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E-Book

Jesus und Tiberius

Zwei Söhne Gottes

AutorCarsten Peter Thiede
VerlagLuchterhand Literaturverlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl414 Seiten
ISBN9783641011260
FormatePUB/PDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Als der historische Jesus ungefähr im Jahr 7 v. Chr. geboren wird, herrscht noch Augustus als Kaiser. Im Jahr 14 n. Chr. beginnt die Regentschaft von Tiberius, und da er seinen Vorgänger zum »Divus«, zum »Vergöttlichten« ausrufen läßt, wird er zum »Filius Divi«, zum Sohn Gottes. Das aber ist genau der Titel, der im Lukasevangelium für den noch ungeborenen Jesus in Anspruch genommen wird. Carsten Peter Thiede erzählt das Leben des Religionsgründers und das des römischen Kaisers vor dem Hintergrund der religions- und machtpolitischen Auseinandersetzung zwischen Kaiserkult und jüdischem Messiasglauben. Diese parallele Betrachtung der scheinbar unvergleichbaren Kontrahenten gab es bisher nicht, und sie führt zu überraschenden Perspektiven. Denn mit diesem Blick auf den historischen Jesus wird eine Darstellung auch der römischen Sichtweise möglich, und manches verschüttete Quellenmaterial macht erstaunlich neuen Sinn. Bravourös vergegenwärtigt Thiede einen geschichtlichen Moment, der sich als einer der Wendepunkte der Weltgeschichte herausstellen wird: In der Tradition der Doppelbiographie, die von Plutarch erfunden und zuletzt von Alan Bullock zu einem vorläufigen Höhepunkt geführt wurde, erzählt er von einem Sohn Gottes, den die Weltgeschichte vergessen hat, und von einem, der Weltgeschichte schrieb.

Carsten Peter Thiede, 1952-2004, war Historiker und Papyrologe. Er lehrte als Professor für Umwelt und Zeitgeschichte des Neuen Testaments in Basel (STH) und hatte einen Lehrauftrag an der Ben-Gurion Universität des Negev, Beer-Sheva.

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Leseprobe
Der Stein des Pilatus (S. 237-238)

Pontius Pilatus ist der römische Präfekt, von dem wir mehr wissen als von jedem anderen. Das liegt nicht nur an den vier Evangelien, die ihm in der Leidensgeschichte des Jesus von Nazareth viel Platz einräumen. Philo von Alexandria, Flavius Josephus und Tacitus erwähnen ihn, zum Teil ausführlich und mit negativen Urteilen, die das Neue Testament bestätigen. In der Zeit nach diesen Autoren des 1. und (Tacitus) frühen 2. Jahrhunderts wird er bald von Geschichten umgeben, die mit den alten Quellen nicht mehr viel zu tun haben.

So habe Pilatus einen Bericht über die Hinrichtung Jesu an Kaiser Tiberius geschickt – das ist an sich nicht unwahrscheinlich, denn es ging aus römischer Sicht um einen Hochverratsprozeß, und solche Prozesse hatte Tiberius, mit Sejans tatkräftiger Hilfe, reichsweit gefördert und aufmerksam verfolgt.1 Justin, der frühchristliche Autor aus Sichem (dem heutigen Nablus), der um 165 n. Chr. unter Kaiser Mark Aurel in Rom hingerichtet wurde, wollte diese Akten noch gekannt haben und wies in seiner ersten Apologie, ca. 155 n. Chr., gerade die Gegner des Christentums darauf hin:

Hier könne sich jeder davon überzeugen, daß die Evangelien wahrheitsgemäß berichten.2 Gut vierzig Jahre später bestätigte ein weiterer frühchristlicher Autor, der aus Karthago stammende Tertullian, die Auskunft Justins.3 Tertullian zeigte sich sogar überzeugt, daß Pilatus nicht lange nach der Kreuzigung Christ wurde.4 Die äthiopische Kirche, eine der ältesten der Christenheit, machte ihn – man möchte sagen, folgerichtig – zum Heiligen. Sein Tag im äthiopischen Heiligenkalender ist der 25. Juni, und wer sich an diesem Tag in Jerusalem aufhält, kann noch heute, nur wenige Schritte von der Hinrichtungsstätte Jesu entfernt, das Schauspiel der Verehrung seines Henkers als eines Heiligen miterleben.

