2. Klangraumschiffe
„Der Klangraum - unendliche Möglichkeiten - dies sind die Abenteuer eines x-beliebigen Synthi-Tüftlers, der weit nach Mitternacht noch immer nicht den passenden Sound für seinen Depeche-Mode-Cover-Song gefunden hat…“ Aber warum eigentlich nicht? Sind seine Sound-Programmier-Kenntnisse zu dürftig? Fehlt es ihm an dem gewissen Klangvorstellungsvermögen? Oder benutzt er halt gerade den völlig falschen Synthi für seine Versuche?
Dies alles sind Grundfragen, um deren Beantwortung wir uns in den folgenden Kapiteln kümmern werden. Oder anders gesagt, es geht darum, einen Überblick über die gegenwärtige Synthesizer-Landschaft zu bekommen. Das Ganze wird in einer Art Zweiteilung passieren. Ein wesentlicher Teil der meisten Kapitel soll das jeweilige Thema von seiner theoretischen Seite beleuchten, um dem geneigten Leser das nötige Fachwissen entweder neu zu vermitteln oder aufzufrischen. Eingeflochten sind Praxisteile, welche entsprechende Anwendungsbeispiele bringen, um die oben erwähnten Sound-Programmier-Kenntnisse auszuweiten und das klangliche Vorstellungsvermögen zu trainieren. (Was passiert mit dem Klang, wenn ich Parameter x verändere?)
An diesem Symbol und dem Kursivtext sind die Praxisteile erkennbar. In ihnen wird versucht, möglichst einfache Anwendungen anzubieten, die auch der Synthi-Neuling leicht nachstellen kann. Zwei Probleme ergeben sich dabei allerdings: Nicht jedes Gerät kann alles. Deshalb kann es bei Spezialfunktionen schon mal vorkommen, dass der eine oder andere Synthi kapitulieren muss. Problem Nummer 2: Jede Firma hat so ihr eigenes Fachvokabular, welches sich letztlich auf die Bezeichnung der einzelnen Bedienfunktionen auswirkt. Wenn du also dein Gerät noch nicht so genau kennst, dann solltest du die Bedienungsanleitung immer griffbereit haben, um die erforderlichen Funktionen auch zu finden.
Aber fangen wir erst einmal ganz von vorn an.
2.1. Kaufentscheidungen
Wenn du dir einen neuen Synthi zulegst, sind Entscheidungen in mehrfacher Hinsicht zu treffen. Erfahrene User wissen im Normalfall, was sie wollen oder brauchen. Für Neulinge dagegen könnte beim Blättern in Katalogen oder auf Internetseiten schnell mal die Übersicht verloren gehen. Grundsätzlich solltest du auf mehreren Wegen parallel versuchen, dir einen entsprechenden Überblick zu verschaffen. Zum einen musst du dir einfach klarmachen, WOFÜR du das Gerät einsetzen möchtest und WAS es demzufolge können muss. Ich persönlich mache mir immer eine kleine Auflistung der wichtigsten Parameter - geordnet nach zwei Kategorien:
- muss ich unbedingt haben
- wäre schön, wenn der Synthi das auch noch kann
Damit wird es auf jeden Fall leichter, eine entsprechende Entscheidung zu treffen, ohne sich von irgendwelchem werbeträchtigen Schnickschnack blenden zu lassen. Es hängt natürlich von den eigenen Bedürfnissen und dem geplanten Einsatzgebiet des Gerätes ab, nach welchen Eckdaten du genau Ausschau hältst, zum Beispiel:
- Synthesetechnik/ Soundpotenzial/ in diesem Zusammenhang häufig auch Hersteller
- Stimmenzahl
- Bauform
- im Bereich Workstation → Zusatzkomponenten neben dem eigentlichen Synthesizer
- Anschlussmöglichkeiten/ Controller/ Speichermöglichkeiten
- für manches kleine Projektstudio sehr wichtig → Gehäusemaße und damit gleichzeitig Tastenanzahl (oder auch nur Rack oder Software-Emulation)
- auch wenn man nicht gern über Geld redet → der Preis kann natürlich ebenso eine wichtige „Grenzmarke“ setzen
Anhand dieser Fakten kannst du meistens schon eine recht gezielte Vorauswahl treffen. Hilfreich sind dabei natürlich auch diverse Zusatzinformationen, Gerätetests und Erfahrungsberichte. Einschlägige Zeitschriften sowie das Internet bieten hier breite Informationen und meistens auch Klangmaterial.
