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Jenseits der Fakten. Zu dokumentarischen Strategien in der zeitgenössischen Fotografie

AutorJulia Linda Schulze
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl141 Seiten
ISBN9783640954223
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Kunst - Kunstgeschichte, Note: 1,1, Humboldt-Universität zu Berlin (Institut für Kunst- und Bildgeschichte), Sprache: Deutsch, Abstract: Mit dem Siegeszug der digitalen Fotografie erfährt die Diskussion um die Möglichkeit der Einschreibung des Realen in das Medium der Fotografie und damit insbesondere die für das fotografische Dokument angenommene spezifische Verbindung zur Wirklichkeit neuen Aufschwung. Unabhängig davon, ob die technische Neuerung als radikaler Bruch und damit als Eintritt in eine postfotografische Ära gewertet wird oder sie den schon immer begründeten Argwohn gegenüber dem Wahrheitsanspruch der Fotografie lediglich aktualisiert, ist die Feststellung, dass den Bildern nicht zu trauen sei, inzwischen zum Gemeinplatz geworden. Paradoxerweise hat der Zweifel an ihrem dokumentarischen Wert keinesfalls den Verzicht auf Fotografien als Mittel des Erkenntnisgewinns zur Folge, sondern ist vielmehr Auslöser einer dokumentarischen 'Bilderflut' innerhalb der zeitgenössischen Kultur, besonders in den Medien, wo ihre Macht nach wie vor ungebrochen scheint. Vor allem aber ist in jüngerer Zeit eine Proliferation des Dokumentarischen innerhalb des Kunstfeldes zu beobachten. Seit den 1990er Jahren erfreut sich die Dokumentation dort starker Popularität, an mancher Stelle wird gar ein Paradigmenwechsel in Form eines 'documentary turn' ausgerufen. Dass es sich dabei nicht um eine naive Rückkehr zu einem unkomplizierten fotografischen Realismus handelt, belegen die zahlreichen Ausstellungen der letzten Jahre, die Titel wie Reality Check (Hamburg 2002), After the Fact (Berlin 2005) oder Documentary Creations (Luzern 2005) tragen und sich mit dem veränderten Verständnis vom Verhältnis zwischen fotografisch konstruierter Realität und außer- oder vorfotografischer Welt auseinandersetzen. [...]

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Leseprobe

Einleitung


 

Mit dem Siegeszug der digitalen Fotografie erfährt die Diskussion um die Möglichkeit der Einschreibung des Realen in das Medium der Fotografie und damit insbesondere die für das fotografische Dokument angenommene spezifische Verbindung zur Wirklichkeit neuen Aufschwung. Unabhängig davon, ob die technische Neuerung als radikaler Bruch und damit als Eintritt in eine postfotografische Ära[1] gewertet wird oder sie den schon immer begründeten Argwohn gegenüber dem Wahrheitsanspruch der Fotografie lediglich aktualisiert,[2] ist die Feststellung, dass den Bildern nicht zu trauen sei, inzwischen zum Gemeinplatz geworden.

 

Paradoxerweise hat der Zweifel an ihrem dokumentarischen Wert keinesfalls den Verzicht auf Fotografien als Mittel des Erkenntnisgewinns zur Folge, sondern ist vielmehr Auslöser einer dokumentarischen Bilderflut innerhalb der zeitgenössischen Kultur, besonders in den Medien, wo ihre Macht nach wie vor ungebrochen scheint.[3] Vor allem aber ist in jüngerer Zeit eine Proliferation des Dokumentarischen innerhalb des Kunstfeldes zu beobachten. Seit den 1990er Jahren erfreut sich die Dokumentation dort starker Popularität, an mancher Stelle wird gar ein Paradigmenwechsel in Form eines „documentary turn“[4] ausgerufen. Dass es sich dabei nicht um eine naive Rückkehr zu einem unkomplizierten fotografischen Realismus handelt, belegen die zahlreichen Ausstellungen der letzten Jahre, die Titel wie Reality Check (Hamburg 2002), After the Fact (Berlin 2005) oder Documentary Creations (Luzern 2005) tragen und sich mit dem veränderten Verständnis vom Verhältnis zwischen fotografisch konstruierter Realität und außer- oder vorfotografischer Welt auseinandersetzen.[5]

