Ein Paar englische Schuhe
ES WAR SONNTAG, GEGEN ABEND. Maggie war aus dem Park zurück. Liza war in ihrer Spielecke und bemutterte eine Puppe. Phyllis war in der Küche und färbte einige Lappen um. Ich hatte mich gerade entschlossen, doch keine Zigarette anzustecken; ich war zu faul, um den Rauch zu inhalieren. Das Telefon klingelte. Es war John McNulty, der von irgendwoher nördlich der 42. Straße anrief.
»Nach acht Jahren habe ich gerade zum ersten Mal wieder einen gehoben. Du bist der Erste, dem ich es sage«, erklärte er. »Ich möchte dir meine englischen Schuhe zeigen. Ich komme sofort runter.«
Ich legte auf und teilte Maggie mit: »John McNulty wird uns besuchen.« Sie kannte ihn nicht.
»Ist das ein Mann?«, fragte sie.
»Er ist Schriftsteller«, sagte ich. Sie gab sich mit dieser Erklärung zufrieden. »Darf ich ihn mit meinem Hammer hauen?«, fragte sie.
McNulty hatte sich verändert; sein Gesicht war braungebrannt. Er war vom Tageslicht begeistert. »Man braucht sich nur hineinzulegen. Es füllt einen mit Energie«, erklärte er. »Ich glaubte nicht, dass das möglich sei, aber es klappt.« Wir begutachteten die englischen Schuhe. Sie waren klasse, konservativ und anscheinend von guter Passform. Wir tranken einen. McNulty schaute Maggie an und rückte seinen Stuhl etwas an mich heran.
»Ich konnte mir dich nie als Familienoberhaupt vorstellen«, sagte er mit leichtem Unterton.
»Mein Schwiegervater ist Rechtsanwalt und einer der besten Gewehrschützen des Landes«, antwortete ich. »Er errang schon einmal den Nationalpreis für Kunstschützen.«
McNulty nickte. »Ein Mann sollte zur Ruhe kommen«, sagte er. Wir tranken in Ruhe. »Also, jetzt hast du eine eigene Kneipe«, sagte er, »deine eigene Band, eine Frau und zwei Töchter. Deine Mutter würde stolz auf dich sein.«
Wir tranken noch einen. »Ich hörte dein Programm Eddie Condon’s Jazz Concert, als ich in Kalifornien war«, sagte John. »Warum wird es nicht mehr gesendet? Ich kannte Männer, die samstagnachmittags nicht zum Pokern gingen, damit sie es zu Hause hören konnten.« Ich erzählte ihm die Geschichte. Johnny O’Connor, Fred Warings Manager, hatte uns dem Sender Blue Network aufgeschwatzt. Wir benutzten den Strom und die Studios des Senders, sonst nichts. In der Manuskript-Abteilung hefteten wir jede Woche unsere Programmzettel ab. Später zerrissen wir sie wieder. Wir brachten uns selbst einen Ansager mit, Fred Robbins, ein Mann, der etwas vom Jazz verstand. Wir machten das Programm ad libitum in Text und Musik. Wir holten uns selbst Gastsprecher heran – John O’Hara, den Schriftsteller; Joe McCarthy von der Illustrierten Yank; George Frazier von Life. Die Show wurde jede Woche übertragen und nach Übersee geschickt, um dort für die Truppen gesendet zu werden; sie kam bei den Umfragen der GIs in Europa und auch am Pazifik auf den ersten Platz. Sie lief achtundvierzig Wochen lang; dann wurde etwas frisches Blut in den Vorstand des Blue Network geschüttet und beschlossen, dass mit dem Programm etwas geschehen müsste. Inzwischen stieg dessen Beliebtheit an; überall zogen es die Soldaten der Hit Parade vor, die auf dem zweiten Platz rangierte, und auch der Command Performance, welche den dritten Platz einnahm. Die Einsendungen waren eine Sensation. Die Briefe der Soldaten sagten alle das Gleiche: »Ihre Musik kommt gleich nach einem Heimaturlaub.«
Ernie Anderson und ich trafen uns mit den Leitern der Verkaufs- und Manuskript-Abteilungen und mit dem neuen Vorstand. Es wurde eine Menge geredet. Endlich sagte einer der Vorstandsleute, der Name des Programms müsse geändert werden. »Was meinen Sie, wie es heißen sollte?«, fragte Ernie. »Saturday Afternoon Senior Swing«, sagte der Vorstand. »Warum?«, fragte Ernie. »Der jetzige Titel ist zu lang«, sagte der Leiter. Ernie schaute mich an. Ich zählte an meinen Fingern ab. Eddie Condon’s Jazz Concert enthielt dreiundzwanzig Buchstaben, Saturday Afternoon Senior Swing hatte achtundzwanzig. »Diese Burschen sind wirkliche Vorsteher«, flüsterte ich Ernie zu. »Pass auf!« Ein wenig später sagte ein anderer Geschäftsführer: »Ich denke, wir sollten einen Komiker reinbringen. Ich schlage Jackie Kelk vor.«
»Wer ist Jackie Kelk?«, fragte ich. Das Vorstandsmitglied starrte mich an. »Jackie Kelk ist der Homer in der Aldrich-Familie«, sagte er. »Was ist das?«, wollte ich wissen. Die Lippen des Vorstandsmitgliedes wurden schmaler. »Sie kennen die Aldrich-Familie nicht?«, fragte er und neigte sich etwas zu mir herüber. Ernie trat mich unter dem Tisch. »Ich kenne vom Radio nur zwei Dinge«, sagte ich. »Wie man seine Uhr danach stellt und wie man es ausdreht.« Es wurde noch mehr geredet. Dann wurde das Ultimatum gestellt: Wir könnten die neue Form des Programms akzeptieren, den Komiker inbegriffen, oder wir könnten es aufgeben. Eines der älteren Vorstandsmitglieder wollte uns helfen. »Lasst euch ein paar Tage Zeit zum Überlegen und sagt uns dann Bescheid.«
