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E-Book

Interview mit dem Tod

AutorJürgen Domian
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783641087098
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Für den, der wirklich lebt, spielt Zeit keine Rolle
Jürgen Domian ist Moderator der Telefon-Talkshow »Domian«. In seiner Sendung hat er mit rund zwanzigtausend Interviewpartnern gesprochen - vom Mörder bis zum Lottomillionär, vom Show-Star bis zum Obdachlosen, vom Priester bis zum Satanisten. Einer fehlt in der langen Reihe seiner Talk-Gäste, denn er ist scheu und meidet die Öffentlichkeit. Er zählt zu den Top-Prominenten dieser Welt, hat tausend Gesichter, aber nur eine Aufgabe. Er ist alt und doch für immer jung, er ist äußerst fleißig und schläft nie. Einige nennen ihn »Gevatter« oder »Schnitter«, für andere ist er schlicht: der Tod.

Nun hat Domian mit ihm gesprochen, in diesem Buch ...

  • Ein Buch von großer Ernsthaftigkeit und Tiefe
  • Eine Einladung, heiter und ernsthaft zu leben


Jürgen Domian wurde 1957 in Gummersbach geboren. Nachdem er bei verschiedenen Sendern der ARD als Autor und Reporter arbeitete, moderierte er von 1995 bis 2016 die bimediale Telefon-Talkshow »Domian«. 2003 wurde er für die Sendung mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

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Leseprobe

1


Ein Buch über den Tod also.
Ein Jahr habe ich mit mir gerungen, ob ich dieses
Projekt beginnen soll. Es war ein ernstes Jahr.

 

Gibt es nicht schon genug Bücher über den Tod?

Warum soll gerade ich über den Tod schreiben? Kann ich es? Will ich es?

Was habe ich zu sagen? Wie könnte ich dem größten Mysterium unserer Existenz gerecht werden? Zu welchem Resümee sollte ich kommen?

 

Je mehr ich über diese Fragen nachdachte, desto klarer wurde mir eine Tatsache, die ich mir in dieser Deutlichkeit zuvor noch nie vor Augen geführt hatte – und für die ich keine Erklärung habe:

Im Grunde ist der Tod das Thema meines Lebens.

Nicht die Liebe, nicht der Erfolg, das Glück, die Schönheit oder die Gerechtigkeit. Nein, mein Lebensthema ist der Tod. Aber offensichtlich hatte ich bisher Scheu, mir dies so klar einzugestehen. Erst die letzten Monate brachten mich zu dieser Erkenntnis, obwohl der Tod seit Jahrzehnten mein Begleiter ist.

Über nichts habe ich so viel, so oft, so kontrovers, so verzweifelt nachgedacht wie über die Endlichkeit. Schon als dreizehnjähriger Hauptschüler, bildungsfern und ohne jeglichen intellektuellen Hintergrund, hatte ich den Tod in meinem Kopf. Warum müssen die Menschen sterben? Was passiert danach? Wann sterben meine Eltern? Wann sterbe ich? Wie sterbe ich? Gibt es ein Paradies? Existieren dort alle Verstorbenen weiter? Können die Toten mich sehen? Kann man Toten etwas mitteilen? Wie sehen sie aus? Sind sie nackt oder bekleidet? Werden tote Kinder im Jenseits nie erwachsen? ...

Versuchte ich mit meinen Schulfreunden über derartige Fragen zu sprechen, so war die Diskussion schnell zu Ende. Sie interessierten sich nicht für meine merkwürdigen Grübeleien und hielten mich bestimmt für einen Spinner. Auch meine Eltern konnten meine Fragen nicht wirklich beantworten, so sehr sie sich auch mühten und meine Gedanken ernst nahmen. Ich blieb allein mit meinem Unbehagen und meiner Angst. Etwa der großen Angst, im Schlaf zu sterben und am nächsten Morgen tot in meinem Bett zu liegen. So kam es, dass ich wohl das einzige Kind in meiner Umgebung war, das sehr gerne in den Konfirmandenunterricht ging.

