Unerwünschtes Jagdverhalten gehört zu den häufigsten Problemen, von denen Menschen im Umgang mit ihren Hunden berichten.
Bei Weitem betrifft das nicht nur die Halter von Rassen, die im jagdlichen Gebrauch stehen wie Weimaraner, Deutsch Drahthaar, Deutsch Kurzhaar oder Dackel. Ebenso viele Halter von Hütehunden wie dem Australian Shepherd, Windhunden wie dem Podenco, aber auch der typischen Begleithunde wie Havaneser und Dalmatiner berichten darüber, dass ihre Hunde beim passenden Jagdobjekt kaum noch zu halten sind. Hier hilft dann meist kein Rufen oder Schimpfen mehr. Hat der Hund die wilde Jagd erst einmal begonnen, ist er oft nicht mehr zu halten. Erst wenn das Jagdobjekt geschnappt wurde oder aber fliehen konnte, kommt der Vierbeiner mit glücklichem Gesichtsausdruck und heraushängender Zunge zu seinem Menschen zurück.
Auch „Gesellschaftshunde“ können Jagdverhalten zeigen. Meist ist es aber nicht so stark ausgeprägt.
Ein Verhalten mit Sinn?
Warum Hunde jagen
Jagdverhalten wird vom Haushund nur selten gezeigt, um Nahrung zu erwerben. Unsere Hunde leben in der Regel gut versorgt im menschlichen Haushalt. Sie bekommen jeden Tag ihr Futter, meistens ohne dafür etwas leisten zu müssen. Und dennoch gibt es so viele Hunde, die nicht widerstehen können, dem weglaufenden Hasen hinterherzujagen oder auch mit Begeisterung Vögel zu verfolgen. Wohl wissend, dass diese zuletzt Genannten eigentlich kaum erreichbar für den Hund sind, da der Vogel, kurz bevor der Hund ankommt, einfach auffliegt und entkommt. An dieser Stelle muss man sich die Frage stellen, welche Gründe es dafür gibt?
VERERBUNG ODER UMWELT?
Jegliches Verhalten des Hundes wird zu einem gewissen Prozentsatz immer durch die Genetik bestimmt, also durch die Gene, die ein Hund von seiner Mutter bzw. seinem Vater erhalten hat. Doch Vererbung allein kann Verhalten nicht bestimmen, darüber ist man sich in der Wissenschaft mittlerweile einig. Immer auch spielt der Einfluss der Umwelt, in der der Hund lebt, für die Ausprägung von Verhalten eine Rolle.
Diese Theorie gilt natürlich auch in Bezug auf das Jagdverhalten des Hundes. Wenn Jagdverhalten also grundsätzlich genetisch begründet ist, dann sollte man sich zunächst einmal anschauen, wie es beim Urvater des Hundes, dem Wolf, eigentlich aussieht.
Der Australian Cattle Dog-Rüde Ponto schleicht an Martin Rütters Beute, einen Ball, an.
Als Ponto nahe genug an Martin und den Ball herangekommen ist, setzt er zum Sprung an.
DER WOLF – STAMMVATER DES HUNDES
Vergleicht man das Jagdverhalten von Hunden und Wölfen, findet man sehr schnell, gerade in Bezug auf Jagdobjekte, gravierende Unterschiede. Die Jagd z. B. auf Vögel wird von Wölfen in der Regel nur im jugendlichen Alter gezeigt. Die spielerische Jagd auf Objekte ist ebenfalls ein typisches Verhalten junger Wölfe. Hier wird spielerisch geübt, was man später als erwachsener Wolf einmal benötigt. Spielverhalten wird von den Jungwölfen gezeigt, um zu lernen. Zum einen wird hierdurch die motorische Geschicklichkeit trainiert, Handlungen werden verfeinert. Zum anderen probiert der junge Wolf aber auch aus, welche Jagdobjekte sinnvoll sind, sich lohnen, und welche nicht. Er macht sehr schnell die Erfahrung, dass Vögel in der Regel keine lohnenden Jagdobjekte darstellen, da sie für den Wolf unerreichbar sind. Durch die ernsthafte Jagd auf einen Vogel würde Energie verwendet, die durch das Fangen und Verspeisen von Beute nicht ausgeglichen werden kann. Erwachsene Wölfe rennen somit Vögeln nicht mehr hinterher, vielmehr beobachten Wolfsforscher, wie regelrecht symbiotische Lebensgemeinschaften z. B. zwischen Wölfen und Raben existieren.
HUNDE SIND KEINE WÖLFE
Hunde unterscheiden sich also gravierend in der Ausprägung des Jagdverhaltens von ihren Verwandten, den Wölfen. Der Hund verhält sich auch im Erwachsenenalter in der Regel so, wie sich nur ein junger Wolf verhalten würde. Er jagt spielerisch hinter allem her, was ihm vor die Nase kommt, es steht kein existentieller Sinn dahinter. Hunde haben sich damit deutlich im Bereich des Jagdverhaltens in Bezug auf die Verhaltensentwicklung von Wölfen entfernt, die Domestikation zeigt ihre Wirkung gerade in diesem Bereich. Damit wird auch deutlich, dass man Wölfe und Hunde niemals eins zu eins vergleichen kann. Natürlich kann für das Verständnis und für ein Training von Hunden ein Vergleich mit dem Wolf durchaus hilfreich sein. Dennoch sollte man sich hüten, ausschließlich aufgrund von wölfischem Verhalten auf hündisches Verhalten zu schließen und daraus Trainingsansätze zu entwickeln.
