2 Hunde
Daphne Ketter, Dorothea Döring
2.1 Allgemeines
2.1.1 Angstverhalten bei Hunden in der Tierarztpraxis
Dorothea Döring
2.1.1.1 Ergebnisse einer Studie
Erfahrungsgemäß zeigen viele Hunde Angstverhalten beim Tierarzt. Um festzustellen, wie viele Tiere tatsächlich von diesem Problem betroffen sind, führten wir eine Studie in einer Kleintierklinik an 135 gesunden Hunden unterschiedlicher Rassen und beiderlei Geschlechtes durch ▶ [21], ▶ [28]. Das Verhalten der Hunde wurde beim Eintritt in den Behandlungsraum, beim Aufenthalt im Behandlungsraum auf dem Boden, während einer standardisierten Testuntersuchung auf dem Behandlungstisch sowie beim Verlassen des Behandlungsraumes beobachtet. Bei der Untersuchung auf dem Behandlungstisch handelte es sich um eine standardisierte Allgemeinuntersuchung (Adspektion von Augen, Ohren und Maulschleimhaut, Palpation des Bauches, Messung der rektalen Körpertemperatur und Auskultation). Zusätzlich wurden Daten mittels Fragebogen erhoben.
Die Hunde wurden in die Kategorie „ängstlich“ eingeteilt, wenn sie mindestens drei der folgenden fünf Verhaltensmerkmale bei der Untersuchung auf dem Behandlungstisch aufwiesen: geduckte Körperhaltung, gesenkte oder zwischen den Beinen eingekniffene Rute, Zittern, Meideverhalten (versucht, vom Tisch zu springen oder versteckt sich bei seinem Besitzer), starr nach vorne gerichteter Blick.
Der Großteil der Hunde (78,5% von n=135) wurde daraufhin als „ängstlich“ eingeordnet. Des Weiteren wurde festgestellt, dass über ein Drittel der Hunde zögerlich in den Behandlungsraum lief oder sich hinter dem Besitzer versteckte, acht Tiere mussten an der Leine in den Raum gezogen und zehn von ihnen getragen werden, da sie ihn nicht freiwillig betraten.
Auf dem Behandlungstisch zeigten die Hunde signifikant mehr Zeichen von Angst und Stress als auf dem Boden im Behandlungsraum (Körpersprache, Zittern).
Beim Verlassen des Behandlungsraumes verhielten sich die Hunde signifikant anders als beim Betreten. So zogen nun 84,4% der Hunde an der Leine hinaus, ohne Leinenzug liefen 12,6%. Je zwei Hunde liefen zögerlich bzw. mussten getragen werden.
Es stellte sich heraus, dass es signifikante Unterschiede hinsichtlich Alter, Geschlecht und Vorerfahrungen zwischen den „ängstlichen“ und den „entspannten“ Tieren gab, die bei der Untersuchung auf dem Behandlungstisch keines oder nur eines der oben genannten Verhaltensmerkmale gezeigt hatten. Rüden stellten sich als signifikant weniger ängstlich heraus als Hündinnen. Tiere unter zwei Jahren zeigten sich signifikant weniger ängstlich als ältere Hunde. Tiere, die nach Angaben ihrer Besitzer bereits schlechte Erfahrungen beim Tierarzt gemacht hatten, verhielten sich signifikant ängstlicher als Hunde, die bisher nach Ansicht ihrer Besitzer nur positive Erfahrungen gemacht hatten.
Aus den Ergebnissen der Studie lässt sich schließen, dass der Großteil aller Hunde, die in die Tierarztpraxis kommen, Angstverhalten zeigt und dass somit für diese Tiere der Tierarztbesuch eine Belastung darstellt. Dieser hohe Prozentsatz entspricht auch den Angaben in der Literatur: So zeigten nach Beaver ▶ [19] 60% der Hunde, die in eine Tierarztpraxis gebracht wurden, ängstliches oder submissives Verhalten, und Stanford ▶ [30] stellte fest, dass sich sogar 70% der beobachteten Hunde weigerten, eine Tierklinik zu betreten, und entweder hineingezogen oder getragen werden mussten.
