[3]1. Postheroisch führen – Das gewandelte Führungsbild und die besonderen Merkmale der öffentlichen Verwaltung im Zusammenhang zum Konfliktmanagement
Konfliktmanagement ist stets Kommunikation. Und ein ganz wesentlicher Teil der Arbeit von Führungskräften ist nichts anderes als Kommunikation. Daher ist Konfliktmanagement grundsätzlich Führungsaufgabe. Wir wollen hier zunächst allgemein auf den Begriff „Führen“ schauen und darauf, wie sich das Bild der Führung in der Verwaltung gewandelt hat, bevor wir über die konkreten Aspekte von Konflikten und Konfliktmanagement sprechen.
In einer sehr allgemeinen Definition bezeichnen wir Führung als die Gesamtheit aller Aktivitäten zur Beeinflussung und Selbstbeeinflussung hin auf die Ziele einer Organisation.1 Demzufolge handelt es sich bei Führung um ein Beeinflussungskonzept. Gehen wir weiterhin der Frage nach, auf welche Weise diese Beeinflussung stattfindet, welche Werkzeuge angewendet werden, welche Fähigkeiten und Verhaltensweisen in diesem Zusammenhang eine Führungskraft braucht, so stellen wir fest, dass das Bild dazu sehr heterogen ist und dass es sich in den letzten etwa drei Jahrzehnten gravierend gewandelt hat. Inzwischen unterscheiden wir ein traditionelles oder auch klassisches Führungsbild von einem davon abzugrenzenden, postmodernen Bild. Dieses postmoderne Bild werden wir im weiteren Verlauf als postheroisch bezeichnen. Wir wollen es uns noch ein wenig näher anschauen.
Die Veränderung, hin zum postheroischen Führungsbild, geht vor allem mit den sich ebenfalls gewandelten Leithypothesen zur Führung einher. In erster Linie beziehen sich diese Hypothesen auf die Möglichkeiten der Einflussnahme auf zwischenmenschliche Beziehungen. Zwei wesentlich unterschiedliche Annahmen zwischen dem klassischen (heroischen) und dem postmodernen, systemisch fundierten (postheroischen) Führungsverständnis seien hier skizziert:
1.1 Die Beschaffenheit sozialer Systeme – Systemtheorie im Wandel
Mit Hilfe der Systemtheorie betrachten wir Systeme als Gebilde, die aus Elementen und Beziehungen bestehen. Diese grenzen sich von ihrer Umwelt ab, wobei die Grenzbildung selbst eine zentrale Leistung des Systems ist. Des Weiteren unterscheiden wir verschiedene Typen von Systemen, z. B. biologische, psychische und soziale. Zur Kategorie sozialer Systeme wiederum zählen beispielsweise Familien, Teams und Behörden. Nach klassischem systemtheoretischen Verständnis betrachten wir sie als ein Gefüge, bei dem Menschen,[4]Maschinen und Technik die Elemente darstellen und ihre Strukturen untereinander die Beziehungen.2
Einen der größten Einflüsse auf die Entwicklung der Systemtheorie für lebende Systeme dürfte die Theorie der Autopiese3 darstellen. Autopoietische Systeme organisieren nicht nur ihre eigenen, internen Strukturen. Sie produzieren auch die Elemente, aus denen die Strukturen gebildet werden. Die kritische Variable, die diese Systeme aufrecht erhält, ist ihre Organisationsform. Während die Elemente (beispielsweise die Zellen des menschlichen Körpers) absterben und neu gebildet werden, können sich die Strukturen wandeln (durch Wachstum, Heilung, Degeneration und ähnliche Prozesse). Was jedoch stets konstant bleibt, ist das (abstrakte) Muster der Prozesse, das dafür sorgt, dass die Elemente reproduziert und in ein bestimmtes Verhältnis zueinander gesetzt werden, was wiederum nichts anders ist als ihre Organisation.4 Diese neuen Erkenntnisse führten die Systemtheorie zu einem Paradigmenwechsel. Wir sprechen seither auch von der „Systemtheorie zweiter Ordnung“.
Mit den soziologischen Aspekten der Systemtheorie zweiter Ordnung ist vor allem der Sozialwissenschaftler Niklas Luhmann verbunden. In seiner Systemtheorie von 19865 ersetzt er nicht nur die für soziale Systeme bis dahin geltende Unterscheidung von Ganzem und Teil durch die Unterscheidung von System und Umwelt. Er überführt darüber hinaus den Begriff der Autopoiesis in seine Theorie sozialer Systeme. Damit einhergehend überträgt er ebenfalls den Gedanken, dass soziale Systeme ihre Elemente, aus denen sie bestehen, fortwährend selbst erzeugen/herstellen. Diese fortwährende Selbstherstellung ist dann auch das, was wir die operationale Schließung des Systems von seiner Umwelt nennen. Sie entspricht der Differenzbildung zwischen System und Umwelt. Das System grenzt sich aus sich selbst heraus von seiner Umwelt ab.
