressive Wirkung bestätigen mittlerweile einige Sudien (Technische Universität Darmstadt 2013), darüber hinaus auch eine Untersuchung im Journal of Social and Clinical Psychology (Steers et al. 2014). Sie zeigt, dass bei jungen Männern die Dauer der Facebook-Nutzung mit dem Ausmaß von depressiven Symptomen korrelierte. In einer anderen Auswertung, die die sozialen Vergleiche berücksichtigte, kam heraus, dass auch junge Frauen anfällig für die Gemütsfallen des sozialen Netzwerks sind. Der Prozess ist schleichend und verläuft über einen meist langen Zeitraum von Monaten bis Jahren. Jeder zweite Digitaluser driftet im Laufe seiner Wischkarriere lachenden Auges einmal in den Deprimodus. Es sind aber nicht nur die Urlaubsbilder.
24/7-Nachrichten ziehen runter
Nachrichten aus dem Heute-Journal oder der Frankfurter Allgemeinen bringen Menschen selten zum Lachen. Stattdessen meldet die Medienwelt uns meist verdächtiges Fehlverhalten von Menschen aus allen Lebensbereichen und gesellschaftliche Konflikte.
Auf der anderen Seite zeigt uns die digitale Medienwelt die Schönen und Reichen flanierend auf den Catwalks der Metropolen dieser Welt. Digitale Medien machen fremde Realitäten sofort verfügbar. Ich frage mich, was für einen Sinn es für das Wohlbefinden und die eigene Arbeit jenseits des Journalismus stiftet, sofort über Katastrophen und Fehltritte informiert zu sein. Bedrohen sie das Leben? Bedrohen sie unmittelbar die Existenz? Nein, sie befriedigen die Neugier und die Sensationslust des Menschen. Die römische Arena halten wir heute in unseren Händen und lehnen uns in dem Glauben zurück, wir würden das Arenaprogramm bestimmen können.
Angst, Neid und Missgunst sind eingehüllt in kleine Benachrichtigungs-Pingpongs. Das Smartphone degeneriert zur Abfüllanlage im Taschenformat. Und so werden täglich Angst und...