Während im vorangegangenen Kapitel der Grundstock zum Verständnis dieser Arbeit gelegt wurde und ein Wortschatz von wichtigen Begriffen, die im weiteren Verlauf verwendet werden, geliefert wurde, wird im folgenden Kapitel auf das Begriffspaar „Interkulturelle Kompetenz“ eingegangen. Ziel dieses Kapitels ist es zu verdeutlichen, welcher Zielsetzung interkulturelle Trainings, die der Vermittlung interkultureller Kompetenz dienen, folgen.
Interkulturelle Kompetenz lässt sich je nach Schwerpunkt und Blickwinkel des Forschungsgebiets unterschiedlich definieren. Die wissenschaftliche Literatur liefert dabei zwei Kategorien von Definitionen.
Die erste Kategorie von Begriffsbestimmungen soll hier anhand einer Definition von FRISENHAHN erläutert werden, nach der interkulturelle Kompetenz die „ ... Befähigung [ist], in interkulturell geprägten Alltags- und Arbeitssituationen mit Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen und/oder in fremdkultureller Umgebung kommunizieren und effektiv und effizient professionell tätig werden zu können“ (FRIESENHAHN 2001:65f).
Diese Definition sowie zahlreiche ähnliche Definitionen des gleichen Begriffes, die der gleichen Definitionskategorie zuzurechnen sind, legen den Definitionsschwerpunkt auf die effektive Erreichung von Handlungszielen. Diese Kategorie wird häufig im Zusammenhang mit beruflichen Auslandseinsätzen, denen bestimmte Handlungsziele zugrunde liegen, verwendet.
Die zweite Kategorie legt den Schwerpunkt im Gegensatz zur effektiven Erreichung von Handlungszielen auf die Anpassung an die fremdkulturelle Umgebung und das persönliche Wohlbefinden in ihr. Sie wird vorwiegend im Zusammenhang mit Auslandsaufenthalten verwendet, die nicht beruflicher Natur sind, wie dies z. B. bei Flüchtlingen der Fall ist[51].
Die erste Kategorie von Begriffsbestimmungen kann somit als Definition interkultureller Kompetenz im beruflichen Umfeld verstanden werden, während die zweite Kategorie das persönliche Wohlbefinden, das sich in Abhängigkeit der verfolgten Interkulturalitätsstrategie (vgl. Abschnitt 2.8) des Fremden einstellen kann sowie die Anpassung an die fremde Kultur, hervorhebt.
Eine Person im Ausland kann somit im Sinne der ersten Kategorie interkultureller Kompetenz erfolgreich sein und/oder im Sinne der zweiten Kategorie.
Es gibt jedoch auch vermittelnde Definitionsansätze. So fassen THOMAS & KINAST & SCHROLL-MACHL den Begriff derart weit, dass beide Kategorien erfasst werden, interkulturelle Kompetenz also nicht auf einen bestimmten Aspekt des Im - Ausland - Seins beschränkt wird. Hiernach zeigt sich interkulturelle (Handlungs-) Kompetenz in der Fähigkeit „ ... kulturelle Bedingungen und Einflussfaktoren im Wahrnehmen, Denken, Urteilen, Empfinden und Handeln, einmal bei sich selbst und zum anderen bei kulturell fremden Personen, zu erfassen, zu würdigen, zu respektieren und produktiv zu nutzen. Diese produktive Nutzung zeigt sich in einem wechselseitigen interkulturellen Verstehen und einer daran anschließenden Anpassung an die jeweiligen kulturellen Gewohnheiten und Selbstverständlichkeiten des Partners, und zwar so, dass die Zusammenarbeit für beide Seiten erträglich wird und dass die Produkte dieser Zusammenarbeit für beide Seiten nützlich und produktiv sind“ THOMAS & KINAST & SCHROLL-MACHL (2003:99).
Das eine Person im Ausland durchaus im Sinne der ersten Kategorie (effektiv), der zweiten (angepasst) oder beider Kategorien interkultureller Kompetenz handeln kann veranschaulicht folgendes Beispiel von LUSTIG & KOESTER:
Ein amerikanischer Geschäftsmann leitet ein Büro in Thailand. Einer seiner thailändischen Angestellten kommt zu spät zur Arbeit. Der amerikanische Geschäftsmann überlegt, wie er mit der Situation umgehen soll und kommt auf folgende vier Strategien: 1. Den thailändischen Angestellten privat auf das Problem aufmerksam machen und ihn zur Pünktlichkeit auffordern, 2. Das Problem ignorieren, 3. Den thailändischen Angestellten bei der nächsten Verspätung öffentlich hierzu ansprechen, 4. Den thailändischen Angestellten privat darauf ansprechen, dass es innerhalb der Firma ein Problem mit Verspätungen der Angestellten gebe und den thailändischen Mitarbeiter um seinen Rat und seine Unterstützung bei der Bewältigung dieses Problems bitten. Während die erste Strategie effektiv ist, da sie wahrscheinlich das Verhalten des Angestellten verändern wird, ist sie gleichzeitig im kulturellen Kontext Thailands unangemessen, da direkte Kritik hier unüblich ist. Die zweite Strategie wäre angemessen aber im Hinblick auf die Verhaltensänderung des Angestellten nicht effektiv. Die dritte Strategie ist weder angemessen noch effektiv, da sie den Angestellten öffentlich bloß stellt und ihn somit wahrscheinlich zur Kündigung zwingt. Die vierte Strategie ist effektiv und angemessen, da sie eine Verhaltensänderung des Angestellten herbeiführt und gleichzeitig das Gesicht des Angestellten wahrt (LUSTIG & KOESTER 1999:67f). - Übersetzt und zusammengefasst vom Autor.
