1 Influencer: Ein gemeinsames Verständnis
Im ersten Kapitel geht es darum, ein gemeinsames Verständnis zu schaffen, damit wir anschließend alle wissen, wovon wir reden. Vielleicht erkennen Sie dabei sogar schon erste Ansätze für Ihre eigene Arbeit. Es geht in diesem Kapitel um die Person des Influencers, ihre unterschiedlichen Rollen und Funktionen. Wer sind die Menschen, die durch Social Media zu Einflussnehmern und manchmal auch zu Stars geworden sind? Was treibt sie an und worin liegt ihre Kraft? Wir ordnen die spannendsten Strömungen, Köpfe und Begriffe ein und ergründen die unerschöpfliche Vielfalt der Influencer-Landschaft.
1.1 Einführung
1.1.1 Der Influencer – ein Begriff steckt in der Krise
Adressieren wir gleich mal den Elefanten im Raum: Ist das Wort Influencer überhaupt noch zu verwenden? Sollen wir vielleicht lieber Content Creator oder Meinungsführer oder Blogger sagen?
Eines steht fest: Der Begriff Influencer hat in den letzten Jahren in Deutschland sehr gelitten – er ist mit so vielen Krisen, Skandalen und Vorurteilen verknüpft worden (auf die wir an späterer Stelle noch intensiver eingehen), dass mittlerweile sogar die Influencer selbst mit diesem Begriff hadern.
Ich selbst finde großen Gefallen an Ersatzbegriffen wie Creator oder Künstler, bin jedoch überzeugt, dass sie nicht so universell verstanden und angewendet werden können. Letztendlich heißt dieses Buch Influence!, es beschäftigt sich mit Influencer Marketing und ich werde den Begriff Influencer stellvertretend für alles verwenden, was sich hinter dem Begriff verbirgt. Auch deshalb, weil der Terminus zum jetzigen Zeitpunkt in der Marketingbranche gelernt und bekannt ist.
Für die Praxis schlage ich Ihnen vor: Fragen Sie den Menschen, mit dem Sie arbeiten, einfach, wie er sich selbst sieht und wie er bezeichnet werden möchte.
1.1.2 Reden wir über Einfluss
Wer sind die Menschen in unserem Leben, die uns am meisten beeinflussen? Nein, es sind nicht die Influencer, denen wir in den sozialen Netzwerken folgen. Es sind unsere Familienmitglieder und unsere Freunde. Die Menschen in unserem direkten Umfeld, die uns kennen und denen wir vertrauen können, dass sie das Beste für uns im Sinn haben. Sie sind mit 70 Prozent auch in diesem Jahr Spitzenreiter unter den Empfehlungsquellen, wie u. a. die Reader’s Digest Trusted Brands-Studie zeigt. Das verwundert wenig. Jeder, der nach der Schule von zu Hause ausgezogen ist, hat gemerkt, wie schnell man besonders in den ersten Monaten des eigenständigen Lebens zunächst auf die Marken und Kaufgewohnheiten zurückfällt, die man Zuhause gelernt hat. Ebenso sind es die Leute aus unserem Umfeld, denen wir eine gewisse Autorität für ein bestimmtes Thema zuschreiben. Wenn größere Entscheidungen anstehen – zum Beispiel die Wahl eines neuen Versicherers oder der Kauf eines Laptops, sehnen wir uns nach dem Rat eines Experten oder einer Person, die wir für versierter halten als uns selbst.
Es drängt sich eine Frage auf: Wir alle sind Teil einer Familie und eines Freundeskreises, wir alle sind kleine Experten auf mindestens einem Gebiet. Sind wir also alle auf gewisse Weise Influencer?
Der Influencer – Versuch einer Definition
Ganz nüchtern betrachtet leitet sich das Wort »Influencer« aus dem englischen Wort »Influence« (= Einfluss) ab und steht für Individuen, die bei anderen Personen eine Wirkung verursachen oder eine Verhaltensänderung herbeiführen.
Diese Definition ist der kleinste gemeinsame Nenner. Die Grundlage aller Influencer ist der Grad ihrer Kraft, andere Menschen in ihrem Handeln tatsächlich zu beeinflussen. Natürlich sind wir alle tagtäglich in dieser Rolle – teilweise ohne es zu merken. Doch die Influencer, über die wir in diesem Buch sprechen, vereinen noch einige andere Eigenschaften in sich, die sie insgesamt stärker und einflussreicher machen als andere und daher auch attraktiv für Marken, die in ihrem Tun natürlich auf Skalierungseffekte und Kosteneffizienz Wert legen.
