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E-Book

Johannes Brahms

Große Komponisten

AutorMax Kalbeck
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl1900 Seiten
ISBN9783849602109
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Als wichtigste Leistung Kalbecks gilt seine 1904 bis 1914 veröffentlichte umfangreiche Biographie des Komponisten Johannes Brahms, die bis heute eine wesentliche musikhistorische Quelle darstellt, ungeachtet einiger zeitgebundener Fehler und der teils sehr subjektiv gefärbten Darstellungen.

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Leseprobe

II.


Wann das erste öffentliche Auftreten des jungen Brahms stattgefunden hat, läßt sich mit Sicherheit kaum bestimmen. Gewiß nur ist, daß es keineswegs mit jenem Hamburger Konzert vom 21. September 1848 zusammenfiel, in welchem, nach Reimann1 und anderen, Brahms zuerst vor dem Publikum erschienen sein soll. Auch daß der Vierzehnjährige mit eigenen Variationen über ein Volkslied debutiert habe, wie La Mara2 und nach ihr Deiters3 und Heuberger4 schreiben, gehört nicht zu den urkundlich überlieferten Tatsachen. Wir erinnern daran, daß Johannes schon als Wunderkind einmal in einem Privatkonzerte Aufsehen erregt halte, daß aber auf Anstiften Cossels die materielle Ausnützung des noch nicht völlig entwickelten Talentes unterblieben war. Marxsen, der den Klaviereleven 1847, den Kompositionsschüler erst 1848 lossprach, hätte das vorzeitige Heraustreten seines Zöglings kaum gebilligt und ganz gewiß zu verhindern gewußt.

Am 20. November 1847 gab C. Birgfeld, der verwachsene Violinist der Theaterkapelle, eine damals stadtbekannte Hamburger Persönlichkeit, im Apollosaal auf der Drehbahn ein Konzert. Programm und Auswahl der Mitwirkenden lassen erkennen, daß es sich hier weniger darum handelte, den künstlerischen Ehrgeiz als dringendere materielle Wünsche des Konzertgebers zu befriedigen. Es war ein Benefizkonzert. Birgfeld selbst blieb bescheiden im Hintergrund; er beteiligte sich nur an einem »Fragment aus dem Septett von Konradin Kreutzer«. Zwei Nummern wurden von Orchesterkollegen Birgfelds bestritten, die eine Introduktion und ein Adagio für Blechinstrumente bliesen. In die andern teilten sich mehrere Sänger vom Theater mit Liedervorträgen. Als Hauptanziehungskraft figurierte die Tochter eines Bankiers, eine verschämte Gesangsliebhaberin, die, obwohl sie es, Gott sei Dank, nicht nötig hatte, zwei Lieder von Kücken, und mit Frl. Michalesi, der nachmaligen Gattin des Theaterkapellmeisters Krebs, ein italienisches Duett sang. In diesem nichts weniger als klassischen Konzert wirkte auch Johannes Brahms mit, und die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß dies sein erstes öffentliches Auftreten war. Er spielte an sechster Stelle des elfgliedrigen Programmes Thalbergs Norma-Phantasie, und der »Freischütz«, ein vielgelesenes Lokalblatt, raffte sich eine Woche später, am 27. November, zu dem vom Hörensagen übermittelten Referat auf: »Ganz besonders wird der Vortrag einer Phantasie fürs Piano von Thalberg durch einen kleinen Virtuosen, namens J. Brahms, gerühmt, der nicht allein schöne Fertigkeit, Präzision, Reinheit, Kraft und Sicherheit gezeigt, sondern auch, was das Geistige, die Auffassung, anbelangt, allgemein überrascht und ungeteilten Beifall sich erworben hat.« An demselben Tage, an dem der »Freischütz« den Ruhm des Virtuosen verkündigte, erntete dieser neue Lorbeeren ein, und zwar in einer von Therese Meyer, geb. David, im kleinen Saale der Tonhalle veranstalteten Soirée musicale. Er spielte wiederum Thalberg: ein Duo für zwei Pianos, mit der Konzertgeberin, und der »Freischütz« berichtet: »Dieses Duo, von der Konzertgeberin und dem erst neulich mit so entschiedenem Glücke öffentlich aufgetretenen jungen Pianisten Bruns (sic!) ausgeführt, effektuierte (!) erwünscht und wurde mit rühmenswerter Übereinstimmung und Fertigkeit ausgeführt.« Die »Hamburger Nachrichten«, die auch von dem Konzert Kenntnis nehmen, nennen den jungen Pianisten Broms. Wie aus diesen Schreib-und Druckfehlern hervorgeht, war der Name Brahms damals noch so gut wie unbekannt. Vater Brahms aber mochte glauben, daß sein Sohn nun hinreichend eingeführt sei, um zu Beginn der nächsten Saison (1848) ein eigenes Konzert wagen zu dürfen. Nach herkömmlicher Sitte erschien am Tage vor der Aufführung in den »Nachrichten« das genaue Programm. Es lautet wörtlich, wie folgt:

