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Islamischer Staat

IS-Miliz, al-Qaida und die deutschen Brigaden

AutorBehnam T. Said
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl238 Seiten
ISBN9783406683954
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Unter den Augen der staunenden Weltöffentlichkeit haben Islamisten der Miliz «Islamischer Staat» (IS) ein riesiges Gebiet in Irak und Syrien mit Großstädten, Waffenarsenalen und Ölvorkommen unter ihre Kontrolle gebracht - ein «Kalifat», das einmal die gesamte islamische Welt beherrschen und alle «Ungläubigen» unterjochen soll. Die riesige Terrororganisation zerstört den Frieden in der Region, bedroht Israel, verfolgt rücksichtslos Christen, Aleviten, Jeziden, Schiiten und überhaupt alle, die sich nicht zum «Islamischen Staat» bekennen, und vernichtet ihr kulturelles Erbe. Der Jihadismus-Experte Behnam T. Said geht den Hintergründen dieser Gefahr nach. Er erklärt, wie in Syrien seit Jahrzehnten im Geheimen islamistische Gruppen entstanden sind, die sich im Schatten der Aufstände gegen das Asad-Regime eine Machtbasis schaffen konnten, und wie es zur Feindschaft zwischen IS und al-Qaida - vertreten durch die kaum weniger gefährliche al-Nusra-Front - gekommen ist. Nicht zuletzt macht er deutlich, warum so viele Islamisten aus aller Welt, aus dem Westen und gerade aus Deutschland den Jihad unterstützen. Ein «Muss» für alle, die die Gefahr vor den Toren Europas besser verstehen wollen.

Behnam T. Said, geb.1982, Islamwissenschaftler am Landesamt für Verfassungsschutz in Hamburg, beobachtet seit Jahren salafistische und gewaltorientierte islamistische Bestrebungen in Deutschland und der arabischen Welt und ist durch seine Artikel, Vorträge und Blogbeiträge ein gefragter Experte zu diesem Thema. Zuletzt erschien von ihm «Salafismus. Auf der Suche nach dem wahren Islam» (Hrsg. mit Hazim Fouad, 2014).

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Leseprobe

2.
Der zweite syrische Jihad
und der Irak


Die al-Nusra-Front


Im Januar 2012 erschien das erste Video der Jabhat al-Nusra (Unterstützungsfront; JaN). Darin gab Abu Muhammad al-Jaulani, der als «Generalverantwortlicher der Jabhat al-Nusra» betitelt wurde, die Formierung des Kampfverbandes bekannt. Al-Jaulani begann seine Rede mit einem Verweis auf die vergangenen Monate seit Ausbruch der Proteste, also seit März 2011, und auf die brutale Reaktion des Regimes hierauf. Deshalb, so al-Jaulani weiter, seien er und seine Leute nach Syrien zurückgekehrt, um die Bevölkerung zu schützen. Dementsprechend lautete der volle Name der Organisation zunächst «Front zur Unterstützung der Leute von Shaam (Syrien)». Sie bestehe aus Kämpfern, so al-Jaulani, die zuvor auf anderen «Feldern des Jihads», also in Ländern wie etwa dem Irak, Afghanistan und Pakistan, aktiv waren. Die in dem Video geäußerte Hauptkritik gilt zwar Bashar al-Asad, doch ordnete al-Jaulani bereits hier den Kampf gegen das syrische Regime in die größere Auseinandersetzung mit «dem Westen und den USA» ein, die al-Asad und seine Verbrechen unterstützen und einen weltweiten Krieg gegen die Muslime führen würden. Dies ist ein äußerst wichtiger Punkt, da schon beim ersten öffentlichen Auftreten die globale Ausrichtung der Gruppe deutlich gemacht wurde, um sich damit gegen andere, lokal ausgerichtete Rebellen abzugrenzen. Als Verbündeten der USA und des Westens zählte al-Jaulani auch die Türkei und deren Ministerpräsidenten Erdogan auf, woraus deutlich wird, dass auch dessen Regierung den globalen Jihadisten keineswegs als verbündet gilt. Denn die türkische Regierung, so al-Jaulani, repräsentiere lediglich einen «formalen Islam ohne Kern», mit dem die USA zufrieden seien. Das gleiche gelte auch für die Arabische Liga. Als einen weiteren Feind benannte al-Jaulani Iran und dessen Projekt zur Ausdehnung des eigenen Machtbereichs, bei dem Syrien als «Verbündeter» eine wichtige Rolle spiele. Insgesamt machte al-Jaulani also von Anfang an sehr deutlich, dass die al-Nusra-Front den Sturz al-Asads und die Errichtung eines islamischen Staates nur als eine Facette eines viel umfangreicheren Kampfes versteht.

