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E-Book

Karl Barth

Ein Leben im Widerspruch

AutorChristiane Tietz
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl539 Seiten
ISBN9783406725241
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
«Ein grauenerregendes Schauspiel für alle nicht Schwindelfreien»: So beschrieb der bedeutendste Theologe des 20. Jahrhunderts seine Theologie. Christiane Tietz erzählt in dieser ersten deutschsprachigen Biographie seit Jahrzehnten Karl Barths faszinierendes Leben im Widerspruch - gegen den theologischen Mainstream, gegen den Nationalsozialismus und privat, unter einem Dach mit Ehefrau und Geliebter, im Widerspruch mit sich selbst. Während sich deutsche Dichter und Denker im Ersten Weltkrieg am Erlebnis von Gemeinschaft und Transzendenz berauschten, trat der Schweizer Theologe Karl Barth (1886 - 1968) allen Versuchen entgegen, in der Kultur oder den eigenen Gefühlen Göttliches zu finden. Gerade das machte ihn frei für höchst irdisches Engagement: Er galt als «roter Pfarrer», war federführend an der «Theologischen Erklärung von Barmen», dem Gründungsdokument der Bekennenden Kirche, beteiligt und protestierte gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Christiane Tietz geht überzeugend den Wechselwirkungen zwischen Barths persönlicher und politischer Biographie und seiner Theologie nach. Zahlreiche neu erschlossene Dokumente beleuchten weniger bekannte Seiten Barths, etwa seine langjährige «Notgemeinschaft zu dritt», die er mit seiner Frau und seiner Mitarbeiterin Charlotte von Kirschbaum führte. Das anschaulich geschriebene Buch lässt einen der eigensinnigsten Denker des letzten Jahrhunderts neu entdecken.

<p>Christiane Tietz ist Professorin für Systematische Theologie an der Universität Zürich, im Beirat der Karl-Barth-Stiftung Basel und in der Jury des Karl-Barth-Preises. Bei C.H.Beck erschien von ihr bereits «Dietrich Bonhoeffer. Theologe im Widerstand» (2013).</p>

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Leseprobe

2 |«Dunkler Drang nach besserem Verstehen»:1904–1909


Entschluss zum Theologiestudium


Der unmittelbare Anlass für Barths Entscheidung, Theologie zu studieren, war nach eigenem Bekunden sein Konfirmandenunterricht 1901/02 durch den Pfarrer der Berner Nydeggkirche, später des Berner Münsters, Robert Aeschbacher (1869–1910). Dieser war ein Schüler und Freund des Vaters und soll ein hervorragender Prediger gewesen sein. Barth zufolge war er, «dem Stil der Jahrhundertwende entsprechend, wohl reichlich apologetisch eingestellt, brachte mir aber das ganze religiöse Problem so nahe, daß ich mir beim Abschluß des Unterrichts klar war über die Notwendigkeit, weiteres über diese Sache in Erfahrung zu bringen. Aus diesem primitiven Grunde habe ich mich damals zum Studium der Theologie entschlossen. Ich wußte nicht, was ich damit auf mich nahm, und weiß nun, da ich diese Sphinx aus der Nähe kenne, nicht, ob ich heute den Mut zu diesem Schritt wieder finden würde.»[1]

Den Entschluss zu diesem Studium traf Barth noch am Abend seiner Konfirmation.[2] Aeschbacher hatte mit den jungen Konfirmanden richtiggehend Theologie getrieben. Barth lernte schon bei ihm die Gottesbeweise des Thomas von Aquin kennen und die Lehre von der Verbalinspiration der Heiligen Schrift. Gleichzeitig führte Aeschbacher ihnen vor, was an beidem fragwürdig war.[3] Er hatte Barth «so mit den Voraussetzungen und Problemen des christlichen Erkennens bekannt» gemacht, dass dieser sich «aufgerufen fand, ihnen weiter nachzugehen. In diesem dunklen Drang – weniger nach Verkündigung als nach besserem Verstehen! – ging ich an die Universität.»[4]

