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E-Book

Jagen abseits aller Wege

AutorHeinz K. Weigelt
VerlagFranckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl270 Seiten
ISBN9783440141632
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Kanada: Für die meisten Jäger symbolisiert dieses beeindruckende Land den Inbegriff jagdlichen Erlebens und ursprünglichen Waidwerks. Gerade in die entlegensten Winkel dieses großartigen Landstriches gelangt man oft ausschließlich mit dem Wasserflugzeug. Heinz K. Weigelt, ein erfahrener Jagdführer und Buschpilot, erzählt vom Jagen abseits aller Wege. Er berichtet vom spannenden Waidwerk auf Grizzly, Elch und Bergschaf. Er lässt den Leser teilhaben an Flugabenteuern, die einem vor Aufregung den Atem stocken lassen. Dieses Buch eine ideale Abenteuerreise für jagdfreie Wintertage.

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Leseprobe

Ebbe und Flut


Die Fjorde und Buchten um Bella Coola an der kanadischen Pazifikküste sind bei Jägern für ihre überdurchschnittlichen Grizzly-Bestände weltberühmt.

Einzigartig ist aber auch die ergreifende Schönheit und furchterregende Wildheit der grandiosen Hochgebirgslandschaft. Vergleichbar mit der Fjordlandschaft Skandinaviens, sind der Küste Hunderte Inseln und Buchten verschiedenster Größe vorgelagert. Das Labyrinth aus Wasser und die in den Ozean ragenden Gebirgszungen, die teils von undurchdringlichem nordischem Regenwald bedeckt, teils kahl und karg sind, lassen den Betrachter dieser gewaltigen Naturlandschaft vor Staunen stumm werden.

Dieser Landschaft kann man mit wenigen Worten nicht annähernd gerecht werden. Selbst seitenlange in Superlativen schwelgende Beschreibungen vermögen die wirkliche Landschaft nicht zu ersetzen. Man muss sie erleben, erspüren unter Einbeziehung des „anthropo-geografischen Aspektes“, wie einer meiner verehrten Professoren an der Universität Hildesheim zu sagen pflegte. Das heißt in diesem Fall, dass der Besucher seine Aufmerksamkeit unbedingt auch den Ureinwohnern dieses Landstriches, den Bella Coola Indianern, widmen sollte.

Der Bella Coola Stamm lebte schon immer vorwiegend vom Fischfang. Die Menschen konnten gut davon leben, wurden rund und gemütlich und schlugen sich lediglich gegenseitig die Köpfe ein, wenn es um die Kontrolle der nördlichen oder südlichen Fanggründe ging. Von den kleineren und größeren Scharmützeln, die meist durch den gegenseitigen Raub der Frauen ausgelöst wurden, wollen wir hier nicht reden. Auch nicht davon, dass der Stamm noch bis in dieses Jahrhundert hinein eine regelrechte Sklavenwirtschaft betrieb, länger also als die Südstaaten der heutigen USA.

Mit ihren Inlandnachbarn tauschten die Bella Coola Indianer erfolgreich Fisch gegen Elchwildbret. Das bizarre, teilweise bis 4000 Meter hohe Küstengebirge, „Costal Range“ oder US-amerikanisch „Cascades“ genannt, war ein wirksames Bollwerk gegen Eindringlinge aus dem Landesinneren, gegen die wesentlich streitbareren und aggressiveren Stammesnachbarn in Anahim Lake und westlich davon.

Die Bella Coolas hingegen hatten keinen Grund, sich neuen Lebensraum gen Osten zu schaffen. Die Lebensbedingungen dort hinter den „Hügeln“ in Anahim Lake waren viel zu karg, die Winter zu kalt und die Nachbarn eben viel zu aggressiv. Dort bei den Carrier oder Chilcotin, östlich der Ortschaft Anahim Lake, hätten sie für ihren Lebensunterhalt hart arbeiten müssen: jeden Tag jagen, sammeln, Krieg spielen, tiefe feste Erdlöcher graben, also so etwas wie „Häuser bauen“, und andere Dinge organisieren, um am Leben zu bleiben.

