Spezifische innere und äußere Konflikte
Erstkontakt
Schon am Telefon entstehen bei Therapeut und Patient erste Phantasien („Eindrücke“), durch die Ansage auf dem Anrufbeantworter (Stimmlage, Text etc., man denke nur daran, was in jungen Patienten – Teilnehmer an der Kultur der neuen, kommunikativen Medien – ausgelöst wird, wenn der Anrufbeantworter des Therapeuten nicht adäquat programmiert ist), die Anzahl der Klingeltöne bis abgehoben wird, die Art, wann und wie der Hörer abgenommen wird, die ersten Worte (beide, Therapeut u. Patient), die Vorstellung der eigenen Person (beide), das Vorbringen des Anliegens (Patient), all dies löst im jeweiligen Gegenüber ein erstes, nur teilweise bewusstes Bild aus, zudem ist diese Situation wie kaum eine andere dazu geeignet, Raum für Projiziertes zur Verfügung zu stellen (für beide; „der war schon am Telefon so seltsam …“). Je weniger Information Therapeut und Patient voneinander zur Verfügung stehen, desto mehr neigt das eigene Unbewusste dazu, Sicherheit herzustellen und ein (meist projiziertes) Bild des Gegenüber zu entwickeln, was somit sehr früh bereits den Kontakt unbemerkt beeinflusst. Es gilt also besonders darauf zu achten, im ersten persönlichen Gegenüber eine Überprüfung der eigenen Phantasien vorzunehmen und ggf. zu überlegen, wie die ersten Phantasien vom eigenen Unbewussten oder von Signalen des Patienten beeinflusst oder ausgelöst wurden.
Eine neuere Besonderheit stellt der zunehmend von Patienten gesuchte Kontakt über elektronische Medien (E-Mail etc.) dar, die von den jüngeren Generationen selbstverständlich in die tägliche Kommunikation integriert sind, wohingegen viele ältere Therapeuten den Umgang mit den neueren Techniken scheuen. Dies erzeugt jedoch weitere neue, interessante Konfliktmöglichkeiten, ist doch eine „zweidimensionale“ E-Mail beispielsweise subjektiv durchaus ins „Dreidimensionale erweiterbar, nämlich „zwischen den Zeilen“ mit eigenen Projektionen und Interpretationsmöglichkeiten, also in die seelische Tiefe der Kommunikation mit allen, emotionalen Dimensionen des Erlebens (z. B. mit Gefühlen des Gekränktseins), was zumeist automatisiert und unbemerkt geschieht und häufig im realen Gespräch eine Korrektur des Vermuteten, Befürchteten erforderlich macht. (So kann beispielsweise die Anrede eines Therapeuten durch seinen Patienten, wenn dieser plant, per E-Mail seine Probesitzung abzusagen, bereits eine ganze Reihe von Assoziationen im Therapeuten möglich machen, man denke an Patienten mit Persönlichkeitsstörungen, die ihren elektronischen Schriftverkehr mit „Hallo“ oder „Lieber Herr …“ beginnen u. a.).
Rahmen und Setting in der Situation der Indikationsstellung
Besonders in der Situation, in der die Indikation für die adäquate, psychodynamische Behandlung des Patienten gefunden werden soll, gilt es besonders achtsam mit dem Rahmen und dem Setting umzugehen. Indem konstante und nicht veränderbare Bedingungen im Erstgespräch zur Verfügung gestellt werden, lassen sie dem Patienten die Möglichkeit, sich in einem geschützten, mehrdimensionalen Feld auszubreiten, für den Therapeuten erlebbar zu werden, da die innere und äußere Konstanz des Rahmens dem Therapeuten das Verstehen und Einordnen des Erlebten erleichtert. In Krisen und wenig oder nicht planbaren Situationen des Erstkontakts besteht die Gefahr, dass es zu einer Labilisierung, schlimmstenfalls zu einer Auflösung des Rahmens kommt, somit nicht ausschließbar das Inszenieren und Agieren das gemeinsame Feld dominiert. Es kann dann schwierig werden, Halt zu finden und die erforderlichen Rahmenbedingungen für diagnostische Klärung herzustellen.
Der Rahmen der Indikationssituation unterscheidet die Situation der Indikationsstellung von einer realen Situation.
Erst bei entsprechendem Rahmen – und hier ist ebenfalls der äußerliche und innerliche Rahmen des Therapeuten gemeint – ist dem Therapeuten eine differenzierte und bewusste diagnostische Unterscheidung zwischen täglichem Leben und klärender Situation möglich.
Die Aufgabe, den Rahmen zu errichten und aufrechtzuerhalten ist die ausschließliche Aufgabe des Therapeuten. Dieser subjektive Rahmen des Therapeuten (vgl. Pflichthofer) ist jedoch mit der Gefahr verbunden, dass sich an der Rahmengestaltung die Gruppenzugehörigkeit und die Position des Therapeuten fixiert, während die Fragestellung des Patienten in den Hintergrund gerät (beispielsweise ist es gelegentlich eine Diskussion unter Therapeuten, ob bei erstem Kontakt eine Anamnese erhoben wird, oder dem Patienten zunächst das interpersonelle Feld zur Darstellung überlassen wird).
