Vorwort
Schon wieder ein Buch über Krebs! Doch wer jetzt denkt, dies sei eine weitere Heil bringende Abhandlung über neue natürliche Wundermittel oder die Verschwörung der Pharmaindustrie, wird enttäuscht: Dieses Buch erhebt keinen Anspruch auf den allein selig machenden Weg, sondern propagiert das Vertrauen in sich selbst und in die eigene Intuition. Daher zeigt es unterschiedliche, bisweilen sogar konträre Sichtweisen auf, wie man dieser dramatischen Diagnose begegnen kann. Aus dem Blickwinkel von Patienten, Ärzten, Selbsthilfegruppen wird von medizinischen, aber auch ganz privaten Therapien berichtet, von Liebe und Verlust, Bewegungsdrang und Passivität, von Erfolgen und Rückschlägen, von Tränen der Trauer, aber auch der Freude.
Mona K., 20, Morbus Hodgkin (Tumor des Lymphsystems):
»Für mich als jungen Menschen war es besonders schwer, den Gedanken zu ertragen, so viel nicht mehr erleben zu können, so vieles zu verpassen.«
Allen Geschichten ist eines gemein: Sie erzählen vom unerschütterlichen Mut junger Frauen, die den individuellen Umgang mit ihrer Situation suchen und finden. Einen, der ihren persönlichen Lebensumständen gerecht wird, in denen die Redewendung »gerade erst« praktisch alles umfasst: gerade erst erwachsen, gerade erst verliebt oder gerade Mama geworden. Mit einem Durchsetzungswillen, der wahrscheinlich der jungen Generation vorbehalten ist, weigern sie sich, vor der Wucht des Satzes »Sie haben Krebs« zu kapitulieren.
Einiges vorweg
Im Fachjargon heißen sie »Adolescents and Young Adults« oder »AYA«: heranwachsende Jugendliche und junge Erwachsene, die mit einer Krebserkrankung zu kämpfen haben. Pro Jahr erhalten in Deutschland etwa 4500 Neuerkrankte im Alter zwischen 15 und 39 Jahren ihre Diagnose. Junge Erwachsene – eine Altersgruppe innerhalb der Erkrankten, die erst in den letzten Jahren so stark in den Fokus gerückt ist – erfordern durch ihre besondere Fragestellung eine eigenständige Betrachtung und Betreuung. Ihr gerade erst entwickeltes Selbstbild, aber auch ihre frisch erlangte Unabhängigkeit dem Elternhaus gegenüber werden über Bord geworfen, Fragen nach Sexualität, Partnerschaft und Kinderwunsch auf eine harte Probe gestellt. Berufswünsche scheinen unerfüllbar. Gerade erst geschmiedete Träume zerplatzen. Erstaunlich, wie kreativ und unerschrocken gerade junge Patienten ihre individuellen Lösungsansätze entwickeln, unabhängig von ihrer Diagnose.
Bianca B., 23, Ewing-Sarkom (Knochenkrebs):
»Junge Menschen gehen aktiver mit der Krankheit um, sie wollen kämpfen. Ältere Menschen lassen es aus meiner Sicht eher mit sich geschehen, ertragen es, oft sogar sehr gelassen. Wir Jüngeren haben andere Bewältigungsstrategien. Wir brauchen etwas, was uns powert und uns Kraft gibt.«
Leukämie (Blutkrebs), Melanom (Hautkrebs) und ab Mitte 20 zunehmend das Mammakarzinom (Brustkrebs), das sind die häufigsten Krebserkrankungen junger Frauen in Deutschland. Doch gleich, welcher Tumor ihr Leben von heute auf morgen komplett auf den Kopf stellt, die daraus resultierenden Fragen sind für alle Frauen ähnlich: Bin ich noch schön? Bleibt mein Partner bei mir? Finde ich überhaupt jemals einen Freund? Muss ich wirklich zurück ins Elternhaus ziehen? Wie kann ich meine Fruchtbarkeit erhalten? Und natürlich: Werde ich bald sterben? Zum nackten Kampf ums Überleben, der Anstrengung der Chemotherapien und Bestrahlungen kommt eine massive Körperbildveränderung, die tief greifende psychische und physische Auswirkungen hat. Haarlos, konturlos, krank erleben sich die Frauen. Oft müssen sie auf sich allein gestellt Strategien für ihren persönlichen Überlebenskampf entwickeln. Denn während für an Krebs erkrankte Kinder, aber auch für ältere Patientinnen eine Vielzahl bewährter Angebote besteht, fallen die jungen oft durchs Raster. Stylen, schminken, sexy sein – trotz Glatze und nach einer Brust-OP: für eine ältere Dame möglicherweise ein zu vernachlässigender Aspekt gegenüber der Frage der Überlebenschancen. Für junge Frauen dagegen ein zentrales Thema, ebenso wie die Fertilität, die sie durch die Therapien möglicherweise einbüßen. Die Bandbreite der Themen, die auf junge Erwachsene einstürzen, ist also eine andere als bei Kindern und auch bei älteren Patienten – und der Wunsch nach altersgemäßen Begleittherapien und adäquater Ansprache ist groß.