 

»Programm von dem Concerte am Donnerstage, den 21sten Sept. (Abends 7 Uhr) im Saale des Hrn. Honnef (alter Rabe) vor dem Dammthore gegeben von J. Brahms.

 

Erster Theil.

 

1. Adagio und Rondo aus dem A-dur-Concerte für Piano, von Rosenhain, vorgetragen vom Konzertgeber.

2. Duett aus Mozarts ›Figaro‹, gesungen von Mad. und Fräul. Cornet.

3. Variationen für die Violine, von Artôt, vorgetragen von Hrn. Risch.

4. ›Das Schwabenmädchen,‹ Lied, gesungen von Mad. Cornet.

5. Phantasie über Motive aus Rossinis ›Tell‹, für Piano, von Döhler, vorgetragen vom Concertgeber.

 

Zweiter Theil.

 

6. Introduktion und Variationen f.d. Clarinette, von Herzog, vorgetr. von Hrn. Glade.

7. Arie aus Mozarts ›Figaro‹, gesungen von Frl. Cornet.

8. Phantasie für Violoncello, compon. und vorgetragen vom Hrn. d'Arien.

9. a) ›Der Tanz,‹ Lieder, gesungen von Mad. Cornet.

b) ›Der Fischer auf dem Meer,‹ Lieder, gesungen von Mad. Cornet.

10. a) Fuge von Sebastian Bach,

b) Serenade, f.d. linke Hand allein, von E. Marxsen,

c) Etude von Herz, vorgetr. vom Concertgeber.

Eintrittskarten à 1 Mk. sind bei Hrn. Honnef zu haben.«5

 