In den Monaten nach Bekanntgabe der Gründung führte die «Unterstützungsfront» diverse militärische Operationen durch, darunter auch Autobomben- und Selbstmordanschläge, und konnte sich insbesondere in nord- und ostsyrischen Landesteilen festsetzen. Die ersten Berichte über ihr Auftreten im syrischen Bürgerkrieg zeichnen dabei ein Bild, demzufolge die Organisation sich gegenüber anderen Rebellengruppen durch ihre Fähigkeiten im Guerilla-Kampf abheben und sich durch wirkungsvolle Angriffe einen guten Ruf erarbeiten konnte. Nicht die Ideologie der «Unterstützungsfront», sondern ihre Fähigkeiten waren anfangs bei den syrischen Rebellen gefragt. Die Freie Syrische Armee (FSA) bestand zumeist aus Deserteuren der regulären syrischen Armee. Diese hatten eine traditionelle militärische Ausbildung erhalten, die zum Kampf gegen reguläre Armeen befähigte, nicht jedoch zum asymmetrischen Krieg, der nun in Syrien begonnen hatte. Die Mitglieder der al-Nusra-Front hingegen waren geschult in Sprengfallen und weiteren Hit-and-Run-Techniken und hatten ihre Fähigkeiten zum Teil bereits als Mitglieder von al-Qaida im Irak (AQI) bzw. des Islamischen Staates in Irak (ISI) anwenden können. Dies war der Grund, weshalb Jabhat al-Nusra und ihre Kämpfer von weiten Teilen des syrischen Widerstandes mit offenen Armen empfangen wurden.

Dabei bekämpfte sie bald schon nicht mehr ausschließlich die Truppen der syrischen Regierung, sondern in den kurdischen Regionen auch die «Volksverteidigungseinheiten» (Yekîneyên Parastina Gel; YPG) der im Norden Syriens agierenden kurdischen Partiya Yekitîya Demokrat (Partei der Demokratischen Union; PYD), die mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbunden ist. Insbesondere in der Provinz al-Hasaka versuchte die al-Nusra-Front, Territorien unter Kontrolle zu bringen, dies in mehreren Fällen auch mit Erfolg. Al-Hasaka ist eine wirtschaftlich marginalisierte Provinz im Nordosten Syriens, mit einer Grenze zum Irak. Die Region ist hauptsächlich landwirtschaftlich geprägt und hat nur etwa 1,5 Millionen Einwohner, hauptsächlich Kurden und Assyrer, aber auch Araber. Ein Großteil der Araber wurde erst in der Zeit von 1965 bis 1976 von der Baʿth-Partei dort angesiedelt, um den «Arabischen Gürtel» zu stärken und so die Macht der Partei auszubauen. Etwa 60.000 Kurden wurden im Zuge der Arabisierung des Landes umgesiedelt. Die drei größten Städte sind al-Hasaka, Qamischli und Ras al-ʿAin. Es gibt zwei Gründe dafür, dass Jabhat al-Nusra und auch ISIS/IS (s.u.) ein Interesse an der Region haben: Erstens ist al-Hasaka eine Provinz mit Ölvorkommen. Erdöl wird zum einen zur Versorgung der eigenen Truppen und der Fahrzeuge benötigt, zum anderen kann daraus Einkommen erzielt werden. Daher bemühte sich die al-Nusra-Front im Jahr 2013 auch sehr um die Eroberung der Stadt al-Shaddadeh und ihrer Ölfelder. Zweitens liegt al-Hasaka strategisch günstig: Innersyrisch grenzt die Provinz an Dair al-Zaur, jenen ebenfalls ölreichen Landesteil, in dem die Jihadisten und die al-Nusra-Front traditionell stark verankert sind und um den sich JaN und ISIS/IS ab Frühjahr 2014 heftige Gefechte lieferten. Am östlichen Ende von al-Hasaka wiederum verläuft die Grenze zur im Irak gelegenen Provinz Ninive (Arabisch: Ninawa), die als Bastion von ISIS/IS gilt und seit Juni 2014 weitestgehend unter Kontrolle von diesem steht. In Ninive liegt auch die Stadt Sinjar, wo die oben erwähnten Sinjar Records, also jene Papiere, die Auskunft über ausländische Jihadisten im Irak gaben, gefunden wurden. Wer al-Hasaka kontrolliert, verfügt damit über einen Korridor vom Irak bis an das westlich angrenzende al-Raqqa (Hauptquartier von ISIS/IS in Syrien) und daran anschließend Aleppo. Dies ist das Territorium, das für die Jihadisten sowohl von Jabhat al-Nusra als auch von ISIS/IS von größter Bedeutung ist, um Menschen und Material bewegen zu können, Rückzugsräume zu nutzen sowie aus dem Ölreichtum Profit zu schlagen.