Dieser Unterricht war damals meine Rettung. Denn die Fragen wurden immer bohrender und die Ängste immer unerträglicher, und bestimmt hätten meine Eltern in ihrer Sorge um mich irgendwann einen Arzt hinzugezogen. Was in den 1960er Jahren eine heikle Entscheidung gewesen wäre. Die Seele des Kindes war noch kaum erforscht, die Medikamente waren schlecht und die Kinderpsychiatrien glichen eher Kindergefängnissen als akzeptablen Krankenhäusern.

Die Autorität unseres damals schon sehr alten Pastors zog mich dann tief hinein in den christlichen Kosmos. Zwar war ich im christlichen Sinne erzogen worden, wie die meisten von uns, und meine Eltern waren gläubige Menschen, aber erst die Strahlkraft des Pastors vermochte mich wirklich zu erreichen. Ich gierte geradezu nach seinen Deutungen und Erklärungen, die mich mehr und mehr überzeugten, ich begann täglich und viel in der Bibel zu lesen, ließ keinen Gottesdienst aus und betete morgens, mittags und besonders ausdauernd am Abend.

Ich wurde ein fanatischer Christ. Aber dazu später. Seit dieser Zeit ist kein Tag vergangen, an dem ich mich nicht auf irgendeine Weise mit dem Tod beschäftigt habe. Ich übertreibe nicht. Sicher, es gab Tage und Wochen, da hielt sich diese Beschäftigung in Grenzen. Aber selbst in unbeschwerten oder gar glücklichen Zeiten irrlichterten Gedanken über den Tod durch meinen Kopf. Was mich besonders traf, weil sie mir die Vergänglichkeit auch des Schönen vor Augen führten. Seit Jahren nun bin ich sogar beruflich beinahe jede Nacht mit Tod und Sterben konfrontiert. Ich habe in meiner Talk-Sendung im WDR-Fernsehen und in Radio 1LIVE mit so vielen Todkranken, Sterbenden und Trauernden gesprochen, ich könnte keine genaue Zahl nennen.

Hubert war der Erste, Tausende folgten. Hubert rief im Mai 1995 in meiner Sendung an, 35 Jahre alt, leukämiekrank im Endstadium. Er litt unter großer Einsamkeit und hatte sich zum Sterben aus der Klinik nach Hause verlegen lassen. Ich kann mich noch sehr gut an eine Antwort von ihm erinnern. Auf meine Frage »Überkommt dich manchmal Wut, dass du so jung sterben musst?«, sagte er: »Am Anfang ja, jetzt aber nicht mehr. Es kann ja morgen in der Frühe schon zu Ende sein. Wenn jemand anruft und sagt ›Bis morgen‹, dann kann ich das nicht erwidern. Es gibt für mich nur noch jetzt

Gerade dieser letzte Satz beeindruckt mich bis heute. Lehrt der Tod die Menschen die Gegenwart? Lehrt er uns gar, richtig zu leben? Wie verändert sich ein Mensch im Angesicht des Todes? Ist der Tod weise? Kennt er Güte, Gnade, Moral und Gefühl? Könnte er uns Antworten geben auf die großen Fragen unseres Lebens? Oder ist er schlichtweg ein ausführendes Organ, ein kalter Vollstrecker – ohne Meinung, Herz und Wissen?

 

Ich habe in meiner Sendung bisher mit etwa zwanzigtausend Menschen gesprochen. Dabei ging es um alle erdenklichen Themen. Um Liebe, Glück, Sexualität, Glauben, Angst, den 11. September, Michael Jackson, ausgefallene Berufe, die Zeugen Jehovas, den Papst, Politik, TV-Shows, Krankheiten – und immer wieder um Tod und Abschied. Ich habe mit ganz Jungen gesprochen und mit ganz Alten. Mein jüngster Anrufer war elf Jahre alt, meine älteste Anruferin sechsundneunzig. Es waren sehr Reiche darunter und sehr Arme, hochgebildete Menschen und etliche ohne Ausbildung oder Schulabschluss. Auch Prominente haben bei mir angerufen und Zuschauer oder Zuhörer aus dem fernen Ausland, etwa aus China, Brasilien oder den USA.