In mehreren Lebensrückblicken äußerte sich Karl Barth recht ausführlich über sein Studium und die von ihm dort empfangenen Eindrücke. Dabei strich er immer wieder deutlich heraus, wie gut er mit der historisch-kritischen Methode seiner Zeit vertraut gewesen sei und dass er, im Gegensatz zu seinem Vater, damals ganz der liberalen Theologie angehangen habe. Wahrscheinlich hat er hier stark überzeichnet.[5] Seine weitere Entwicklung beschrieb er später als eine schrittweise Abwendung von der im Studium gewonnenen Prägung.

Student in Bern


Das Theologiestudium begann Karl Barth im Herbst 1904 in Bern. Er blieb weiterhin bei seinen Eltern wohnen. Bei seinem Vater besuchte er die «Einführung in das Studium der Theologie» sowie mehrere neutestamentliche und kirchengeschichtliche Grundvorlesungen. Eine Einführung in das Neue Testament hörte er daneben auch bei Rudolf Steck (1842–1924), der die historisch-kritische Methode auf die Spitze trieb. Sogar den zentralen Paulusbriefen sprach er die Echtheit ab.[6] Barth fand seine «freundlich, aber etwas langweilig exakten Analysen» kaum interessant.[7]

Von Karl Marti (1855–1925), einem Schüler des Religionsgeschichtlers und Orientalisten Julius Wellhausen, wurde er in das Alte Testament eingeführt. Systematische Theologie studierte er bei dem liberalen Hermann Lüdemann (1842–1933), wie Steck ein Schüler des Tübinger Kirchen- und Dogmengeschichtlers und Neutestamentlers Ferdinand Christian Baur. Den Schlüssel der Religion sah Lüdemann so wie Schleiermacher im religiösen Bewusstsein des Christen. Die Leitthesen seiner Vorlesung begannen jeweils mit den Worten: «Kraft seines religiösen Bewußtseins weiß der Christ …»[8] In seinen ethischen und erkenntnistheoretischen Einsichten orientierte er sich an Immanuel Kant. Auch von Lüdemann sprang auf Barth kein Funke über.

Die Aufstellung der Dozenten Barths zeigt: An der Berner Theologischen Fakultät unterrichteten damals etliche Schüler herausragender Gelehrter der liberalen Theologie, die mit mutigen Thesen bisherige Überzeugungen umgestoßen haben. Nach Baur war das Johannes-Evangelium historisch viel weniger zuverlässig als die drei anderen Evangelien. Wellhausen hatte die Texte der fünf Bücher Mose historisch ganz neu verortet. Barth lernte nun bei ihren Schülern, dass man den biblischen Texten als Wissenschaftler historisch auf die Spur kommen müsse. Barth schrieb ihre Vorlesungen «fleißig» mit, wirklich begeistert hat ihn deren «gediegene, aber etwas trockene Weisheit» jedoch nicht.[9] Anders war es bei den Veranstaltungen seines Vaters, denen er, weil sein Vater anschaulich erzählen konnte, «mit unvergleichlich viel mehr Anteilnahme … folgte».[10] Insgesamt war Barth ein ordentlicher Student. Seine Vorlesungsmitschriften und seine Exzerpte biblischer Texte und theologischer Bücher ließ er sorgfältig binden und nummerierte sie mit «Exzerpta I» usw.

