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Keine Angst!

Was wir gegen Depressionen und Ängste tun können. Eine Klinikleiterin erzählt

AutorIris Hauth
VerlagBerlin Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783827079671
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Ein Montagmorgen in Weißensee. Der Alltag im Alexianer St. Joseph-Krankenhaus erwacht. Menschen mit ganz verschiedenen psychischen Erkrankungen finden hier Schutz, Hilfe, Therapie. Es stimmt: Depressionen und Angststörungen sind längst zu Volkskrankheiten geworden. Dennoch wollen wir von den Erkrankungen der Seele oft nichts wissen - manchmal nicht einmal von unserer eigenen Furcht und Traurigkeit. Psychisch krank, das ist der Attentäter, der Amokläufer oder der Mörder, dessen Taten wir im Sonntagskrimi mit lustvollem Schauder verfolgen. Und doch sind der Druck und die Angst, die in einer immer unübersichtlicheren Welt auf uns lasten, manchmal mehr, als wir bewältigen können. Iris Hauth erzählt aus ihrer langjährigen Erfahrung als Klinikleiterin und im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie und öffnet die für gewöhnlich verschlossene Welt eines psychiatrischen Krankenhauses. Ein persönliches, Mut machendes Buch, das zeigt, wie wir trotz dunkler Stunden Zuversicht finden.

Dr. med. Iris Hauth war nach dem Studium der Humanmedizin und einer Weiterbildung zur Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie sowie für Psychotherapeutische Medizin von 1989 bis 1994 in der Abteilung für Klinische Psychiatrie an der Universität Bochum tätig. Von 1994 bis 1996 war sie Abteilungsärztin am St. Alexius-Krankenhaus in Neuss, danach zwei Jahre Chefärztin im Landeskrankenhaus Teupitz / Brandenburg. Seit 1998 ist sie Chefärztin und seit 2008 auch Geschäftsführerin der Alexianer St. Joseph-Krankenhaus GmbH in Berlin-Weißensee. Schwerpunkte der klinischen Tätigkeit sind Depressionen, schizophrene Psychosen, postpartale psychische Störungen und innovative Versorgungsformen. Iris Hauth ist seit 2004 Mitglied im Vorstand und in den Jahren 2015 bis 2016 Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN).

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Leseprobe

Kapitel 2


Depressionen


Weniger »Rücken«, mehr Depression


Nehmen psychische Erkrankungen zu? Erkranken heute mehr Menschen als früher? Das werde ich immer wieder und auch mit gutem Grund gefragt. Die Vielzahl an entsprechenden Medienberichten und die Statistiken der Krankenkassen lassen in der Tat die Vermutung zu, dass wir weitaus mehr als früher in unsicheren und damit auch per se krankmachenden Zeiten leben. Alles scheint undurchschaubarer geworden zu sein. Haltgebende Strukturen brechen weg, die Welt und alles, was auf ihr geschieht, rückt uns nahe. Der Stresspegel steigt. Sollte man da nicht ganz zu Recht annehmen, dass sich das niederschlägt in einer immer größer werdenden Zahl psychisch Erkrankter?

Doch das stimmt nicht. Studien des Robert-Koch-Instituts zeigen eindeutig, dass die Häufigkeit psychischer Erkrankungen nicht zugenommen hat. Nicht in den letzten Jahren und nicht einmal in den vergangenen Jahrzehnten. Die Zahlen, die nur die tatsächliche Verbreitung der Erkrankungen erfassen, sind in all dieser Zeit ungefähr gleich geblieben.

Was sich jedoch ohne Zweifel geändert hat, ist das Hilfesuchverhalten der Menschen. Sie gehen öfter und früher zum Arzt. Zwischen 1998 und 2011 ist die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen aufgrund psychischer Erkrankungen um ein Viertel gestiegen. Das hat verschiedene Gründe. Manche von ihnen sind dabei durchaus positiv zu bewerten. Trotz aller Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen, trotz aller noch immer offen oder verdeckt ablaufender Stigmatisierung haben immer mehr Betroffene den Mut, sich nach Hilfe umzusehen und Beratungs- beziehungsweise Therapieangebote anzunehmen. Es werden mehr ambulante Ärzte und Psychotherapeuten, aber auch stationäre Einrichtungen aufgesucht. Um dann dort auch zu bekennen: Mir geht es seelisch nicht gut.

