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E-Book

Kommunales Gefahrenabwehrrecht in Niedersachsen

AutorHelmut Globisch, Holger Weidemann, Marco Trips, Sabine Drape
VerlagMaximilian Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl136 Seiten
ISBN9783786909866
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
In Niedersachsen nehmen Polizei und Verwaltungsbehörden gemeinsam die Aufgabe der Gefahrenabwehr war. Dieses Buch rückt die Rolle der Kommunalverwaltungen ins Zentrum der Betrachtung. Auch wenn in einer hoch spezialisierten Welt der Gesetzgeber durch Erlass spezieller Gesetze weite Bereiche geregelt hat, darf die Bedeutung des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts für die kommunale Verwaltungspraxis nicht unterschätzt werden. Dieses Werk, herausgegeben von einem praxiserfahrenen und kompetentem Autorenteam, zeichnet die aktuellen Rechtsentwicklungen nach. Es ist sowohl für Studierende und Lehrgangsteilnehmerinnen und Lehrgangsteilnehmer als auch für Praktiker geeignet.

Sabine Drape, Helmut Globisch und Holger Weidemann (Vizepräsident der Hochschule) sind Professoren am Niedersächsischen Studieninstitu für Kommunale Verwaltung e.V. sowie an der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen für Verwaltungsrecht (einschließlich des Gefahrenabwehrrechts). Dr. Marco Trips ist Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes.

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Leseprobe

2DER GEFAHRENBEGRIFF

2.1Geschriebene Gefahrenarten

2.1.1KONKRETE GEFAHR

Die Gefahr ist das entscheidende Merkmal und der wesentliche Grundbegriff im Gefahrenabwehrrecht. Sie ist Voraussetzung für die Aufgabenbestimmung sowie für Handlungsermächtigungen. Das BVerwG15 geht insofern von einer Gefahr aus, »wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird«.

Im Nds. SOG findet sich eine Legaldefinition der konkreten Gefahr in § 2 Nr. 1a Nds. SOG. Hiernach liegt (im Gegensatz zur abstrakten Gefahr gem. § 2 Nr. 2, die keinen Einzelfall betrifft) eine konkrete Gefahr bei einer Sachlage vor, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden an der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eintreten wird.

Abb.: Gefahr

2.1.1.1Die Schutzgüter

2.1.1.1.1Die öffentliche Sicherheit

Die zentrale Anforderung an eine Gefahr im Gefahrenabwehrrecht ist die Betroffenheit der öffentlichen Sicherheit. Die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit lassen sich in drei Grundkategorien fassen. Dies sind:

Die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung.

Die Unverletzlichkeit von subjektiven Rechten und Rechtsgütern des Einzelnen.

Der Bestand des Staates sowie seiner Einrichtungen und Veranstaltungen und sonstiger Träger von Hoheitsgewalt.16

2.1.1.1.1.1Die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung

Die öffentliche Sicherheit kennzeichnet den Soll-Zustand allen geltenden Rechts.17 Das heißt, dass die Rechtsordnung geschützt werden soll vor Verstößen gegen Gebots- und Verbotsvorschriften.18

Beispiele:

a)Eine Spielplatzsatzung verbietet das Mitbringen von Tieren auf dem Spielplatz. Frau Gundlach besucht den Spielplatz regelmäßig mit ihren Kindern und bringt hierbei ihren Dackel mit.

b)Herr Becker verstößt wiederkehrend durch Fahrten mit seinem Lastkraftwagen gegen das Sonntagsfahrverbot gem. § 30 Abs. 3 StVO.

In beiden Fällen geht es um die zukünftige Verhinderung von weiteren Verstößen gegen die Rechtsordnung. Zu a) um die Wahrung der Rechtsordnung im Hinblick auf die künftige Beachtung der Satzung und zu b) um die Einhaltung der Rechtsordnung hinsichtlich der StVO. In beiden Fällen ist die öffentliche Sicherheit bedroht, und ein Einschreiten durch konkrete Verbote gegenüber Frau Gundlach und Herrn Becker könnte zur entsprechenden Gefahrenabwehr gerechtfertigt sein.

2.1.1.1.1.2Individualrechtsgüter des Einzelnen, Selbstgefährdung

Zu Individualrechtsgütern des Einzelnen zählen jedenfalls Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre sowie Vermögen des Einzelnen.

Die Verletzung dieser Individualgüter führt aber nur dann zur Betroffenheit der öffentlichen Sicherheit, wenn es sich um die Individualgüter sog. »Dritter« handelt. Sofern die Beeinträchtigung dieser Individualgüter durch das Verhalten einer Person verursacht wird, ist die öffentliche Sicherheit grundsätzlich nur dann betroffen, wenn dadurch die Individualgüter anderer Personen als die des Verursachers betroffen sind. Sofern sich eine Person lediglich selbst gefährdet, ohne damit Dritte zu gefährden, so ist dadurch grundsätzlich die öffentliche Sicherheit nicht betroffen. Man spricht dann von »zulässiger Selbstgefährdung«. Dies gilt aber wiederum dann nicht, wenn die Gefahr einer Selbsttötung besteht19 oder wenn die Fähigkeit des Selbstgefährders, Gefahren zu erkennen, erheblich eingeschränkt ist, wenn er sich also in hilfloser Lage oder in einem Zustand befindet, der die freie Willensbildung ausschließt.

