Mainz – Straßburg – Mainz
Das 15. Jahrhundert ist eine Zeit wirtschaftlicher und geistiger Öffnung und gleichzeitig politischer und kirchenpolitischer Stagnation. Dem Kaiser standen die Reichsstände gegenüber, von denen wiederum die Kurfürsten besonders herausgehoben waren. Auf den unregelmäßig einberufenen Reichstagen zeigte sich die Abhängigkeit des Kaisers von den Fürsten etwa in den Hussiten- oder in den späteren Türkenkriegen. Die Territorialherren gewannen immer mehr Macht, auch die Städte nahmen häufig eine rechtliche Sonderstellung ein.
Die Stadt Mainz hatte zu Beginn des 15. Jahrhunderts etwa 6000 Einwohner, die sich in dieser schwierigen Umbruchsituation eine neue Ratsverfassung gaben, die gegenüber den alten Patriziergeschlechtern nun das Informations- und Mitbestimmungsrecht der Zünfte stärker gewichtete. In der Auseinandersetzung zwischen Patriziat und Zünften mußten die Angehörigen der patrizischen Familien mehrfach die Stadt verlassen, verließen sie zum Teil auch selbst aus Protest. In den vierziger Jahren entwickelte sich die finanzielle Lage der Stadt so katastrophal, daß sie sich bei den umliegenden Städten, vor allen Dingen bei Frankfurt, hoch verschulden mußte. 1456 war die Stadt faktisch zahlungsunfähig und quasi ein Pfand von Frankfurt.3 In dieser Zeit konnte sich Mainz aber immer noch als Freie Stadt fühlen; nach der Stiftsfehde von 1462 wurde sie jedoch eine bischöfliche, kurfürstliche Stadt. Die wirtschaftliche Lage führte um 1450 zu einer Rezession und einem deutlichen Bevölkerungsrückgang. Aus diesem Grund wurden die Zuwanderung begrüßt und Neubürger für zehn Jahre von allen Steuern und Abgaben befreit. In Handwerk und Handel waren Holzhandel und Holzverarbeitung, Schiffstransport, Weinbau und Ackerbau, aber auch Tuchweberei, Eisen- und Buntmetallverarbeitung sowie die Goldschmiedekunst vertreten.
Älteste Stadtansicht von Mainz in Johann Stöffler: Der römische Kalender, gedruckt 1518 von Jakob Köbel in Oppenheim (seitenverkehrte Wiedergabe). Im Vordergrund das Fischtor, dahinter der Dom St. Martin und die Anfänge des Jakobsberges mit Resten der alten Stadtmauer
Ein sicheres Geburtsdatum Gutenbergs ist nicht überliefert. Da ihn ein Dokument aus dem Jahre 1420 bei einer Erbauseinandersetzung volljährig zeigt, wurden mit unterschiedlichen Argumenten die Jahre zwischen 1393 und 1404 als Geburtszeitraum errechnet. Mit internationaler Zustimmung wurde 1900 die Jahrhundertwende als symbolisches Geburtsjahr akzeptiert.4 Zu Gutenbergs Zeit war es nicht unüblich, den Patron des Geburtstages als Namensgeber zu nehmen, daher wird immer wieder der 24. Juni als Geburtstag genannt. Dafür spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, auch wenn der Name Johannes (auch Johann oder in Mainz Henchen, Hengin oder Henne) so beliebt und weit verbreitet war, daß eine Namenstagsbindung nicht unbedingt anzunehmen ist. Sein Vater, Friedrich (mainzerisch: Friele) Gensfleisch zur Laden, etwa 1350 geboren und seit 1372 Mainzer Bürger, war seit 1386 in zweiter Ehe mit Else Wirich verheiratet. Als Mainzer Patrizier war er – vermutlich im Tuchgeschäft – kaufmännisch tätig, er gehörte der Münzerhausgenossenschaft an und war zeitweise Rechenmeister der Stadt. Den Beinamen «zum Gutenberg» führte der Vater nicht, dieser Namenszusatz wurde von den Familienmitgliedern erst seit den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts verwendet. Seit dem frühen 14. Jahrhundert gehörte der Familie der Hof zum Gutenberg, der an der Ecke der Schustergasse und der Christophstraße lag, heute aber nicht mehr existiert. Das gotische Gebäude mit zwei Stockwerken bot Platz für mehrere Familien und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch für die Setzer- und Druckerwerkstatt.
