Bewusstheit und erweiterte
Wahrnehmung – eine Chance
unserer Zeit
„Intuition ist es, die den Verstand
transformiert. Intuition ist nicht
anti-rational, sondern trans-rational.”
Ken Wilber
Zu Beginn der menschlichen Evolution konnten wir uns fast ausschließlich auf unsere Sinne und unsere Instinkte verlassen. Hierbei standen das Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen im Vordergrund, die Augen waren weniger weit entwickelt. Im Kampf ums Überleben war es wichtig, zu hören („Knackt es im Gebüsch, könnte es ein Raubtier sein”), zu riechen („Riecht es nach Feuer, droht Gefahr”), zu schmecken („Ist das Essen genießbar?”) und zu fühlen.
Forschungen legen die Vermutung nahe, dass unsere Vorfahren zuerst im Wald lebten und damit in der Dämmerung. Erst mit der Umsiedlung des Menschen in die Savanne gewannen die Augen an Bedeutung. Über das Sehen nahm er Bilder in seinem Verstand auf, die er anderen weitergeben konnte. Sehen gehört also eher zum mentalen Prozess, während die anderen Sinne stärker instinktbezogen sind.
Über die Entwicklung von Sprache und Perspektive lernte der Mensch sich zu organisieren. Wir haben uns vom Urzeitmenschen zum „homo intellektualis” entwickelt. Durch die Entwicklung unseres Denkens haben wir (im Idealfall) geistige Ausgeglichenheit und Neutralität ausgebildet. Die gesamte moderne Technik verdanken wir unseren mentalen Fähigkeiten: dem, was die großen Denker und Wissenschaftler herausgefunden haben. Allerdings haben uns unsere intellektuellen Fähigkeiten weder friedfertiger noch glücklicher gemacht. Religiöser und politischer Fanatismus sucht seine Rechtfertigung in intellektuellen Doktrinen. In dem Wahn, die Erde auszubeuten und sie uns untertan zu machen, liegt eine Einseitigkeit. Das Wissen des Verstandes muss der Weisheit weichen, die wir erlangen, wenn wir beginnen, „mit dem Herzen zu denken und mit dem Verstand zu fühlen”, also wahrzunehmen (= das Wahre zu nehmen), was ein anderer Ausdruck für erweiterte Wahrnehmung ist.
Als Gegenbewegung zum Dogmatismus gibt es immer mehr Menschen, die sich als Bestandteil eines größeren Ganzen erkennen, Menschen, die über das Ego hinauswachsen und über ein „globales Empfinden” verfügen. Aus dem „Ich gegen du”, „Fressen oder gefressen werden”, das wir noch vom Tierreich her kennen, entwickelt sich immer mehr ein Wir-Bewusstsein. Gleichzeitig erfahren wir ungeachtet unseres kollektiven Empfindens eine immer stärkere Individualisierung. Der Einzelne erlebt seine Einzigartigkeit, die eingebettet ist in ein größeres Ganzes. Das Bewusstsein der Individualität und der Andersartigkeit zeigt sich unter anderem auch in modernen Therapie- und Heilmethoden wie zum Beispiel der Homöopathie, die ein zutiefst individueller Prozess ist.
Immer mehr erkennen wir im Zuge dieser Individualisierung, dass Doktrinen immer weniger greifen. Jeder Mensch ist mehr und mehr aufgefordert, seine eigene Lösung für seine Lebensthemen zu entdecken. Um dies zu vermögen, benötigen wir eine individuelle Rückverbindung zu einem Weisheitspotenzial, zu einer inneren Stimme, im Idealfall zur Intuition.
Erweiterte Wahrnehmung sucht aber nicht die Omnipotenz über andere, sondern die ganzheitliche Lösung, die für alle stimmt. Hier finden wir einen Zusammenhang zwischen erweiterter Wahrnehmung und Demut. Solange ich aufgrund von hellseherischen Fähigkeiten andere übervorteilen will, werde ich nicht in der Lage sein, ein reiner Kanal für Weisheit zu sein, und weiter in Angst verharren.
Mehr und mehr Menschen sind bereit für eine umfassendere Wahrnehmung und eine Lebensgestaltung aus einem höheren Wissen heraus. Um dafür empfänglich zu werden ist die Bereitschaft erforderlich, alte Methoden des Überlebens („Auge um Auge, Zahn um Zahn”) zu verändern, denn erweiterte Wahrnehmung umfasst immer die ganzheitliche Perspektive und sucht die optimale Lösung für das große Ganze, für das Wir.
Wir können den Verstand nicht transformieren, indem wir ihn verdammen. Wir müssen unserem Bewusstsein etwas Besseres anbieten als den Verstand. Es war eine großartige Entwicklungsepoche, in der sich unser Intellekt herausgebildet hat, doch wir sind jetzt an den Grenzen des Intellekts angelangt. Der Intellekt steht für die materielle Welt, die wir mit seiner Hilfe organisiert haben. Doch im Zuge des „globalen Dorfes”, in das wir hineinwachsen, steht nun die Entwicklung höherer Sinne und erweiterter Wahrnehmungen an. Diese wird der Schwerpunkt der menschlichen Evolution im dritten Jahrtausend sein.
