DANKBARER DÖNER
Gewöhnlich erwartet der gemeine Deutsche von Menschen mit nichtdeutschen Wurzeln, die in seinem Land leben oder leben wollen, zuallererst Dankbarkeit. Von dieser Erwartungshaltung sind die schon hier geborenen Nachkommen der Einwanderer, die keine andere Heimat als Deutschland kennen, selbstverständlich nicht ausgenommen. Auch sie sollen dankbar sein, ihre Kinder und Enkelkinder natürlich auch noch. Für alles Mögliche sollen sie »Danke« sagen: Für den mehr als ein halbes Jahrhundert lang dauernden und vergeblichen Versuch ihnen und ihresgleichen ein passendes Etikett aufzukleben. Zuerst hießen die meist dunkelhaarigen Neuzugänge »Gastarbeiter«. Während auf den meisten anderen Flecken der Erde Gäste von ihren Gastgebern bewirtet werden, sollen hier Gäste für die Gastgeber arbeiten, Gastfreundschaft à la Teutonia. Danach wurden sie zu »Ausländern« gestempelt, den beziehungstechnischen Höhepunkt erreichten sie als »Mitbürger«, verwandelten sich weiter zu »Migranten«, nahmen die nächste Image-Stufe abwärts zu »Menschen mit Migrationshintergrund« und endeten als »Muslime«, obwohl die große Mehrheit dieser Menschen weder religiös war oder ist, noch sich über die eigenen Religion definiert. Von diesen sprachlichen Stempelversuchen waren Migranten aus dem »christlichen Raum« ausgenommen, sie durften weiterhin Griechen, Italiener, Spanier, Kroaten und Serben heißen.
Weiterhin soll der Migrant dankbar sein, dass er hier leben, arbeiten und/oder Hartz IV beziehen, die Vorzüge der deutschen Straßenverkehrsordnung und des Steuerrechts genießen, bei der Mülltrennung mitmachen und bei Wahlen nicht wählen darf. So wie aber Integration und Respekt keine Einbahnstraßen sind, ist auch Dankbarkeit keine, denn die Inländer haben ebenfalls allen Grund dankbar zu sein. Sie wurden bereichert, nicht nur durch die Milliarden, die jene arbeitenden Gäste in die Rentenkasse und Steuersäcke steckten, sondern auch durch die Kulinarik, die Orientalen nach Europa und Deutschland »eingeschleppt« haben.
Beginnen wir mit dem offensichtlichen und zumindest in den alten Bundesländern für alle sichtbaren kulinarischen Einfluss, an dem kein Passant in keiner Fußgängerzone optisch und olfaktorisch vorbeikommt, dem Dönerimbiss. Er gehört zur zweiten Stufe des migrantischen Unternehmertums. Die erste Stufe bildeten Gemüseläden, die vor allem türkische Einwanderer eröffneten, wenn Sie keine Lust mehr auf Fabrik, Schichtarbeit und Vorarbeiter hatten. Dies lag nahe, da die meisten Einwanderer aus den ländlichen Gebieten Anatoliens kamen und sich als Bauern im besten Sinne mit Obst und Gemüse auskannten. In der zweiten Stufe gestaltete sich der Schritt vom Angestellten zum eigenen Chef weniger kompetenzlastig: »Ich esse gerne Fleisch und so einen Spieß rundherum absäbeln kriege ich auch noch hin!«
Ganz im Gegensatz zum urorientalischen Prinzip »Mehr ist mehr« eröffneten sie Imbisse, die durch ihr asketisches Interieur jeden Spartaner beeindruckt hätten. Weiße Stehtische und Hocker aus Plastik, Besteck aus Plastik, Salz-, Pfeffer-, und Chilistreuer aus Plastik und Teller selbstverständlich auch. Gäbe es große Kühltresen aus Plastik, der türkische Gastronom wäre entzückt. Überflüssig zu erwähnen, dass ihm der große blutrote Dönerspieß in dickem Plastik verschweißt geliefert wird, den er mit einem Feuerzeug vom Fleisch trennt. Wieviel verbrannter Kunststoff bei dem Prozedere am Spieß hängen bleibt, ist schwer einzuschätzen, aber die ersten Dönerkunden des Tages schätzen das besondere Aroma.
Von oben strahlt im Imbiss grundsätzlich grelles weißes Licht, das auch Folterknechte des CIA gerne einsetzen und von unten wird diese Illumination vom grellweiß gekachelten Boden hervorragend reflektiert. Dadurch sieht man zwar jeden Krümel auf dem Boden, aber für die Reinigung braucht man wie beim Schlachter nur Wasser, Chemie und Schrubber. Natürlich wird der farbliche Kontrapunkt im Meer des ganzen Weiß nicht vergessen: Die Speisetafel. In bunten Lettern auf bunt illuminiertem Grund preist der Teilzeitgermanist seine Speisen an und fügt der deutschen Sprache schöne Blüten bei: »auf Scharf, mit Scharf, ohne Schaf, zum Mitnehme, außer Haus, Nudeln alla Chef«. Orthographisch werden mit sämtlichen statistisch möglichen Schreibweisen von »Tsatsiki« wahre Gipfel erklommen. Ein von der Decke hängender Fernseher, auf dem ständig in Kasernenlautstärke Videoclips laufen, rundet die Innengestaltung ab.