Dieses Programm kennzeichnet in mehr als einer Hinsicht den jungen Brahms und seine damaligen Verhältnisse. Offenbar hat es der fünfzehnjährige Konzertgeber selbst für den Druck aufgesetzt. Sebastian Bach, der einzige voll ausgeschriebene Komponistenname, ist ein Programm im Programm, ein »in hoc signo« auf der Fahne des begeisterten Jüngers. Ein Bachsches Klavierwerk auf dem Konzertzettel eines Virtuosen war damals ein seltener Vogel. Johannes aber hatte sich den Meister aller Meister bereits zum Vorbild erwählt und sah es für eine Ehrensache an, zu bekennen, daß er seinen heiligen Sebastian als Schutzpatron in Virtuosennöten anzurufen pflege. Zuvörderst freilich kam es darauf an zu zeigen, was er bei seinen Hamburger Lehrern gelernt hatte Darum spielte er das Neueste, Schwerste und Eleganteste vom Tage: zwei Sätze aus einem glatten Rosenhainschen Klavierkonzert, die rauschende Döhlersche »Tell«-Phantasie, das unvermeidliche Bravourstück für die linke Hand von der Komposition Marxsens und die schon in seinem Privatkonzert von 1843 erprobte, mit Schwierigkeiten gepfefferte Etude von Herz. Zur Mitwirkung waren von Marxsen und Vater Brahms geeignete Hilfskräfte herangezogen worden. Die mit Marxsen liierte Frau Franziska Cornet (1802 in Kiel geboren) nahm in Hamburg als vortreffliche Sängerin und gesuchte Gesanglehrerin eine geachtete Stellung ein. Durch ihre zahlreichen Schüler und Schülerinnen, deren sie mehrere für die Oper vorbereitete, hing sie mit den verschiedensten Gesellschaftskreisen zusammen; ihre Zusage war so gut wie bares Geld, denn ihre Bekannten, die im Konzert zu erscheinen sich verpflichtet sahen, füllten den halben Saal. Da sie ihre Eleven auch Chor singen ließ und namentlich auf die vollkommene Ausbildung eines mehrfach besetzten Quartetts von Frauenstimmen große Sorgfalt verwendete, so liegt der Schluß nahe, daß es ihr Cötus war, der in Brahms den Sinn für den eigentümlichen Reiz eines wohlklingenden Frauenchors weckte. Zehn Jahre später sollte er in seiner Vaterstadt Gelegenheit finden, selbst für einen solchen Chor zu sorgen und zu schaffen. Zu den von Frau Cornet geübten Quartetten von Schäffer und Kücken brachten Frauenchöre, die Marxsen und Litolff für die Cornetschen Damen komponierten, willkommene Abwechslung. Daß Frau Cornet außer den Marxschen Liedern »Der Tanz« und »Der Fischer auf dem Meere« zwei Nummern aus »Figaros Hochzeit« in das Programm rückte, geschah wohl auf besonderes Bitten des Konzertgebers. Mozarts Musik, die er schon von der Bühne, noch besser aber aus der von Marxsen entliehenen Partitur kannte, hatte einen so tiefen und begeisternden Eindruck auf den Knaben gemacht, daß sie zeitweilig sogar seiner Bach-Schwärmerei Abbruch tat.6 Sie übertrug sich von Johannes auf dessen Vater, der fortan mit seinen Kollegen vom Alsterpavillon regelmäßig Mozartsche Kammermusik »zum Privatvergnügen« studierte.

So wurde Johannes, wie er später der Lehrer seines Lehrers wurde, auch der Erzieher seines Vaters. Risch, Glade und d'Arien, die bei dem Konzert mithalfen, waren musikalische Freunde des Hauses Brahms, Glade ein tüchtiger Klarinettist, Risch ein ebensolcher Geiger, d'Arien ein in den renommierten Schulen von Kummer in Dresden und Prell in Hamburg unterrichteter Violoncellspieler, der seit 1843 mit Otto von Königslöw in das Hafnersche Quartett eingetreten war. d'Arien gehörte zu den allgemein beliebten Künstlern, die alljährlich auf ihr einträgliches Benefiz rechnen durften.

Unter so günstigen künstlerischen Aspekten aber auch das Konzert des jungen Brahms vor sich ging – es blieb doch ein Streich ins Wasser. Die Welt hatte anderes zu tun, als sich mit einem neuen Klavierspieler zu beschäftigen. Der Waffenstillstand von Malmöe zwischen Dänemark und den deutschen Bundestruppen war gerade abgeschlossen worden. In Kiel tagte die Schleswig-Holsteinsche konstituierende Landesversammlung, während von Stunde zu Stunde beunruhigendere Nachrichten aus Frankfurt einliefen von Stürmen, die das Parlament durchtobten und den Aufruhr in die Stadt weiter trugen. Gerade am Konzerttage wurden Straßenkämpfe von dort gemeldet. Das Parlament hatte den Antrag, den Waffenstillstand zu annullieren und die Feindseligkeiten gegen Dänemark wieder zu eröffnen, mit einer sehr geringen Majorität abgelehnt, und die Preußen rückten in...

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