Zwanzigtausend Interviewpartner also. Vom Mörder bis zum Lottomillionär. Vom Show-Star bis zum Obdachlosen. Vom Priester bis zum Satanisten.

Mit einem allerdings habe ich noch nicht gesprochen. Er fehlt bisher in der langen Reihe meiner Talk-Gäste. Denn er ist scheu und meidet die Öffentlichkeit. Er zählt zu den Top-Prominenten dieser Welt. Er hat tausend Gesichter, aber nur eine Aufgabe. Er ist sehr alt und doch für immer jung. Er ist äußerst fleißig und schläft nie. Einen besonderen Namen hat er nicht, aber es gibt einige, die nennen ihn einen Meister aus Deutschland, andere sagen einfach Schnitter oder Gevatter zu ihm.

 

Es ist der Tod selbst.
Mit ihm habe ich noch nie gesprochen.

 

Nun ist es Zeit, dies zu tun.
In diesem Buch.

Gesprächsprotokoll


Ich danke dir, Tod, dass du dir die Zeit nimmst, dich mit mir zu unterhalten.

Der Tod: Für mich gibt es keine Zeit, aber ohne sie gäbe es mich nicht. Endet die Zeit, endet der Tod. Und Dank ist mir niemand schuldig. Ich tue nur, was zu tun nötig ist.

Bleiben wir zunächst bei der Zeit. Was eigentlich ist die Zeit? Weißt du es?

Ach, die Zeit. Ihr Menschen nehmt sie viel zu wichtig und lasst euch von ihr blenden. Ihr lasst euch gefangen nehmen von der Vergangenheit oder der Zukunft. Für den, der wirklich lebt, spielt Zeit keine Rolle. Sobald ihr über sie nachdenkt, habt ihr schon verloren.

Aber mir bleibt als Mensch doch gar nichts anderes übrig, als über die Zeit nachzudenken. Wie soll ich denn mit ihr umgehen?

Das Vergangene ist bereits tot. Das Zukünftige nichts weiter als eine Illusion.

Schön philosophisch gesagt. Aber was bedeutet das für den menschlichen Alltag? In unserem Leben spielt die Zeit eine große Rolle. Ein Beispiel: Ich muss mich doch um meine spätere Rente kümmern ...

Wenn du meinst, ja. Jedoch sollst du dich »kümmern« – und die Sache dann schnell wieder vergessen.

Es geht immer nur um den Moment?

Der Moment ist die einzige Wirklichkeit, die ihr Menschen habt.

Gibt es überhaupt »den Moment«? In der Sekunde, in der ich »jetzt« denke, ist »jetzt« bereits Vergangenheit.

Deshalb sollst du nicht »jetzt« denken, sondern jetzt leben.

Wie Hubert es sagte.

Wie Hubert es sagte.

Gesprächspause


Wie geht es Hubert?

Oh, du forderst mich heraus – und willst schon jetzt eine Antwort auf die gewichtigste Frage der Menschen: Gibt es ein Leben nach dem Tod?

Ich denke seit Jahrzehnten darüber nach.

Und die Menschheit seit Jahrtausenden. Deshalb wurden die Religionen erfunden.

Erfunden? Lügen sie denn alle?

Gemach, mein sterblicher Freund!
Alle haben Recht – und alle lügen sie.

Oh, eine sehr exakte Antwort.

Sie wissen alle um die Liebe, die Ewigkeit oder das Nichts.

Willst du damit sagen, dass alle Religionen etwas Gemeinsames haben, auf einen Punkt zulaufen?

Ja, so könnte man es ausdrücken. Aber das vertiefen wir später.

Gut, kommen wir auf meine vorhin gestellte Frage zurück. Was geschieht mit den Menschen, wenn du dein Handwerk getan hast?

Man beerdigt oder verbrennt sie, in der Regel.

Welch eine Neuigkeit.

Du solltest präziser fragen.
Ist der Mensch tot, so ist der Mensch tot.

Alles, was ihn ausmacht?

Der Körper zerfällt. Und das Ich auch.

Gesprächspause


Warum ist das so?

Weil sich alles ständig verändert....

Blick ins Buch

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