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Jetzt tu ich erstmal nichts - und dann warte ich ab

Wie es sich mit Aufschieberitis gut leben lässt

AutorMalte Leyhausen
VerlagKreuz
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783783181722
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Wie viele Schreibtische wurden wohl schon aufgeräumt, wie viele Zimmerpflanzen gegossen, damit eine dringende Aufgabe aufgeschoben werde konnte? Der Autor preist uns die Vorteile von Zeitdieben an, singt ein Loblied auf die Unordnung und warnt vor den Gefahren des Prioritäten-Setzens. Mit Vergnügen können Sie sich hier vor Augen führen, mit welchen Strategien und Vorwänden es möglich ist, die wichtigsten Arbeiten vor sich her zu schieben und über die selbst ausgelegten Schlingen und Fallen zu stolpern.

Malte Leyhausen, geboren 1968, betriebswirtschaftliche Berater-Ausbildung und Weiterbildung zum Systemischen Berater, Organisationsentwickler und Coach bei der Internationalen Gesellschaft für Systemische Therapie und Beratung (IGST). Seit 1995 leitet er das Unternehmenstheater. Weitere Informationen unter unternehmenskabarett.de

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Leseprobe

Wer eine Sache liebt, der schiebt: Einleitung


Ohne Aufschieberitis hätte ich gar keine Zeit,

ein Buch wie dieses zu lesen.

 

Ich wollte dieses Buch erst nennen: »Acht Wege, seine Arbeit aufzuschieben.« Ich weiß, was Sie beim Anblick des Titels gedacht hätten: Was, nur acht Wege? Ich kenne Hunderte … Oder Sie gehören zu der Fraktion: »Vielleicht habe ich gar kein Talent zum Aufschieben, denn meistens schaffe ich meine Aufgaben irgendwie …«

Auch dann sind Sie hier richtig. Denn Aufschieben kann man lernen. Im ersten Teil verrate ich Ihnen die acht besten Methoden, mit denen Sie Ihre wichtigen Projekte erfolgreich auf Eis legen können. Haben Sie erst einmal den Nutzen der kreativen Arbeitsvermeidung erkannt, werden Sie bald in die Oberliga aufsteigen. Sie werden sehen, wie mit ein wenig Ausdauer Höchstleistungen im Aufschieben möglich sind. Lassen Sie sich von gelegentlichen Rückschlägen, wie versehentlich pünktlich abgelieferten Arbeiten, nicht entmutigen. Schnell beherrschen Sie die einfachen Grundregeln, um Ihren eigenen Stil im Schieben zu entwickeln.

Vielleicht zählen Sie aber schon zu den alten Hasen, die sich bestens mit der langen Bank auskennen. Dann sind Sie soziologisch in guter Gesellschaft. Nach einschlägigen Studien geben ca. 25 % der Bevölkerung an, regelmäßig lästige Dinge auf später zu vertagen. Gegen ihren Willen, wohlgemerkt. Und das gilt für die Bewohner auf allen Erdteilen. Bei den Studierenden sind es sogar rund 70 %.

Was für eine Kaufkraft! Unsere Ersatzhandlungen sind für die Weltwirtschaft von unermesslicher Bedeutung. Was machen wir denn, statt die Steuererklärung auszufüllen? Wir fangen freiwillig an, Fenster zu putzen, im Internet zu surfen und kaufen bei einem einschlägigen Kaffeeröster einen elektrischen Pfefferstreuer (mit Licht!). Wie würde der Konjunkturmotor erst stottern, wenn die Ausgaben unserer Ablenkungsmanöver verloren gingen? Ohne uns würden die Putzmittelproduzenten Pleite gehen, die Internetanbieter Konkurs anmelden und der einschlägige Kaffeeröster könnte nur noch Kaffee verkaufen …

Wäre »Aufschieber« ein Sternzeichen (Aszendent Zeitfuchs), käme ungefähr folgende Charakterisierung heraus: Liebenswerte Menschen, denen Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit grundsätzlich wichtig ist. Eine dubiose Eigenschaft verleitet sie jedoch dazu, bestimmte Tätigkeiten, die ihnen unangenehm sind, bis zur Schmerzgrenze aufzuschieben. Verspätete oder unvollständige Leistungen verkaufen sie ihrem Auftraggeber mit viel Charme und rhetorischem Geschick. Viele von ihnen sind Studenten, Selbstständige, Führungskräfte und Vertreter kreativer Berufe.