Unsere Entscheidungen werden immer komplexer sein. Da kleine Fehlentscheidungen heute gravierendere Folgen haben als noch zur Urzeit, müssen unsere Entscheidungen immer treffender, müssen wir selbst immer stimmiger werden. Die für das dritte Jahrtausend nötige Fähigkeit der erweiterten Wahrnehmung entsteht durcht ein ständiges Sich-Ausrichten, ein ständiges Üben, das den gewünschten Erfolg bringt. Dank unserer erweiterten Wahrnehmung nehmen wir Abstand von der Rastlosigkeit des Verstandes, der wie ein wilder Affe von Gedankengang zu Gedankengang springt. Wir können erstmals in der Geschichte der Menschheit kollektiv erfahren, was es heißt, stimmig und aus einem erweiterten Potenzial heraus zu leben. Sobald der Verstand ruhig und das Gemüt friedlich ist, öffnet sich die erweiterte Wahrnehmung wie ein weiter Himmel. Von dieser Wahrnehmung zu profitieren, wird im Laufe der Zeit für uns immer selbstverständlicher werden.
Erinnern sie sich an Zeiten, in denen ihre erweiterte Wahrnehmung funktionierte?
Jeder von uns hat in seinem Leben bereits einmal die Erfahrung einer erweiterten Wahrnehmung gemacht. Beim einen oder anderen mag sie verschüttet oder vergessen sein, aber jeder von uns hatte sie.
ÜBUNG 1: Erinnern Sie sich an einen Augenblick erweiterter Wahrnehmung
Bitte notieren Sie nachfolgend Ihre eigenen Erfahrungen. Sollten Sie sich an keine eigene Erfahrung erinnern können, dann beschreiben Sie die Erfahrung eines anderen Menschen, eines Bekannten, Freundes etc., bei dem Sie eine erweiterte Wahrnehmung erlebt haben. Wenn Sie möchten, können Sie auch sowohl Ihre eigenen als auch fremde Erfahrungen aufzeichnen. Wann sind Sie in Kontakt mit dem Thema erweiterte Wahrnehmung gekommen? Wie hat sich das angefühlt? War es Hellsehen, Hellhören oder Hellfühlen?
Was sind Überzeugungen und wie beeinflussen sie uns?
„Überzeugungen sind Gedankenformen, mittels derer Sie Ihre Realität erschaffen, interpretieren und mit ihr in Interaktion treten. Überzeugungen kreieren eine Trennung zwischen dem Selbst und dem Universum [zum Beispiele: ‚Das bin ich‘; ‚Das ist das‘]. Sie interpretieren und erschaffen innerhalb bestimmter selbst gesetzter Grenzen jene Erfahrungen, die das, was Sie glauben, bestätigen [zum Beispiel: ‚Das Leben ist hart‘]. Das Handhaben von Überzeugungen verleiht Ihnen die Macht, Ihr Bewusstsein umzustrukturieren und neue Realitäten zu schaffen.“2
Jeder Mensch hat Überzeugungen. Ein anderes Wort für Überzeugungen ist „Glaubenssätze”, das heißt, wir glauben, dass bestimmte Aussagen richtig sind. Wir können diese unterscheiden in solche, die für unser Leben hilfreich sind, und solche, die nicht hilfreich oder gar kontraproduktiv sind. Solche, die nicht hilfreich sind, können wir auflösen, zumindest auflockern – wie, das wird das nachfolgende Kapitel zeigen.
Begrenzende Glaubenssätze über die eigene erweiterte Wahrnehmung positiv verändern
Im Allgemeinen haben wir Glaubenssätze über erweiterte Wahrnehmung. Wir glauben vielleicht, diese sei nur wenigen, auserwählten Menschen vorbehalten. Indem wir uns bewusst machen, dass wir einen Glaubenssatz über erweiterte Wahrnehmung haben, der uns begrenzt, und diesen umschreiben, öffnen wir unsere Tore der erweiterten Wahrnehmung.
BEISPIELE DAFÜR SIND:
BISHERIGER GLAUBENSSATZ | REALISTISCHER NEUER GLAUBENSSATZ |
Erweiterte Wahrnehmung funktioniert bei mir nicht. | Erweiterte Wahrnehmung kann ich trainieren, so wie ein Sportler seine Muskeln trainiert. |
Erweiterte Wahrnehmung ist nur Auserwählten vorbehalten. | Erweiterte Wahrnehmung ist ein natürlicher Zustand, den ich „erinnern” kann. |
Erweiterte Wahrnehmung ist gefährlich. | Erweiterte Wahrnehmung ist ungefährlicher als sich auf die reine Logik zu verlassen, insbesondere wenn ich sie mit der Ratio abstimme. |
Erweiterte Wahrnehmung kann zu Fehlentscheidungen führen. | Meine Unterscheidungskraft, die mir zeigt, was Illusion und was Realität ist, wächst mit dem Üben. |
Wenn ich am Anfang nichts wahrnehme, heißt das, dass es bei mir nicht klappt. | Indem ich frei von Erwartungen die Fähigkeit zur erweiterten Wahrnehmung einfach ausprobiere, gebe ich mir selbst die Chance, diese Kunst zu erlernen. |
Ich bin zu sehr im Verstand gefangen, als dass ich das könnte. | Erweitere Wahrnehmung ist eine wunderbare Möglichkeit, sich vom Griff des Verstandes zu lösen und die Dinge mit Abstand zu betrachten. |
ÜBUNG...