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E-Book

Komik (in) der Migrationsgesellschaft

AutorDarja Klingenberg
VerlagUVK Verlagsgesellschaft mbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl294 Seiten
ISBN9783864963797
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Humor »mit Migrationshintergrund« war bis vor zehn Jahren vor allem in den Nischen der Kleinkunstbühnen und in privaten Gesprächen von MigrantInnen zu hören. Dies ändert sich in den letzten Jahren mit KomikerInnen wie Bülent Ceylan oder Kaya Yanar, aber auch Fernseh- und Radioproduktionen wie »Taxi Scharia« oder »Türkisch für Anfänger« erfreuen sich massenmedialer Aufmerksamkeit. Welche Bedeutung hat das Komische für die öffentliche aber auch private Verhandlung von Migration? Die verschiedenen Spektren komischer Darstellungspraktiken werden hier erstmals wissenschaftlich untersucht und mit Methoden der Soziolinguistik, der Migrationssoziologie und der Kultur- und Sprachanthropologie aufgefächert. Betrachtet werden massenmediale wie subkulturelle Comedy-Produktionen aus Ankunfts- und Herkunftsländern, Komik in Alltagsgesprächen von Jugendgruppen mit und ohne Migrationserfahrungen sowie komische Selbstdeutungen und Reflexionen von Migrantinnen und Migranten. Humor wird hierbei als wichtiger Austragungsort der Auseinandersetzung um Migration erkennbar und erfüllt vielschichtige Funktionen, so etwa im Rahmen der Inszenierung von Eigenem und Fremdem oder in der Diskussion um Rassismus. Aber auch für die Migrantinnen und Migranten selbst spielt das Komische eine wichtige Rolle und dient der Aushandlung von Konflikten und schwierigen Erfahrungen sowie dem Entwurf neuer Selbstbilder. Dabei treten besondere Freiheiten wie auch Grenzen des Komischen in den Blick: Die Frage, wer mit wem wie und worüber lacht, ist gekoppelt an die Frage, wer mit wem wie und worüber lachen ›darf‹.

Helga Kotthoff ist Professorin für Sprachwissenschaften mit Schwerpunkten in Soziolinguistik, Gesprächsforschung und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Freiburg im Breisgau.

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Leseprobe

[48][49]Über die Fünf Säulen des Islam, Pershing II-Raketen und wahre Integration

ŞINASI DIKMEN IM GESPRÄCH MIT HELGA KOTTHOFF

HK: Herr Dikmen, Ihre Show gestern Abend hat uns sehr gefallen. Um zu zeigen, dass wir auch aufgepasst haben, sagen wir nun erst einmal die fünf Säulen des Islam auf: Das Glaubensbekenntnis, fünf mal am Tag beten, Almosen geben, Ramadan einhalten und die Pilgerfahrt nach Mekka durchführen.

Dikmen: (lachend) Sehr richtig. Eigentlich ist das im Theater eine kleine Spielerei mit den Zuschauern; die sollen ja nicht einschlafen. Ab und zu kommen insbesondere die Männer, die von ihren Frauen mitgenommen werden, und sagen: Um Gotteswillen, das interessiert mich doch einen Scheißdreck!

HK: Haben Sie wirklich den Eindruck, es kommen eher Frauen ins Kabarett? Dikmen: Ja, es sind eher Frauen, die kommen. Überhaupt gehen ja eher Frauen ins Theater. Die reservieren die Karten und schleppen dann ihre Männer mit. Männer sind dazu viel zu träge, sind zu beschäftigt. Die Kulturseite wird von den Frauen gemanagt.

HK: Ihre Show ist sehr anspielungsreich. Oft merkt man erst einen Moment später, was Sie überhaupt gesagt haben. Zum Beispiel sprachen Sie in Ihrer Soloshow „Islam für Anfänger“ gestern von der „liebenswerten Problemzone Sauerland“. Natürlich spielen Sie damit auf die „Sauerlandgruppe“ an, obwohl die ganze Region ja auch unter den Titel passt.