Das Buchprojekt »Jung. Schön. Krebs.«
»Nana–Recover your smile e. V.« basiert auf der Initiative der im Januar 2012 im Alter von 21 Jahren an den Folgen des Ewing-Sarkoms verstorbenen Nana. Sie selbst erlebte während ihrer Krankheit in Fotoshootings mit ihrer Mutter Barbara Stäcker und anderen Fotografen eine ungemeine Stärkung ihres Selbstbewusstseins, einen enormen Kraftzuwachs im Umgang mit dem Krebs. Dieses Erlebnis wollte Nana anderen Betroffenen zugänglich machen. Mit ihren tief beeindruckenden Bildern zeigte Nana, wie eine Frau in ihrer Verletzlichkeit auch ganz ohne Haare pure Schönheit ausstrahlen kann.
Durch die Arbeit unseres Vereins »Nana–Recover your smile e. V.«, dessen Zielsetzung es ist, von einer Krebserkrankung Betroffenen durch Schminkkurse und Fotoshootings Selbstbewusstsein und Stärke zu schenken, sie ihre Schönheit (wieder-)entdecken zu lassen, entstand die Idee, die dabei gesammelten Erfahrungen, Geschichten, aber auch Fragestellungen und Antworten in einem Buch zu bündeln. Bestärkt durch den großen Erfolg unseres ersten Buches »Nana ... der Tod trägt Pink« begannen wir mit der Arbeit am zweiten.
Die Frauen, mit denen wir dafür Interviews führten, haben die unterschiedlichsten Viten, Diagnosen und Prognosen, haben beispielsweise Brustkrebs, Sarkome, Leukämie oder ein Lymphom. Weil die Bandbreite der Krebserkrankungen enorm groß, deren Behandlungsmethoden komplex und die Fragestellungen der jeweiligen Situation sehr individuell sind, kann und will sich dieses Buch nicht als Ratgeber im klassischen Sinne verstehen. Trotzdem erleben wir durch die zahlreichen bewegten und bewegenden Reaktionen auf Nanas Geschichte, dass Menschen in einer kritischen Lebenssituation von den Erfahrungen anderer profitieren und daraus lernen können.
Warum nur »Patientinnen«?
Im Vorfeld dieses Buches führten wir viele Diskussionen, ob dies ein »reines Frauenbuch« werden oder ob wir auch junge Männer einbinden sollen. Viele der Themenfelder, die gerade junge Menschen beschäftigen, gelten schließlich für beide Geschlechter: Zukunftsängste, Partnerschaft, Berufswahl usw. Demzufolge wird einiges in diesem Buch sowohl Frauen als auch Männer ansprechen. Letztendlich haben aber unsere Geschichten einen weiblichen Fokus, denn die Initialzündung für das Buch war die Beschäftigung mit überwiegend femininen Aspekten in der Krebserkrankung durch unseren Verein »Nana–Recover your smile e. V.«. Da es sich bei »jung« um eine relative Angabe handelt, liegt der Schwerpunkt in diesem Buch auf »jungen Themen«. Dazu zählt Schönheit genauso wie Sexualität, die Rolle des Freundeskreises ebenso wie die der eigenen Kinder.
Die Tätigkeit des Vereins steht grundsätzlich auch Männern offen, und wir freuen uns, dass im Winter 2013 (und damit erst nach Fertigstellung des Buchmanuskripts) ein erster Kurs mit männlicher Beteiligung stattgefunden hat: In Form eines Workshops wurden die Teilnehmer an Grundlagen des Fotografierens und der Bildbearbeitung herangeführt und fotografierten sich dabei gegenseitig. Die Ergebnisse dieses Workshops und anderer Fotosessions sind auf www.recoveryoursmile.org zu sehen.
Katja K. an Barbara Stäcker zu »Nana ... der Tod trägt Pink«:
»Ich möchte Ihnen schreiben, wie wichtig Ihr Buch für mich gewesen ist. Ich hatte es zu Beginn meiner Chemotherapie geschenkt bekommen. Es stand immer auf meinem Nachttisch, und wenn Momente kamen, in denen ich nicht so tapfer war und keine Kraft zum Lesen hatte, habe ich mich einfach durch Nanas Fotos geblättert– das hat mir Mut gemacht. Ich habe mich später sogar getraut, mich fotografieren zu lassen. Es ist wunderbar, dass Nana auch nach ihrem Tod noch so viel bewirken kann!«
Die Models
Als wir im Mai 2013 einen Aufruf auf Facebook für die Teilnahme an diesem Buch starteten, überraschte uns die Vielzahl der Reaktionen. Natürlich lockte das angebotene professionelle Fotoshooting mit Sylwia Makris und Christian Martin Weiss in München; gleichzeitig war klar, dass die von Krebs Betroffenen etliches über sich und ihr Leben preisgeben müssten.
Schon beim Durchsehen der hierfür auszufüllenden Fragebogen zeichnete sich ab, dass wir mit unzähligen authentischen und ehrlichen Antworten rechnen konnten. Die Wahl der drei Frauen, die tatsächlich nach München reisen würden, war keine leichte Aufgabe. Schließlich fiel sie auf Verena, Bianca und Alex.
Verena, 19, strahlte uns auf ihren Fotos in Sport-Outfit und mit Stirnband auf der Glatze so fröhlich an. Vor ihrer Erkrankung sei sie sehr sportlich gewesen, was jetzt, nach der Operation ihres Beines aufgrund eines Osteosarkoms, nicht mehr möglich wäre. Sich schminken und fotografieren sei ihr sehr wichtig, schrieb sie. Dadurch fühle sie sich weiblich und selbstbewusster und nicht mehr so krank. Verena wurde zu der Zeit aufgrund ihres Alters in der Kinder- und...