Auf der Suche nach einem Weg. 1925–1930
Mich erschrecken vor allem die Zwanzigjährigen mit ihrer furchtbaren Indifferenz», bekannte Ende 1927 Willy Haas in einem Gespräch mit Heinrich Mann über Gefahren, die dem Frieden in Europa und der Republik in Deutschland drohen könnten. Der Onkel habe doch sicher die heftige Polemik zwischen Axel Eggebrecht und Klaus Mann in der «Literarischen Welt» verfolgt. Haas machte kein Hehl daraus, dass er der Position Eggebrechts nahestand: «Wir, die den Krieg im Schützengraben mitgemacht haben, sind tief erbittert darüber, daß unter unseren jüngeren Kameraden alles wieder so wird wie vor 1914: Artistik, luxuriöse und komplizierte erotische Psychologie […] und gar kein Blick für die bewegenden Kräfte unserer Zeit.»[87] Das war deutlich. Eggebrecht hatte einen noch krasseren Tonfall gewählt und Klaus Mann und dessen Literatenfreunde abgekanzelt als «gesicherte, in spielerischer Scheinproblematik verlorene Knaben», als «ahnungslose, snobistische, kindische junge Leute», deren «Überbetonung somatischer und sexueller Komplexe» aus einer «Scheu vor Klarheit, Verantwortung, vor Einsicht» entstanden sei. Diese arrogante «Pseudojugend» solle sich doch bitte weniger geschäftig der literarischen Öffentlichkeit aufdrängen, solange ihr Programm weiter nichts sei, als von der eigenen «Verwirrung» und «Ohnmacht» zu künden.[88]
Ähnlich scharfe Worte waren damals bereits von Bertolt Brecht zu lesen gewesen, und auch Kurt Tucholsky mokierte sich wenig später in der «Weltbühne» über das niedrige Niveau Klaus Manns, «der von Beruf jung ist und von dem gewiß in einer ernsthaften Buchkritik nicht die Rede sein soll»[89].
Die Vehemenz dieser Angriffe Urteilsfähiger lässt sich nur verstehen, wenn man bedenkt, wie indiskret und kapriziös und vom Vaternamen begünstigt Klaus Mann seine Laufbahn begonnen hatte. 1925 hatte der Debütant gleich drei Bücher vorgelegt: die Erzählungen Vor dem Leben, den ersten Roman Der fromme Tanz und das Drama Anja und Esther. Das Stück war angesiedelt in einem Erholungsheim für gefallene Kinder, einer Mischung aus Ballettschule und Sanatorium, mit einem Einschlag von Gefängnis, Bordell und Kloster. In der Handlung ging es um ein lesbisches Verhältnis zwischen Anja und Esther und überhaupt viel um Liebe – erfüllte und verschmähte – zwischen den frühreifen Zöglingen des Heims. Das schwermütig-laszive Stück wurde im Oktober 1925 an den Hamburger Kammerspielen unter sensationellen Umständen aufgeführt: Erika Mann und Pamela Wedekind spielten die Titelrollen, der Autor und Gustaf Gründgens traten als männliche Hauptfiguren auf. Von den Gestaden der Nordsee bis nach Wien, Prag und Budapest gab es ein Gerausche im Blätterwald: «Dichterkinder spielen Theater!»[90] Ein ganzseitiges Foto der drei Dichterkinder prangte am 31. Oktober gar auf dem Titel der sehr populären «Berliner Illustrirten Zeitung». (Gründgens’ Kopf, ursprünglich mit auf dem Gruppenbild, hatte die Redaktion herausgeschnitten – er war ja kein Prominenten-Spross und stand erst ganz am Anfang seiner Karriere.)
Seinem Vater konnte Klaus Mann am 6. November 1925 mitteilen, er bekomme nun fast täglich ganze Päckchen von Ausschnitten mit Presseberichten zugesandt. Darin stand zwar vieles, was den jungen Schriftsteller kränkte (vor allem diese ewige Beschimpfung mit der «decadence»[91]); aber letztlich war ihm doch der ganze Rummel als Reklame willkommen.[92] Was immer er jetzt verfasste, Verlage und Redaktionen nahmen es ihm ab. Anja und Esther wurde von vielen Theatern nachgespielt, sogar in Wien und in Rom. Ich bin allerorts groß plakatiert und überhaupt recht berühmt, heißt es stolz in einem Brief aus dieser Zeit.[93]
Sein zweites Drama, Revue zu Vieren, schrieb Klaus Mann gezielt als Tourneestück für das bewährte Schauspieler-Quartett. Es enthielt eine unverblümte Selbstdarstellung: Vier exzentrische junge Leute wollen in einer kolossalen Revue alle geistigen Strömungen ihrer Generation sammeln und gestalten; die ganze europäische Jugend soll sich, von diesem riesenhaften Fest inspiriert, neu besinnen und zusammenfinden[94]; die hochfliegenden Pläne scheitern jedoch an internen Eifersüchteleien. Als Revue zu Vieren am 21. April 1927 in Leipzig uraufgeführt wurde, standen buchstäblich zwei Paare auf der Bühne: Klaus war (immer noch) mit Pamela verlobt, und Gründgens und Erika hatten unterdessen geheiratet. Dekorationen und Kostüme waren von einem weiteren Dichterkind entworfen: Thea Sternheim, genannt Mopsa, Tochter des berühmten Dramatikers Carl Sternheim. Das Stück war schwach; der Kritiker Herbert Jhering stellte fest, dass der Autor «peinlich, geschwätzig und glatt Zeitschlagworte umkost». Auf das Epigonale in Klaus Manns ersten Arbeiten anspielend, bemerkte ein anderer Rezensent bissig, dieses Stück bezeichne «ungefähr den Übergang vom Wedekindlichen zum Wedekindschen»[95]. Die Tournee geriet bisweilen zu einem regelrechten Kampf mit dem Publikum[96]. Aber Schlagzeilen gab es wieder zur Genüge, und die Häuser waren gefüllt.
