Vorwort
Ich bin Betriebswirt und habe mich als solcher mehr als 30 Jahre mit dem wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen befasst. Es ist für mich klar, dass der Erfolg eines Unternehmens von staatlichen Eingriffen in der Regel behindert und nicht gefördert wird. Ebenso ist für mich evident, dass Staaten und deren Organisationen schlechte Unternehmer sind. Nahezu jedes im Privatbesitz befindliche Unternehmen wird besser geführt. Frei Handel betreiben zu können, seine unternehmerischen Chancen und Potenziale ungehindert entwickeln und nutzen zu können, ist zweifellos der ideale Nährboden für ein gut geführtes Unternehmen, um erfolgreich zu sein. Aus meiner betriebswirtschaftlichen Sicht bin ich daher ein Anhänger der freien, möglichst unbehinderten Marktwirtschaft.
Allerdings bin ich nicht nur Betriebswirt, sondern auch ein Mensch mit philosophischen Interessen und vor allem Vater und Großvater. Der Wachstumsfetischismus unserer Wirtschaft war mir schon in meinen jungen Jahren nicht selbstverständlich. Alles was wächst, muss auch einmal damit aufhören.
Der Missbrauch und die Zerstörung unserer Umwelt, die Industrialisierung der Landwirtschaft, die Kommerzialisierung fundamentaler Lebensbereiche als Geschäftsfelder und vieles mehr, waren für mich Zeichen einer bedrohlichen Entwicklung.
Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zerfall der UdSSR schien die Begeisterung der westlichen Welt, über den Kommunismus gesiegt zu haben, nicht mehr zu bremsen. So als ob zuvor die UdSSR gerade noch eine grenzenlose Dominanz der Wirtschaft im Westen zurückgehalten hätte, folgte 1989 ein weltweiter Durchbruch der wirtschaftsliberalen Ideen, beginnend mit Reaganomics und Thatcherismus. Die Staatsverschuldung setzte zu einem teilweise schwindelerregenden Höhenflug an, der durch die Krise des Jahres 2008 nochmals heftig angeheizt wurde.
Ich war verwirrt, denn gerade ein so renommierter, eher dem linken Lager zugerechneter Volkswirt wie Stiglitz setzte sich trotz dieser Krise heftig für eine zusätzliche Neuverschuldung ein.1 Für ihn basiert die Behauptung, dass der Staat durch seine Ausgabenpolitik die Wirtschaft ankurbeln könne, auf einer ihm simpel erscheinenden Logik: Wenn die Regierung die Ausgaben erhöht, wächst das BIP um ein Mehrfaches. Er meinte, Staatsausgaben fließen selbstredend in arbeitsplatzgenerierende Wirtschaftsinvestitionen2.
Er übersah u. a., dass diese Investitionen keineswegs erfolgreich sein müssen oder nur dazu genutzt werden, die Kapitalrendite zu steigern und/oder in einer globalen Wirtschaft Arbeitsplätzen an anderen Orten der Welt zu schaffen. Er glaubte scheinbar, dass man Staatsschulden direkt gegen Arbeitsplätze im eigenen Land tauschen könne und die Schuldenrückzahlung ohnedies kein Problem wäre.
Das Prinzip, die Wirtschaft zu fördern, alle Freiheiten zu gewähren, bei schlechter Konjunktur durch die Aufnahme von Staatsschulden in die Wirtschaft zu investieren, um Beschäftigung und Arbeitseinkommen für die eigene Bevölkerung zu generieren, begann jedoch bald, Risse zu zeigen.
Die Moral eines Teiles der Bankenwelt, die bis 2008 hemmungslos Betrug mit sogenannten Asset Backed Securities3 betrieb, war ein lautes Warnzeichen. Hier schrie eine ganze Branche aus den USA in die Welt hinaus: Wir nehmen euch alles Geld ab, das wir kriegen können und scheren uns nicht um die Folgen!
Was aus betriebswirtschaftlicher Sicht sinnvoll erschien, gewann aus volkswirtschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht eine zunehmend andere Bedeutung. Der Mensch ist zwar der kleinste gemeinsame Nenner dieser Entwicklungen, aber keineswegs deren Mittelpunkt, sondern oftmals lediglich Hilfsmittel oder gar Werkzeug. Für wen tun wir aber dann das alles, wenn nicht für den Menschen?
In diesem Buch werde ich an Hand öffentlich zugänglicher Daten eine gegenwärtige Entwicklung aufzeigen, die meiner betriebswirtschaftlichen Sicht gänzlich widerspricht.
Damit meine ich besonders, dass unser liberales Wirtschaftssystem sich nicht nur zunehmend selbst bedroht, sondern auch unsere Demokratie, unsere Volkswirtschaften und vor allem unsere Umwelt.
Infolge dieses Wirtschaftsliberalismus konnte die Wirtschaft uns und unseren Planeten in Besitz nehmen und nutzen. Diese Nutzung ist jedoch immer unverantwortlicher geworden und bedroht unsere ökonomische Zukunft, die Gesundheit und den Fortbestand nicht nur unserer Spezies.
Die Freiheit des Menschen, die Würde und Achtung des Lebens, die Schönheit und Vielfalt unserer Welt werden gröblich missachtet, wenn sie auf ihre wirtschaftliche Bedeutung reduziert und bis zur ökonomischen Unbrauchbarkeit genutzt werden.
