1.1 Die zentralen Botschaften im vorliegenden Buch
Die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft war im Laufe der letzten zehn Jahre Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Dabei zeichnete sich ein eher beunruhigendes Gesamtbild ab. Hierzu nur einige Beispiele:
Einem Gutachten der „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ (KfW, 2011, S. 4) ist zu entnehmen, dass sich der Anteil der „echten Innovatoren“ 1 während der ersten Dekade des neuen Jahrtausends zumindest im Mittelstand (traditionell das Rückgrat im bundesdeutschen Innovationsgeschehen) von acht auf vier Prozent halbiert hat.
In einer Studie der Universität Bochum2 wurde festgestellt, dass nur ein kleiner Teil der Innovationsideen kommerziell erfolgreich umgesetzt werden konnte: „Nur etwa 13 Prozent aller Neuproduktvorschläge erreichen das Stadium der Markteinführung und von den neu am Markt lancierten Produkten können wiederum nur rund 50 Prozent die in sie gesetzten Erwartungen zumindest in Teilen erfüllen. Von den ‚offiziell’ vorangetriebenen Ideen wird nur rund jede sechzehnte ein kommerzieller Erfolg (6 Prozent)“.
Die Boston Consulting Group (2006, S. 16) kam zu der Folgerung, dass die Position der deutschen Wirtschaft vor allem in den Sektoren sehr schwach ist, in denen eine hohe Innovationsdynamik herrscht.
Manche, wie die Unternehmensberatungen Arthur D. Little oder DETECON, schätzen die Erfolgsquote noch viel niedriger ein, als es aus der Studie der Universität Bochum hervorgeht.3 Wie kann man Innovationsaktivitäten überhaupt statistisch abbilden? Als Bezugsgrößen gibt es Input- oder Output-Faktoren. Erstere werden in der Regel bevorzugt, da sie leichter zu erfassen sind. Ein klassisches Beispiel hierfür sind Patente oder FuE-Investitionen. Ein Nachteil ist, dass sie nur einen Teil des Innovationsprozesses abdecken, denn die Kommerzialisierungsphase bleibt außen vor.
Viele Unternehmer werden einwenden, dass sie derartige methodische Aspekte zu Statistiken nicht interessieren. Entscheidend sei vielmehr, dass zum Thema Innovation überhaupt etwas passiert. So werden anspruchsvolle Technologiestrategien entwickelt, neue Forschungsprojekte initiiert, zentrale Innovationsabteilungen eingerichtet und diese damit beauftragt, neue Innovationsvorhaben anzustoßen. Mit all diesen Aktivitäten operiert das Unternehmen in der Input-Perspektive, so wie die oben angeführten Statistiken.
Und wie steht es mit der Output-Seite, also der Kommerzialisierung? Sie kommt irgendwann später – oder auch nicht, und wenn, dann vielleicht nicht so, wie man es sich ursprünglich erhofft hatte. Die Befunde der Universität Bochum vermitteln ein eindeutiges Signal.
Man kann unterschiedlicher Meinung darüber sein, wie die genannten Statistiken zum kommerziellen Erfolg zu werten sind. Scheitern gehört nun einmal zu allen betriebswirtschaftlichen Wagnissen dazu und das Risiko, dass dies seinen Ausdruck auf der Ebene von Innovationsprojekten findet, ist a priori besonders hoch (Tidd et al., 2005).4 Wichtiger erscheint die Frage, ob die Möglichkeit bestanden hätte, die Fehlschlagquoten zu verringern. Dazu liegen keine validen Zahlen vor, wohl aber gewisse Orientierungen. In der akademischen Welt gibt es vermutlich niemanden, der sich diesem Thema länger und umfassender gewidmet hat als Robert G. Cooper. Er gelangte nach langer Forschungsarbeit zu folgender Feststellung (1999):
„Twenty-five years of research into why new products succeed, why they fail, and what distinguishes winning businesses, and are we any further ahead? Some pundits say no… there is little evidence that success rates of research and development (R&D) productivity have increased very much… after myriad studies… we still make the same mistakes… Recent studies reveal that the art of product development has not improved all that much.“
Wenn Menschen immer wieder die gleichen Fehler begehen, obwohl inzwischen viele Empfehlungen für deren Vermeidung vorliegen, dann gibt es dafür zwei mögliche Gründe: Die Ratschläge taugen nichts oder die Adressaten weisen nicht die erforderliche Absorptionsfähigkeit auf, um diese richtig umsetzen zu können; im zweiten Fall wären verschiedene individuelle, institutionelle oder systembezogene Faktoren oder deren Zusammenspiel denkbar.
Sind für die Zukunft bessere Perspektiven zu erwarten? Aus unserer Sicht spricht vieles dafür, dass die Fehlschlagquote bei Innovationen eher noch steigen wird. Im vorliegenden Buch wird dies näher erläutert. Selbst die Innovationen, die gemessen an Umsatz und Ertrag ex post als „Success Stories“ eingestuft oder gar zelebriert werden, dürften in den wenigsten Fällen über alle Prozessstufen hinweg reibungslos verlaufen.5 Innovationsprojekte sind, unabhängig vom Ausgang, auch fast immer mit hohen mentalen Belastungen verbunden. Nach den von uns durchgeführten Recherchen ist damit zu rechnen, dass der Leidensdruck eher zu- als abnehmen wird.
