II. Vom Kind zum Herrscher
Am 13. März 1741 wurde Thronfolger Joseph in der Hofburg in Wien geboren. Im Jahr seiner Geburt befand sich der Habsburger Staat in einer schwierigen politischen Situation. Der Einfall des preußischen Königs Friedrich II. in Schlesien hatte den Siebenjährigen Krieg und den Österreichischen Erbfolgekrieg bereits ausgelöst und die Lage der Monarchie durch den drohenden Kriegseintritt Frankreichs, Spaniens, Bayerns und Sachsens bedrohlich zugespitzt.
Maria Theresia sah in der Geburt ihres ältesten Sohnes die Erfüllung ihres Lebenszwecks. Nach drei Töchtern, von denen zwei verstorben waren, wurde mit Joseph endlich der ersehnte Thronerbe geboren. In einem Brief an ihre Freundin, Gräfin Edling, vom 12. März 1766 betonte die Kaiserin: «Heute vor fünfundzwanzig Jahren um zwei Uhr in der Nacht war der glücklichste Tag, den ich in meinem Leben gehabt, nach dem 12. Februar 1736 [dem Hochzeitstag]» (zit. nach Walter 1982, S. 216). Die großen Probleme zwischen Mutter und Sohn setzten erst mit Josephs Mitregentschaft ein.
Aus der großen Schar der 13 Geschwister ragte der Thronfolger von Beginn an als Privilegierter hervor. Nicht nur die besondere mütterliche Fürsorge Theresias, sondern auch seine Erziehung im Allgemeinen hatte Josephs zukünftige Herrscherrolle im Blick. Otto Christoph Graf von Podewils, der preußische Gesandte am Hofe in Wien, äußerte sich später sehr kritisch über die Erziehung des Knaben, den er als hochmütig, unnachgiebig und faul bezeichnete. Es gelänge nur mit Mühe, ihn zum Lernen zu bewegen und ihm die elementarsten Kenntnisse beizubringen. Derweil korrigiere die Erziehung, die er genieße, seine Fehler kaum. Obwohl die tatsächliche Ausbildung des jungen Josephs nicht so negativ verlief, wie der preußische Gesandte dies darstellte, entwickelte Joseph bereits in früher Kindheit Eigenschaften heraus, die mit seiner Privilegierung in Zusammenhang stehen und die er bis zu seinem Tode nicht mehr ablegen konnte: ein übersteigertes Selbstbewusstsein sowie mangelndes Feingefühl gegenüber seinen Mitmenschen.
Erziehung und Ausbildung
Erziehung und Ausbildung Josephs waren in erster Linie darauf gerichtet, den Erben der österreichischen Monarchie möglichst optimal auf seine künftigen Aufgaben als Herrscher vorzubereiten. Traditionen wurden dabei mit neueren rationalistischen Auffassungen in eine enge Verbindung gebracht. Zwar bildeten Religion und Glaube einen Schwerpunkt in der Erziehung, doch im Sinne des Leitbildes eines christlichen Herrschers wurde Joseph nicht erzogen. Während der Jesuit Anton Höller den Religionsunterricht gestaltete, bekam Joseph von seinen Betreuerinnen, den Gräfinnen Belrupt und Saurau, weitere Instruktionen für sein soziales Verhalten vermittelt: für den zwischenmenschlichen Umgang im Allgemeinen, für das richtige Verhalten gegenüber Untergebenen und für respektvolles Auftreten gegenüber seinen Eltern.
In den frühen Jahren von Josephs Ausbildung stand weniger die Wissensvermittlung im Vordergrund als die Erhaltung der Gesundheit und die Abhärtung des Körpers. So erhielt der Knabe Unterricht im Reiten und Fechten. Auch für Spiele, Jagd und Promenade war darüber hinaus genügend Zeit vorgesehen. Sein Ajo (Erzieher), Feldmarschall Graf Karl Batthyány, seit Dezember 1748 als verantwortlicher Koordinator der Erziehung des königlichen Kronprinzen tätig, sorgte für Josephs körperliche Ertüchtigung und förderte die Vorliebe des Knaben für das Militär. Zu den Reit- und Waffenübungen kamen noch Tanz und Theateraufführungen hinzu, an denen sich Joseph mit seinen Geschwistern aktiv beteiligte.
Besondere Begabung entwickelte Joseph beim Erlernen von Sprachen. Seine Französischkenntnisse etwa vertiefte er durch breite Lektüre der französischen Aufklärer, der klassischen französischen Dichter sowie der großen Dramatiker und Unterhaltungsautoren. Er übte sich durch Schreiben französischer Briefe zu den unterschiedlichsten Themen. Josephs Lateinunterricht bei Jesuitenpater Ignaz Weickhardt dagegen stand ganz im Zeichen seiner zukünftigen Herrscherrolle: Er hatte zum Ziel, besonders durch die Lektüre von Werken der goldenen Latinität sowie von Briefsammlungen des 16. Jahrhunderts, seinen Stil zu schulen. Später bevorzugte Joseph jedoch die klassischen Werke des 17. Jahrhunderts über die Kriegskunst der Antike. Neben der französischen und der lateinischen lernte Joseph auch die italienische Sprache, die lange am Wiener Hof dominierte und erst später von der französischen abgelöst wurde, genauso wie Ungarisch und Tschechisch. Im Rhetorikunterricht übte er die Ordnung und die Systematisierung seiner Gedanken sowie das würdevolle Vortragen seiner Überlegungen.
