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Ist geschlossene Unterbringung zeitgemäß?

Eine explorative Studie zur Untersuchung von geschlossenen Einrichtungen der Psychiatrie in Oberbayern

AutorMonika Lynn Berger
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl371 Seiten
ISBN9783656321255
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Medizin - Neurologie, Psychiatrie, Süchte, Note: '-', Hochschule München, Veranstaltung: Sozialpädagogik, Mental Health, Sprache: Deutsch, Abstract: Derzeit wird in Oberbayern die geschlossene Heimunterbringung von Menschen mitpsychischer Erkrankung kritisch beleuchtet. Wie sich herausgestellt hat, ist die Datenlage, die über die gegenwärtige Situation der Betroffenen Aufschluss geben kann, bisher nicht aussagekräftig. Eine Konsequenz der UN-Behindertenrechtskonvention ist, dass der Selbstbestimmung und den Schutzbedürfnissen von Menschen mit psychischer Erkrankung im Rahmen von freiheitsentziehenden Maßnahmen besondere Bedeutung zukommt. Daraus resultieren Forderungen nach einer Koordination von bedarfsgerechten, wohnortnahen und differenzierten Versorgungsangeboten der Sozialpsychiatrie. Dazu gehören auch einrichtungsübergreifende Qualitätsstandards für die geschlossene Heimunterbringung, um ein zeitgemäßes Angebot darzustellen. Die vorliegende explorative Studie soll aufzeigen, inwiefern geschlossene Einrichtungen in Oberbayern mit ihrem Leistungsangebot heutigen Anforderungen der Sozialpsychiatrie in Bezug auf Gewährleistung und Einhaltung von Qualitätsstandards sowie der Achtung der menschlichen Würde gerecht werden.

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Leseprobe

1. Geschichte der Psychiatrie


 

„Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“

(Richard Freiherr von Weizsäcker)

 

Wenn wir die Entwicklungen der heutigen Psychiatrie verstehen wollen und uns mit der Frage auseinandersetzen, ob geschlossene Unterbringung heute noch notwendig und zeitgemäß ist, müssen wir uns mit der Geschichte der Psychiatrie auseinandersetzen.

 

Die Psychiatrie hat sich als eigene Disziplin innerhalb der Medizin in der Geschichte permanent gewandelt. Dies erfolgte im Kontext der Sichtweise der Gesellschaft des jeweiligen politischen, zeitgeschichtlichen Geschehens. Eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Psychiatrie, in der sich die Haltung und Einstellung gegenüber Menschen mit psychischer Erkrankung ständig verändert haben, lässt uns besser verstehen, warum sich die Psychiatrie bis heute so entwickelt hat, und aus welchen Gründen wir uns den verschiedensten streitbaren und diskussionswürdigen Fragestellungen stellen müssen.

 

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Psychiatrie macht deutlich, wie unterschiedlich die Wahrnehmung und Bewertung der historischen Entwicklung ausfällt. Bei der Beschreibung und Darstellung der Geschichte spielt die subjektive Haltung der Autoren eine bedeutende Rolle. Teilweise sind die Ausführungen derselben historischen Abläufe sehr widersprüchlich. Eine Ursache dafür kann sein, dass sich bei der Darstellung der Psychiatriegeschichte mehrere Wissenschaften – Medizin, Soziologie, Politikwissenschaft, Sozialgeschichte – miteinander verbinden müssen, die die Phänomene aus der Vergangenheit aus ihrer Sichtweise im Kontext der jeweiligen Zeit beschreiben.

Die Haltung der Gesellschaft zur Psychiatrie spiegelt den Zeitgeist und das Menschenbild der jeweiligen Epoche wieder. Aus heutiger Sicht geht man davon aus, dass die Entstehung psychischer Krankheiten bis zu einem gewissen Anteil biologisch und genetisch begründet ist, aber auch wesentlich durch soziale Faktoren beeinflusst wird. Daher ist anzunehmen, dass das Bestehen von psychischen Erkrankungen so alt sein muss wie die Menschheit selbst.

