Vorwort
Es war der Tag vor Weihnachten des Jahres 2004. Wir waren weit weg von zu Hause und noch wie betäubt von der Nachricht, dass unser kleiner Sohn einen Hirntumor hatte. Die Chemotherapie sollte sofort nach den Feiertagen beginnen, und mein Mann und ich waren mit der strikten Anweisung »Gehen Sie auf keinen Fall ins Internet!« weggeschickt worden. Am Weihnachtstag, als Raffi mit seinen neuen Spielsachen beschäftigt war, stahl ich mich davon und riskierte meinen ersten verbotenen Blick in der Hoffnung, etwas zu erfahren – irgendetwas, das das Entsetzen mildern würde, das sich allmählich in meinem Inneren ausbreitete. Aber was ich fand, war niederschmetternd: Dieses eine kleine Leben, das mir kostbarer war als mein eigenes, war dem langsamen Untergang geweiht.
Ein paar Tage später fuhren wir zurück ins Krankenhaus, wo für Raffi eine wöchentliche Chemotherapie begann, die 14 Monate lang dauern würde. Als diese Behandlung nicht half, ging es weiter mit der nächsten … aber auch die blieb ohne Erfolg. Er musste viele risikoreiche Operationen über sich ergehen lassen, aber der Tumor blieb unerbittlich. Ich kann auch nicht annähernd beschreiben, wie entsetzlich es war, dabei zuzusehen, wie unserem kleinen Kind ein wertvolles Stück nach dem anderen herausoperiert wurde.
Leider ist das, was wir erlebten, keineswegs ein Einzelfall. Es kommt nur allzu häufig vor.
Im Januar 2007 begann für Raffi wieder eine neue Behandlung – dieses Mal im Rahmen der klinischen Erprobung eines Cocktails aus hochwirksamen Krebsmedikamenten. Innerhalb weniger Wochen zeigten sich bei meinem normalerweise fröhlichen kleinen Kerlchen etliche erschreckende Symptome: Ihm war übel, er war müde und konnte sich nicht konzentrieren. Einen großen Teil des Tages schlief er. Eines Tages, 6 Wochen nach Beginn der Behandlung, versuchte ich, ihn nach einem langen Mittagsschlaf aufzuwecken, um ihn zu fragen, ob er auf die Toilette müsse. Als er aufzustehen versuchte, gaben seine Knie nach, und als er den Mund aufmachte, um etwas zu sagen, kamen nur unverständliche Laute heraus. Beides waren Anzeichen für einen zunehmenden Hydrozephalus (eine übermäßige Ansammlung von Flüssigkeit im Gehirn), ein lebensbedrohlicher Zustand, der oft im Zusammenhang mit einem Tumorwachstum auftritt. Wir brachten ihn eiligst ins Krankenhaus, wo ihm in einer Notoperation ein Shunt, ein Schnitt, gelegt wurde, um den Druck abzubauen. Eine Magnetresonanztomografieaufnahme (MRT) vor der Operation bestätigte, was mein Bauchgefühl mir schon gesagt hatte: Raffis Tumor hörte nicht auf zu wachsen und hatte weitere Bereiche befallen.
Während Raffis Klinikaufenthalt erfuhr ich von einer der Krankenschwestern, dass eines der Medikamente in dem Versuchscocktail besonders toxisch auf die Nieren wirkte. Tatsächlich musste ich Handschuhe tragen, wenn ich ihm die Windeln wechselte, und seine nassen Windeln wurden in einem speziellen Behälter für Sondermüll entsorgt.
Ein paar Tage nach der Operation wurde Raffi entlassen. Wir fuhren ins Haus meiner Mutter zurück, wo wir die 4 Monate davor gewohnt hatten, um näher an dem Krankenhaus zu sein, in dem Raffi behandelt wurde. Sobald er versorgt war, ging ich online, um mehr über dieses toxische Medikament herauszufinden. Als Antwort auf meine Bitte um mehr Informationen schickte mir eine andere Mutter, die auf einer der von mir besuchten Seiten aktiv war, den Link zu einer Pressemitteilung über das Mittel. Ich versuchte, den Artikel auszudrucken, aber der uralte Drucker meiner Mutter streikte. Als ich ein paar Tage später wieder auf die Seite ging, um mir die Pressemitteilung noch einmal anzusehen, fand ich an ihrer Stelle einen neuen Artikel, der mich traf wie ein Donnerschlag. Rein zufällig war ich über einen Artikel aus dem Labor von Dr. Thomas Seyfried am Boston College gestolpert. Darin wurde berichtet, dass sich bei Mäusen, denen man über einen Zeitraum von 8 Wochen eine kalorienreduzierte ketogene Diät verabreicht hatte, das Fortschreiten einer unheilbaren Art von Hirntumor – des Glioblastoma multiforme – erheblich verlangsamt hatte.
Die Schattenseiten derartiger Forschungen waren mir wohlbekannt: Hier ging es um Mäuse, nicht um Menschen, und die Studie lief nur über 8 Wochen. Aber beim Lesen der kurzen Zusammenfassung wurde mir etwas leichter ums Herz, und in das Dunkel meiner Verzweiflung drang ein Hoffnungsstrahl. Ich versuchte, mich nicht allzu sehr zu freuen. »Noch eine Sackgasse«, sagte ich mir und konnte dennoch nicht umhin, diesem unerwarteten Hinweis nachzugehen.
