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Die Piasten

Polen im Mittelalter

AutorEduard Mühle
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2011
ReiheBeck'sche Reihe 2709
Seitenanzahl130 Seiten
ISBN9783406612299
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Zum Jahr 963 tritt in einer sächsischen Quelle mit Mieszko I. der erste historisch bezeugte polnische Herrscher ins Licht der Geschichte. Bis zum Tod Kasimirs des Großen im Jahr 1370 haben er und seine Nachkommen, die Herrscherdynastie der Piasten, mehr als vier Jahrhunderte lang die Geschicke der polnischen Länder bestimmt. Wie ist es ihnen gelungen, ihre großräumige Herrschaft aufzurichten, diese gegenüber inneren und äußeren Konkurrenten durchzusetzen, zu festigen und zu erweitern? Dieser Band zeigt, wie sie ihrem Reich ?internationale? Anerkennung verschafft und es im Innern so gestaltet und organisiert haben, dass es nicht nur als ein integraler Bestandteil der christlich-europäischen Welt angesehen wurde, sondern überdies das gesamte Mittelalter hindurch als ein politischer, kultureller und wirtschaftlicher Faktor gegolten hat.

<b>Eduard Mühle</b> ist Professor für Geschichte Ostmittel- und Osteuropas an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

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Leseprobe

III. Monarchische Herrschaft
im 12. Jahrhundert


1. Herrscher und Herzogtum


In der Forschung ist umstritten, ob die Herrschaft zwischen Zbigniew und Bolesław III. im Sinne eines gleichberechtigten oder eines hierarchisch abgestuften Verhältnisses geteilt wurde, ob beide bis 1107/1108 über zwei völlig unabhängige, gleichrangige regna herrschten oder mit einem der Teilgebiete eine Oberherrschaft über das andere verbunden war. Diese Frage rührt an ein für das Funktionieren mittelalterlicher Herrschaft entscheidendes Problem, mit dem sich nicht nur die Piasten konfrontiert sahen: die Erb- bzw. Thronfolge. Wer hatte innerhalb der Dynastie, deren allgemeiner Herrschaftsanspruch über das regnum Poloniae von niemandem mehr in Frage gestellt wurde, Anrecht auf Herrschaft? Die verfügbaren Quellen geben für die Zeit bis ins 12. Jahrhundert hinein auf diese Frage keine eindeutige Antwort. Das mag nicht nur an ihrer Dürftigkeit liegen. Vielmehr scheint die Frage auch in der Realität noch längere Zeit ungeregelt geblieben zu sein.

Ob die Herrschaft nach dem Tod eines Herzogs bzw. Königs an alle seine Söhne oder nur an alle aus einer rechtmäßigen Ehe stammenden Söhne, ob nur an den ältesten Sohn oder nur an den fähigsten Sohn überging, war seit Mieszkos I. Tod jedes Mal durch die Macht des Faktischen und nicht durch eine bestehende, formal klare und dementsprechend einvernehmlich befolgte Nachfolgeregelung entschieden worden. Dass Bolesław I., Mieszko II. und Bolesław III. jeweils erst nach gewaltsamer Verdrängung ihrer (Stief-)Brüder Alleinherrschaften durchgesetzt haben, Bolesław II. bis zu seiner eigenen Thronenthebung seinem jüngeren Bruder Władysław Herman in Masowien offenbar eine begrenzte Teilherrschaft überlassen hat (während Kasimir I. bruderlos des Problems gänzlich enthoben war), deutet allerdings daraufhin, dass auch das piastische regnum – wie andere Herrschaften im östlichen Europa – als ein patrimonium betrachtet wurde, an dem prinzipiell alle männlichen Mitglieder der Dynastie als domini naturales Anteil hatten. Beim Tod des ältesten, herrschenden Mitglieds der Dynastie ging dieses Vatererbe als quasi privates Eigentum im Prinzip an alle lebenden männlichen Mitglieder der Dynastie über. Ob und inwieweit die Piasten angesichts der in einer solchen gemeinschaftlichen Erbfolge angelegten innerdynastischen Konflikte bereits im 11. Jahrhundert versucht haben, für die Herrschaftsnachfolge gewisse Regeln aufzustellen, ist nicht erkennbar. Allerdings hat sich bei ihnen anders als bei den böhmischen Přemysliden und den Kiever Rjurikiden das Problem tatsächlich erst seit den 1130er Jahren verschärft gestellt. Denn weder Kasimir I. noch Bolesław II. oder Władysław Herman waren mit Thronfolgekonflikten konfrontiert. Erst beim Tod Władysławs trat 1102 nach über einem Dreivierteljahrhundert wieder eine ähnliche Situation wie 1025 beim Tod Bolesławs des Tapferen ein.