Die Theorie des Rahmens sozialer Situationen ist für die Indikationssituation psychodynamischer Therapien von so großer Bedeutung, weil der Rahmen nicht nur angibt, welche Regeln für das Verständnis unseres Handelns im Augenblick der Indikationsstellung und Therapie gültig sind, sondern auch, weil er Gewissheit ermöglicht, welche Phantasien in die diagnostische Situation der Indikationsstellung gehören und welche aus dem Rahmen herausfallen. Somit ist schon der Rahmen eine Form der Kommunikation mit dem Patienten (Rycroft, 1956, zit. in Pflichthofer, 2011).
Beispiel hierfür könnte ein vorzeitiger Beginn oder ein vorzeitiges Ende, bzw. ein verspäteter Beginn oder ein verspätetes Ende der probatorischen Sitzung sein. Vorzeitiger Beginn kann durch appellatives Agieren des Patienten (auch möglicherweise motorisch durch Unruhe, ständiges Husten, Umherlaufen etc. ausgedrückt) und/oder durch projektive Identifizierung von Patient zu Therapeut bedingt sein („Ich bin so in Not, dass du dich sofort mit mir beschäftigen musst!“ – das korrespondierende Gefühl im Therapeuten könnte sein: „Dieser arme Mensch ist so in Not, dass ich ihn nicht warten lassen will.“). Verspäteter Beginn kann im Therapeuten begründet sein (Ablehnung des Patienten, Unwohlsein, Antriebslosigkeit, Beschäftigung mit Anderem etc.) oder durch vom Patienten in den Therapeuten projizierte Ängste oder Widerstände gegen die Offenbarung des Unbewussten (Beispiel: „Ich möchte die Magenschmerzen nicht mehr ertragen müssen, aber den Hass, den ich auf Vaterfiguren habe, wie du auch eine bist (sein wirst), will ich dir nicht offenbaren.“).
Ein vorzeitiges Ende einer probatorischen Sitzung ist möglich, wenn der Therapeut sich nicht ausreichend wertgeschätzt fühlt, oder sich nicht ausreichend wertgeschätzt fühlen kann (bspw. bei unzureichender, eigener Selbsterfahrung und/oder eigener Selbstwertproblematik), seine eigenen Bedürfnisse nicht ausreichend erfüllt werden (können), bei Hilflosigkeit, bei Ratlosigkeit des Therapeuten, in einer unbewussten Beschäftigung mit Anderem, oder wenn der Patient Anteile seiner selbst (seines Selbst) in den Therapeuten projiziert, die den Therapeuten zum Agieren verführen („Ich bin nicht wert, dass du mich die ganze Stunde erträgst“, oder: „Ich bin nicht wert, dass du dich weiter mit mir beschäftigst“, oder: „Andere Personen (oder Dinge) sind wichtiger als ich“ – wie es der Patient seit Langem kennt).
Auch können Menschen, die gelernt haben, für sich selbst nichts, oder nicht ausreichend in Anspruch nehmen zu können, derartige (durch projektive Identifizierung ausgelöste) Verhaltensmuster beim Therapeuten, im Setting provozieren.
Am häufigsten dürfte eine verspätete Beendigung sein, meist üben hier die Patienten direkten, häufiger aber noch projizierend Druck (projektive Identifizierung) auf den Therapeuten aus, so z. B. versorgungsbedürftige, manchmal auch gierige Patienten, die nicht nur die ganze Stunde „auskosten“ wollen, sondern darüber hinaus, manchmal auch als narzisstische Bestätigung ihrer selbst oder ihrer Bedeutung, Zuwendung und Beziehung vom Therapeuten erhalten wollen.
Therapeuten können Probesitzungen schlecht oder nicht beenden, wenn sie den projizierten Druck oder Anspruch nicht wahrnehmen (können), somit in ein Agieren geraten, die Stunde nicht beenden können. Bei all diesen Rahmenverletzungen ist zu bedenken, dass sie (tief) unbewusste Bedürfnisse des Patienten, aber auch des Therapeuten ausdrücken, dass es sich um frühe, präödipal einzuordnende Kommunikationsmuster handelt – werden sie nicht durch die Instrumente der Selbstreflexion des Therapeuten und seiner Gegenübertragung erkannt, wiederholen sich solche „alte“ (frühe) Erlebens- und Verhaltensmuster des Patienten, manifestieren sich schlimmstenfalls bereits in der Initialsituation und bleiben nicht selten während der Therapie später bestehen. Werden die genannten und andere ähnliche Muster aber rechtzeitig erkannt, bietet die Einhaltung des vom Therapeuten (nach seinen subjektiven Maßstäben) installierten Rahmens die einmalige Möglichkeit, dass sich die genannten Muster manifestieren, vom Therapeuten erkannt, reflektiert und als erfolgreiche Deutung später an den Patienten zurückgegeben werden können: eine therapeutisch wichtige Funktion des Rahmens zur Gesundung des Patienten und gleichzeitig eine einmalige und kostbare Spezifität der psychodynamischen Therapieformen. Je konstanter und genauer der Rahmen gehalten wird, desto eher und besser ermöglicht er somit die sich an ihm, wie Lichtstrahlen in einem Prisma brechenden, unbewussten Muster des Erlebens und des Verhaltens des Patienten wahrzunehmen und in fruchtbarer Weise für den Patienten im Therapeuten reflektiv aufzubereiten und dem Patienten in für ihn wirksamer Weise, eben als Deutung, zurückzugeben.
Wird der Rahmen akzeptiert, wird das abgewehrt, was aus dem Rahmen herausfallen könnte. Indem Therapeut...