"Dass wir gemeinsam jung waren, bleibt das Entscheidende – was immer wir auch aus dieser Jugend gemacht haben mögen."
Klaus Mann: Kind dieser Zeit (1932)
3. Der naseweise Sohn eines berühmten Vaters
Am 19. November 1906 schrieb Thomas Mann an Kurt Martens: "Vergnügten Herzens melde ich Dir die glückliche Geburt eines wohlgebildeten Knäbleins."16 Es war der am Tag zuvor in München geborene Klaus Heinrich Thomas Mann (Spitzname "Eissi" oder "Aissi").
Von Ostern 1912 bis 1914 besuchte Klaus mit seiner Schwester Erika die Privatschule von Fräulein Ernestine Ebermayer (geb. 1861)17 in der Schwabinger Schraudolphstraße 15. Im Herbst 1914 wechselten die Beiden für zwei Jahre an die "Gebeleschule", eine Volksschule in München-Bogenhausen.
Nach einer anfangs relativ sorgenfreien Kindheit erlebte der beinahe Achtjährige den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. In seiner Autobiografie "Der Wendepunkt" erinnerte er sich später vor allem an die Hungersnot jener Kriegsjahre: "Man nimmt Wohlstand und Fülle nicht mehr als etwas Selbstverständliches hin, wenn man einmal erfahren hat, was es bedeutet, von einem Butterbrot wie von einer himmlischen Delikatesse zu träumen."18
Klaus Mann war noch keine zwölf Jahre alt, als die Novemberrevolution ausbrach. Eine Eintragung in das gerade eröffnete Tagebuch vom 9. November 1918 scheint von einem sehr frühen Interesse für die Politik zu zeugen: "Revolution! Lastwagen voll Soldaten rasen durch die Straßen; Fensterscheiben werden eingeschlagen; Kurt Eisner ist Präsident ... Es klingt alles so phantastisch, so unglaubwürdig. Und doch ist es irgendwie schmeichelhaft, sich vorzustellen, dass die Leute später über unsere bayerische Revolution mit demselben Ernst sprechen werden wie über Danton und Robespierre."19
In Wirklichkeit aber waren seine politischen Interessen damals sehr oberflächlich.20 Am 1. Januar 1919 schrieb er in sein Tagebuch: "Das neue Jahr. Mit Gewehrschüssen von Polschiwisten wird es eingeleitet. Gott! Mein Gott, was soll werden! Weltuntergang. Rotes Feuer und starre Leichen."21 In derselben Zeile notierte er dann aber weiter: "Wir hatten eine Neujahrsgans, braun und fett –."
Klaus Mann entwickelte sehr früh eine ausgeprägte Liebe zur Literatur und schrieb bereits mit vierzehn Jahren eigene Liebes- und Mordgeschichten.22 Seine literarischen Vorbilder waren neben vielen anderen Sokrates, Nietzsche, Novalis und Walt Whitman.23 Er wollte unter allen Umständen Schriftsteller werden. Schon 1920 schrieb er in sein Tagebuch: "Und wieder wird es Nacht. Wie öde... Ich muss, muss, muss berühmt werden..."24
Von 1916 bis Ostern 1922 besuchte Klaus Mann die ersten sechs Jahre des staatlichen humanistischen K. Wilhelms-Gymnasiums in der Münchner Thierschstraße 46 (Ecke Maximilianstraße), wo er mal als mittelmäßiger, gelegentlich vorlauter, arroganter und fauler Schüler, dann aber auch als überdurchschnittlich begabt mit einem "phrasenhaften Patriotismus" galt.25 Nachdem Klaus Manns Versetzung bereits in der fünften Klasse gefährdet war und sein "Klassleiter", Professor Weinrich, am Ende der sechsten Klasse "Einzelunterricht und viel körperliche Betätigung (Feldarbeit etc.) und unerbittlichen Zwang" empfahl,26 nahm ihn Katia Mann ("Mielein") von der Schule.27 Professor Weinrich stellte die Mutter nach einigen Sprechstunden wie folgt dar: "Sie ist bei aller Ablehnung doch sehr, sehr überzeugt von den literarischen Talenten ihres Klaus, was der Junge sich zu Nutzen macht, um sich verwöhnen zu lassen."28
Klaus Manns letztes Zeugnis am Wilhelmsgymnasium 1921/2229
Klaus Mann wechselte für kurze Zeit – von April bis Juli 1922 – an die von Professor Steche geleitete Bergschule Hochwaldhausen im Vogelsberg nahe Fulda. Von September 1922 bis Juni 1923 war er schließlich Schüler der 1910 gegründeten reformpädagogischen Odenwaldschule Edith und Paul Geheebs ("Paulus"),30 einer seit 2015 nach Missbrauchsskandalen31 dauerhaft geschlossenen Freien Schulgemeinde in Heppenheim-Ober-Hambach an der Bergstraße, wo Klaus sich der Jugendbewegung anschloss.32
Odenwaldschule Ober-Hambach (OSO)33
Nach eigenen Angaben verließ der eigenwillige Schüler Klaus Mann die Odenwaldschule, als er sich in den Mitschüler Uto Gartmann verliebte.34 Klaus kehrte in sein Münchner Elternhaus ("Poschi") in der Poschingerstraße 1 am Herzogpark zurück und erhielt dort Privatunterricht zur Vorbereitung auf das Abitur, den er allerdings Anfang 1924 abbrach. So blieb ihm – wie seinem Vater Thomas – "nur" die Mittlere Reife.