Bald gewann Barth Freude am eigenständigen theologischen Arbeiten. Im Sommer 1905 schrieb er aus den Ferien an seinen Vater, dass er auch jetzt theologische Literatur studiere. Er beschäftigte sich mit der sogenannten «synoptischen Frage», wie die Evangelien des Matthäus, Markus und Lukas voneinander abhängen, und berichtete darüber dem Vater: «Hinter der Theologie bin ich so hitzig, daß ich heute lebhaft über die synoptische Frage geträumt habe, die sich mir, ich weiß nicht wie, dramatisierte».[11] Von den Büchern, die er las, war allerdings ein philosophisches für ihn besonders fesselnd: Immanuel Kants Kritik der praktischen Vernunft war das «erste Buch, das mich als Student wirklich bewegt hat».[12]

Liest man Karl Barths erste erhaltene theologische Arbeit Der Charakter der Religion des alten Indiens, 1905 vermutlich im Kontext einer religionsgeschichtlichen Lehrveranstaltung entstanden, überrascht der Tonfall. Hier spricht kein zurückhaltender Student in den Anfangssemestern, sondern ein junger Mann aus einem Professorenhaushalt, der es offensichtlich gewohnt ist, sich und seiner Sicht der Dinge etwas zuzutrauen. Barth schlägt einen merkwürdig belehrenden, fast altklugen Ton an: «Doch greifen wir nicht vor!»[13] Recht schnell fällt er theologische Urteile. Und ungeniert rügt er die europäische Kirchenlandschaft: Barth würdigt, dass die Basler Missionsgesellschaft am indischen Kastensystem Kritik übt; sicherlich stoße sie damit in Indien nicht auf Zustimmung, aber «auch in Europa gäbe es mancherorts saure Gesichter, wenn nicht Schlimmeres, wollte man an die privilegierten Kirchenstühle des Adels und der Honoratioren rühren!»[14]

Einen aufschlussreichen Einblick in seine frühe Sicht auf die historisch-kritische Forschung gibt Barths Text Die Stigmata des Franz von Assisi, den er wohl für eine kirchengeschichtliche Lehrveranstaltung seines Vaters im Sommer 1905 erarbeitete. Franz von Assisi soll in den letzten Jahren seines Lebens Wundmale gehabt haben, die denen des gekreuzigten Jesus von Nazareth glichen. Erstaunlich ist, dass Barth sich diesem für einen Reformierten wenig naheliegenden Thema zuwandte. Er stellt zunächst klar, dass die moderne historische Kritik von den in der Kirche überlieferten Wundererzählungen 90 Prozent als unhistorisch abtun müsse, beklagt aber zugleich, dass die historische Forschung lange «ins entgegengesetzte Extrem verfiel und z. T. bis auf die Gegenwart allem ‹Wunderbaren› d.h. allem, was außerhalb unsrer gewöhnlichen Erscheinungswelt liegt, die historische Thatsächlichkeit» absprach. Doch inzwischen gehe man nicht mehr von «absoluten Naturgesetzen» aus.[15] Barth stimmt Hamlet zu: «Es giebt mehr Ding im Himmel und auf Erden,/Als eure Schulweisheit sich träumen läßt!»[16] Das historische Bewusstsein sei heute anders als noch im 19. Jahrhundert. Um seiner Position Nachdruck zu verleihen, zitiert Barth aus Adolf von Harnacks Vorlesung Das Wesen des Christentums (1899/1900): «Berichte deshalb als ganz unbrauchbar zu verwerfen, weil sie auch Wundererzählungen enthalten, entspricht einem Vorurteile».[17]

Barths Verweis auf Harnack, der in Berlin sein wichtigster Lehrer werden sollte, lässt aufmerken, weil sich in ihm eine Haltung zeigt, die weit entfernt von der liberalen Wunderkritik ist. Allerdings versteht Barth Harnack falsch. Als wäre es eine Reaktion auf Barths Zitation, bemerkte Harnack in späteren Vorlesungsabdrucken, seine Position zu den Wundern sei «so mißverstanden worden, als ließe ich durch eine Hintertür doch das Wunder zu».[18] Doch schon in der ursprünglichen Vorlesung hatte er festgehalten: «wir sind der unerschütterlichen Überzeugung, daß, was in Raum und Zeit geschieht, den allgemeinen Gesetzen der Bewegung...

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