[4][5]1 | Postheroisch führen – Das gewandelte Führungsbild und die besonderen Merkmale der öffentlichen Verwaltung im Zusammenhang zur Kommunikation |
Unter Führung versteht man gemeinhin die Gesamtheit aller Aktivitäten, mit denen man sich selbst und andere auf die Ziele einer Organisation hin beeinflusst.1 Führung ist demnach ein Beeinflussungskonzept. Geht man jedoch der Frage nach, auf welche Weise diese Beeinflussung stattfindet, welche Werkzeuge angewendet werden, welche Fähigkeiten und Verhaltensweisen in diesem Zusammenhang eine Führungskraft braucht, dann stellt man fest, dass das Bild dazu sehr heterogen ist und vor allem, dass sich dieses Bild in den letzten etwa drei Jahrzehnten gravierend verändert hat. Man kann hier durchaus von einem traditionellen oder auch klassischen Führungsbild sprechen und einem davon abzugrenzenden, postmodernen Bild, das wir im weiteren Verlauf als postheroisch bezeichnen werden.
Der Vollzug der Wandlung, hin zum postheroischen Führungsbild, geht vor allem mit den sich ebenfalls geänderten Leitannahmen zur Führung einher. In erster Linie beziehen sich diese Annahmen auf die Möglichkeiten der Einflussnahme auf zwischenmenschliche Beziehungen. Zwei wesentlich unterschiedliche Annahmen zwischen dem klassischen (heroischen) und dem postmodernen, systemisch fundierten (postheroischen) Führungsverständnis seien hier vor allem skizziert: die Leitannahme zur Beschaffenheit sozialer Systeme und die Leitannahme zu Steuerung und Steuerbarkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen.
1.1 | Die Theorie sozialer Systeme im Wandel |
In der Systemtheorie werden Systeme als Gebilde beschrieben, die aus Elementen und Beziehungen bestehen und die sich von ihrer Umwelt abgrenzen. Zu sozialen Systemen zählen beispielsweise Familien, Teams und Behörden. Nach klassischem systemtheoretischen Verständnis werden sie als Gebilde betrachtet, bei denen die Menschen (wie auch Maschinen und Technik) die Elemente darstellen und ihre Interaktionen untereinander die Beziehungen.2
Mit dem Paradigmenwechsel in der soziologischen Systemtheorie von 19863 ersetzt der Sozialwissenschaftler Niklas Luhmann nicht nur die für soziale Systeme bis dahin geltende Unterscheidung von Ganzem und Teil durch die Unterscheidung von System und Umwelt. Er führt darüber hinaus den Begriff der Autopoiesis in die Theorie sozialer Systeme ein. Mit ihr einher geht der Gedanke, dass Systeme ihre Elemente, aus denen sie bestehen, fortwährend selbst erzeugen/herstellen. Damit erfolgt ebenfalls eine so bezeichnete operationale Schließung des Systems von seiner Umwelt. Diese entspricht der[6] Differenzbildung zwischen System und Umwelt. Das System grenzt sich aus sich selbst heraus von seiner Umwelt ab.
Greift man dieses Verständnis auf, folgen beispielsweise Gedanken aus Gedanken und bilden somit ein geschlossenes System, in dem nichts anderes vorkommt als Gedanken, die sich aus Gedanken ergeben und so weiter. Ebenso verhält es sich mit Kommunikation. Kommunikation knüpft an Kommunikation an, die wiederum an Kommunikation anknüpft und so weiter. Sie bildet auf dieselbe Weise ein operational geschlossenes System, und zwar konkret ein geschlossenes soziales System.
Der Mensch selbst, der im Bild der klassischen Systemtheorie Element des sozialen Systems war, ist nunmehr nicht Element, sondern eine das soziale System bedingende Umwelt. Organisationen als soziale Systeme sind nach diesem Verständnis nicht mehr (aber auch nicht weniger) als Kommunikation, die an Kommunikation anknüpft, die an Kommunikation anknüpft … Mensch und Organisation sind in diesem postmodernen systemischen Verständnis einander Umwelten, die sich gegenseitig beeinflussen.
Dies scheint auch einzuleuchten. Der folgenden Aussage würde jeder Leser vermutlich sofort zustimmen: „Die Organisation ist nicht Teil von mir, sondern eine mich bedingende Umwelt.“ In der umgekehrten Betrachtungsweise wäre dieser Satz demnach ebenso gültig: „Ich bin nicht Teil der Organisation, sondern eine diese bedingende Umwelt.“ Dieser zweite Satz erscheint zunächst einmal befremdlich, sagt man doch schnell gern „Ich bin Mitglied dieser oder jener Organisation“ oder „Ich bin in dieser oder jener Organisation“.