JAGEN ALS SELBSTBELOHNENDES VERHALTEN
Was ist nun aber der Grund dafür, dass viele Hunde einer Jagd nicht widerstehen können? Der Hund empfindet schon das Verfolgen von Beute als angenehm und belohnend. Ob die Beute dabei letztendlich gefangen wird oder aber fliehen kann, spielt keine Rolle. Jagen an sich ist somit ein Verhalten, das für den Hund selbstbelohnenden Charakter hat.
Diese Ursache führt auch dazu, dass viele Hunde geradezu nach Situationen suchen, in denen sie dieses Verhalten wieder ausführen können. Ebenso erklärt es, warum ein jagender Hund nur schwer von diesem Verhalten abgebracht werden kann, wenn er einmal damit begonnen hat. Er hat seine Belohnung sozusagen schon erhalten, er ist gerade mittendrin!
Jagen macht Hunden einfach Spaß. Dieser Ansicht war z. B. auch der Kynologe Erik Zimen, der in einem Gespräch mit Martin Rütter Folgendes zu diesem Thema sagte: „Ach Martin, so eine kleine Hatz ab und zu macht doch einfach Spaß und sollte schon sein!“ (Zimen im Gespräch mit Martin Rütter, 1994)
SOLL MAN JAGDVERHALTEN UNTERBINDEN?
Der Ausspruch von Erik Zimen führt noch zu einem weiteren Aspekt. Wenn Jagdverhalten nun also ein durch die Genetik fest verankerter Teil des hündischen Verhaltens ist, muss man sich fragen, welche Auswirkungen es auf den Hund hat, wenn man ihm dieses Ausleben seiner genetisch bedingten Bedürfnisse verbieten würde.
Für einen Hund mit großer jagdlicher Motivation stellt es eine starke Unterdrückung seiner Wesenszüge dar, wenn man ihm keine Möglichkeit zum Ausleben dieses Verhaltens gibt. Als Folge davon entwickelt sich dann oft fehlgeleitetes Jagdverhalten wie das Jagen von Joggern, Fahrrädern oder sogar Autos.
Der Hund sucht irgendeine Befriedigung für das in ihm vorhandene Bedürfnis der Jagd und wendet es auf jedes Objekt an, das irgendwie als Beuteobjekt in sein Schema passt. Im Falle des Fahrrad jagenden Hundes ist es das schnelle Flüchten der Beute, das die Jagdsequenz auslöst.
Es gibt also erwiesenermaßen physiologisch messbare neuronale Unterschiede zwischen Jagd und Aggression, dennoch ist beides ein aggressiver Zustand. Bei der jagdlichen Sequenz ist es allerdings eher ein funktionaler Akt ohne große emotionale Beteiligung, bei der sozialen Aggression findet man dagegen auch eine emotionale Beteiligung, der Hund kann richtiggehend „wütend“ sein. Ein Unterschied zeigt sich auch in der Art des Verletzens, beim Jagdverhalten werden in der Regel gezielte Bisse zum Töten des Beutetiers eingesetzt. Bei der sozialen Aggression findet man eher ungezielte Bisse.
Eine weitere mögliche Konsequenz, die bei der Unterdrückung von Verhalten entstehen kann, sind psychische Störungen wie autoaggressives Verhalten. Der Hund löst die durch die nicht befriedigten Bedürfnisse aufgetretenen Spannungen, indem er sich z. B. selbst verletzt. Meistens werden dabei die Pfoten beknabbert, oder aber die Rute ununterbrochen gejagt. Dies kann so weit führen, dass der Hund sich Pfoten oder Rute regelrecht blutig beißt.
Damit ist klar: Einen Hund vom Jagen abzuhalten, kann nicht artgerecht sein. Es führt in der Regel zu weiteren schwerwiegenden Verhaltensproblemen und kann daher nicht als Lösung des Problems angesehen werden. Wir sollten uns immer bemühen, Hunde so artgerecht wie möglich zu halten. Doch wer hat heutzutage noch die Möglichkeit, seinen Hund den ganzen Tag nach Lust und Laune durch die Natur streifen zu lassen, damit er seine Bedürfnisse nach dem Auffinden von Spuren und dem Verfolgen von Beute ausleben kann? Der Lebensraum ist heute sehr beengt, viel befahrene Straßen durchziehen die Landschaft, und natürlich ist auch die Natur mittlerweile so stark beansprucht, dass die Wildtiere vor unnötigen Störungen geschützt werden müssen.
Der Freiraum, den Halter mit Hunden nutzen können, wird immer kleiner, oft noch erschwert durch Zeiten von komplettem Leinenzwang, der einen Freilauf unmöglich macht. Was liegt da zunächst näher als der Gedanke, Jagdverhalten gar nicht erst entstehen zu lassen?
WICHTIG
Jagd hat nichts mit Aggression zu tun!
In diesen Zusammenhang gehört z. B. der jagdlich orientierte Angriff eines Hundes auf den Menschen. Obwohl ein solcher Angriff schlimm ist, unterscheidet er sich doch grundsätzlich von einem aggressiv motivierten Angriff eines Hundes. Untersuchungen haben ergeben, dass die neuronalen Steuerungen beim Jagdverhalten grundsätzlich anders sind als bei aggressivem Verhalten. „Nun rechnet man heute das Beutefangverhalten i. A. zwar nicht zum Aggressionsverhalten, seine neuronale Steuerung ist eine andere, mit Beutetieren wird nicht aggressiv kommuniziert, die Handlungsketten sind deutlich verschieden.“ (Feddersen-Petersen, 2005, S. 437)
Gerade der Jack Russel Terrier wird als Kleinhund oft nicht genügend ausgelastet und...