Hinter so viel flitterhaftem Glanz[97], der die literarischen Anfänge Klaus Manns umgab und der seiner jugendlichen Ruhmsucht und seinem Exhibitionismus sehr gelegen kam, wurde die Ernsthaftigkeit der Absichten dieses Autors zunächst kaum sichtbar. Vielfältig variiert ist in seinen frühen Werken ein Typus des jungen Dichters anwesend, der auf der Suche ist nach einem Weg, um den Erfahrungen und Wünschen der eigenen Generation Ausdruck verleihen zu können. Diese Figuren – Till in der Kindernovelle, Andreas in Der fromme Tanz, Kaspar in Anja und Esther und Michael in Revue zu Vieren – verdichten sich zu einem Selbstporträt Klaus Manns. Dessen Ehrgeiz war es, die Unruhe und die Wirrnisse und Seligkeiten eines jungen Lebens zu gestalten, wie es ihm und seinen Freunden täglich widerfuhr. Das Leben, wie ich es damals kannte und verstand, war vor allem dies: schweifende Unrast, Suchen, unstillbare Sehnsucht des Herzens, kurzes sinnliches Glück. Eine Jugend, die über moralische Vorurteile ebenso erhaben ist wie über soziale Bindungen und politische Dogmen, genießt und erleidet das irdische Dasein als einfarbig bewegtes Mysterium, das seine Rechtfertigung, seinen Sinn in sich selber trägt: «Verstehen» läßt es sich nicht, sondern will eben nur durchlitten und genossen sein.[98]
So geartet war in der Tat das Dasein des jungen Bohemien Klaus Mann. Dass er freilich die eigene Lebensweise mit der seiner ganzen Generation gleichsetzte, war naiv. Proletarische und kleinbürgerliche Jugendliche hatten im Deutschland der 1920er Jahre ganz andere, oft existenzielle Nöte, von denen das Dichterkind noch wenig wusste. Hier findet sich ein Grund dafür, dass politisch versiertere Kollegen wie Eggebrecht von «Jüngelchen» sprachen, wenn sie Klaus Mann meinten.
In Der fromme Tanz ist die oft quälerische Suche des jungen Künstlers nach einem Weg, einer eigenen Melodie zentrales Thema. Sie wird sogar metaphysisch überhöht: Andreas begegnet im Traum der Mutter Gottes, die seine Huldigung zurückweist; er müsse erst das Große erlebt haben, bevor sie sein Opfer annehmen kann. In ihrem Auftrag also geht der junge Mann aus dem Elternhaus und taucht hinein in die Abenteuer der großen Städte. Damit ist ein Motiv angelegt, das für die späteren Werke Klaus Manns bedeutsam wird: eine überirdische Sinnstiftung, durch die wichtigen Figuren der Weg gewiesen wird. In Der Vulkan (1939) zum Beispiel ist es ein Engel der Heimatlosen, der dem jungen Kikjou den Sinn der antifaschistischen Emigration erklärt. Solchen Beistand aus höheren Regionen (den viele Leser als kitschig empfinden) beruft Klaus Mann offenkundig dann, wenn er sich des richtigen Handelns von Figuren vergewissern muss. Bei der stark autobiographischen Qualität seiner Werke sind es meist auch Handlungsweisen des Autors, die abgesegnet werden. Im Exilroman Der Vulkan gilt der Segen dem politischen Kampf der Nazi-Gegner. In Der fromme Tanz geht es um eine Odyssee durch die Welt der Kunst und der Liebe.
Daß der Körper allein uns mit Gott verbindet, wird die zentrale Erfahrung des Helden; Lust und Frömmigkeit werden als Einheit propagiert. Andreas lernt die trunkene Zärtlichkeit kennen. Seine Liebe zu des Menschen Leib[99] gipfelt in der Beziehung mit einem anderen jungen Mann: dem viel umworbenen Niels. Der fromme Tanz ist einer der ersten Homosexuellen-Romane in der deutschen Literatur. Klaus Mann bekannte sich nun zu der Form des Eros, die sein eigenes Leben bestimmte; und er verlieh ihr nachdrücklich eine religiöse Weihe. Noch 1933, als er den Frommen Tanz nach langer Zeit wieder las, war Klaus Mann selbst fasziniert von einem wirklich strömenden Gefühl in diesem Werk. Und er konstatierte ein wenig verwundert, wie schamlos es ist.[100]
Homosexuelle Liebe
Andreas gab sich dieser Liebe ganz hin, die er nicht als Verirrung empfand. Ihm kam es nicht in den Sinn, sie vor sich zu leugnen, sie zu bekämpfen als «Entartung» oder als «Krankheit». Diese Worte berührten die Wahrheit so...