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E-Book

Jacques Offenbach

AutorP. Walter Jacob
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644004269
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Jacques Offenbach (1819-1880) gilt als der Meister der Operette, und für seine Werke hat man eine eigene Wortschöpfung geprägt: die «Offenbachiade». Er war ein Künstler, der den Humor liebte, aber zugleich ein hochpolitischer Zeitgenosse, der dem «Juste Milieu» seiner Epoche den satirischen Spiegel vorhielt. Der in Köln geborene Komponist hat eine Form der höheren Heiterkeit in die Musik gebracht, die bis heute nachwirkt. Werke wie «Orpheus in der Unterwelt», «Perichole», «Die Großherzogin von Gerolstein» und «Hoffmanns Erzählungen» gehören zum Repertoire der Musiktheater in der ganzen Welt und haben ihren Schöpfer unsterblich gemacht.

P. Walter Jacob, 1905-1977. 1921-1928 Ausbildung in Berlin an der Staatlichen Musikhochschule, Max-Reinhardt-Seminar des deutschen Theaters, Universität Berlin. Assistententätigkeit am Stadttheater Berlin (1923-1928). Selbstständige künstlerische Tätigkeit als Oberspielleiter und Dramaturg, als Schauspieler und in fast allen Engagements auch Tätigkeit als Dirigent in Oper, Ballett und Operette an den Theatern der Städte Koblenz, Lübeck, Wuppertal, Essen, am Opernhaus Köln, am Landestheater Dessau und bei Radio Luxembourg. Daneben Aufenthalt in Paris, ausgedehnte Musikstudien, speziell über Offenbach. 1936-1938 Deutsche Bühnen in der Tschechoslowakei. 1940-1950 Direktor der Freien Deutschen Bühne in Buenos Aires. 1950-1962 Generalintendant der Städtischen Bühnen Dortmund (Opern- und Schauspielhaus). Ab1963 freischaffend als Bühnen- und Fernseh-Darsteller. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Theater- und Operngeschichte, zum Werk Richard Wagners; musikschriftstellerische Arbeiten für Musikzeitschriften und Tageszeitungen.

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Leseprobe

Jüdisches Elternhaus am Rhein


Am 20. Juni 1819 wird dem Synagogenkantor und Musiklehrer Isaac Offenbach in Köln, im Hause Alter Griechenmarkt Nr. 1, von seiner Frau, der geborenen Marianne Rindskopf, der zweite Sohn, das siebte Kind, geschenkt. Der Knabe erhält den Namen Jakob (Jacob). Das Geburtshaus steht nicht sehr weit entfernt von jenem Platz, der heute seinen Namen trägt.

Der Kölner Offenbachplatz mit seinem symbolgeschmückten Brunnen liegt vor dem nach dem Zweiten Weltkrieg neu erbauten Theaterkomplex der Stadt Köln, neben der berühmten Glockengasse, die für die Familie Offenbach eine fast gleich bedeutsame Rolle wie für den internationalen Ruhm der Rheinmetropole spielt. Er zeigt im Straßenschild Namen, Lebensdaten und Beruf des heute vielleicht berühmtesten Kölners an. Jenen Namen, der von 1933 bis 1945 in seiner Heimat nicht genannt werden durfte, den Namen eines Musikers, der alles andere als ein «Klassiker» ist, dessen Bild und Werk heute wie vor fünfzig, vor hundert Jahren umstritten, von den einen hymnisch gelobt, von den anderen eifervoll verdammt wird, dessen Erscheinung, Wirken und Schaffen aber aus dem Europa des 19. und 20. Jahrhunderts nicht wegzudenken ist.

Einen halben Kilometer vom Offenbachplatz an der neuen Kölner Oper entfernt, befindet sich die Straße oder Gasse, in der bis 1870 das Geburtshaus Offenbachs stand. Die Gegend hat sich heute verändert. Kaum zu ahnen, dass dieser Straßenzug ein Teil des Kölner Judenviertels war, in dem das kleine «Jaköble», auch «Köbesche» genannt, Trödlerwagen, Handelslärm, Verkäufergeschrei, das Volkstreiben aufgeregten Marktbetriebes als ersten Jugendeindruck mitbekommt und bewahrt. Diesen Lärm, dieses Gedränge, die Rufe in echt Kölscher Mundart, untermischt mit uraltem Ghetto-Jargon, wird Offenbach ebenso wenig vergessen wie die Musik, die er im vorbildlich bürgerlichen Familienkreis, vor allem von seinem musikbeflissenen Vater, vernimmt. Dieser Vater hat eine lange, nicht leichte Wanderschaft hinter sich. 1779 im kleinen, engen Judenviertel der Stadt Offenbach am Main geboren, trägt er den Namen Isaac Juda Eberst und ist der Sohn eines Synagogensängers und Jahrmarktsmusikanten. In einem jüdischen Druckereibetrieb hat er die Buchbinderei erlernt, aber stärker als diese handwerkliche Ausbildung wirkt sich Liebe zur Musik, eine Naturbegabung zum Singen und Spielen bei ihm aus. Als er zwanzigjährig, elternlos, arm, von schmächtigem Aussehen, die Heimatstadt verlässt, steht in seinem Judenpass, er habe die Absicht, «nach Carlsruhe und weiteres» zu reisen.