Für den damit auftretenden „Schmerzfaktor Innovationsprojekt“ liegen verschiedene Ursachen vor. Wir werden diese im vorliegenden Buch analysieren und Handlungsempfehlungen für die Bewältigung der daraus resultierenden Herausforderungen formulieren. Ein Patentrezept wird es dafür nicht geben. Allerdings lässt sich auf ein breites Spektrum an Erkenntnissen aus Wissenschaft und Praxis zurückgreifen. In der vorhandenen Vielschichtigkeit liegt zugleich ein großes Problem, das die angesprochene Absorptionsfähigkeit tangiert: Das verfügbare Wissen ist fragmentiert und teilweise schwer zugänglich. Allein für die zweite Hälfte der 1990er-Jahre liegen zur Frage von Erfolgsfaktoren im Innovationsprozess über 200 englischsprachige Publikationen vor (Ernst, 1999). Mindestens genauso wichtig sind die persönlichen Erfahrungen einzelner Manager, die tagtäglich Energien dafür aufwenden, um Innovationsprojekte voranzutreiben. Dieser Wissensbestand ist allerdings weitgehend nicht dokumentiert, und falls doch, dann in einer Form, die sich den Zugangsmöglichkeiten der Öffentlichkeit verschließt.
Im vorliegenden Buch werden wir beide Perspektiven analysieren und gegenüberstellen: Eine Auswertung der vorhandenen Literatur sowie Schlussfolgerungen aus Interviews mit innovationserprobten Managern. Überraschenderweise gelangen wir dabei zu sehr unterschiedlichen Sichtweisen. Gleichzeitig stellen wir fest, dass einige Faktoren, die in der Vergangenheit maßgeblich zu (Miss-)Erfolgen mit Innovationsvorhaben beigetragen haben, nun keine (bedeutende) Rolle mehr spielen. Dafür gibt es andere Determinanten, deren potenzieller Effekt von inzwischen entscheidender Bedeutung ist. 30 Interviews mit Managern von zwei Dutzend Konzernen haben bei diesem Vorgehen zu einem überraschenden Perspektivwechsel geführt.
Insgesamt gelangen wir dabei zu vier Feststellungen, die wir gleichsam als zentrale Botschaften unseres Buches im Merkkasten festhalten wollen.
Zentrale Botschaften dieses Buches
Die bisherigen Organisationssysteme sind in entscheidenden Punkten für ein erfolgreiches Innovationsmanagement ungeeignet: Strukturelle und verfahrenstechnische Barrieren erschweren die Realisierung vielversprechender Projekte.
Nicht der Mangel an Innovationsideen ist der Engpass, sondern deren Umsetzung in marktgerechte Produkte.
In keinem Bereich ist der Optimierungsbedarf derart hoch wie in der Kommerzialisierungsphase, insbesondere bei der Entwicklung neuer Geschäftsfelder.
Vielerorts fehlt es an einer klaren Output-Orientierung im Innovationsmanagement, sodass teils erhebliche Investitionen in die Input-Seite viel zu selten von ökonomischem Erfolg gekrönt sind.
Im vorliegenden Buch werden wir erläutern, wie es zu diesen Problemen kommt, ja wie sie im Kontext bestehender Organisationssysteme sogar unvermeidlich erscheinen. Gleichzeitig entwickeln wir konkrete Ansatzpunkte für leistungsfähigere Strukturen und professionellere Projekte.
Das hier beschriebene Konzept verkörpert eine konsequente Output-Orientierung, d. h., es stellt den kommerziellen Erfolg beim Aufbau eines neuen Geschäftsfeldes in den Mittelpunkt. Ausgangspunkt sind stets Pain-Points im Zielgruppensystem. Dabei handelt es sich um nicht oder suboptimal gelöste bzw. bewältigte Probleme und Herausforderungen. Der Fokus liegt auf der systematischen Suche und Bewertung von konkreten, aus Markt- und Kundensicht bestätigten Geschäftschancen. Ist eine solche konkrete Perspektive identifiziert und verifiziert, gilt es nun, die Organisation, die Produktentwicklung und die Markterschließungsstrategie konsequent auf die erfolgreiche Kommerzialisierung hin auszurichten. Man kann dies mit dem Schlagwort „Structure follows Opportunity“umschreiben. Für die damit verbundene Vorgehenslogik haben wir ein Konzept entwickelt, das in langjähriger Beratungsarbeit bei über 100 Projekten zur Geschäftsentwicklung von Technologiekonzernen in Europa, Asien und Nordamerika sukzessive verfeinert werden konnte.
Es geht also weniger darum, neue Initiativen für mehr Projekte zu stimulieren, weitaus wichtiger ist unser Bestreben, bessere Realisierungsbedingungen für die...