Beispiel:

Die im Zirkus auftretenden Motorradfahrer, die im Rondell gefährlichste Fahrten unternehmen, gefährden sich dadurch selbst, indem sie ihre Gesundheit bzw. ihr Leben aufs Spiel setzen. Hier handelt es sich jedoch lediglich um eine zulässige Selbstgefährdung, denn es sind keine anderen Personen in ihren Individualgütern berührt. So ist die öffentliche Sicherheit insoweit nicht betroffen. Gleiches gilt insbesondere auch für viele gefährliche Sportarten, wie Bungee-Springen, Gleitschirmfliegen etc.

Gegenbeispiel:

Der betrunkene und gesundheitlich geschwächte 81-jährige Rentner Schulz möchte beweisen, dass er in der Lage ist, den Rhein zu durchschwimmen. Er ist jedenfalls aufgrund des Rausches nicht in der Lage, die Situation und seine Kräfte richtig zu beurteilen. Hier liegt keine zulässige Selbstgefährdung vor, ein gefahrenrechtliches Eingreifen zum Schutz des Schulz wäre gerechtfertigt. Insbesondere ist dies auch bei der noch beschränkten Einsichtsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen ebenso der Fall.

Im Rahmen der Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit kann es in derselben Sachlage zu Überschneidungen in den betroffenen Schutzgütern kommen. Es können Individualgüter »Dritter« betroffen sein, wodurch gleichzeitig die Rechtsordnung betroffen ist.

Beispiel:

In einer Spielplatzsatzung ist ein Rauchverbot auf dem Spielplatz geregelt. Frau Reiser raucht wiederholt mehrere Zigaretten auf dem Spielplatz, während ihre Tochter in der Sandkiste spielt. Frau Hauser, die ebenfalls mit ihrer Tochter den Spielplatz besucht, fühlt sich in ihrer und der Gesundheit ihrer Tochter beeinträchtigt.

Hierbei ist vorrangig vor gegebenenfalls auch anderen betroffenen Schutzgütern auf die Rechtsordnung abzustellen. Einschlägiges Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist hier die Rechtsordnung.20 Im obigen Beispiel wird deutlich, dass durch die Satzung ja gerade auch die Gesundheit anderer Spielplatzbesucher durch das Rauchverbot geschützt werden soll. Daher ist es bei Betroffenheit der Rechtsordnung nicht nötig, die Individualschutzgüter herauszustellen, die gerade durch die Rechtsordnung geschützt werden sollen. In einem solchen Fall ist vorrangig die Rechtsordnung einschlägiges Schutzgut.

2.1.1.1.1.3Bestand des Staates

Der Bestand des Staates ist die territoriale Unversehrtheit und politische Unabhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland.21 Einrichtungen sind deren Organe, Behörden, Körperschaften, Stiftungen, Anstalten und ähnliche Sachkomplexe. Veranstaltungen der Hoheitsträger sind deren gebildete Handlungskomplexe, wie z. B. Tage der offenen Tür oder Manöver. Beispiele für entsprechende Einrichtungen sind u. a. Hochschulen, Bibliotheken, Schwimmbäder.22 Insgesamt werden hier Rechtssubjekte des öffentlichen Rechts und ihre Behörden geschützt und dabei grundsätzlich alles, was diesen Rechtssubjekten zugeordnet ist und kein Recht darstellt.23 Hierbei ist der Schutz auch und vor allem auf die Funktionsfähigkeit gerichtet. Auch und gerade im Rahmen des Schutzes des Staates, der öffentlichen Einrichtungen und ihrer Veranstaltungen sowie deren Funktionsfähigkeiten kann es zu Überschneidungen mit dem Schutzgut der Rechtsordnung kommen.

Beispiel:

Das Demolieren eines Polizeifahrzeuges beschädigt insoweit zwar die Polizei in ihrer Funktionsfähigkeit, aber hier liegt der Schaden bereits an der Rechtsordnung im Hinblick auf die Sachbeschädigung gem. § 303 StGB. Vorrangig betroffenes Schutzgut ist hier die Rechtsordnung. Auch für das Schutzgut des Staates und seiner Einrichtungen besteht nur dann ein eigenständiger Anwendungsbereich, wenn dieses Schutzgut nicht bereits durch Rechtsvorschriften geschützt wird.

2.1.1.1.2Die öffentliche Ordnung

Ob auch die öffentliche Ordnung zu den Schutzgütern des Gefahrenabwehrrechts zählen soll, ist eine politische Frage. Je nach politischer Ausrichtung der Landtagsmehrheit ist sie mal Bestandteil der Gefahrendefinition (bis 1994, 2003–jetzt), mal nicht (1994–2003). Inhaltlich umfasst die öffentliche Ordnung als unbestimmter und auslegungsfähiger Rechtsbegriff diejenigen ungeschriebenen Verhaltensregeln, die nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Gemeinschaftslebens betrachtet werden24. Wird dagegen verstoßen, so liegt ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung vor, der letztlich zu einer abzuwehrenden Gefahr führen kann.

Derzeit gibt es politische Bestrebungen, den Begriff der öffentlichen Ordnung nunmehr wieder aus dem Nds. SOG zu streichen (was dann wohl auch eine Rückumbennenung in Nds. Gefahrenabwehrgesetz (NGefAG) zur Folge hätte). Insgesamt wird die öffentliche Ordnung...

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