Was auch immer Pilatus an Tiberius geschrieben haben mag, es ist wie alle Berichte aller Präfekten und Prokuratoren verlorengegangen. Die heute noch zu lesenden sogenannten Pilatusakten sind frühestens im 4. nachchristlichen Jahrhundert entstanden. 5 Auch ein Brief des Pilatus an den späteren Kaiser Claudius hat sich als Fälschung erwiesen, und so gilt nach heutigem Kenntnisstand, daß kein von Pilatus selbst autorisiertes Schriftstück erhalten geblieben ist. Ein Briefwechsel mit Sejan wurde auffälligerweise nie behauptet oder gefälscht, so scheinen auch die alten Autoren, die von einem direkten Kontakt des Pilatus mit Tiberius wußten oder ihn jedenfalls vermuteten, den Prätorianerpräfekten nicht für die maßgebliche Kraft hinter Pilatus gehalten zu haben.

Um so wichtiger war für die Altertumswissenschaftler – und nicht zuletzt für all jene Hyperskeptiker, die historischen Berichten über eine Person der Antike erst dann trauen wollen, wenn es auch archäologische Belege über sie gibt – eine Entdeckung, die 1961 in Caesarea gelang. Dieses Caesarea hatte Herodes der Große als prachtvolle Hafenstadt ausgebaut und nicht zuletzt mit einem Tempel des Gottes Augustus versehen. 7 Seit 6 n. Chr. war es Verwaltungssitz der judäischen Provinz. Hier trat der erste Präfekt, Coponius, von 6 bis 9 n. Chr. sein Amt an, und hier residierten seine Nachfolger Ambibuchus (9–12 n. Chr.), Annius Rufus (12–15) und der bereits von Tiberius berufene Valerius Gratus (15–26), bis schließlich 26 n. Chr. der von Sejan und Tiberius protegierte Pontius Pilatus an der Reihe war.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
1 Einleitung: Die Söhne Gottes und die Quellen7
Fragezeichen8
Zerrei proben und Untergänge12
Bruderkriege und Gottessöhne20
2 "Wegen ausschweifenden Lebenswandels"•: Skandale und Propheten30
Im Dickicht der Familien32
Bildungswege: Tiberius und der Vatergott37
Weisheit aus Gadara: Theodorus, Tiberius und Jesus45
Unglückliche Jahre: Die Frauen des Tiberius60
Bethsaida und die doppelte Julia63
Familienbildung - Jesus, die Ehe und die Enthaltsamkeit71
3 Im Osten nur Neues: Varus, Tiberius und die Jugend des Jesus88
Ein Gang durch Nazareth90
Jesus und die Soldaten der Römer110
Galil‚a und der Teutoburger Wald: Ein Freund des Tiberius siegt und stirbt120
4 Meuterer und Rebellen: Der Kaiser und seine Gegner von Gallien bis Jud‚a. Ein Zwischenspiel.146
Götter und fromme Herren148
Ein Mordfall und andere Unannehmlichkeiten159
Meinungsbildung: Eine Umfrage wird ausgewertet163
Machtverteilung und Schlüsselgewalt169
Schreiben und Trinken175
5 "Der Frieden sollte gewahrt bleiben": Gegen Jesus und Sejan180
Die Beliebtheit und das Gesetz: Ein Gespräch mit dem Kaiser182
Geschichten und Geschichte195
Das Rätsel Sejan209
6 Nach dem Leben ist vor dem Leben: Wie stirbt ein Sohn Gottes?236
Der Stein des Pilatus238
Tödliche Beleidigungen?250
Der Caprifischer: Das Netz des Tiberius wird enger258
Schuld und Unschuld: Vom Händewaschen zum Judenhass277
Jesus, Augustus und Tiberius: Letzte Worte der S‡hne Gottes287
7 Epilog: "Weh mir, ich glaube, ich werde ein Gott!"302
Unruhige Jahre304
Die vierzig Tage des Jesus Christus311
Tiberius und ein Altar für den Messias Jesus329
Anmerkungen337
Personen- und Ortsregister406

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