It is more than likely that an advertisement's effects are diffuse and long-term, and there is some evidence that advertising plays a part in defining 'reality' in a general or anthropological sense.
Gillian Dyer: Advertising as communication, 1982, S. 77.
In diesem Kapitel möchte ich zunächst auf die Wirkungsmechnismen von Werbung im allgemein eingehen, bevor ich auf meine spezielle Fragestellung überleite. Es gibt eine recht umfangreiche Forschungsliteratur hinsichtlich Werbewirkung bzw. aktuelle Beiträge darüber, wie Werbung funktioniert. Darüber hinaus existieren eine ganze Reihe von Theorien über die Wirkung von Werbung. Die Werbewirkungsforschung hat natürlich sehr viel mit Psychologie zu tun. Die Werbepsychologie wird bei den meisten Firmen in den generellen Kontext des (betriebswirtschaftlichen) Marketing gestellt. Das Unternehmens-marketing macht dort, wo es sich als Verhaltenswissenschaft versteht, schon lange ausführliche Anleihen bei der Psychologie. Inzwischen gehen auch Unternehmen vermehrt dazu über, Psychologen (und nicht nur Betriebswirtschaftler) in ihre Marketingabteilungen zu integrieren.
In der Werbepsychologie werden Konsumenten regelmäßig als "informationsverarbeitendes System" klassifiziert.[7] Oftmals wird der Mensch analog zu einem Computer gesehen, der Informationen sucht, verarbeitet und schließlich zu Problemlösungen kommt. Der Konsument kann demnach als Problemlöser und Informationsverarbeiter gesehen werden, der notwendige Entscheidungen zu fällen hat.
Die Hauptaufgabe der Werbepsychologie ist die Prognose und Überprüfung der Werbewirkung. Die Überprüfung der Werbewirkung ist im besten Falle schwierig. Wenn der Werbeerfolg bestimmt werden soll, kann man versuchen, dies mittels einer Werbeerfolgsprognose (sog. Pretest) vorherzusagen oder aber den Werbeerfolg im nachhinein als Werbeerfolgskontrolle (sog. Posttest) zu erfassen. Der Posttest ist u.U. leicht zu bewerkstelligen: Die pure Umsatzsteigerung des beworbenen Produkts wird quantitativ erfaßt. Allerdings wird der Verkaufserfolg des Produkts von vielen Faktoren beeinflußt, d.h. der Marketing-Mix-Faktor Werbung ist nur äußerst schwer isolierbar. Darüber hinaus ist es schwierig, bestimmte Effekte bestimmten Maßnahmen zeitlich definierbar zuzuordnen. Hinzu kommt, daß bei Kampagnen meistens mehrere Werbemittel gleichzeitig eingesetzt werden, so daß die Wirksamkeit jedes spezifischen Werbemittels nicht mehr eindeutig zu bestimmen ist.
Es gibt mehrere Verfahren zur Erfassung der psychologischen Werbewirkung, von denen ich zum besseren Verständnis eines an dieser Stelle kurz vorstellen möchte: das AIDA-Modell.[8] Dieses besagt, daß Werbung beim Konsumenten folgende vier Reaktionen hervorrufen soll:
1. Aufmerksamkeit erzeugen (attention)
2. Interesse wecken (interest)
3. Wünsche ansprechen (desire)
4. zur Handlung bzw. zum Kauf auffordern (action)
Dieses behaviouristische Modell (Reiz–Reaktion) ist eines der ältesten und zugleich beliebtesten Werbewirkungstheorien. Zwischen dem Reiz und der beabsichtigten Reaktion liegen allerdings viele Unwägbarkeiten, die eine Rolle spielen können. Selbstverständlich führt die Darbietung einer Werbebotschaft nicht unbedingt zu einem anschließenden Kaufverhalten. Mehr noch, es kann sogar passieren, daß konzeptionell nicht gut durchdachte Werbungen negative Effekte beim angesprochenen Konsumenten auslösen.
Ich möchte an dieser Stelle auch kurz auf die theoretischen Grundlagen der vermuteten Einflüsse und Wirkungsmechanismen eingehen. Denn die Wahrnehmung einer Werbung ist nichts anderes als der Vorgang und das Ergebnis der Aufnahme und Verarbeitung von Reizen. Das Ergebnis einer solchen Wahrnehmung ist in der Regel eine Kombination aus externen Reizen und eigenen Erwartungen resp. Erfahrungen. Für den Werber bedeutet dies, daß seine Botschaft nie erwartungs- oder vorurteilsfrei aufgenommen wird. Erwartungen und Hypothesen spielen eine bedeutende Rolle bei jeder Wahrnehmung (einer Werbebotschaft). Eventuell vorgefaßte Hypothesen des Betrachters werden laufend auf ihre Richtigkeit überprüft. Auch Emotionen und Werthaltungen beeinflussen neben den vorhandenen Hypothesen die Wahrnehmung. All diese Einflüsse tragen dazu bei, daß wir Werbungen nicht einfach als "Abbilder der Realität" registrieren, sondern daß der Rezipient der Werbung Realität auch selbst konstruiert:[9]
Diese Hypothesen sind bei der Wahrnehmung unter folgenden vier Bedingungen besonders wirksam: (1) wenn die Hypothesen bereits häufig bestätigt wurden, (2) wenn sie sich in allgemeinere Sinnstrukturen einbetten lassen, (3) wenn sie motivational mitbestimmt werden, d.h. der Bedürfnisbefriedigung dienen, (4) wenn sie von sozialen Bezugsgruppen geteilt werden.