Greifen wir dieses Verständnis auf, folgen beispielsweise Gedanken aus Gedanken und bilden somit ein geschlossenes System, in dem nichts anderes vorkommt als Gedanken, die sich aus Gedanken ergeben und so weiter. Ebenso verhält es sich mit Kommunikation. Kommunikation knüpft an Kommunikation an, die wiederum an Kommunikation anknüpft und so weiter. Sie bildet auf dieselbe Weise ein operational geschlossenes System und zwar konkret, ein operational geschlossenes soziales System.
Der Mensch selbst, der im Bild der oben benannten klassischen Systemtheorie (auch „Systemtheorie erster Ordnung“ genannt) Element des sozialen Systems war, ist nunmehr nicht Element, sondern eine das soziale System bedingende Umwelt. Organisationen als soziale Systeme sind nach diesem Verständnis nichts mehr (aber auch nicht weniger) als Kommunikation, die an Kommunikation anknüpft, die an Kommunikation anknüpft und so weiter. Mensch und Organisation sind in diesem postmodernen systemischen Verständnis einander Umwelten, die sich gegenseitig beeinflussen. Dies scheint auch nachvollziehbar.
Der folgenden Aussage würde jeder Leser vermutlich sofort zustimmen: „Die Organisation verstehe ich nicht Teil als von mir, sondern als eine mich bedingende Umwelt.“ In der umgekehrten Betrachtungsweise wäre dieser Satz demnach ebenso gültig: „Ich bin nicht Teil der Organisation, sondern eine diese bedingende Umwelt.“ Dieser zweite Satz erscheint[5] zunächst einmal befremdlich, sagt man doch schnell gern: „Ich bin Mitglied dieser oder jener Organisation“ oder „Ich bin in dieser oder jener Organisation“.
Doch gerade der mit diesem Satz einhergehende benannte Unterschied ist es, der einen wiederum nicht unerheblichen weiteren Unterschied mit sich führt. Und dies gerade für den Blick auf Interventionen von Führungskräften, denn mit dem Satz ändert sich die Ausrichtung dieser Interventionen.
Wollen wir in Organisationen erfolgreich führen (wir erinnern uns, dass Führung ein Beeinflussungskonzept ist) und folgen wir dabei ebenfalls der Annahme, dass Organisationen nichts anderes sind als Kommunikation, die über Kommunikation an Kommunikation anknüpft und so weiter, dann ergibt sich daraus zwangsläufig, dass sämtliche Interventionen der Führung stets Interventionen in Kommunikation sind. Im Sinne der Systemtheorie erster Ordnung waren diese Interventionen hingegen auf den Menschen und seine Verhaltensweisen ausgerichtet. Mit der Systemtheorie zweiter Ordnung sind sie auf die Kommunikation, die zwischen den Menschen stattfindet, ausgerichtet. Die Frage nach Führungserfolg wird damit ganz ursächlich zur Frage von Kommunikationserfolg. Kommunikation wird zu dem zentralen Aspekt des Führungshandelns und damit zu dem zentralen Aspekt für Erfolg und Scheitern in der Führung gleichermaßen.
Wenn wir weiter davon ausgehen, dass Konflikte kommunikative Ereignisse sind oder anders formuliert Interaktionsbeziehungen mit besonderen Merkmalen, dann sind infolgedessen Konfliktinterventionen ebenfalls stets Interventionen in Kommunikation bzw. in diese Interaktionsbeziehungen. Somit wiederum ist erfolgreiches Konfliktmanagement ebenfalls ganz wesentlich eine Frage der Kommunikation. Erfolg und Scheitern im Konfliktmanagement hängen wesentlich von der Qualität der Kommunikation ab.
1.2 Annahmen zur Steuerung und zur Steuerbarkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen
Betrachten wir die Zusammenhänge aus einer weiteren Perspektive. Das postmoderne Verständnis von sozialen Systemen (als operational geschlossene Systeme, bei denen Kommunikation an Kommunikation anknüpft und so weiter) hat Implikationen für die Annahme von Steuerbarkeit bzw. Nicht-Steuerbarkeit von Beziehungen.
Die Systemtheorie erster Ordnung geht von der Möglichkeit und Notwendigkeit zur Steuerung von Beziehungen aus.6 Greifen wir jedoch die Annahme der operationalen Schließung in lebenden Systemen auf, also die Annahme der Selbstherstellung und Selbsterneuerung des Systems (wie oben beschrieben), so ergibt sich, dass lebende Systeme innengesteuert sind und sich gleichsam, durch ihre operationale Schließung, der Außensteuerung entziehen.
Bei Menschen, Teams und Organisationen handelt es sich um eben solche lebenden Systeme. Es ergibt sich folglich, dass sie sich von außen nicht steuern lassen, eben aufgrund ihrer operationalen Schließung. Die Folge für jedwedes Führungshandeln ist gravierend: Durch Führungshandeln sind, diesen Annahmen folgend, Organisationen,[6] Teams und Menschen (z. B. in ihrer Eigenart als Mitarbeiter) von außen nicht zu steuern, denn sie sind allesamt innengesteuert.
Was aber bleibt dann mit Blick auf das Führungshandeln, wenn wir annehmen, dass sich Menschen durch Führung nicht steuern lassen? Was sollten Führungskräfte folgerichtig lassen und was sollten sie stattdessen erlernen und tun? Die traditionell erlernten...