Im Gegensatz zu ISIS/IS war die al-Nusra-Front jedoch nicht nur in den östlichen Landesteilen operativ stark (dort bis Frühjahr 2014). Zwar hat ISIS/IS auch Aktivitäten in der Region Homs vorzuweisen, doch ist Jabhat al-Nusra weitaus besser im Westen und Süden Syriens vernetzt und anerkannt als der Islamische Staat. Daher operiert sie auch zusammen mit der Islamischen Front (IF) von Zahran ʿAllush, innerhalb derer die Kooperation mit Ahrar al-Sham (Freie Männer Syriens, s.u.) besonders ausgeprägt ist. Zudem arbeitet die «Unterstützungsfront» auch mit anderen Milizen zusammen. Durch diese Strategie war es ihr sogar möglich, Offensiven in der Hochburg des al-Asad-Regimes Latakia sowie in der Provinz Quneitra und in südlichen Landesteilen durchzuführen, etwa in Daraʿa, wo sie Ende April 2014 die Kleinstadt Nawa mit etwa 60.000 Einwohnern einnehmen konnte.

Der 11. Dezember 2012 brachte für die al-Nusra-Miliz und für die US-Außenpolitik in Syrien dann eine wichtige Weichenstellung: An diesem Tag erklärten die USA Jabhat al-Nusra offiziell zur Terrororganisation. Das Außenministerium erklärte den Schritt damit, dass die al-Nusra-Front der in Syrien tätige Ableger der al-Qaida im Irak (AQI) bzw. von ISI unter einem anderen Namen sei. Der amir (Anführer, Befehlshaber) der AQI, Abu Bakr al-Baghdadi alias Abu Duʿa, kontrolliere, so die damalige Einschätzung der USA, sowohl al-Qaida im Irak als auch die Jabhat al-Nusra. In der Tat war es wohl al-Baghdadi, der im Spätsommer 2011 Mitglieder seiner Miliz vom Irak nach Syrien entsandt hatte, um sich dort mit dem Aufstand vertraut zu machen und Strukturen aufzubauen. Einer dieser Gesandten war al-Jaulani. Es ist auch wahrscheinlich, dass Jabhat al-Nusra in den ersten Monaten noch ein enges Verhältnis zur irakischen Mutterorganisation pflegte. Zudem waren viele ihrer Mitglieder ehemalige «Soldaten» von ISI, neben al-Jaulani zum Beispiel auch die ehemalige Nummer zwei (bis Ende Juli 2014) der al-Nusra-Front, Abu Mariya al-Qahtani.

Al-Qahtani, dessen wahrer Name Maisar ʿAli Bin Musa Bin ʿAbdullah al-Juburi lautet, war zunächst Soldat in der irakischen Armee zu Zeiten Saddam Husains. Nach dem Sturz des irakischen Diktators leistete er Dienst als Polizist in Mosul und war dort für die Aufstandsbekämpfung mitverantwortlich, weshalb er von den Jihadisten Todesdrohungen erhielt. Neben anderen Faktoren, wie etwa religiöse Überzeugung und der Wille, gegen die Besatzer zu kämpfen, waren es angeblich diese Drohungen, die al-Juburi dazu veranlassen, die Jihadisten aufzusuchen und ihnen gegenüber Reue für seine Tätigkeit als Polizist zu bekunden. Al-Juburi schloss sich nun dem jihadistischen Aufstand gegen die neue irakische Regierung und die US-Truppen im Lande an. Bald wurde er jedoch verhaftet und verbrachte einige Jahre im Gefängnis. Nach seiner Freilassung legte er in Mosul den Treueschwur an ISI ab. Nachdem er das zweite Mal verhaftet und anschließend wieder freigelassen...

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