 

Annlässlich der „Rückkehr von „commitment“ und Engagement, aber auch von Wahrheitssuche und Dokumentationsabsicht“[6] unter explizit reflexiven Vorzeichen im Kunstfeld wird in dieser Arbeit eine Taxonomie dokumentarischer Strategien in der zeitgenössischen Fotografie vorgenommen, wobei folgende Leitfragen behandelt werden sollen: Wie gehen die KünstlerInnen mit der Einsicht in die Vermitteltheit dokumentarischer Wahrheit um? Wie grenzen sie ihre Arbeiten von früheren Formen der fotografischen Dokumentation ab? Werden Glaubhaftigkeit und Wahrhaftigkeit der Darstellung als einzig relevante Parameter des Dokumentarischen in Frage gestellt?[7] Übersteigt die zeitgenössische Dokumentation das rein Faktische, die problematisierte Evidenz des fotografischen Bildes und bewegt sich somit jenseits der Fakten? Liefert eine Analyse der Effekte und Strukturen des fotografischen Dokuments Anstöße zur Reflexion seiner Form? Was sind die Eigenschaften eines explizit im Kunstfeld situierten Dokumentarismus?

 

Ausgehend von diesen Fragen soll das „terrain vague einer komplexen künstlerischen Reflexion,“[8]   betreten werden auf dem die zahlreichen zeitgenössischen dokumentarischen Positionen derzeit situiert sind. Vier aus diesem Feld destillierte Strategien – eine ikonoklastische, eine hyperrealistische, einer archivierende und eine künstliche Dokumente erschaffende – sollen in dieser Arbeit einer Analyse, besonders im Hinblick auf ihr innovatives Potenzial gegenüber klassischen Positionen des Dokumentarischen, unterzogen werden und dies anhand von jeweils zwei künstlerischen Arbeiten.

 

Die Auseinandersetzung mit der dokumentarischen Position der „Ikonoklasten“ mit Afredo Jaars Real Pictures (1995)[9] und Susan Meiselas' Kurdistan: In the Shadow of History (1997)[10], soll zeigen, dass die dem dokumentarischen Anliegen an sich diametral entgegengesetzte bilderstürmerische Geste besonders starke und präsente Dokumente eigener Natur hervorbringt und so gerade im Verzicht auf die Formulierung von problematischen fotografischen Wahrheiten einer neuartigen Dokumentationsabsicht nachkommt.

 

Eine neue Form des dokumentarischen Realismus hingegen wird anhand der „Hyperrealisten“ – Luc Delahayes History (2001-2003)[11] und Taryn Simons An American Index of the Hidden and Unfamiliar (2004-2007)[12] – untersucht. Hier soll geklärt werden, ob visuell spektakuläre Fotografien, die sich durch Schärfe, Größe und satte Farbigkeit auszeichnen, den Anspruch geltend machen können, auf objektive Weise Fakten darzustellen, oder ob der für den dokumentarischen Gegenstand ungewöhnliche Stil ebenfalls ein Anliegen jenseits dokumentarischer Evidenz verfolgt.

 

An dritter Stelle wird die Methode der „Archivare“ mit Peter Pillers Archiv Peter Piller (2000-2006)[13] und Penelope Umbricos Suns From Flickr (2006 bis heute)[14] näher befragt, deren künstlerische Strategie im Sammeln, Verwalten und Präsentieren, jedoch nicht in der Anfertigung von Fotografien besteht. Es soll geklärt werden, ob sich in der künstlerischen Appropriation der archivierenden Methode nur noch eine ironische Wiederholung der Produktion von Wissen im Archiv ausdrückt oder ob damit auch eine Reflexion über die epistemische Autorität der archivarischen Ordnung einhergeht. Welcher Natur sind die Bedeutungen, die die Archivare in der vereinheitlichenden Ordnung fotografischer Dokumente hervorbringen?