Doch gerade der hier benannte Unterschied ist es, der einen nicht unerheblichen Unterschied mit sich führt, gerade mit Blick auf Interventionen von Führungskräften. Dabei geht es um die Ausrichtung dieser Interventionen. Will man in Organisationen erfolgreich führen (wir erinnern uns, dass Führung ein Beeinflussungskonzept ist) und folgt man dabei ebenfalls der Annahme, dass Organisationen nichts anderes sind als Kommunikation, die über Kommunikation an Kommunikation anknüpft und so weiter, dann ergibt sich daraus zwangsläufig, dass sämtliche Interventionen der Führung stets Interventionen in Kommunikation sind. Im traditionellen Führungsverständnis waren diese Interventionen hingegen ausgerichtet auf den Menschen und seine Verhaltensweisen selbst. Nunmehr sind sie ausgerichtet auf die Kommunikation, die zwischen den Menschen stattfindet. Die Frage nach Führungserfolg wird damit ganz ursächlich zur Frage von Kommunikationserfolg. Kommunikation wird zu dem zentralen Aspekt des Führungshandelns und damit zu dem zentralen Aspekt für Erfolg und Scheitern in der Führung gleichermaßen.
1.2 | Steuerbarkeit versus Nicht-Steuerbarkeit von Beziehungen |
Lassen Sie uns mit einer zweiten Perspektive auf diese Zusammenhänge schauen. Das postmoderne Verständnis von sozialen Systemen (als operational geschlossene Systeme, bei denen Kommunikation an Kommunikation anknüpft und so weiter) hat zudem Implikationen für die Annahme von Steuerbarkeit bzw. Nicht-Steuerbarkeit von Beziehungen. Im klassischen Führungsverständnis ging man von der Möglichkeit und Notwendigkeit zur Steuerung von Beziehungen aus. Anstatt Beziehungen könnte man in diesem Zusammenhang – wenn auch etwas unvorsichtig gleichgesetzt – von Interaktionen oder Kommunikationen sprechen.
[7]Greifen wir die Annahme der operationalen Schließung in lebenden Systemen hier noch einmal auf und verknüpfen sie mit Gedanken der Steuerung, so ergibt sich, dass Systeme innengesteuert sind und sich gleichsam, durch ihre operationale Schließung, der Außensteuerung entziehen.
Wenn Menschen, Teams und Organisationen als lebende Systeme betrachtet werden, ergibt sich folglich daraus, dass sie sich von außen nicht steuern lassen, eben aufgrund ihrer operationalen Schließung. Die Folge für jedwedes Führungshandeln ist abermals gravierend: Durch Führungshandeln sind, diesen Annahmen folgend, Organisationen, Teams und Menschen (z. B. in ihrer Eigenart als Mitarbeiter) von außen nicht zu steuern, denn sie sind allesamt innengesteuert.
Was aber bleibt dann Führungskräften für ihr Handeln? Was sollten sie folgerichtig lassen, und was sollten sie stattdessen erlernen und tun? Die traditionell erlernten Werkzeuge des Führens (und damit auch der Führungskommunikation), die tendenziell auf eben diese Steuerung ausgerichtet sind, scheinen mit Blick auf den postmodernen Ansatz regelrecht ausgehebelt zu sein. Hier zunächst noch einmal einige der neuen Annahmen:
• Mitarbeiterverhalten lässt sich nicht steuern.
• Mitarbeiter lassen sich nicht motivieren.
• Projektteams lassen sich nicht steuern.
• Abteilungserfolg (beispielsweise von Dezernaten, Fachämtern, Sachgebieten) lässt sich nicht steuern.
Um eine angemessene Antwort zum Führungsverhalten zu bekommen, greifen wir erneut zurück auf einen Aspekt der Theorie sozialer Systeme. Menschen und Organisationen sind, so hatten wir weiter oben festgehalten, im postmodernen Paradigma einander Umwelt anstatt jeweils Teil vom anderen. Dies gilt auch für Menschen in Beziehung zu Menschen, für Organisationen in Beziehung zu Organisationen und so weiter. All diese Systeme existieren, so nehmen wir an, parallel. Man spricht hier auch von Co-Existenz und Co-Evolution. All diese Systeme haben jeweils einen gemeinsamen Kontext (eine gemeinsame Umwelt) und darüber hinaus mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Fülle nicht gemeinsamer Kontexte.
Keines der Systeme kann eine Änderung anderer Systeme bewirken. Die Absichten eines einflussnehmenden Systems (beispielsweise eines Amtsleiters), andere Systeme (beispielsweise das Verhalten eines Sachgebietsleiters) in eine bestimmte Richtung zu steuern, können bestenfalls durch sog. kooperative Kopplung im gemeinsamen Kontext erreicht werden. Das heißt, dass das zu beeinflussende System sich gemäß seiner eigenständigen Regeln dazu entscheidet, die vom jeweils anderen System vorgeschlagenen Unterscheidungen für sich als relevant zu bewerten. Für unser Beispiel lautet dies konkret: Der Sachgebietsleiter schaut in seine Kontexte hinein (auch diejenigen, die nicht gemeinsame Kontexte sind) und entscheidet sich dann gegebenenfalls dazu, die Vorschläge des Amtsleiters als für sich selbst sinnvoll zu erachten. Nur dann wird er sein Verhalten entsprechend ausrichten.
Die Beeinflussung eines anderen Systems ist ausschließlich über den gemeinsamen Kontext, also indirekt, möglich. Komplexe Systeme können auf diese Weise bestenfalls einander stören und irritieren. Dies hat eine weitreichende Folge für die Führungsarbeit: Die Steuerung von Systemen ist Kontextsteuerung. Für komplexe Systeme gibt es keine...