Dikmen: Das ist richtig. Ich warne das Publikum ja auch, dass zwischen den Zeilen vieles gesagt wird. Wir legen darauf viel Wert, wie jede Komik. Das Programm habe ich ja nicht allein geschrieben. Auch wenn die Ideen und die Texte fast alle von mir sind, arbeite ich daran noch intensiv mit meinem Regisseur und Mittexter Wolfgang Marschall. Vor allem in dieses Programm haben wir sehr viel Arbeit gesteckt, denn wenn schwere Interpretationsfehler aufträten, würden wir von der falschen Seite Beifall ernten. Das Thema Islam ist natürlich heikel; dabei wollen wir die Islamfeindlichkeit in Deutschland ja [50]nicht füttern. Wir wollen auch nicht die Islamisten auf uns aufmerksam machen.

HK: (Scherzhaft) Keine Drohungen riskieren?

Dikmen: Wir haben schon Morddrohungen erhalten; das ist zwei- dreimal passiert.

HK: Im Ernst?

Dikmen: Ja, einmal war es ein türkischstämmiger Student, der in Deutschland geboren wurde. Dem haben wir geantwortet, wenn er Manns genug sei, könne er gerne kommen, das Programm noch einmal ansehen und uns dann erklären, wo die Fehler stecken. Wir wollten gerne mit ihm diskutieren und ihm zeigen, dass er inhaltlich und politisch gar nichts kapiert hat. Darauf hat er geantwortet, dass er in Deutschland geboren sei und sehr wohl alles verstanden habe. Wir haben geschrieben es gäbe Tausende Menschen in Deutschland, die hier geboren sind, aber politisch nichts verstanden haben – und er sei einer von ihnen. Wir haben bei ihm in der Nähe, in Wiesbaden, gespielt und ihn zu einer Diskussion eingeladen, aber er ist natürlich nicht aufgetaucht. So etwas passiert eben, weil das Programm so engmaschig verwoben ist.

HK: Das stimmt. Es hat einen dichten Gehalt und informiert auch kritisch. Dikmen: Das Thema erfordert das. In Deutschland weiß man fast nichts über den Islam.

HK: Deshalb gestalten Sie ihre Show wohl mit der Wiederholung der fünf Säulen. Trotzdem enthält sie ja auch eine islamkritische Seite.

Dikmen: Ja. Es ist eigentlich ein anti–religiöses Stück.

HK: Es gibt vor allem viel Kritik an der Doppelmoral der westlichen, vor allem der deutschen Politik.

Dikmen: Natürlich. Das Stück ist anti–religiös und kritisch Deutschland gegenüber. In meinen Programmen habe ich sehr viele „gute Feinde“, auf die ich besonders gerne schieße. Griechen, Deutsche, Türken, Kurden – von allen Kulturen trage ich ein bisschen in mir.

HK: Auch etwas Griechisches?

Dikmen: Ja, die griechische und die türkische Kultur sind eng miteinander verwandt. Zum Beispiel kommen fast alle türkischen Fischnamen aus dem Griechischen. Dabei interessieren sich die Türken kein bisschen für die Griechen – die Griechen sich allerdings sehr für die Türken. Aber das ist eben dieser „Herrschende und Beherrschte-Effekt“. Die Griechen sind einst von [51]den Völkern aus dem Osmanischen Reich vertrieben worden und es ist schade, dass sie Anatolien verlassen mussten. Das ist eine Wunde, die immer noch schmerzt. Ähnlich wie die Juden aus Deutschland verschwunden sind. Und das war und ist intellektuell eine Katastrophe für Deutschland. Es gibt keinen einzigen Deutschen mehr, der im großen Stil über den Tellerrand schauen kann, keinen, der intellektuell Weltformat hat.

HK: Es gibt keinen Deutschen der intellektuell Weltformat hat?

Dikmen: Nennen Sie mir einen.

HK: Zum Beispiel Habermas.

Dikmen: Auch der ist mit der jüdischen Schule groß geworden.

HK: Ja, die intellektuellen deutschen Juden haben Deutschland geprägt. Hannah Arendt zum Beispiel.

Dikmen: Natürlich, die ist deutsche Jüdin und sie ist aus Deutschland weggegangen! Und das meine ich: die Minderheiten geben den Mehrheiten unwahrscheinlich viel. Ob Sie nun an die deutschen Juden damals und heute denken oder an die griechischen bzw. armenischen damals im Osmanischen Reich – immer haben sie unwahrscheinlich viel zur Mehrheit beigetragen, ohne dass das vom proportionalen Volumen her hätte erwartet werden können.