Zu Beginn des 12. Jahrhunderts verständigten sich Bolesław III. und Zbigniew dank Vermittlung des Gnesener Erzbischofs zunächst auf eine Kohabitation, die der Jüngere jedoch schon wenig später (1107/1008) durch die Vertreibung des Älteren gewaltsam beendete. Um 1112/13 gestattete er dem Verbannten zwar die Rückkehr, ließ ihn aber kurz darauf (sei es nach einem vorgefassten Plan, sei es in spontaner Reaktion auf einen vermeintlichen Verrat) blenden. Dieser Konflikt, der mit dem baldigen (in den Augen der Zeitgenossen durch eine Bußfahrt Bolesławs nur unzureichend gesühnten) Tod Zbigniews endete, musste mit Blick auf die eigene Nachkommenschaft sowohl beim Herzog selbst als auch bei den Großen des Landes den Regelungsdruck hinsichtlich der künftigen Thronfolge deutlich erhöhen. Die Quellen berichten daher sicher nicht zufällig für die Ausgangszeit der über dreißigjährigen Alleinherrschaft Bolesławs III., des «Schiefmundes», von einer ersten piastischen Thronfolgeregelung.

Anders als es Vincentius Kadłubek in seiner gegen Ende des 12. Jahrhunderts verfassten Chronica Polonorum darstellt und das seiner Erzählung folgende Bild von einem «Testament Bolesławs» suggeriert, ist diese Erbfolgeregelung nicht als ein auf dem Sterbebett des Herzogs ausgesprochener ‹letzter Wille› anzusehen. Vielmehr ist sie (wie die Magdeburger Annalen und Otto von Freising bezeugen) das Ergebnis eines öffentlichen Aushandlungsprozesses, bei dem weltliche und geistliche Große gemeinsam mit dem Herzog rechtzeitig nach einer Lösung für ein Problem gesucht haben, das angesichts von fünf zwischen 1105 und 1138 geborenen Herzogssöhnen absehbar war. Es galt, die anstehende Herrschaftsnachfolge auf eine Weise zu regeln, die Konflikte und Reibungen vermied. Die gefundene Lösung, die so genannte «Senioratsordnung», zu der um die Mitte des 11. Jahrhunderts bereits die Přemysliden und Rjurikiden gegriffen hatten, knüpfte an das archaische Prinzip der Vorherrschaft des Alters an, verband dieses für Großfamilien typische Gewohnheitsrecht aber mit einem neuen Element, nämlich einer verbindlichen Definition des Verhältnisses zwischen «Senior» und «Junioren».

Dem Senior der Dynastie (de toto genere maior) sollte jeweils die großfürstliche Oberherrschaft (principatus) zufallen. Diese war territorial an das ostgroßpolnische und kleinpolnische Kerngebiet mit den Hauptorten Gnesen und Krakau und damit an die in materieller wie in ideellsymbolischer Hinsicht bedeutsamsten Landesteile gebunden. Funktional umfasste das Prinzipat die Sorge um die politische Einheit des regnum und die Wahrnehmung der damit verbundenen zentralen Aufgaben (die oberste Rechtsprechung, Kriegführung, Pflege der friedlichen Außenbeziehungen, die Investitur der (Erz-)Bischöfe und Einsetzung der wichtigsten weltlichen Amtsträger). Die Junioren wurden zwar der Oberherrschaft des Seniors, dem alleinigen Monarchen, unterstellt, doch erhielten sie, sobald sie volljährig waren, in Gestalt klar umrissener, eigener Teilgebiete zugleich eine verlässliche politische und materielle Teilhabe an der Herrschaft. Darüber hinaus wurde ihnen die verbindliche Perspektive eröffnet, beim Tode des Seniors in einem geregelten Verfahren, nämlich gemäß der Reihenfolge ihres Alters, eines Tages selber in die großfürstliche Oberherrschaft aufzurücken.