Die meisten oft bestätigten Hypothesen sind uns in unserem alltäglichen Leben kaum bewußt, und wir erinnern uns ihrer nur bei einem offensichtlichen Widerspruch an sie, was dann häufig Humor oder Verblüffung auslöst:[10]
Es wird häufig angenommen und gelegentlich sogar explizit darauf hingewiesen, daß der Mensch nach Konsistenz strebt. Seine Meinungen und Einstellungen haben die Tendenz, in Konstellationen zu bestehen, die in sich konsistent sind. [...] Werden [...] Inkonsistenzen erkannt, so können sie sich recht dramatisch auswirken, doch erregen sie unser Interesse hauptsächlich deswegen, weil sie sich vom Hintergrund der Konsistenz deutlich abheben.
Menschen tendieren dazu, Dinge eher so wahrzunehmen, wie sie es erwarten oder kennen. Jeder Mensch verfügt über bestimmte Schemata darüber, wie es sich mit Personen oder Dingen seines Umfeldes verhält. Die Wahrnehmung und Erinnerung wird in Richtung dieser vorhandenen Schemata verzerrt.
Für die Werbung bedeutet dies, daß Menschen von ungewöhnlichen Ereignissen überrascht werden und unsere Aufmerksamkeit unwillkürlich auf Neues gelenkt wird. Auch erinnern sich Menschen eher an Auffälliges und Ungewöhnliches als an Bekanntes und Übliches. Die Theorie der kognitiven Dissonanz von Leon Festinger stellt die These auf, daß vor allem die Ausnahmen eines ansonsten konsistenten Verhaltens unsere Aufmerksamkeit erregen. Diese Ausnahmen werden selten von der betreffenden Person psychologisch als Inkonsistenzen (nach Festinger: Dissonanzen) akzeptiert, sondern meistens entsprechend dem eigenen Wissen rationalisiert. Wenn der Versuch fehlschlägt, Konsistenzen herzustellen, entsteht oft ein psychologisches Unbehagen. Festinger stellt diesbezüglich die These auf, daß Dissonanz, d.h. das Bestehen von nicht zueinander passenden Beziehungen zwischen Kognitionen,[11] ein eigenständiger, motivierender Faktor ist. Werbung für Migranten von deutschen Firmen in einem türkischen Fernsehkanal ist für die Zielgruppe ungewöhnlich und etwas besonderes.
Man muß sich das so vorstellen: Der Konsument sitzt (gewöhnlich mit anderen Menschen zusammen) vor dem Fernseher und schaut sich ein türkisches Programm an. Im Werbeblock erscheint dann eine nur aus den deutschen Medien bekannte Firma und wirbt in türkischer Sprache für ihr Produkt. Meistens ist dies ein aus deutschen Kanälen bekannter Werbefilm, da die Hersteller bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Mercedes-Benz) sich nicht der Mühe und der Kosten unterziehen, eine eigenständige interkulturelle Werbung für diese spezielle Zielgruppe zu entwickeln. Also konsumiert der Zuschauer einen Werbefilm, der zwar bekannt ist, aber nur in deutscher Sprache und aus deutschen Kanälen. Die Werbung ist aber diesmal in türkischer Sprache und teilweise mit einem anderen Text (bei Nahrungsmitteln wird häufig der Zusatz angebracht, dieses Produkt sei ohne Schweinefleisch hergestellt, so z.B. bei Knorr). Auch eingeblendete Texte sind oftmals in türkischer Sprache, was unweigerlich dazu führt, daß man sich Gedanken darüber macht, ob die Übersetzung adäquat und gelungen ist. Oder man überlegt sich u.U., wie man selbst übersetzt hätte... Diese Faktoren führen beim Rezipienten zu Irritationen bzw. Dissonanzen und damit zu einer erhöhten Aufmerksamkeit gegenüber der gezeigten Werbung.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß gut gemachte Werbefilme gerne gesehen werden und oftmals Reflexionen in der Gruppe auslösen: Man unterhält sich über die Werbung, spricht über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu der oftmals bekannten deutschen Version. Öfters werden die gezeigten Werbespots kritisiert oder abgestempelt, vor allem wegen der zahlreich vorhandenen sexuellen Anspielungen (dazu gehören z.B. schon
auch Bilder von Frauen in knappen Badeanzügen, geschweige denn von Pärchen, die sich küssen oder in sonstigen als intim eingestuften Szenen). Fernsehspots werden, sofern keine kulturellen Beanstandungen vorliegen, im türkischen Familien– und Bekanntenkreis als willkommener Gesprächsstoff und wertvolle Verbraucherinformation betrachtet. Dies bezieht sich allerdings primär auf...