Ich halte nichts davon, so weiter zu wirken wie bisher, im unerschütterlichen Vertrauen, dass wir zwei Meter vor dem Abgrund schon eine Lösung finden werden. Dazu ist mir das Leben meiner Kinder und Kindeskinder zu wichtig.
Ich möchte mich in meiner Kritik jedoch von jeder politischen Zuordnung fernhalten. Es erscheint mir notwendig, keiner der gängigen politischen Kategorien das Wort zu reden. Dies nicht nur, um persönlich Distanz zu wahren, sondern auch, weil ich keinen politischen Standpunkt kenne, der ein funktionsunfähiges Wirtschaftssystem befürworten würde.
Mein Ansatz zur Änderung, zur Emanzipation des Lebens gegenüber den ökonomischen Interessen der Wirtschaft, ist die Erneuerung und Erstarkung der Demokratie.
In einer aufgeklärten Welt wird die Macht des Volkes von der Demokratie repräsentiert. Diese hat die Aufgabe, diese Kraft gegen die globalen Kräfte einer sich verselbstständigenden Wirtschaft einzusetzen. Die Demokratie zu stärken, ist keineswegs leicht oder einfach. Das zunehmende Ungleichgewicht von Einkommens- und Vermögensverteilung fördert Protest- und Rechtswähler-Potenzial und keineswegs demokratische Kräfte.
Dennoch führt kein Weg an der Demokratie vorbei. Ein Konzept der Verantwortung für uns, unsere Nachkommen, für die Mitmenschen und für den gesamten Lebensraum und seine Mitbewohner ist unausweichlich notwendig. Das Streben nach einer gerechten Verteilung von Knappheit und Überfluss klingt in einer Zeit, in der Bildung zumeist nur mehr Berufsausbildung bedeutet und die Nachrichten des Tages nicht gelesen, nicht gesehen oder nicht verstanden werden, fast utopisch. Aber genau diese Utopie ist lebensnotwendig – dorthin sollte unser Weg führen.
Ein demokratisch hilfreicher Gedanke, der sich durch die Themen dieses Buches zieht, ist der einer inneren Verwobenheit, der gegenseitigen Abhängigkeit in Form von verschiedenen Kreisläufen.
Dem gegenüber versteht sich die Wirtschaft eher eindimensional und linear: Weniger Kosten bessere Wettbewerbsfähigkeit mehr Umsatz mehr Gewinn.
Weniger Kosten bedeuten aber mehr Verbrauch einer Umwelt, die nur deshalb keinen Preis hat, weil sie niemand verkaufen kann. Ihre Kosten holen uns aber dennoch über die Emissionen, den Verlust an Lebensraum und an Biodiversität ein. Wie werden unsere Nachfahren ihre Eltern und Großeltern beurteilen, wenn sie ihnen nur den Abfall eines industriellen und postindustriellen Zeitalters hinterlassen?
Der Umsatz des Unternehmens resultiert letztlich aus dem Konsum der Kunden, welcher, volkswirtschaftlich gesehen, aus jenem Arbeitseinkommen, das seinerseits die Lohnkosten des Unternehmens darstellt, finanziert wird. Umsatz und Arbeitseinkommen sind daher untrennbar aufeinander angewiesen. Beide sind allerdings gefährdet, wenn Arbeitsplätze durch Verlagerung oder Rationalisierung verloren gehen. Sie sind ebenso bedroht, wenn Umsätze immer mehr mangels Einkommen aus Krediten finanziert werden, welche infolge der steigenden Überschuldung nicht zurückbezahlt werden können.
Viele sehen diese Kreisläufe nicht und meinen, überall nur ihren Vorteil einseitig für sich nutzen zu können. Dabei verhalten sie sich wie Zechpreller, die im Glauben leben, ihren Konsum niemals bezahlen zu müssen: Diesen Konsum halten sie für Fortschritt.
Nach den Zerstörungen des 2. Weltkrieges war vieles wiederaufzubauen und es galt die Not und die Entbehrungen durch Fleiß, Einsatz, Mut und Ideen zu lindern.
Heutzutage dagegen sitzen wir alle in einem Zug, der längst seine Haltestelle übersehen hat. Wir haben in vielen Ländern angemessenen Wohlstand erreicht, fahren jedoch weiter und weiter, so als ob dieses Geleis nie enden wollte. Doch auch in unserer Welt enden Geleise natürlich irgendwo, auch wenn man den Zug nicht bremst.
1 Joseph Stiglitz, geboren 1943, Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford, Stanford und Columbia, Wirtschaftsberater der Clinton Regierung, Wirtschaftsnobelpreisträger 2001, 1997 bis 2000 Chefökonom der Weltbank und von 2011 bis 2014 Präsident der International Economic Association
2 Josef Stiglitz, Der Preis der Ungleichheit, Pantheon Verlag 2014, Seite 306, 307
3 Asset Backed Securities sind Wertpapiere, hinter denen Kreditforderungen einer Bank stehen. Diese Kredite werden in Pakten zusammengefasst und als Wertpapier verkauft. Dieserart kommt die Bank früher zu ihrem Geld und hat auch gleichzeitig das Kreditrisiko abgegeben. Wenn diese Kredite an Kreditnehmer gewährt werden, deren Bonität nicht ausreichend geprüft wurde und die...