Die Küstenindianer, zu denen die Bella Coolas gehören, wohnten schon immer in festen Holzhütten. In den oft riesigen Holzhäusern, die an polynesische Bau- und Lebensweisen erinnerten, lebten mehrere Sippen. Die Menschen waren immer Fischer und sind es heute noch.

Die Zeit ist auch in Bella Coola nicht stehen geblieben. Die Lachse werden in Fabriken verarbeitet, das Fleisch vertreibt der kleine Supermarkt in Dosen, moderne Transportmittel karren kameraschwingende Pensionäre von einer Klima- und Landschaftszone in die andere, auf exakt festgelegten Routen, versteht sich. Heute verfügen die Indianer über alle Annehmlichkeiten unserer Kultur und alle technischen Errungenschaften. Sie besitzen Autos und leben in modernen Häusern. Dieser Aufstieg lässt sich natürlich nicht mit den Erträgen aus der Jagd und dem Fischfang finanzieren.

Jeder Indianer erhält eine monatliche Zuwendung, eine Art Reparationszahlung oder Wiedergutmachung vom Staat, die sich aus Steuergeldern speist. Da die staatliche Unterstützung teilweise über dem Lohn für einen Job liegt, sind sehr viele Indianer arbeitslos. Sie sind schließlich nicht dumm.

Die entlegene Schönheit der Küstenfjorde, Buchten, Wasserläufe und Binnenseen können jedoch weder Touristen noch Kanadier erreichen, es sei denn, ihnen steht ein Float Plane zur Verfügung.

Der Pilot eines solchen Flugzeugs gleicht in dieser Landschaft einem Adler. Er kreist hoch in den Lüften, steigt und stößt schließlich herab, um sein Ziel zu erreichen. Das kann die Mündung eines Flusses in den Fjord sein, einer der ufernahen Binnenseen, das Ende eines versandeten Fjordes oder vielleicht ein Süßwassersee, der tosend in den Ozean fällt. Ist der kanadische Buschpilot wie ich im niedlichen Weserbergland aufgewachsen, ist sein Gefühl dabei so erhaben, dass es andere kaum nachvollziehen können.

In weniger als drei Stunden Flugzeit gelangt man in die nur 300 bis 400 Kilometer entfernten Fjorde. Schon der Flug dorthin ist landschaftlich überaus reizvoll.

Zuerst offenbart sich nach nur 15 Minuten der weltberühmte Fraser Canyon mit seinen aus dem Mergel ausgewaschenen 100 bis 150 Meter tiefen steilen Schluchten. An dessen Hängen kann der aufmerksame Naturfreund und Jäger eine Vielzahl von California Bighornschafen weiden sehen. Es gibt dort so viele von ihnen, dass sie von Hubschraubern aus mit Netzen eingefangen, nach Kalifornien transportiert und dann dort ausgesetzt werden.

Für den kanadischen ‚Neuling‘ sei erwähnt, dass die durchschnittliche Sommertemperatur hier um die 35 Grad Celsius liegt. Für geografisch Unkundige, die mit Kanada nur Eisbären, Iglus und Inuit verbinden, ist das sicherlich überraschend. In diesen Breiten liegt im Winter kaum Schnee und die kargen Hänge werden oft als Drehkulisse für Wildwestfilme genutzt, die uns auf der Leinwand dann typisch amerikanische Landschaften vortäuschen. Wegen der zu hohen Kosten für Statisten kehrte die Branche den Filmstandorten Arizona und Utah den Rücken, mittlerweile wird hier Vancouver als das „Hollywood des Nordens“ bezeichnet.

Hat man diesen markanten Einschnitt in unserer Erdkruste mit seinem wüstenähnlichen Charakter hinter sich gelassen, überfliegt man die unendlichen Weiten der wilden, unbesiedelten Chilcotin-Landschaft. Eine dünn bewaldete Hochfläche, 1000 Meter über dem Meer, die sich bis zu den Costal Range in ca. 300 Kilometern Entfernung erstreckt. Wildpferde, oder genauer verwilderte Pferde hinterlassen hier in Herden von etwa 20 bis 50 Stück ihre Spuren, genauso wie Elch und Bär, Wolf und Hirsch. Ungefähr alle zehn Minuten sieht man eine einsame Ranch, deren Betreiber ihr hartes Brot in dieser kargen Landschaft mit Rindern verdienen.