Auf diese Weise sollte sicher gestellt werden, dass das regnum beim Tod des Herrschers nicht mehr wie bisher entweder willkürlich als Ganzes einem vom Vorgänger designierten Nachfolger übertragen oder unter alle nach traditionellem Erbrecht legitime Anwärter aufgeteilt wurde – wobei die anschließende Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der politischen Einheit in beiden Fällen jedes Mal der Macht des Stärkeren überlassen blieb. Vielmehr sollten die widerstreitenden Interessen fortan so ausgeglichen werden, dass die Erbfolge weder die Idee des gemeinschaftlichen patrimonium in Frage stellte, noch die vom Senior aufrechtzuerhaltende politische Einheit des Reiches gefährdete.

Tatsächlich hat die mit dem Tod Bolesław Schiefmunds 1138 in Kraft getretene Senioratsordnung in diesem Sinne eine gute Weile funktioniert. Zwar kam es schon in den 1140er Jahren zu erneuten innerdynastischen Auseinandersetzungen, zu Kompetenz- und Territorialkonflikten, doch wurde damit das Prinzip des Seniorats zunächst nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Funktion und Stellung des Seniors – mochte dieser wie im Fall Władysławs II., des ersten Nachfolgers Bolesławs III., auch von oppositionellen Kräften vertrieben werden – blieben strukturell unangefochten. So trat 1146 an Stelle des an den Kaiserhof geflohenen Władysław (des «Vertriebenen») der zweitälteste Bolesław-Sohn, Bolesław IV. Kraushaar, in das Seniorat ein, während seine jüngeren Brüder – Mieszko III. der Alte, Heinrich und Kasimir II. der Gerechte – die ihnen übertragenen Provinzen auch weiterhin unter der Kontrolle ihres ältesten Bruders als nichterbliche Unter-Herzogtümer bzw. Versorgungsgebiete verwalteten. Daran änderte sich auch nichts, als 1173 beim Tod Bolesławs IV. das Seniorat an Mieszko III. überging. Von den fünf Söhnen Bolesławs III. lebte zu diesem Zeitpunkt neben dem neuen Senior nur noch einer. Es war dieser jüngste Sohn, Kasimir II., der die bestehende Nachfolgeordnung erstmals nachhaltig in Frage stellte.

Abb. 4: Fragment einer Gipsplatte aus Wiślica, 2. Hälfte 12. Jahrhundert
mit einer Darstellung Kasimirs II. des Gerechten mit seiner Ehefrau
und seinem früh (1182) verstorbenen Sohn Bolesław, wohl aus der Zeit
seiner Herrschaft in Wiślica (1163?–1177)

Der seit 1166/67 mit den Gebieten von Wiślica und Sandomierz versorgte Junior eroberte 1177, ermuntert und unterstützt von kleinpolnischen, von der Herrschaft des Seniors enttäuschten Großen, Krakau und entriss dem älteren Bruder den...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Zum Buch2
Über den Autor2
Titel3
Impressum4
Inhalt5
I. Die Piasten als «Erinnerungsort» und Forschungsgegenstand7
II. Frühe Herzogs- und Königsmacht im 10. und 11. Jahrhundert10
1. Ursprünge und Anfänge10
2. Christianisierung und Reichsgründung18
3. Krise und Wiederherstellung29
III. Monarchische Herrschaft im 12. Jahrhundert37
1. Herrscher und Herzogtum37
2. Amtsträger und Große48
3. Herzogliches Recht und Dienstorganisation55
IV. Herausforderungen des Wandels: Piastische Herrschaft im 13. Jahrhundert63
1. Teilfürstentümer und Herrschaftsverdichtung63
2. Emanzipation von Kirche und Adel73
3. Geldpolitik und Landesausbau80
V. Erneuerte Königsmacht im 14. Jahrhundert89
1. Wiederherstellung des Königtums89
2. Territoriale Konsolidierung und Wendung nach Osten97
3. Innere Modernisierung der königlichen Macht105
VI. Ausblick116
Die Herrschaftsabfolge der piastischen Monarchen118
Bildnachweis119
Literaturhinweise120
Personenregister124
Karten129

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