 

Die Bezeichnung von Menschen mit psychischer Erkrankung hat sich in der Geschichtsschreibung, dem Gesellschaftsverständnis folgend, verändert. In den nachfolgenden Ausführungen werden daher die in der jeweiligen Epoche gebräuchlichen Begrifflichkeiten von mir übernommen. Bis heute finden Diskussionen statt, wie Betroffene bezeichnet werden wollen, ohne sich diskriminiert fühlen zu müssen. Bis in die heutige Gegenwart haben Menschen, die von psychischer Erkrankung bzw. von Behinderung betroffen sind, mit Stigmatisierung und deren Auswirkungen zu kämpfen.

 

1.1 Zeit vor Christus


 

Bis Ende des 18. Jahrhundert gab es die Psychiatrie als Wissenschaft nicht. Einzig die Chirurgie existierte als medizinischer Fachbereich. Erst ab dem 19. Jahrhundert entwickelte sich eine medizinische Spezialisierung bis hin zu der heutigen akademischen Wissenschaft.

 

Erste Hinweise auf Geisteskrankheit, ohne darin jedoch als wissenschaftliche Disziplin erkennbar zu sein, finden sich in alten Schriften und medizinischen Handbüchern der Griechen. Geisteskrankheiten hielt man damals in Griechenland für natürlich entstandene Phänomene, die griechische Ärzte in Abhandlungen beschrieben. Diese Schriften waren rein beschreibender Natur, ohne Erkennbarkeit von Vorurteilen. Geisteskrankheit wird in damaligen Schriften als Erkrankung des Gehirns beschrieben, wobei unklar ist, ob von Hippokrates oder einem seiner Schüler verfasst. Lange Zeit wurde angenommen, dass das Herz, das Zwerchfell, aber auch andere Organe der Sitz der Seele seien.[1]

 

Im 5. Jahrhundert v. Chr. verbanden sich im so genannten Asklepios-Kult ärztliche Kunst und Tempelmedizin. Die für den Heilgott Asklepios errichteten Tempel übernahmen als Wallfahrtsstätten eine Funktion von Kirche und Spital. In einem so genannten Tempelschlaf mit vorangegangenen Bädern und Gebeten fand durch die Erscheinung und der Anweisungen der Gottheit die Heilung statt. Heilung durch Schlaf war über Jahrhunderte hinweg ein Zeichen für die Genesung von Kranken.[2]

 

Im Altertum bildeten Philosophie und Medizin als Wissenschaft eine Einheit. Aristoteles (384-322 v. Chr.), ein Schüler Platons, hielt das Herz für das Zentrum der Psyche. Durch seine Theorie legte er später das Fundament für die so genannte „Vier-Säfte Lehre“, „die besagte, dass die Gesundheit vom richtigen Verhältnis zwischen Blut, Schleim, gelber und schwarzer Galle abhängig sei. Die schwarze Galle, die „melaina chole“, wurde in Zusammenhang mit der Melancholie gebracht. Man verstand darunter eine ruhig verlaufende Form von Geisteskrankheit im Gegensatz zur Manie, die mit Erregung einherging. Weiter unterschied man die Phrenitis” (Phren ist gleich Zwerchfell), und man verstand darunter Fieberdelir.“[3]

 

Im 1. Jahrhundert v.Chr. gab es im damaligen Rom keine eigene römische Medizinwissenschaft. Die bedeutenden Ärzte waren Griechen. Veröffentlichungen über Geisteskrankheiten sind nur spärlich überliefert. Lediglich der römische Enzyklopädist Aulus Cornelius Celsus äußerte sich in seinen Schriften darüber und vertrat die Ansicht, „(…) dass ein Irrer, der etwas Verkehrtes tut, durch Hunger und Schläge gebändigt werden müsse.“[4]

 

Soranos, zur gleichen Zeit etwa, vertrat den Ansatz einer „Ganzheitsbehandlung“ und war der Ansicht, alle müssten mit einbezogen werden: der Kranke, der Arzt, die Angehörigen und Freunde. Er verordnete nach dem Fasten einen Aderlass, um manische Phasen zu beruhigen, um dann, nach der akuten Phase, durch kräftiges Essen, Spaziergänge und durch Diskutieren sowie geistige Tätigkeiten eine Verbesserung zu erreichen. Auch er war der Ansicht, dass Geisteskrankheiten durch Erkrankungen im Gehirn hervorgerufen werden.