Tatsächlich können gerade die Kreativen ein Lied von der produktiven Aufschieberei singen. Hier ein paar prominente Beispiele aus dem Dunstkreis der Weltliteratur.

Der Schriftsteller Wolfgang Köppen (Tauben im Gras) schrieb nur, wenn er es unbedingt musste. Ungeachtet aller Fristen, gelang es niemandem, ihm ein Manuskript zu entreißen, das er noch als unfertig betrachtete (Reich-Ranicki 2000).

Ottfried Preußler kam am Anfang mit seinem Krabat nicht mehr weiter. Aus Verdruss schrieb er den Räuber Hotzenplotz. Erst anschließend konnte er den Krabat vollenden.

Thomas Mann, dem man wirklich keine Arbeitsstörung nachsagen kann, ließ die erste Hälfte seines Hochstapler-Romans Felix Krull fast vier Jahrzehnte liegen, bevor er die zweite Hälfte (des ersten Teils!) hinzufügte. Zum geplanten zweiten Teil kam es nicht mehr. Mit 79 Jahren zeigte der Nobelpreisträger Mut zur Lücke: »Wie, wenn der Roman weit offen stehen bliebe? Es wäre kein Unglück meiner Meinung nach.«

Mancher Dichter machte aus der Not eine Tugend und schrieb über die Unfähigkeit zu schreiben. So zieht sich das Motiv der Arbeitsblockade wie ein roter Faden durch das Werk von Thomas Bernhard. Aus dem Nachlass erschien als erstes Meine Preise, ein Strauß von Aufschiebe-Geschichten, die sich um seine Preisverleihungen ranken.

Eine gute Stunde vor der Übergabe des Grillparzer-Preises sucht er einen ihm »von mehreren Sockenkäufen bestens bekannten« Herrenausstatter auf, um sich für den Anlass einen Anzug zu kaufen. Im Wettlauf gegen die Zeit wird die penible Auswahl des feinen Tuchs zur köstlichen Groteske.

Erst eine halbe Stunde vor der Verleihung des Bremer Literaturpreises setzt sich Bernhard auf sein Bett und notiert den ersten Satz für die Dankesrede: »Mit der Kälte nimmt die Klarheit zu.« Ihm bleiben noch 12 Minuten, bis er zum Festakt im voll besetzten Rathaus abgeholt wird. Ihm gelingt es, noch eine halbe Seite zu Papier zu bringen. Es werden die kürzesten Dankesworte in der Geschichte der Bremer Auszeichnung: »Gerade, als sich die Zuhörer auf meine Rede einzustellen begannen, war sie auch schon vorbei gewesen.«

Auch für das Entgegennehmen des Österreichischen Staatspreises legt sich Bernhard nur ein paar Zeilen zurecht. Gerne würde er sie zur Begutachtung noch seiner Tante vorlesen, aber das Taxi wartet schon vor der Tür …

In Bernhards Roman Beton kreist die Geschichte um die betoniert scheinende Blockade der Hauptfigur Rudolf, eine »wissenschaftlich einwandfreie Arbeit« über den Komponisten Mendelssohn-Bartholdy zu verfassen. Seit zehn Jahren verpasst er jeden Tag den ersehnten »besten Moment«, um den ersten Satz aufzuschreiben. Es kommt immer was dazwischen. Zuvor trug Rudolf »alle nur möglichen und unmöglichen Schriften von und über Mendelssohn-Bartholdy« zusammen. Erst kann Rudolf nicht schreiben, weil seine verhasste Schwester zu Besuch kommt. Kaum ist sie abgereist, kann er nicht schreiben, weil er Angst hat, dass die Schwester wiederkommt.