Was im Umkehrschluss bedeutet: Wenn die Zahl psychischer Erkrankungen nicht zugenommen hat, dann sind die Menschen wegen psychischer Probleme in früheren Jahren weitaus seltener zum Arzt gegangen. Und so war es ja auch. Wenn jemand früher in eine Depression rutschte oder eine Krise, einen Konflikt hatte, wurde das etwa an seinem Arbeitsplatz noch eher toleriert. Es wurde hingenommen, dass jemand einige Wochen durchhing und nicht ganz so leistungsfähig war wie die anderen. Suchte er schließlich doch einen Arzt auf, wurde dem oft nur die halbe Wahrheit erzählt. Dann wurden die körperlichen Beschwerden, die beispielsweise eine Depression mit sich bringen kann, in den Vordergrund gestellt, und die fällige Krankschreibung erfolgte »wegen Rücken«, was nichts an der tatsächlichen Situation geändert hat. Heute dagegen wird ein vorübergehendes Schwachsein im Job fast nirgendwo mehr toleriert. Die gestiegenen Leistungsanforderungen lassen etwas anderes als ein möglichst reibungsloses Funktionieren nicht zu. Der Einzelne ist viel eher gezwungen als früher, sich Hilfe zu holen.

Der von der AOK initiierte »Fehlzeiten-Report 2017« spricht diesbezüglich eine deutliche Sprache. Während innerhalb der gesamten Gruppe der AOK-Versicherten, immerhin 26 Millionen Menschen, der Krankenstand im Jahr 2016 annähernd gleich blieb, stieg die Zahl der Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen in den letzten zehn Jahren um achtzig Prozent. Wenig überraschend, dass sich dadurch auch die Fehltage zu einem neuen Hoch summierten. Nach den Muskel-Skelett-Erkrankungen liegen die psychischen Erkrankungen da schon auf Platz zwei. Denn mit den drei bis fünf Tagen, die man in der Regel bei einem körperlichen Leiden krankgeschrieben wird, ist es bei einer psychischen Störung meist nicht getan. Da liegt die Ausfallzeit deutlich höher, nämlich bei knapp 34 Tagen. Das führt wiederum zu den deutlich steigenden Kosten.

Es steht zu erwarten, dass der Hilfebedarf auch in den nächsten Jahren ansteigen wird. Gleichzeitig hat sich insbesondere auf Seiten der Hausärzte die Sensibilität für psychische Erkrankungen deutlich erhöht. Salopp gesagt: weniger »Rücken«, mehr Depression. Gegeben hat es sie immer schon, nur wird sie jetzt auch diagnostiziert. Manche meiner Kollegen befürchten sogar, dass das Pendel mittlerweile zu stark nach der anderen Seite ausschlagen könnte. Sie sprechen von einer drohenden »Über-Diagnostizierung« psychischer Erkrankungen.

Hilfe am Wochenende


Wer am Wochenende in eine Krise gerät, für den bleibt oft nur der Weg in die Klinik. Niedergelassene Psychiater und Psychotherapeuten haben samstags und sonntags ihre Praxis geschlossen, und auch den ärztlichen Bereitschaftsdienst der kassenärztlichen Vereinigungen anzurufen, wie man es bei akuten körperlichen Beschwerden tun würde, hätte wenig Sinn. Es käme ja dann eben kein für psychische Krisen geschulter Arzt, sondern vielleicht ein Allgemeinmediziner, der naturgemäß nicht viel mehr tun könnte als ein Beruhigungsmittel anzubieten.

Im Alexianer St. Joseph-Krankenhaus bekommen wir das veränderte Hilfesuchverhalten der Menschen gerade am Wochenende hautnah mit. Zwar gibt es in Berlin einen Krisendienst, der speziell für psychosoziale Notlagen eingerichtet wurde und bei dem man in akuten seelischen Notsituationen schnell, kostenlos und auf Wunsch auch anonym Hilfe bekommt. Nicht nur rund um die Uhr am Telefon. In neun Bezirken existieren zusätzlich Standorte, die man aufsuchen kann und die vom Nachmittag bis in die Nacht hinein geöffnet haben. In ganz dramatischen Fällen kommen Mitarbeiter des Krisendienstes sogar nach Hause. Ähnliche Einrichtungen gibt es auch in anderen Großstädten, doch leider wissen noch viel zu wenige Leute davon.

Von daher ist es gut, wenn sich die Menschen ein Herz fassen und in die Klinik fahren, wo sie zumindest schon mal eine Beratung oder ein entlastendes Gespräch bekommen können sowie eine Empfehlung, welche Hilfe für sie sinnvoll sein könnte. Der zunehmende Gebrauch dieser Möglichkeit zeigt uns auch, dass die Entstigmatisierung der Psychiatrie Fortschritte macht und die Schwelle, ein psychiatrisches Krankenhaus zu betreten, niedriger geworden ist.