Am Verhalten der Tiere unserer Studie war abzulesen, dass die Situation auf dem Tisch noch eine Steigerung der Belastungssituation darstellte. Dies kann zum einen daran liegen, dass die Untersuchung auf dem Tisch und nicht am Boden erfolgte. Zum anderen ist plausibel, dass der Tisch eine weniger vertraute und somit beängstigende Situation darstellte oder aber für einen Teil der Hunde bereits mit unangenehmen Erfahrungen verbunden war. Über klassische Konditionierung können unangenehme Erfahrungen wie z.B. schmerzhafte Behandlungen mit Gegenständen, Personen oder Situationen (z.B. Untersuchungstisch, Tierarzt, Praxisräumen) verknüpft werden, sodass diese daraufhin selbst zu Auslösern von Angstverhalten werden können. Jedes negative Erlebnis beeinflusst das Verhalten des Hundes, sodass der folgende Tierarztbesuch immer schwieriger wird. Deshalb sollten geeignete ▶ Methoden angewendet werden, um die Angst der Hunde zu reduzieren.
Empfehlungen aufgrund der Ergebnisse der Studie
Man muss davon ausgehen, dass der Großteil alle Patienten beim Tierarztbesuch Angst hat. Dementsprechend sind Maßnahmen zur Stressreduktion bei allen Tieren anzuwenden, die Zeichen für Verunsicherung zeigen.
Das Angstverhalten ist abhängig von negativen Erfahrungen und nimmt mit steigendem Alter – und häufigeren Tierarztbesuchen – zu. Hier ist unbedingt gegenzusteuern: Tierarztbesuche sollen zu positiven Erlebnissen werden. Das Positive sollte mögliche negative Erfahrungen deutlich überwiegen. „Positive Routinen“ sollten daher in den Praxisalltag integriert werden.
Junge Hunde zeigen weniger Angstverhalten als ältere. Insbesondere bei ihnen müssen positive Erfahrungen etabliert werden, um zukünftiges Angstverhalten zu vermeiden. Tierärzte sollten als selbstverständliche Serviceleistungen „Spaßbesuche“ für Welpen anbieten und gezielt eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Hund und Tierarzt etablieren.
2.1.2 Kommunikationsformen
Daphne Ketter
Für den Tierarzt ist es überaus wichtig das Ausdrucksverhalten des Hundes zu verstehen, um sich sowohl um das emotionale wie auch körperliche Wohlergehen des Hundes kümmern zu können. Aber auch im Rahmen der Bissprävention ist es notwendig, dass der Tierarzt sowie andere Menschen, die mit Hunden Umgang haben, das Verhalten eines Hundes richtig deuten können.
Um das Verhalten eines Hundes verstehen zu können, ist es immer wichtig, die Summe der einzelnen Signale sowie den Kontext zu betrachten. Auch rassespezifische sowie individuelle Besonderheiten müssen bei der Beurteilung berücksichtigt werden.
Im Folgenden wird das optische und akustische Ausdrucksverhalten des Hundes im Hinblick auf die Relevanz hinsichtlich des Handlings in der Tierarztpraxis näher betrachtet.
2.1.2.1 Optisches Ausdrucksverhalten
Das optische Ausdrucksverhalten (Gestik und Mimik) des Hundes dient der Kommunikation mit der belebten (Mensch, Artgenossen, andere Lebewesen) und auch unbelebten (z.B. Staubsauger, Zentrifuge) Umwelt.
Hunde verfügen über viele optische Ausdrucksmittel. Hierzu gehören:
Kopf (Ohren, Stirn, Augen, Schnauze)
Rute
Rückenhaare
Körperhaltung und -spannung
Zu beachten ist, dass bei einigen Rassen das optische Ausdrucksverhalten zum Teil nur eingeschränkt möglich ist, wie etwa bei Hunderassen, bei denen die Gesichtshaut an sich in Falten gelegt ist (z.B. englische und französische Bulldogge, Mops, Shar Pei; ▶ Abb. 2.1).
Abb. 2.1 Das Ausdrucksverhalten des Haushundes ist je nach Rasse mehr oder weniger reduziert, was zu intraspezifischen Konflikten führen kann. Eine solche rassebedingte ausgeprägte dauerhafte Faltenbildung im Kopfbereich wie z.B. bei Bulldoggen kann zu Missverständnissen führen.
(Quelle: Jane Englmeier, München.)
Für die richtige Interpretation des Verhaltens des Hundes reicht es nicht aus ein einziges Ausdrucksmittel zu beobachten, wie z.B. die Rute. Nicht selten wird das sogenannte Schwanzwedeln als Zeichen für einen freundlichen Hund fehlinterpretiert. Es ist immer wichtig die Einzelsignale in ihrer Gesamtheit und im Kontext zu betrachten.
Das sogenannte Schwanzwedeln ist kein Zeichen von Freude, sondern zeigt lediglich, dass sich der Hund in einer erhöhten Erregungslage befindet.
Hund in neutraler bzw. entspannter Grundstimmung