Klaus Manns erste Veröffentlichung war die am 3. Mai 1924 in der Berliner "Vossischen Zeitung" erschienene Skizze "Nachmittag im Schloss".35 Noch im gleichen Jahr begann seine literarische "Karriere". Er verfasste kurze Essays über Arthur Rimbaud, Georg Trakl, Jakob Wassermanns "Kaspar Hauser" und Joris-Karl Huysmans, die er unter Angabe eines "Nom de Plume" an die bedeutende Berliner literarische Zeitschrift "Die Weltbühne" schickte. Siegfried Jacobsohn, der Herausgeber der "Weltbühne", erfuhr sehr bald, wer der eigentliche Verfasser der Essays war und konnte Klaus Mann dazu überreden, sie mit dessen Name zu veröffentlichen.36 In seiner Zustimmung dazu sah Klaus Mann auch später noch »den entscheidenden Fehler«: "Denn von nun an war ich in den Augen einer »literarischen Welt«, die in Deutschland noch etwas hämischer und eifersüchtiger ist als anderswo, der naseweise Sohn eines berühmten Vaters, der sich nicht entblödet, den Vorteil seiner Geburt geschäftstüchtig und reklamesüchtig auszunutzen."37
Von diesem Moment an waren nämlich alle seine Arbeiten selbst bei so bekannten Blättern, wie der Zeitung, dem "Simplizissimus" und Samuel Fischers "Neuer Rundschau" sehr gefragt. Als Theaterkritiker schrieb er im Berliner "Zwölfuhrmittagsblatt", während seine Theaterstücke "Anja und Esther" (1925) und "Revue zu vieren" (1926) von Erika Manns Kabarett "Die Pfeffermühle" aufgeführt wurden, in denen er selbst neben Gustaf Gründgens und Pamela Wedekind mitspielte.
Das romantische Stück, "Anja und Esther", das in einem Erziehungsheim spielt, dessen Leiter Züge von Paul Geheeb trägt,38 dokumentiert unter anderem Klaus Manns "Denken in Generationen",39 indem es "die Eltern" und "die Alten" anklagt: "In ihrer unverzeihlichen Skrupellosigkeit setzten sie uns in die Welt. Sie hatten ja den Boden unter den Füßen, den wir verlieren mussten."40 Wie leicht ihm die Arbeit an seinem ersten Theaterstück fiel, beschrieb Klaus Mann später im »Wendepunkt«: "Das Drama schrieb sich fast von selbst, wie unter Diktat. In vierzehn Tagen hatte ich es zu Papier gebracht."41 Zum Erscheinen von "Anja und Esther" schrieb Stefan Zweig ihm einen ermutigenden Brief: "Nur so weitergemacht, lieber Freund! Manche mögen geneigt sein, Sie als den Sohn des berühmten Vaters abzutun. Kümmern Sie sich nicht um solches Vorurteil! [...] Ich erwarte mir viel von Ihnen. Schreiben Sie ein neues Buch!"42
Nach wie vor wurde Klaus Mann von der Öffentlichkeit scharf beobachtet und kritisiert: "Der eigentliche Grund für all dies Geschrei und Getue, das feindliche sowohl als auch das schmeichelhafte, war natürlich der stetig wachsende Erfolg meines Vaters."43
Thomas Mann – als Dichter der "Buddenbrooks" weltberühmt – hatte gerade seinen neuen Roman "Der Zauberberg" mit großem Erfolg veröffentlicht. Der väterliche Ruhm verhalf Klaus Mann nicht nur zu großer Publizität, sondern auch zu gehässigen Kritiken – nicht ganz ohne eigenes Verschulden, wie er sich selbst eingestand: "Der flitterhafte Glanz, der meinen Start umgab, ist nur zu verstehen – nur zu verzeihen –‚ wenn man sich dazu den soliden Hintergrund des väterlichen Ruhmes denkt. Es war in seinem Schatten, dass ich meine Laufbahn begann, und so zappelte ich mich wohl etwas ab und benahm mich ein wenig auffällig, um nicht völlig übersehen zu werden. Die Folge davon war, dass man nur zu sehr Notiz von mir nahm. Meist mit boshafter Absicht. Irritiert durch ständige Schmeicheleien und Sticheleien benahm ich mich, »grad zum Trotz«, genauso indiskret und kapriziös, wie es offenbar von mir erwartet wurde."44
Was Klaus Mann zu wenig bedachte, war, dass dabei auch der Name des "berühmten Vaters" ständig in bissigen Kommentaren und Karikaturen auftauchte. So schrieb beispielsweise Bertolt Brecht – nicht gerade ein Freund Thomas Manns – 1926 in dem von Stefan Grossmann und Leopold Schwarzschild in Berlin herausgegebenen "Tagebuch" einen Artikel über Thomas und Klaus Mann, in dem er sarkastisch fragte: "Wer...