HK: Da haben Sie Recht. Ein großer Teil Ihrer Kritik im Programm bezieht sich darauf, dass überall die Demokratie abgebaut wird.

Dikmen: Ja, oftmals regiert eine Scheindemokratie. Als Polen zum Beispiel der CIA erlaubt hat, heimlich in ihrem Land Gefangene zu foltern, hatte das mit den Prinzipien der EU – mit Menschenrechten überhaupt nichts zu tun!

HK: Ihr Programm ist also klassisches Kabarett mit politischen Spitzen, keine Comedy.

Dikmen: Genau. Das sage ich ja auch auf der Bühne, denn wir machen was anderes als die türkischen Kollegen und Kolleginnen im Fernsehen. Es wimmelt ja nur so von nett witzelnden türkischen Kollegen in der Szene, dabei haben die qualitativ überhaupt nichts zum Durchschauen der heutigen Welt beizutragen; von den Ideen her bleibt es in ihren Shows schlicht.

HK: Aber die sind doch sehr erfolgreich.

Dikmen: Ja, sie haben sprachliche Stile, die ankommen.

HK: Das ist ja interessant! Wir sind ja Linguistinnen…

Dikmen: Ja, dann hören Sie sich doch mal die Sprache von Kaya Yanar an und vergleichen Sie die mit der Sprache von Mario Barth. Das ist fast identisch: [52]Kurze Sätze, dauernde Wiederholungen von Formeln, sodass meine Enkelin mit 14 sie toll finden wird.

HK: Aber das sind ja schon harte Worte, wenn Sie sagen, diese Art von Comedy bringt überhaupt nichts.

Dikmen: Überhaupt gar nichts. Also, Kaya Yanar und Bülent Ceylan sehen unheimlich sympathisch aus – Bülent ist der Traummann der Teenies – und beide bringen die Leute zum Lachen.

HK: Kaya Yanar hat zum Beispiel ein ganzes Panoptikum an Figuren…

Dikmen: Die er beherrscht; ohne Zweifel spielt er sehr, sehr gut, aber politisch-inhaltlich bringt das nichts!

HK: Aber hat das nicht, als es vor gut zehn Jahren anfing, doch etwas gebracht, dieses Panorama an Figuren, die alle gleichermaßen auf die Schippe genommen werden? Das italienische Muttersöhnchen, der türkische Macho, der deutsche Polizist, der sich im italienischen Restaurant nicht zu benehmen weiß und im griechischen schon gar nicht. Ist es nicht zumindest für das Fernsehen eine wichtige Sache gewesen, die Spitzen so über verschiedene Figuren zu verteilen und Deutsche zu den Hauptexoten werden zu lassen?

Dikmen: Doch. Alle diese Komiker-Kollegen spielen eine große Rolle bei der Integration von Minderheiten hier. Durch sie wird die Mehrheit positiv beeinflusst, die dann zum Beispiel Türken besser annehmen kann. Wenn Sie einen 1,82 m großen, langhaarigen Bülent Ceylan sehen, der auf der Bühne steht, der sehr sympathisch ist, dann ist der Türke, dem sie auf der Straße begegnen, gleich auch sympathischer. Natürlich trägt das zur Integration bei. Aber schauen Sie sich doch auch mal Mesut Özil an. Der Junge ist der Liebling der Deutschen, weil der – um sein Deutsch zu sprechen – wunderbare Tore scheißt. Vor zwei Jahren hat der den Integrationspreis bekommen und gleichzeitig die Schwester von Sarah Connor. Und letztes Jahr hat den Preis dann Bushido bekommen.

HK: Tatsächlich. Bushido hat den Preis für Integration21 bekommen. Mit seinen von Fäkalsprache und Gewalt- und Sexphantasien geprägten Texten.

Dikmen: Und zu dem Preis hat er [53]auch gleich die Schwester von Sarah Connor dazu bekommen. Jedesmal, wenn man den Preis bekommt, kriegt man auch gleich die Schwester von Sarah Connor dazu. Aber ich habe keine Chance sie jemals zu bekommen! (lacht)

HK: (lachend) Ach, das ist Ihr Problem! Da können wir...

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