Über die Jugendjahre Gutenbergs wissen wir nichts; zumeist werden im Hinblick auf seine guten Lateinkenntnisse und sein technisches wie kaufmännisches Geschick eine standesgemäße Ausbildung in einer Klosterschule und ein Universitätsstudium angenommen. Er könnte das Stift St. Viktor im Süden der Stadt, nahe Weisenau, besucht und dort Latein und die Anfangsgründe der Wissenschaft gelernt haben. Da er noch im hohen Alter nachweislich der St.-Viktor-Bruderschaft angehörte, könnte man darin einen Hinweis auf seinen Schulbesuch sehen. Schon sehr jung mußte Henchen Gutenberg wohl mit seinem Vater und den Geschwistern Mainz verlassen, da sich im August 1411 wieder einmal die Auseinandersetzung zwischen den Patriziern und den Zünften zuspitzte; sie führte zu einem Auszug von 117 Patriziern aus Mainz, die auf diese Weise ihre Privilegien der Steuer- und Zollfreiheit sichern wollten. Mit großer Wahrscheinlichkeit zog man kurzfristig nach Eltville, wo man aus mütterlichem Erbe ein Haus an der Ringmauer (in der Burghofstraße) besaß. Bereits 1413 mußte der Vater erneut nach Hungerkrawallen für kurze Zeit Mainz verlassen und wird wiederum von den Familienangehörigen begleitet worden sein. Eine gute Schulausbildung war aber auch in Eltville gewährleistet, Grammatik und Rhetorik nach dem Lehrbuch des Aelius Donatus und die Lektüre lateinischer Schriftsteller wurden in der «Gemeinschul» der Peterskirche gelehrt.
Aus den ersten drei Lebensjahrzehnten von Johannes Gutenberg haben sich nur drei Dokumente erhalten. Im Sommersemester 1418 und im Wintersemester 1418/19 wurde ein «Johannes de Alta villa» an der zur Erzdiözese Mainz gehörenden Universität Erfurt immatrikuliert.5 Es war üblich, seinem Vornamen den Herkunftsort beizufügen, und da einige Vorfahren und nahe Verwandte Besitz in Eltville hatten und die Mainzer Familie Gensfleisch durch die Auseinandersetzung mit den Zünften mehrfach Mainz verlassen mußte, ist eine solche Namensbezeichnung durchaus denkbar. Übrigens finden wir in diesem Matrikelbuch weitere Weggefährten Gutenbergs, 1421 wurde Konrad Humery immatrikuliert, ein späterer Mainzer Geschäftspartner Gutenbergs; 1444 und 1448 finden wir dort «Petrus Ginsheym»: Gutenbergs Geselle und Nachfolger Peter Schöffer aus Gernsheim. «Johannes de Alta villa» ist im Wintersemester 1419/20 in Erfurt zum Baccalaureus promoviert worden. Im Lehrplan der sogenannten Artisten-Fakultät, an der die sieben freien Künste (artes liberales), nämlich Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Astronomie, Mathematik, Arithmetik und Musik gelehrt wurden, war dieses erste Examen nach drei Semestern möglich. Es führte in die lateinische Grammatik und Sprache, in die griechische und lateinische Philosophie und – modern gesprochen – Naturwissenschaften ein.
Ausschnitt aus der Matrikel der Universität Erfurt vom Wintersemester 1418/19 mit dem Eintrag «Johannes de Alta villa». Der Namenszug befindet sich in der Zeile über der Initiale.
Im Herbst 1419 starb Gutenbergs Vater Friele Gensfleisch zur Laden.6 In der Folge finden wir die erste sichere Erwähnung von Henchen Gutenberg, der gemeinsam mit seinem Bruder Friele und seinem Schwager Clas Vitzthumb mit seiner Stiefschwester aus der ersten Ehe des Vaters, Patze Blashoff, um das väterliche Erbe streitet. Da Johannes Gutenberg in eigener Vollmacht auftritt, wird er um 1420 volljährig gewesen sein.
Wir wissen nicht, wo sich Gutenberg in den zwanziger Jahren aufgehalten hat, was er studiert oder gelernt hat. Nur einmal, 1427 oder 1428, wird er gemeinsam mit seinem Bruder Friele bei der Übertragung einer Leibrente dokumentarisch erfaßt.7 Am 16. Januar 1430 schloß seine Mutter, Else Wirich zu Gutenberg, mit der Stadt Mainz ein Abkommen8 über eine ihrem Sohn Johannes zustehende Leibrente von 13 Gulden. Da seine Mutter diese Geldangelegenheiten für ihn regelte, wird er sich kaum in der Stadt aufgehalten haben.
Einer «Rachtung», einem Sühnevertrag des Mainzer Erzbischofs Konrad III. zwischen den Geschlechtern und Zünften in Mainz aus dem Jahre 1430, entnehmen wir9, daß dem 1428 aus der Stadt vertriebenen Johannes Gutenberg jetzt die Rückkehr ohne jede Auflagen gestattet wurde. Diese Urkunde war unter...