In Nimpo Lake stößt man gezwungenermaßen auf die Zivilisation. Ein Ort von wenigen Hundert Einwohnern mit Tankmöglichkeit, der Autos und Flugzeugen gleichermaßen das Fortsetzen ihrer Reise ermöglicht.

Gleich hinter Nimpo Lake oder dem größeren Ort Anahim Lake erhebt sie sich dann, die massige Wand aus Felsgestein und Gletschern, durchzogen von unfruchtbaren Tälern: Das Küstengebirge!

Piloten, ja sogar Autofahrern, die über das Gebirge hinweg oder durch es hindurch müssen, flößt allein der Anblick dieser grandiosen Berge Respekt ein. Lange bevor ein Pilot sie über- oder durchfliegen will, muss er gründlich darüber nachdenken, vor allem das Wetter spielt eine wichtige Rolle.

Ich kratze dazu immer Flugschul-Wissen, Erfahrungsberichte anderer Piloten und eigene Erfahrungen zusammen. Klappt alles nach Wunsch, erlebt jeder Passagier, vor allem der „Erstflieger“, einen Höhepunkt seines Lebens. Die dabei empfundenen Gefühle sind sehr persönlich und kaum zu beschreiben. Das reicht von Bewunderung für eine vollkommene Schöpfung über Überraschung bei der Entdeckung zahlreicher landschaftlicher Details bis hin zu Angst vor der Endlichkeit dieses Paradieses. Das Küstengebirge allein ist einen Kanadabesuch wert.

Man fliegt zuerst in engen Tälern, die plötzlich vor einer Wand enden. Dicht an den rechten Hängen fliegend, „den Eichhörnchen die Nüsse aus den Pfoten schüttelnd“, beschreibt man nun eine scharfe Kehre, um Höhe zu gewinnen. Nach der zweiten Wende ist es so weit. In 7000 Fuß Höhe überfliegt man die erste Gebirgskette und vergisst dann fast weiterzusteigen, denn die dahinter gelegenen riesigen Wasserfälle schlagen den Betrachter in ihren Bann.

An diesem Tag hatte ich Glück. Die Sicht war klar, die Wolkendecke lag über den höchsten Gipfeln und es gab so gut wie keine Turbulenzen, was hier sehr selten ist. Ziel dieses Fluges war ein Binnensee in der Fjordlandschaft, der direkten Zugang zum Ozean hat. Ihn hatte ich zuvor bereits mehrfach angeflogen. Er zählt zu meinen Geheimtipps in dieser Gegend. Lachsreich und daher von Seehunden stark frequentiert, außerdem geschützt vor den gefürchteten Stürmen des Pazifiks, war dieser See mein Lieblingsplatz für die Jagd auf Grizzlys und für Abenteuer in der Wildnis.

An diesem See, dem Owikano Lake, weiß ich, wo die Indianer ihr Boot verstecken, darf ich ihre Jagdhütte benutzen und kenne die Stellen, an denen sich Grizzlys zur Jagd auf Fische einstellen. Ein weiterer Pluspunkt aus der Sicht eines Wasserflugzeugpiloten ist die Tatsache, dass der Owikano Lake aus reinem Süßwasser besteht, was an der Küste hier nicht oft der Fall ist. Ernsthafte Wasserflugzeugpiloten meiden Salzwasser, wenn es irgendwie geht, weil das Salz nicht nur die Flugzeugoberfläche überzieht und angreift, sondern auch in alle Verstrebungen, Gewinde und die Überspannung eindringt und dort zu Korrosion führt.

Die erste Frage eines potenziellen Wasserflugzeugkäufers lautet denn auch: „How many hours on salt water?“ (Wie viele Stunden war die Maschine im Salzwasser?)

Der Gletscher vor mir war 9000 Fuß hoch, also hieß es steigen. Der letzte Grat musste gar in über 10 000 Fuß...

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