Abb. 1: Die Grundlagen für Einfluss (Quelle: Brian Solis, 2012)
Reichweite
Die Influencer, über die wir sprechen, verfügen über ein Publikum (Follower), das ihnen vor allem in den sozialen Netzwerken folgt, indem sie zum Beispiel ihren Kanal abonnieren. Die Follower bilden damit eine Gruppe von Menschen, mit denen sie in einen Austausch treten und die man übergreifend auch als Community bezeichnen kann. Innerhalb dieser Community entstehen starke und belastbare Beziehungen zwischen Influencern und Followern, aber auch der Follower untereinander.
Sehr wichtig: Reichweite meint hier nicht eine bloße Zahl an Abonnenten. Es geht darum, dass ein Influencer Menschen erreichen kann. Innerhalb seines Netzwerks können Informationen und Botschaften zirkulieren, die dann eine Wirkung erzielen können.
Eine Reichweite wird genährt und begünstigt von folgenden Faktoren:
- Beliebtheit: Wie beliebt ist der Influencer? Ist sein Ansehen so hoch, dass er von anderen Menschen bewundert oder unterstützt wird?
- Nähe: Wie zugänglich ist der Influencer für seiner Follower? Besteht eine räumliche, virtuelle oder thematische Nähe?
- Triebkraft: Welches Interesse hat der Influencer daran, in sein Netzwerk hineinzuwirken?
Relevanz
Menschen erreicht man mit Themen, die sie interessieren. Und wir Menschen interessieren uns vor allem für Dinge, die für uns relevant sind, die uns betreffen und bewegen. Verstärkt wird dieses Verhalten, wenn die Themen von Menschen präsentiert werden, die wir mögen und respektieren. Je näher sich der Influencer an den Themen bewegt, die für seine Follower von Bedeutung sind, desto engagierter werden sie seine Inhalte konsumieren und mit ihnen interagieren.
- Autorität: Setzt sich ein Influencer intensiv mit einem relevanten Thema auseinander? Wird ihm Respekt für seine Expertise oder Spezialisierung entgegengebracht?
- Vertrauen: Wie glaubwürdig, verlässlich und beständig ist der Influencer insbesondere in der Beziehung mit seinen Followern?
- Affinität: Als wie sympatisch und zugänglich wird der Influencer eingeschätzt?
Resonanz
Resonanz ist das Resultat von Reichwerte und Relevanz. Es beschreibt die Ausdauer und Intensität, mit der sich Menschen mit Inhalten auseinandersetzen. Je stärker die Resonanz desto größer ist die Chance, dass ein Inhalt sich verbreitet und mehr Menschen erreicht. Theoretisch beschreibt diese Kategorie also die Reichweite, die Botschaften erzielen können, und die Langlebigkeit, mit der sie in den sozialen Netzwerken bestehen.
- Frequenz: Wie häufig taucht der Influencer bzw. sein Inhalt und seine Botschaft im Social-Media-Umfeld seiner Follower auf?
- Ausdauer: Wie nachhaltig haben seine Inhalte Bestand? Werden sie über einen längeren Zeitraum eingesehen, konsumiert und diskutiert?
- Amplitude: Wie hoch ist das Engagement und wie substanziell sind die Auseinandersetzungen der Follower mit den Inhalten?
Wir merken uns also: Einfluss misst sich nicht an der Höhe der Follower-Zahl, sondern an der Fähigkeit des Influencers, das Verhalten seiner Follower zu verändern.
Influencer sind Menschen, die in einem bestimmten Bereich oder einer bestimmten Branche Glaubwürdigkeit aufgebaut haben und die über eine digitale Community Einfluss ausüben. Sie veröffentlichen ihre Inhalte auf Social-Media-Plattformen, eigenen Blogs, Portalen und Diensten (z. B. Musik-Streaming). Das können Text-, Bild- und Videobeiträge, aber auch Playlists, Podcasts, Musikstücke oder Studien und Infomaterial sein.
Mit dieser Definition im Hinterkopf ist es deutlich einfacher, sich von möglichen Vorurteilen über Influencer zu lösen. Der Begriff umfasst so viel mehr als das langhaarige 20-jährige Mädchen vor dem Ikea-Regal. Und überhaupt: Was ist schlimm an einem 20-jährigen Mädchen vor einem Ikea-Regal, das YouTube-Videos produziert? Das sollten sich alle Freunde undifferenzierter Bemerkungen einmal fragen.
Nein, Influencer sind vielfältig und in allen Bereichen der Gesellschaft zu finden. Es können Journalisten, Sportler oder Schauspieler sein, CEOs großer Konzerne, Wissenschaftler – oder eben Menschen wie Sie und ich. Am eindrucksvollsten wird ihre Kraft gerade von einer jungen Frau aus Schweden demonstriert, die es geschafft hat, jede Woche weltweit mehrere...