Aber natürlich gibt es unter denen, die am Wochenende zu uns kommen, auch solche, die eher nicht in eine Klinik gehören, weil ihre Probleme dafür dann doch zu gering sind. Früher wäre wohl kaum jemand freiwillig »in die Klapse« gegangen, nur weil sein Privatleben gerade etwas in Schieflage geraten ist.

Immer wieder kommt es jedoch vor, dass sich Paare wegen einer eskalierenden Ehekrise an uns wenden. Oder Studenten, denen der Lernstress und die Angst vor der nächsten Prüfung so zusetzen, dass sie sich keinen anderen Rat mehr wissen, als bei uns Zuflucht zu suchen. Zu anderen Zeiten hätte diesen Menschen vielleicht schon ein Gespräch mit Freunden, mit der Familie oder auch mit dem Pfarrer dabei geholfen, den schlimmsten Leidensdruck zu lindern. In der Großstadt mit ihrer Vielzahl an Singlehaushalten scheint diese altmodische Möglichkeit der Konfliktbewältigung mehr und mehr wegzubrechen. Daher müssen eben wir manchmal den nicht mehr vorhandenen Rückzugsraum ins Persönliche und Vertraute ersetzen.

Um nicht missverstanden zu werden: Wer zu uns kommt, fühlt sich in Not und soll daher auch Hilfe bekommen. Eine Lebenskrise oder eine Befindlichkeitsstörung kann großes Leid verursachen und verlangt nach Erleichterung. Aber es liegt eben dann an uns zu schauen, was überhaupt ein Fall für die Behandlung in einer psychiatrischen Klinik ist. Auch braucht nicht jeder fünfzig oder achtzig Stunden Psychotherapie. Manchmal reicht es schon, dass man sich eine Stunde Zeit nimmt und einfach zuhört. Im klärenden Gespräch wird dann mitunter sehr schnell deutlich, dass sich hinter der aktuellen Krise etwas anderes verbirgt, etwa ein schon länger schwelender Konflikt, der sich mithilfe einer Beratung oder eines Coachings in den Griff bekommen lässt. Ein anderer Umgang mit dem Partner lässt sich lernen, ein verändertes Zeitmanagement im Studium, das zu weniger Stress führt, ebenso. Damit entlässt man die vielleicht schon nicht mehr ganz so entnervte Ehefrau, den schon etwas weniger verzweifelten Studenten und drückt ihnen zum Abschied einen Flyer mit Adressen von psychologischen Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen in die Hand. Und sagt: Gehen Sie doch da mal hin. Oder Ihre Krankenkasse bietet Entspannungskurse an, machen Sie das mal. Und wenn das alles nichts bringt und es Ihnen weiterhin schlechtgeht, können Sie gerne wiederkommen.

Man kann es ein gesellschaftliches Problem nennen, dass sich immer mehr Menschen, die sich in einer vorübergehenden Krise befinden und vielleicht kurzfristig nicht ganz so viel zu leisten vermögen wie gewohnt, sofort um professionelle Hilfe bemühen. Man kann darin die Angst erkennen, abgehängt zu werden, wenn das geforderte Arbeitspensum nicht mehr erbracht werden kann, das verstärkte Bemühen um Selbstoptimierung sowie die immer geringere Toleranz gegenüber Zuständen der Traurigkeit, der Angst oder des Stresses.

Dabei wäre gerade diese Toleranz ein wichtiger Baustein zur Förderung der Resilienz, also der seelischen und körperlichen Widerstandsfähigkeit, die einem dabei hilft, unbeschadet durch schwierige Zeiten zu kommen. Wenn man jedem Stimmungstief immer gleich mit dem ganz großen Besteck zu Leibe rückt, hat man nur wenig Handlungsspielraum, sollte es wirklich einmal knüppeldick kommen. Man darf nicht alles als pathologisch bezeichnen, was eine ganz normale menschliche Reaktion ist.

Wenn ich Stress habe, meine Tage bis zum Bersten gefüllt sind, mit Anspannung, mit Hetze, mit einem kaum zu bewältigenden Pensum, dann läuft auch mein Immunsystem auf Hochtouren. Kommt dann eine Pause, ein Urlaub, dann ist es ganz normal, dass der Motor...

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