Neben dem Sprachunterricht spielten auch die naturwissenschaftlichen Fächer eine wichtige Rolle. Obwohl Naturgeschichte und Physik eher als Unterhaltung galten und nicht den Stellenwert von Lernfächern besaßen, lagen beide Disziplinen Joseph besonders am Herzen. Er konnte das neu eingerichtete Naturalienkabinett seines Vaters besichtigen, die Erklärung des Kustos Jean Baillou hören und an physikalischen Versuchen teilnehmen. In Mathematik, Arithmetik und Geometrie stellten sich bei ihm sehr rasch erfreuliche Fortschritte ein. Offenbar lagen ihm jene Fächer, die stärker die Logik ansprachen. Zusätzlich erhielt Joseph noch Unterricht in Festungsarchitektur bei Oberstleutnant im Geniekorps Johann B. Brequin.
Zu Josephs Lieblingsfächern gehörte auch der Geschichtsunterricht, wobei auch hier die künftigen Aufgaben des Herrschers als Zielsetzung der Geschichtsvermittlung im Vordergrund standen. Bestimmenden Einfluss auf die Persönlichkeitsformung Josephs nahm dabei der ehemalige geheime Staatssekretär Johann Christoph von Bartenstein und dessen funktionalistisches Geschichtsbild: Ein Herrscher vermöge aus der Geschichte Informationen und Erfahrungen zu gewinnen, die er sich in der Kürze seines Lebens sonst nicht aneignen könne. Der Geschichtsunterricht konzentrierte sich auf die Geschichte des Römischen Reiches, des europäischen Staatensystems und seiner politischen Verbindungen und auf die historische Entwicklung der Königreiche Ungarn und Böhmen in der neueren Zeit. Zusätzlich zu diesen Schwerpunkten stellte Bartenstein mit der Zustimmung des Kaisers Kompendien aus den besten Arbeiten zeitgenössischer Geschichtsschreiber, sowie aus öffentlichen Akten und den Urkundenbeständen des Hausarchivs zusammen, die er durch eigene Anmerkungen z.B. zu den Grundsätzen der Politik und des Völkerrechts, zu den Ursachen historischer Veränderungen und zu den Faktoren für Erfolg und Misserfolg europäischer Regenten ergänzte.
Josephs Unterricht umfasste auch Ethik, Philosophie und Recht. Natur- und Völkerrecht, Strafrecht sowie Deutsches Staats- und Lehnsrecht bildeten dabei die Schwerpunkte, während Kirchenrecht und bürgerliches Recht nur dann Berücksichtigung fanden, wenn sie für die Aufgaben des künftigen Herrschers von Bedeutung waren. Die Kompendien für die Rechtsfächer erarbeitete Christian August Beck, der als Professor am Theresianum und als Hofrat der Staatskanzlei tätig war. Er hielt zudem die entsprechenden Vorlesungen und wurde von Bartenstein beaufsichtigt, der auch hier für die richtige Zielsetzung der Ausbildung Josephs sorgte. Im Zentrum der Rechtsausbildung stand die rationalistische Naturrechtslehre, die dem Kronprinzen nach dem Lehrbuch von Samuel Pufendorf dargeboten wurde. Diese unterschied sich wesentlich von der traditionellen patriarchalischen Staatsauffassung, nach der die Staats- und Herrschergewalt aus der Idee einer göttlichen Weltregierung abgeleitet wurde. Joseph sollte über die Pflichten des Herrschers gegenüber dem Volk genauso unterrichtet werden, wie über die Stärken und Schwächen der verschiedenen Regierungsformen. Beck belehrte den Thronfolger darüber hinaus über die Grundsätze des aufgeklärten Strafrechts und über die Verhältnismäßigkeit von Verbrechen und Strafe. Der Unterricht des Kirchenrechts orientierte sich an Arbeiten Zegers van Espen und zeigte die enge Verflechtung von Papst, Kaiser und Reichsfürsten bei der Ausübung von kirchlichen Rechten auf. Aus diesem Unterricht übernahm Joseph später seine kritische Stellung zur Folter als Mittel der Wahrheitsfindung im Strafprozess und die Idee der religiösen Toleranz.
Der Kronprinzenunterricht, der vom 19. Lebensjahr Josephs bis zu seiner Hochzeit mit der Infantin Isabella von Parma 1760 reichte, enthielt auch die Einführung in die innere Verfassung der Habsburgermonarchie. Beck, wohl sein fähigster Lehrer, hatte auch diese Aufgabe übernommen. Seine Vorlesungen über die innere Verfassung der einzelnen Länder der Habsburgermonarchie waren umfassend: Sie informierten über Politik und Verwaltung, Stände, Finanzen, die Stellung der Kirche im Staat, Wirtschaft, Kultur sowie über das Erziehungs- und Bildungswesen und hatten zum Ziel, den künftigen Kaiser in die Regierungs- und Verwaltungsprobleme des Staates einzuführen. Darüber hinaus erhielt der Kronprinz die Möglichkeit, den Sitzungen der obersten kollegial...