Aber Isaac Juda Eberst aus Offenbach schlägt nicht die südliche Route nach Baden ein, sondern wendet sich westwärts, jenen deutschen Gefilden zu, die im Verlauf der Napoleonischen Kriege an Frankreich gekommen sind, in denen die Juden bereits Staatsbürgerrechte besitzen, die ihnen das übrige Deutschland noch vorenthält. Den Rhein entlang zieht Eberst von Synagoge zu Wirtshaus, von Judenschul zu Hochzeitsfeier, am Sabbat die heiligen, alttestamentarischen Gesänge in den Betstuben intonierend, an Sonntagen und zur Feierabendzeit zu Tanz und Volksbelustigung aufspielend. Uralt ist diese Vereinigung des Heiligen und Profanen in der Musikübung der durch Zeiten und Länder wandernden, sesshaft werdenden und wieder vertriebenen europäischen Judengemeinschaften. Der Chasan, der Vorbeter, der am Sabbat der Gemeinde den heiligen Niggun singt, aus der Thorarolle prophetische Weisheit in jahrhundertealter psalmodischer Melodie vorträgt, spielt als Lezim am Sabbatausgang zu Freude und Fest, ist als witziger Volkssänger und Fiedler auch bei Nichtjuden beliebt und geschätzt. So auch Isaac Juda Eberst, «der Offenbacher» oder «der aus Offenbach» genannt, der als Musikant mit Glauben und Temperament – um des Unterhalts willen im Notfalle auch wieder als Buchbindergeselle –, ein jüdischer Wandersbursch, den großen Strom entlangzieht.

In Deutz, dem Köln gegenüberliegenden Städtchen, wird er sesshaft, verliebt sich in ein jüdisches Mädchen, gründet mit ihm trotz Widerstands der Brauteltern einen Ehestand, er, der «Armmann», der Habenichts, mit der Lotterieeinnehmer- und Geldwechsler-Tochter Marianne Rindskopf, deren Familie generationenlang schon im Rheinland lebt und wirkt. Die tägliche Lebensnot ist damit noch nicht gebannt. Zwar gilt Deutz sozusagen als Vergnügungs-Vorstadt von Köln. Doch napoleonische Besatzung, Befreiungskriege und Einzug der neuen preußischen Herren ergibt auch ein wirtschaftliches Auf und Ab in der rechtsrheinischen Nachbarstadt Kölns, wo Eberst sich nun endgültig «Offenbach» nennt und, um seine schnell wachsende Familie einigermaßen durchbringen zu können, neben seiner Tanzbodenfiedlerei recht oft auch wieder als Handwerker tätig werden muss. Das hindert ihn nicht, sich in weltlicher und geistlicher Literatur umzusehen, Liedmusik zu komponieren, eine der schon bei Goethe erwähnten «Handwerksopern», das Singspiel «Der Schreiner in seiner Werkstatt», zu verfassen, das er mit kunstbeflissenen Deutzer Bürgern auch zu halböffentlicher Aufführung bringt.

1816 beschließt Isaac Juda Offenbach, den Rhein zu überqueren, um sich mit Frau und inzwischen fünf Kindern in Köln niederzulassen; es ist kein leichter Entschluss. Denn wenn der wirtschaftliche Aufschwung von Deutz infolge der Zeitumstände auf Jahre unterbrochen scheint, sind doch auch die Aussichten in Köln alles andere als rosig. Seit dem Einzug der Preußen weht hier wieder ein stark antisemitischer Wind, in den Ämtern, im gesellschaftlichen und auch im künstlerischen Leben spürbar. Aber allen Gefahren zum Trotz können sich die seit 1798 wieder geduldeten und seit 1802 in einer Gemeinde zusammengeschlossenen Kölner Juden halten, und die Übersiedlung Isaac Offenbachs und seiner Familie ist endgültig.