Das obige Beispiel verdeutlicht, dass eine langfristige erfolgreiche interkulturelle Zusammenarbeit nur gewährleistet werden kann, wenn die an ihr beteiligten Personen sowohl effektiv als auch kulturell angemessen handeln. Im Rahmen dieser Arbeit soll daher der vermittelnde Definitionsansatz von THOMAS & KINAST & SCHROLL-MACHL gelten.
Um sich dem Begriff der interkulturellen Kompetenz weiter anzunähern kann dieser folgendermaßen beschrieben werden: Personen, die einen Beruf im eigenkulturellen Umfeld erfolgreich verrichten, begeben sich in ein fremdkulturelles Umfeld. Hier stellt sich heraus, dass einige Personen auch im fremdkulturellen Umfeld ihren Beruf erfolgreich verrichten können, während anderen Personen dies nicht gelingt. Der Unterschied zwischen beiden Personengruppen liegt also ganz offensichtlich darin, dass die erstgenannte Gruppe eine höhere interkulturelle Kompetenz besitzt.
Entscheidend für eine Beschreibung interkultureller Kompetenz ist es somit, diejenigen Fähigkeiten zu identifizieren, die es einigen Menschen ermöglichen in einem fremdkulturellen Umfeld erfolgreich zu agieren (EARLEY & ANG 2003:59).
Im folgenden Abschnitt werden nun die zahlreichen Aspekte interkultureller Kompetenz näher betrachtet. Hierzu werden die drei Ansätze zum interkulturellen Kompetenzbegriff 1. Adaption/Awareness, 2. Effectiveness und 3. Communication vorgestellt.
Adaption- und Awareness-Ansätze stellen den Begriff der interkulturellen Sensibilität in den Mittelpunkt. BENNET (2001) stellt ein von ihm 1993 entwickeltes Stufenmodell (Developmental Model of Intercultural Sensitivity) vor, dass eine Einstufung interkultureller Sensibilität in sechs Stadien ermöglicht. Hierdurch wird ein Instrument zur Verfügung gestellt, dass es ermöglicht, die Grade der interkulturellen Kompetenz von verschiedenen Personen zu bestimmen und zu vergleichen.
Abb. 7: Developmental Model of Intercultural Sensitivity[53]
Diesem Modell folgend durchläuft jeder Mensch im Hinblick auf interkulturelle Sensibilität sechs Entwicklungsstufen bis zur interkulturellen Kompetenz.
Denial: Auf der ersten Stufe des DMIS-Modells befinden sich Menschen, die bisher noch keine fremden Kulturen erlebt haben. Sie sehen die Welt unreflektiert durch ihren persönlichen kulturellen Filter und können sich nicht vorstellen, dass eine andere als ihre eigene Weltsicht existiert. Sie legen zur Interpretation fremdkulturellen Verhaltens ausschließlich ihr eigenes Wertesystem zugrunde und verkennen kulturelle Unterschiede.
Defense: Auf der zweiten Stufe befinden sich Menschen, die kulturelle Unterschiede erkennen, andere Kulturen jedoch als Bedrohung erfahren und fremde Kulturen prinzipiell als der eigenen unterlegen ansehen. Menschen auf dieser Stufe entwickeln Abwehrstrategien gegen fremdkulturelle Einflüsse.
Minimization: Auf dieser Stufe interkultureller Kompetenz befinden sich Menschen, die kulturelle Unterschiede erkennen und auf der Ebene der sichtbaren Kultur (z.B. unterschiedliche Institutionen und Bräuche) interessiert wahrnehmen, jedoch nicht die zugrundeliegenden fremdkulturellen Werte sehen. Vielmehr versuchen Menschen, die sich auf dieser Stufe befinden, kulturelle Unterschiede zu bagatellisieren und unterstellen angebliche kulturelle Gemeinsamkeiten, ohne zu erkennen, dass diese Gemeinsamkeiten nur vor dem eigenen kulturellen Hintergrund existieren.
Diese drei Stufen der interkulturellen Kompetenz benennt BENNET als ethnozentristische[54] Stufen, d. h. die eigene Kultur als einzig richtige Kultur in den Mittelpunkt stellende.
Auf der anderen Seite des DMIS-Modells befinden sich die ethnorelativistischen[55] Stufen, welchen die Akzeptanz unterschiedlicher und gleichwertiger Kulturen zugrunde liegt:
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