 

Dem scheinbar paradoxen Unternehmen, mithilfe der Konstruktion „künstlicher Dokumente“ Aussagen über die Wirklichkeit zu machen, geht die Beschäftigung mit Walid Raads The Atlas Group Archive (1999 bis heute)[15] und Randa Mirzas Parllel Universes (2008)[16] nach. Da beide Positionen den Wahrheitsanspruch der von ihnen verwendeten Dokumente in einer „als ob“-Haltung negieren, soll herausgearbeitet werden, welche Dokumentationsabsicht jenseits der Evidenz damit verfolgt werden kann. Zu klären ist, ob diese Strategie eine Neubestimmung des Dokumentarischen in der Kunst erlaubt, indem sie sich „produktiv der Zumutung verweigert, weiterhin auf die dienstbare Rolle reduziert zu werden, die Ressourcen des Realen zu erschließen“.[17]

 

Die Auswahl der hier vorgestellten dokumentarischen Strategien bildet einen relevanten und exemplarischen Ausschnitt[18] des ständig expandierenden und vielfältigen Feldes dokumentarischer Kunst ab, was durch die Ausstellungspraxis der letzten Jahre belegt wird.[19] Um genauer bestimmen zu können, was, die Eigenarten der zeitgenössischen fotografischen Dokumentation ausmachen, werden hier möglichst unterschiedlich verfahrende Strategien analysiert. Dabei wird anhand von je zwei künstlerischen Positionen, die die Strategie auf voneinander abweichende Art gebrauchen, untersucht, was die jeweilige Methode des Dokumentierens leisten kann. Deswegen sollen hier auch Arbeiten von weniger etablierten KünstlerInnen besprochen werden. Von dokumentarischen Strategien in der Fotografie und nicht von Dokumentarfotografie ist hier die Rede, da sich nur zwei der hier zu besprechenden Arbeiten tatsächlich dem Modus der klassischen Dokumentarfotografie bedienen, insofern man diese als künstlerische Verdichtung von fotografischen Dokumenten ohne einen solchen Anspruch abgrenzt.[20] Die Mehrzahl der Strategien verwendet stattdessen in einer weiteren Auffassung des Dokumentarischen selbst hergestellte oder gesammelte fotografische Dokumente oder verzichtet ganz auf diese. Dabei werden mitunter diverse Medien unterschiedlicher Authentizitätsgrade zu dokumentarischen Hybridformen verwoben. Wie sich hier schon andeutet, ist eine operative Definition des Dokumentarischen für die weitere Vorgehensweise unverzichtbar. Sie soll an dieser Stelle in einem kleinen Exkurs unternommen werden, wobei vorweg mit Derrick Price darauf verwiesen sei, dass eine endgültige Definition bisher noch aussteht:

 

Historians and critics have frequently drawn attention to the difficulty of defining documentary that cannot be recognised as possessing a unique style, method or body of techniques.[21]

 

Die Definition des Dokumentarischen ist eng verbunden mit dem, was Herta Wolf als apparatives Paradigma[22] der Fotografie bezeichnet. Die Annahme, dass sich das, was auf der Fotografie zu sehen ist,  zum Zeitpunkt der Aufnahme so abgespielt hat, das „Es-ist-so-gewesen,“[23] ist Effekt der indexikalischen[24] Beziehung, die zwischen dem originären Objekt und seiner Repräsentation besteht. Die indexikalische Eigenschaft gilt als Garant für die überlegene Objektivität des Mediums, indem sich die Realität als Spur oder Abdruck und in Form von mechanischen, physikalischen und chemischen Vorgängen direkt und automatisch – ohne Eingriff von Menschenhand – ins Bild übersetzt.[25] Das Indexikalische charakterisiert jedoch alle Produkte der Fotografie, auch solche, die explizit nicht als dokumentarisch gelten.[26] Deswegen erscheint eine Definition des Dokumentarischen als „historisches Phänomen, als Praxis mit einer Geschichte“[27] sinnvoll: Die...

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