»Wir brauchen keine paar Tage«, sagte Ernie. »Wir können Ihnen schon jetzt die Antwort geben: Nein, und zwar in Sperrschrift.«
McNulty nickte, als ich fertig war. »Ich befürchtete schon, meine Meinung über den Rundfunk ändern zu müssen, als sie euch Jazz spielen ließen, ohne irgendetwas zu unternehmen, um ihn zu verlausen«, sagte er. »Ich freue mich, dass sich der Rundfunk nicht geändert hat. Das gibt mir ein Gefühl der Sicherheit.«
Maggie kam herüber und lehnte sich an Johns Knie. Wir tranken noch einen. John hatte etwas im Sinn. »Es erscheint ein neues Buch«, sagte er. »Sie sammeln die einzelnen Geschichten, die ich für den New Yorker über Tim geschrieben habe, um einen Band daraus zu machen. Ich glaube, sie wollen es Third Avenue, New York, nennen.« Er drehte sein Glas in der Hand und schaute auf seine englischen Schuhe. Dann kam’s heraus. »Du musst auch ein Buch schreiben«, sagte er. Wir nahmen noch einen Drink. Maggie langweilte sich bei uns. Sie ging zu Liza, um gemeinsam mit ihr den Laufstall auseinanderzunehmen. »Wie soll ich das machen, und worüber soll ich schreiben?«, fragte ich. John stand auf. »Habt ihr eine Schreibmaschine im Haus?«, fragte er. »In der Küche«, sagte ich. »In der Brottrommel.«
Wir gingen in die Küche, machten die Brottrommel auf und holten die Schreibmaschine heraus. John spannte einen Bogen Papier in die Maschine. »Wann und wo wurdest du geboren?«, fragte er. Ich sagte es ihm. Er schrieb auf das Blatt: Goodland, Indiana, 16. November 1905. Dann drehte er ein paar Zeilen weiter und schrieb: Jetzige Adresse: Washington Square North, New York City.
»Du hast jetzt nur noch das auf das Papier zu bringen, was zwischen diesen beiden Zeilen passiert ist«, sagte er. »Versuch es. An was kannst du dich erinnern?«
Ich zog den Küchenstuhl heran. John setzte sich. Wir starrten zusammen auf das Papier. »Schreib auf: Katze«, sagte ich. John tippte das Wort.
Als wir in Momence, Illinois, wohnten, hatten wir eine Katze, die hieß Gieronimo. Eines Tages ging meine Schwester Martina in die Hütte auf dem Hof, in der wir die Maiskolben verwahrten, und setzte sich auf einen Stuhl. Sie fiel hintenüber, schlug auf Gieronimo und brach ihm das Rückgrat. Er war noch nicht tot, darum erschlug ihn mein Bruder mit einem Baseballschläger. Dann buddelten wir ein Grab, begruben ihn und machten ein Kreuz darauf.
Wir nahmen einige Maiskörner und schrieben damit seinen Namen in den weichen Dreck. Als wir vom Essen zurückkamen, hatten die Hühner unseres Nachbarn die Körner aufgepickt und beinahe auch Gieronimo gefressen. »Weißt du noch, wie wir die Hütte am Normandy Beach bei Barnegat Bay nahmen, der Hurricane kam und vier Türen aus der Garage blies, die Lampen ausgingen und das Wasser die Straße heraufkam?«, fragte Phyllis. Sie färbte immer noch ihre Tücher. »Schreib auf: Schuhe«, sagte ich. John tippte das Wort.
Eines Abends kam John Steinbeck in die Kneipe und sagte zu mir: »Eddie, warum spielst du nicht wieder Banjo? Es ist das einzige amerikanische Instrument, und es sollte für die einzige amerikanische Musik benutzt werden. Warum spielst du auf so einem Instrument für Liebhaber, einer Gitarre?« Ich sagte: »John, das Banjo verschwand mit den Knopfschuhen.« John beugte sich herüber und flüsterte mir ins Ohr: »Eddie, Knopfschuhe werden wieder modern.«
»Weißt du noch, als du mit Mezzrow zusammen wohntest? Du hattest mit mir am 4. Juli eine Verabredung. Wir hatten den ganzen Tag nichts zu tun, und Mezzrow sagte: ›Macht euch keine Sorgen. Ich kenne eine Delikatessenhandlung, die um fünf Uhr aufmacht. Da können wir uns ein paar Truthahnhälse kaufen‹«, erinnerte sich Phyllis.
»Schreib auf: Lord«, sagte ich.
John tippte das Wort.
Jimmy Lord war ein Junge aus Chicago, der Klarinette und Saxophon spielte und der auch Arrangements schrieb. Er spielte oft mit uns im Palace Gardens in Chicago; er hatte einen gelben Mormon-Wagen. Als ich den einmal zu fahren versuchte, habe ich ihm die Gangschaltung kaputtgerissen. Einen Sommer lang mietete seine Mutter, Ann Lord, eine Wohnung in New York, im Osten, ganz in der Nähe des River House. Ich war pleite, und sie ließ mich dort wohnen. Ich hatte nicht einmal das Fahrgeld, um quer durch die Stadt zu fahren, aber als ich ankam, war da ein japanischer Butler, der für mich sorgte. In der Wohnung war eine große Bibliothek, mit einem acht Fuß langen Gesellschaftsalmanach. In dem Sommer...