Selbst die Flucht aus dem engen Bergidyll Österreichs an die weitläufigen Strände Mallorcas erstickt die Motivation im Keim. Kurz nach der Ankunft erinnert sich Rudolf an ein Unglück, das sich dort vor anderthalb Jahren ereignet hat. Seine Spurensuche macht auch nur den geringsten Gedanken daran, den ersten Satz des geplanten Textes zu beginnen, undenkbar.

Rudolf ist ein Paradebeispiel für den Zusammenhang von Aufschieben und Perfektionismus. Schließlich strebt er eine »einwandfreie« Arbeit an. Sein Verhalten entwickelt eine typische Dynamik. Bevor eine Sache nicht absolut perfekt wird, fangen wir Aufschieber sie gar nicht erst an: Ein Termin steht fest, an dem etwas fertig sein soll. Wir haben noch alle Zeit der Welt, um die Aufgabe perfekt zu machen. Dann rückt der Termin immer näher und näher – und am Ende machen wir es in der letzten Minute, dass wir froh sind, es überhaupt geschafft zu haben. Aber hinterher können wir sagen: »Dafür, dass ich es in so kurzer Zeit geschafft habe, ist es ganz schön perfekt geworden!« Und den Nervenkitzel gibt es frei Haus.

Ein weiteres Merkmal outet Rudolf als Perfektionisten unter den Aufschiebern. Statt sein Vorhaben einfach zu beginnen, stürzt er sich in filigrane Vorarbeiten. Kein Schriftstück, das je über Mendelssohn-Bartholdy verfasst wurde, darf seiner zeitraubenden Recherche entgehen. Ein bewährtes Mittel: So lange ein noch so nebensächliches Detail fehlt, ist es dem Aufschieber unmöglich, anzufangen.

Die vielfältigen Aktivitäten zur Vorbereitung räumen aber mit einem weit verbreiteten Vorurteil auf: Wir Aufschieber seien faul. Ich möchte den Unterschied zwischen einem Aufschieber und einem Faulenzer gerne anhand einer Eselsbrücke klarstellen: Ein Faulenzer tut richtig nichts. Aber ein Aufschieber tut nichts richtig.

Die Technik ist simpel. Wir schließen einfach keinen Arbeitsschritt richtig ab. Vielmehr verstehen wir uns auf die Kunst, mehrgleisig zu fahren. Zur Not vermengen wir die Planung und Durchführung einer Aufgabe in einem einzigen gewaltigen Arbeitsschritt. In einer Zeit, die von uns verlangt, multi-tasking fähig zu sein, nehmen wir tapfer alle Aufgaben gleichzeitig an. Dann lassen wir ganz demokratisch alle Aufgaben gleichsam liegen. Manchmal haben wir mit dieser Strategie sogar Glück. Die Zeit arbeitet für uns und die Dinge erledigen sich durch Aussitzen von selbst. In den meisten Fällen arbeitet die Zeit aber nicht für uns, sondern wir arbeiten für die Zeit.

Erfreulich ist, dass sich mittlerweile ganze Berufsgruppen als Aufschieber zu erkennen geben. Der ISL (Interessenverband Schiebender Lehrer) hat vor kurzem auf einer Pressekonferenz zugegeben, dass unsere Methode längst Schule gemacht hat:

»Okay, wir Lehrer sind auch Aufschieber. Es gibt im Grunde nur noch drei Formen der Didaktik: Die Autodidaktik, die Türklinkendidaktik und die Hammerdidaktik. Bei der Autodidaktik überlegt sich der Lehrer morgens im Auto, was er heute im Unterricht machen will. Bei der Türklinkendidaktik überlegt sich der Lehrer genau in dem Moment, in dem er die Türklinke zum Klassenraum herunter drückt, was er heute im Unterricht wohl machen will. Und bei der Hammerdidaktik stellt sich der Lehrer einfach vor die Klasse und fragt: »Was HAMMER denn die letzte Stunde gemacht?«

Doch nicht nur im Berufsleben machen Sie als Aufschieber Karriere, sondern auch im Privatbereich können Sie wahre Meisterschaft entwickeln. In einer Zeitungsnotiz war jüngst zu lesen: »Zwei Hundertjährige haben sich nach 79 Jahren Ehe scheiden lassen. Als der...

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