Mehrere Jahre hindurch figuriert Vater Offenbach in einem Kölner Adressbuch der Gewerbetreibenden als einziger professioneller Musiklehrer der Stadt; vielseitig wie in allem, unterrichtet er nebeneinander Gitarre, Flöte, Violine und Gesang, schreibt Übungsstücke für alle diese Disziplinen, um mit Stunden, Schreiben, Komponieren recht und schlecht die vielköpfige, weiterwachsende Familie zu ernähren. Froh und dankbar über die im Jahre 1825 erfolgte Berufung zum Vorbeter der Kölner Synagogengemeinde, versieht «Vater Offenbach» nicht nur einen anstrengenden Dienst, unterrichtet daneben, liest, schreibt und publiziert in ununterbrochener Folge. Ein heller Kopf, mit allen Entwicklungen und Tendenzen seiner Zeit vertraut, befasst er sich besonders mit der großen jüdischen Reformbewegung der Assimilationsjahre. Im Zuge ihrer Bestrebungen gibt Vater Offenbach 1838 eine neue deutsche Übersetzung der «Hagadah» heraus, jenes häuslichen Ritualbuches zum Passah-, dem jüdischen Überschreitungs-Fest, in dessen musikalischer Umrahmung er althergebrachtes jüdisches Musikgut mit romantischer, balladesker Liedmusik deutscher Provenienz mischt. Eines der darin veröffentlichten Lieder Isaac Offenbachs (das sogenannte Lämmchenlied) ist fälschlicher-, aber verständlicherweise unter dem Namen des späteren Operetten-Komponisten («Jacques Offenbach») in die jüdisch-religiöse Hausliteratur eingegangen. Es zeigt die Art, in der Isaac Offenbach sein Kantorenamt versteht. Mit offenem Ohr lauscht er der Musik Schuberts, Schumanns, Webers. Vor allem des Letzteren Oper «Freischütz» macht auf ihn tiefsten Eindruck (wie auch Sohn Jakob diese Vorliebe des Vaters sein ganzes Leben hindurch teilt und des Öfteren in Wort und Schrift betont). Nach alter jüdischer Spielmannsart übernimmt Isaac Offenbach so manche volkstümliche Melodie zeitgenössischer, weltlicher Komposition in seine teils dramatisch akzentuierte, teils mit Gesangskoloraturen und Instrumentalimitationen ausgestaltete synagogale Vortragskunst, die sich dem musikalisch begabten Sohn einprägt, ja, in Jakob Erinnerungen und Anregungen fürs ganze Leben hinterlässt.

Das Elternhaus mit seiner Zärtlichkeit, seiner religiösen Verbrämung aller Alltagsdinge, das Singen, Spielen, Komponieren des Vaters, in dem sich Tempelgesang und moderne Opernfloskeln, deutsches, typisch rheinisches Volksliedgut und Tanzrhythmus neuester Mode in seltsam plastischer Form mischen, wird in Jakobs Gedanken und Träumen, auch in seiner Komposition bis ans Ende seiner Tage fortleben. Die Erinnerung an Kölner Kindheitseindrücke wird seiner tänzerischen, oft mit beißendem Spott karikierenden Musik immer wieder jenen exotischen Klang und die erregende Melodienfülle geben, die nicht zuletzt das Wesen Offenbach’scher Kunst ausmachen, die sie über Zeit- und Stilwechsel lebendig erhalten.

Dass jedes der Offenbach-Kinder ein Instrument zu spielen hat, ist ebenso selbstverständlich, wie Vater Isaac alles tut, um seinen Sprösslingen nach Möglichkeit eine Schul- und Allgemeinbildung angedeihen zu lassen. Er ist nicht nur mit viel Erfolg bestrebt, das Vorbeteramt bei der Gemeinde auszubauen, er setzt nicht nur für die inzwischen vielköpfige Familie eine Dienstwohnung in einem der Synagoge unmittelbar benachbarten Haus, Glockengasse Nr. 7, durch, er schickt auch seine Kinder in die auf demselben Synagogengrundstück untergebrachte jüdische Grundschule. Von deren Unzulänglichkeit berichtet nicht nur ein amtliches Schriftstück der städtischen Schulkommission in Köln – auch der damalige Schulkamerad Jakobs, Albert Wolff, später, zur großen Offenbach-Zeit, in Paris Kritiker und Feuilletonist am «Figaro», hat nicht gerade Günstiges über die Zustände dieser Bildungsanstalt in seinen Memoiren und Artikeln hinterlassen. Vater Offenbach, der 1839 ein «Allgemeines Gebetbuch für die israelitische Jugend, hebräisch...

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