 

Psychisch Kranke wurden im alten Rom durch Massagen, Diäten, Aderlässe, Schröpfen und Ölumschläge am Kopf geheilt. Durch Brettspiele, Diskutieren, Reisen oder auch Theaterspielen wollte man Anreize schaffen, um die Patienten zu mehr Aktivität zu motivieren.

 

Geisteskrankheiten galten damals oftmals als unheilbar, was die Mediziner zu einer Ablehnung der Behandlung moralisch legitimierte. Diese Haltung hielt sich bis ins 18. Jahrhundert.

 

1.2 Die Zeit nach Christus bis ins Mittelalter


 

Im frühen Christentum wurden die Kranken als Geschöpfe Gottes gesehen und dementsprechend fürsorglich behandelt. Durch Handauflegen eines Gottesmannes sollten sie von ihrer Besessenheit geheilt werden.

 

Die Gründung der ersten Spitäler erfolgte im frühen Mittelalter.

 

Im 12. Jahrhundert entstanden in Kairo, Damaskus und auch Granada die ersten Spezialanstalten für Geisteskranke, in denen von einer wohlwollenden Haltung gegenüber den Patienten berichtet wird.[5]

 

In Deutschland jedoch wurden die Geisteskranken in Häusern wie der Frankfurter „Stocke“ oder den Lübecker „Dorenkisten“, verwahrt. In England wurde das Bethlehem Hospital „Bedlam“ in London 1377 gegründet. Eine andere Vorgehensweise war, die Irren vor der Stadt in Holzkisten zu stecken oder in die Stadttore einzusperren. Diese beherbergten bis ins 19. Jahrhundert nicht nur Kranke, sondern auch Greise, Bettler, Findelkinder, Pilger und Straffällige.

 

Die Araber haben als erstes im 8. Jahrhundert in ihren Spitälern gesonderte Abteilungen für psychisch Kranke errichtet. Im Westen gab es erst ab dem 13. Jahrhundert eigene Irrenabteilungen in den Allgemeinspitälern, wie beispielsweise in Paris, London, München, Zürich und Basel.

 

Die psychisch Kranken wurden anfänglich im Mittelalter als „Kinder Gottes“ angesehen, durften in der Dorfgemeinschaft verbleiben und wurden dort auch respektiert. Spitäler standen allen Hilfsbedürftigen offen, jedoch ohne ärztliche Versorgung.

 

Im späten Mittelalter entwickelte sich der Glaube, Besessene seien Opfer des Teufels, den es mit Exorzismus, unter Qualen für die Betroffenen, auszutreiben galt. Hexen wurden besonders grausam behandelt, denn diese wurden mit dem Teufel im Bunde gesehen. Seelisch Kranke wurden nicht im Rahmen wissenschaftlicher Schriften abgehandelt, sondern in Pamphleten von Hexenverbrennern, z. B. dem Hexenhammer 1486, dem Handbuch zur Hexenverfolgung. Tausende von psychisch Kranken wurden durch die Inquisition verfolgt, gefoltert und verbrannt. Durch Foltermethoden, die in der Regel die geistige Verwirrung der Opfer zur Folge hatten, wollte man die Besessenheit durch den Teufel beweisen.

 

Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts ging der Hexenglaube zurück. Es dauerte aber bis 1782, bis in der Schweiz der letzte Hexenprozess stattfand. Einige Ärzte der Renaissance aber erkannten, dass so genannte Hexen oder Besessene nicht vom Teufel oder Dämonen besessen waren, sondern ärztliche Behandlung benötigten.[6] „Johannes Weyer (1515-1588) nahm als einer der ersten Ärzte Stellung gegenüber Dämonologie und Besessenheit.“[7]

 

1.3...


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