Versuchsweise schickte ich dem Verfasser des Artikels eine E-Mail, wobei ich fest damit rechnete, dass er mein kleines Fünkchen Hoffnung auslöschen würde. Stattdessen erhielt ich fast umgehend eine Antwort vom Leiter des Labors – Dr. Thomas Seyfried persönlich. (Dr. Seyfried und ich sind im Laufe der Jahre gute Freunde geworden. Er hat sogar das Geleitwort zu diesem Buch geschrieben.) Dr. Seyfrieds Leidenschaft für seine Arbeit war nicht zu verkennen: Er war sicher, dass in der ketogenen Diät ein enormes krebstherapeutisches Potenzial steckte. Er berichtete mir von den Forschungen, die zu dieser jüngsten Studie geführt hatten, und brachte mich in Kontakt mit den Ressourcen der Charlie Foundation, einer gemeinnützigen Organisation, die sich dem Einsatz der ketogenen Diät bei Epilepsie widmet. Damals war mir das noch nicht bewusst, aber dieser Tag sollte sich als entscheidender Wendepunkt in meiner Suche nach einem besseren Leben für meinen Sohn erweisen.
In den folgenden Tagen und Wochen wurde mir klar, dass ich (wie die allermeisten Menschen) die weitverbreitete Überzeugung übernommen hatte, dass es sich bei Krebs um eine genetisch bedingte Erkrankung mutierter Zellen handelte. Dr. Seyfried war anderer Meinung: In seinen Augen, und in denen eines winzigen Kreises weiterer Forscher, war Krebs eine Stoffwechselerkrankung, verursacht von Defekten in den Mitochondrien, den winzigen Kraftwerken in den Zellen, deren Aufgabe nicht nur die Produktion von Energie, sondern auch die Steuerung der Signale ist, die bewirken, dass sich das Schicksal einer Zelle in Richtung Gesundheit oder Krankheit wendet. Dr. Seyfried hatte die Arbeit des deutschen Physiologen Otto Warburg wieder aufgegriffen, eines der ersten Krebsforscher, der vor langer Zeit schon beobachtet hatte, dass Krebszellen Glukose anders verwerten als normale Zellen. Statt sich den hoch entwickelten und effizienten Prozess der Energieproduktion zunutze zu machen, der als Citratzyklus bekannt ist, gedeihen Krebszellen, indem sie riesige Mengen Glukose einen wichtigen, aber primitiven Energiepfad namens Glykolyse durchlaufen lassen (mehr dazu in Kapitel 3). Zu Ehren des frühen Forschers wird seine unbestrittene Beobachtung bis heute als Warburg-Effekt bezeichnet.
Ich brauchte mehrere Wochen, um mir genügend Informationen zu beschaffen – und den Mut aufzubringen, Raffi auf die ketogene Diät zu setzen. Damals konnte ich nicht auf die Hilfe der Fachleute zählen, die am meisten Erfahrung mit dem Einsatz der Diät bei der Behandlung von Epilepsie hatten. In der Theorie unterstützten sie uns zwar, aber in der Praxis war ihnen die Verantwortung zu groß, mit mir zusammenzuarbeiten. In der Krebsklinik war die Situation noch schlimmer, und ich sah mich einer regelrechten Mauer des Widerstands und der Einschüchterung gegenüber. Raffis berühmter Spezialist schüttelte den Kopf: »Das wird nicht funktionieren.« Er schob mich zu einem seiner Kollegen ab, der erklärte: »Diese Diät ist für Menschen mit Übergewicht. Halten Sie sich an den Plan« (obwohl er gar keinen annehmbaren Plan vorgelegt hatte). Ein anderer Onkologe sagte unumwunden: »Lassen Sie ihn gehen.«
Zum Glück war Raffis Team vor Ort sehr viel verständnisvoller. Wo so viel auf dem Spiel stand und es so wenige Möglichkeiten gab – was hatten wir schon zu verlieren? 27 Monate nach seiner Diagnose begann Raffi unter den wachsamen Augen seines wunderbaren Kinderarztes und hilfreichen Onkologen vor Ort mit der ketogenen Diät. Und dann geschah Folgendes: Schon nach 3 Monaten zeigte eine MRT-Aufnahme, dass Raffis Tumor zum ersten Mal seit Beginn seines Leidenswegs geschrumpft war. Wir waren überwältigt. Wie konnte etwas so Simples wie eine neue Zusammenstellung von gewohnten Lebensmitteln helfen, wo alles andere versagt hatte? Raffis Erfolg spornte mich an, so viel zu lernen, wie ich konnte, und als der Sommer zu Ende ging, war ich in einem Graduiertenkurs in Ernährungswissenschaften an der Eastern Michigan University eingeschrieben. Ich konzentrierte mich auf das Grundlagenstudium dieser Disziplin: Biologie, Biochemie und Ernährungspraxis. Aber im Gegensatz zu meinen Studienkollegen, die später staatlich anerkannte Diätassistenten in einem Krankenhaus-, Klinik- oder Gemeindeumfeld werden würden, konzentrierte ich mich ausschließlich darauf, möglichst alles zu lernen, was speziell mit der Wissenschaft des Stoffwechsels von Makronährstoffen zu tun hatte. In den Lehrbüchern fand sich herzlich wenig zum Thema Ketose, und was da stand, wurde mit negativem Tenor als Nebenwirkung des Hungerns oder eines schlecht eingestellten Diabetes dargestellt. Inzwischen bin ich »Keto gegen Krebs«-Spezialistin (»Keto« ist die Kurzform für ketogen) und kann auf 10 Jahre zurückblicken, in denen die Beschäftigung mit meiner Leidenschaft erst meinem eigenen Sohn und schließlich auch Hunderten anderer Menschen, mit denen ich in dieser Zeit gearbeitet habe, zu einem längeren und gesünderen Leben verholfen hat.
Meine Erfahrungen bei der Umsetzung der Diät für meinen Sohn haben mir außerdem die Augen für einen eklatanten Schwachpunkt des herrschenden Medizinmodells geöffnet: In der...