Neben diesen theoretischen Vorüberlegungen ist es aber unbedingt auch zu empfehlen, mehrere Synthis anzutesten, denn Katalogseiten oder Testberichte können dir nie vermitteln, wie ein solches Teil nun wirklich klingt und sich spielen lässt. Zumindest die größeren Läden der Branche bieten einem eine recht gute Palette an gängigen Vorführgeräten, die man übrigens nach Ende der Ausstellungsphase nicht selten zu einem moderaten Preis erstehen kann. Schlechter sieht es dagegen in der „Provinz“ aus, wo man noch nicht einmal in jedem Laden jedes Gerät bestellen kann, da kein Vertrag mit dem Hersteller existiert. Mir ist es jedenfalls selbst schon so gegangen: Meinen Traumsynthi vor Augen spazierte ich in einen gar nicht mal so kleinen Laden herein, um mir ein Angebot machen zu lassen. Die Gestik des Verkäufers zeigte Ratlosigkeit; in seinen Augen blitzten allerdings die €-Zeichen auf - und Gewinn witternd versuchte er, mich von einem völlig anderen Gerät eines anderen Herstellers zu überzeugen. (Vorsicht!) Wenn du in einem ähnlichen Dilemma steckst oder ausgefallenere Sachen suchst, solltest du mal einen Gang zur Musikmesse wagen. Ein Antesten in Ruhe kannst du dort zwar vergessen, dafür siehst du aber so ziemlich alles, was der Markt gerade zu bieten hat.
Noch einmal zurück zu der Frage WOFÜR. Wenn du den Synthesizer mehr oder weniger als reichhaltige Soundbank ansiehst, an der du selbst gar nicht oder nur wenig manipulieren möchtest, solltest du dich einfach nach einem Gerät umsehen, welches deinem eigenen Soundgeschmack genügt. Willst du aber den Synthesizer darüber hinaus selbst programmieren, so ist auch in dieser Hinsicht ein praktisches Antesten recht sinnvoll. Das erforderliche Programming-Know-How kann man zwar mit dem vorliegenden Buch nicht bis zum Letzten vermitteln, da immer auch die eigene Erfahrung eine große Rolle spielt, aber ich hoffe, zumindest ein paar mögliche Wege aufzeigen zu können.
2.2. Kisten und Kästen
So, und damit geht es jetzt an das eigentliche Basiswissen heran. Für die absoluten Neulinge erkläre ich später kurz, was der Unterschied zwischen Synthesizer und Tischhupe ist. An dieser Stelle sei in Bezug auf den Synthesizer gesagt, dass wir es bei fast jedem Synthesizertyp mit zwei grundlegenden Baugruppen zu tun haben: Klangerzeuger und Klangformer. Daneben gibt es natürlich allerlei Komponenten, die die Verbindung zur Außenwelt und damit auch zu uns Spielern herstellen - nennen wir sie pauschal einmal Interfaces. Klangerzeuger, Klangformer und Interfaces kann man nun je nach Erfordernissen auf unterschiedliche Art und Weise zusammensetzen. Die kompakte Bauweise ist heutzutage die vorherrschende Bauform auf dem Markt. Bei diesem Gerätetyp sind alle Komponenten in einem Gehäuse untergebracht. Bedient wird das Ganze neben der Tastatur mit verschiedenen Eingabemöglichkeiten, Tastern, Reglern und Controllern (Spielhilfen [siehe Kapitel 9]). Mit der internen Verkabelung hat der Spieler im Prinzip nichts zu tun. Er braucht den Synthi in der Minimalkonfiguration eigentlich nur an das Stromnetz und die Verstärkeranlage anschließen, und schon kann’s losgehen. Wer schon mehrere Synthis sein Eigen nennt, kann aus Platz- oder Geldgründen häufig auch auf eine tastaturlose Version zurückgreifen. Diese Rackversionen (Standardmaß 19“ Breite) sind zumeist vom technischen Innenleben identisch und lassen sich per MIDI ansteuern [siehe Kapitel 12].
Synthesizer in modularer Bauweise gibt es im Prinzip seit der Geburt des Synthesizers. Warum sie im Zuge der technischen Weiterentwicklung nicht aus der Mode gekommen sind, liegt vor allem an deren Soundpotenzial, welches mal grob gesagt nur durch die eigene Kreativität begrenzt wird (oder auch durch den zur Verfügung stehenden Platz). Jedes Bauteil eines solchen Synthesizers ist im Prinzip ein eigenes Gerät für sich. Diese Module werden dann in entsprechende „Kästen“ und „Schränke“ montiert. Daran zeigt sich schon, dass der User quasi selbst seinen Synthesizer zusammenstellt und auch beliebig erweitern kann. Die meisten Verkabelungen werden durch sogenannte Patches realisiert. Je kreativer und gewagter man bei der Verdrahtung vorgeht, desto interessanter können die klanglichen Ergebnisse sein. Aber es kann gleichzeitig auch die Übersichtlichkeit darunter leiden, wenn einem 30 und mehr Kabel kreuz und quer vorm Gesichtsfeld baumeln. Auch die bei vielen Modularsystemen fehlende Speicherbarkeit von Klängen dürfte vor allem Neulinge der Branche erst einmal vor einem solchen Synthi abschrecken. Hinzu kommt noch, dass die Mitnahme eines Modularsystems der Größenordnung „Großer Moog“ vom Studio auf die Bühne einem mittleren Umzug gleichkommt. Eine gute Alternative stellen die inzwischen erwachsen gewordenen Emulationen solcher Synthis dar - sei es auf reiner Computerbasis oder in Kombination mit einem „echten Tastengerät“. Auf jeden Fall muss man anmerken, dass die Popularität der modularen Synthesizer vor allem in den letzten zehn Jahren deutlich gewachsen ist und es eine...