Wie bei der Reinigung liegt beim Service der Schwerpunkt ebenfalls auf Tempo und Effizienz. Ohne unnötige Freundlichkeit, die den Betriebsablauf stören könnte, wird jede Kundin und jeder Kunde mit dem Dreiklang »Ja? Bitte? Nächste?« abgefertigt. Seine Lebensgeschichte kann man der Kassiererin im Supermarkt ins Ohr quatschen, nicht aber dem Dönermann. Er möchte nicht quatschen und noch weniger zuhören, sondern so viele Kunden wie möglich in so kurzer Zeit wie möglich durchschleusen. Viele Worte, wenig Umsatz, wenig Worte, viel Umsatz. Tragikomisch wird es, wenn sich vegane Hipster in so einen Imbiss verirren und die üblichen hundert Fragen nach Herkunft und Beschaffenheit der Zutaten stellen, jedes Mal ein harsches »Nein« als Antwort bekommen und schließlich mit einem gefüllten Fladenbrotviertel voller Tomaten und Salat davonziehen. Lockere Veganer, die ihr hedonistisches Veganerleben nicht als Dschihad zelebrieren, lassen sich verschämt noch einen Löffel Tsatsiki draufklatschen.
Betrachtet man die Dönerläden von der Straße, wird deutlich, was für ein großer Humorist in jedem einzelnen Dönerchef steckt. Während der finanziell goldenen Anfangsjahre hing an den Läden eine große Fahne, auf der ein dicker schnauzbärtiger Türke neben einem noch dickeren Dönerspieß stand, mit einem langen Säbel in der Hand natürlich. Vermutlich sollte die Fahne Appetit auf einen Döner Kebap machen, was nicht wirklich gelang. Denn bei manchen Deutschen triggerte ein morgenländisch aussehender, bärtiger Mann mit einem Säbel in der Hand die Jahrhunderte alte, tiefsitzende Angst vor der »Türkengefahr«. Oder war dieses dezente Stillleben die erste versteckte Kampagne der Tierschutzorganisation PETA gegen Tierquälerei?
Bei der Namensgebung dieser kulinarischen Tempel nehmen es die Imbissunternehmer locker mit jedem Kreativen aus der Werbebranche auf. Nur Friseure können ihnen namenstechnisch das Wasser reichen. Hier ein paar Beispiele aus dem Kreativduopol Dönerimbiss versus Friseursalon:
Istanbul 2 – Schnitt-Stelle
Star Döner – Vor Hair nach Hair
Istanbul 3 – Haareszeit
King Döner – Haarmonie
Istanbul 4 – Kopfsache
Royal Kebap – Hairport
Istanbul 5 – HairTie
King Kebap – Hairlich
Istanbul 6 – die HairRichter
Galaxy Döner – Salon Krehaartivität.
Noch Fragen?
Inzwischen findet man in größeren westdeutschen Städten Döner-Restaurants, die zwar noch weit diesseits von Michelin-Sternen operieren, aber Gastlichkeit und Service für die Kundschaft entdeckt haben. Die Inneneinrichtung besteht aus viel Chrom, fluoreszierenden Deckenfarben, epischen Wandmalereien, ausladenden Sitzecken und schweren Holzstühlen und den obligatorisch weiß gekachelten Böden. Türkische Gastronomen müssen ihre Lokalitäten auch »pimpen«, denn die ausländisch Mitkonkurrenz schläft nicht. Arabische Imbisse bereichern das Angebot und vor allem asiatische Gaskochzeilen mit babywannengroßen Woks. Hinzu kommen chinesische, koreanische, vietnamesische, thailändische und japanische Schnellküchen, um nur einige Untersektionen zu nennen, die aber den deutschen Gourmet mit traditionell gesunder Ignoranz nicht sonderlich interessieren. Entweder er geht deutsch essen (Kneipe), italienisch (Roma, Napoli, Milano, Bei Carlo, Bei Giovanni, Bei Alberto, Bei Franco, bei Ciao Bello&Bella), türkisch (türkisch, syrisch, jordanisch, arabisch, irgendwas mit Knoblauch halt), griechisch (Lesbos, Knossos, Olympos, Rhodos, Dionysos, Gyros, Hauptsache Fleischplatte und Krautsalat), oder eben asiatisch (Chicken Tandoori, Chicken Biriyani, Chicken Korma, Chicken Chicken, irgendein Curry oder eben Sushi, möglichst roh, möglichst kleine Minirollen zu möglichst hohem Preis), das sind ihm Auswahl und Kategorien genug.
Lange Jahre haben asiatische Imbissbetreiber noch weniger in ihre Läden investiert als türkische (was schon eine Leistung an sich war) und den Kunden unter anderem leere Getränkekisten als Sitzgelegenheiten angeboten. Aber der Fortschritt macht auch vor dem knauserigsten chinesischen Selbstausbeuter nicht halt. So hat sich bei ihm und seinesgleichen die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Kunde Freundlichkeit und Service eher schätzt als karge Kommunikation im gebellten Ton und eine verschmierte schmale Ablagefläche, auf der man nicht mal eine Cola abstellen kann. Den Menschen bietet sich eine schöne Bandbreite verschiedener Küchen, in denen man oft gut und günstig und öfter schlecht und billig dafür aber reichhaltig essen kann. Über die Qualität von Speisen und Zutaten der Billigliga schweigen wir vornehm. Anders gesagt: Wer einen Dönerteller oder Hühnerfleisch Chop Suey für vier Euro will, sollte seine kulinarischen Ansprüche an der nicht vorhandenen Garderobe abgeben.
Zumindest dem Döner Kebap wurde aber das Image des billigen Fastfoods nicht an den Spieß gelegt, das bekam es erst durch die Metamorphose zum industriell hergestellten Massenprodukt. Ursprünglich wurden mehrere Scheiben aus tatsächlichem Fleisch mariniert übereinander gespießt und anschließend drehend gegrillt. Das taten schon die Osmanen Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie stapelten Fleisch auf einem Spieß und...