Connection impossible?Wie konfessioneller Religionsunterricht Schüler/innen ins Gespräch mit Religion bringt
Rudolf Englert
1 Hat sich der konfessionelle Religionsunterricht überlebt?
Die Inhalte schulischer Bildung sind ein Spiegel der kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung eines Landes. Von daher ist es kein Wunder, dass gerade weltanschaulich sensible Inhalte wie z. B. Gesellschaftslehre oder Sexualkunde gesellschaftliche Kontroversen auslösen können. Kein Fach aber ist in der Bundesrepublik Deutschland so häufig Gegenstand von Anfragen, Kritik und Bestreitungen gewesen wie der schulische Religionsunterricht. Schon vor mehr als hundert Jahren gab es Forderungen nach Abschaffung des Religionsunterrichts. Interessanterweise sind derartige Forderungen mittlerweile eher selten geworden. Kaum jemand bestreitet, dass Religion ein Gegenstand schulischer Bildung sein muss. Offensichtlich hat die Zunahme religiöser Pluralität der Position: Schule muss sich der Auseinandersetzung mit religiösen Fragen stellen, zusätzliche Plausibilität eingebracht. Gleichzeitig aber lässt die religiöse Pluralisierung die in den meisten Teilen der Bundesrepublik etablierte Form von Religionsunterricht, den konfessionellen Typus, in den Augen vieler Menschen zunehmend als gestrig erscheinen. Diese sind der Meinung: Weil die in unserer Gesellschaft anzutreffenden Erscheinungsformen von Religion längst nicht mehr nur christlich oder gar in einem strengen Sinne konfessionell geprägt sind, muss auch der Religionsunterricht multireligiös orientiert sein und als interreligiöser oder gar bekenntnisneutraler Religionsunterricht organisiert werden. Von daher versteht sich meine erste These: Religiöse Pluralität führt zu einer Aufwertung von Religion als schulischem Bildungsgegenstand, gleichzeitig aber auch zu einer Infragestellung der Form konfessionellen Religionsunterrichts.
Im Folgenden will ich, zugegebenermaßen ein bisschen einseitig, versuchen, die Stärken des konfessionellen Religionsunterrichts ins Licht zu rücken. Ich möchte davor warnen, leichtfertig die in diesem Kontext gewachsene Kultur einer differenzierten Auseinandersetzung mit religiösen Traditionen preiszugeben. Um besser verständlich zu machen, was ich damit meine, will ich kurz etwas sagen zur Entwicklung des konfessionellen Religionsunterrichts in Deutschland. Als man 1949 in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland einen eigenen Artikel zum Religionsunterricht aufnahm, geschah dies aus einem bestimmten Verständnis von Religionsfreiheit, staatlicher Neutralität und Antitotalitarismus heraus. Die nach der Katastrophe des Nationalsozialismus im öffentlichen Bewusstsein erstarkten Kirchen sollten, auch im Raum von Schule, ein Widerlager gegen staatliche Machtansprüche und Gewissenszwänge sein können. Man übertrug daher die inhaltliche Verantwortung für den Religionsunterricht den Religionsgemeinschaften. Dabei dachte man sich diesen Unterricht, das zeigen auch höchstrichterliche Urteile aus späteren Jahren, als Unterweisung in der Glaubenslehre einer bestimmten, in diesem Fall: christlichen Konfession.
Von diesem Ausgangspunkt vor sechzig Jahren hat sich der Religionsunterricht zwischenzeitlich deutlich entfernt. Das hat mit dem veränderten gesellschaftlichen Stellenwert der Kirchen, mit dem gewandelten Verständnis von Religion und Glaube und auch mit dem veränderten Verständnis der Bildungsaufgabe von Schule zu tun. Auch konfessioneller Religionsunterricht ist heute nicht mehr einfach Unterweisung im Glauben einer konkreten Religionsgemeinschaft. Empirische Befunde zum Aufgabenverständnis der gegenwärtigen Religionslehrer/innen zeigen sehr deutlich: Evangelischen wie katholischen Religionslehrer/innen geht es heute nicht mehr um die Vermittlung des Glaubens der Kirche, sondern um die Stärkung der religiösen Orientierungsfähigkeit ihrer Schüler/innen. Das heißt: Auch im konfessionellen Religionsunterricht wird heute nicht mehr von der Lehre der Religionsgemeinschaften, sondern von den Orientierungsbedürfnissen der Schüler/innen her gedacht. Konfessionell ist dieser Religionsunterricht nicht mehr, weil er Kinder und Jugendliche zur Anerkennung eines bestimmten Bekenntnisses führen will; konfessionell ist er vielmehr insofern, als er die religiöse Entwicklung der Schüler/innen durch die Auseinandersetzung mit den Traditionen einer bestimmten Religionsgemeinschaft unterstützen will. Von daher ergibt sich meine zweite These: Konfessionell ist der gegenwärtige Religionsunterricht in Deutschland nicht im Sinne seiner Zielsetzung, sondern im Sinne seines Ausgangspunktes bzw. seines Bezugsrahmens.
Ich möchte diesen Aspekt noch ein wenig weiter ausführen, weil er mir für das Verständnis eines konfessionellen Religionsunterricht modernen Zuschnitts ganz wesentlich zu sein scheint. Ein solcher Religionsunterricht hat sich in mehrfacher Hinsicht über das überkommene Konfessionalitätsmodell hinausentwickelt.
1.) Was seine Inhalte anbelangt: Ein moderner Religionsunterricht setzt die Relevanz religiöser Traditionen nicht mehr voraus, sondern prüft sie in Auseinandersetzung mit den Lebensfragen heutiger Schüler/innen. Von daher ist auch ein konfessioneller Religionsunterricht in hohem Maße welthaltig, lebensbezogen und gegenwartsorientiert. Darüber hinaus unterzieht der Religionsunterricht religiöse Traditionen immer wieder auch einem Vergleich mit alternativen Deutungsmustern, sowohl anderer Religionen und Weltanschauungen als auch gesellschaftlich vorfindlicher Sinnkonzepte. Das heißt, auch der konfessionelle Religionsunterricht hat sich längst für eine multireligiöse Perspektivik geöffnet. (Vgl. Leimgruber, 2007; Schweitzer, 2014)
2.) Es ist eine Weiterentwicklung auch festzustellen, was die Intentionen konfessionellen Religionsunterrichts angeht. Ich will noch einmal unterstreichen: Auch einem konfessionellen Religionsunterricht geht es nicht um ein Einstimmen der Schüler/innen in ein bestimmtes Bekenntnis, sondern um die Stärkung religiöser Orientierungsfähigkeit. Im Kontext schulischer Bildung kann die Auseinandersetzung mit religiösen Fragen nicht von den Interessen der Religionsgemeinschaften, sondern nur von den Interessen der Schülerinnen und Schüler her bestimmt sein. Auf dieser Linie wäre heute zu interpretieren, was die evangelische Kirche schon 1958 einen „freien Dienst an einer freien Schule“ nannte. Man müsste dann allerdings konsequenterweise auch sagen: Wenn dieser Dienst einmal nicht mehr gefragt sein sollte, muss man kirchlicherseits auch bereit sein sich zurückzuziehen.
3.) Eine gewisse, wenn auch meiner Ansicht nach zu zögerliche Entwicklung ist auch im Bereich der organisatorischen Gestalt konfessionellen Religionsunterrichts festzustellen. Konfessioneller Religionsunterricht heißt nicht mehr zwangsläufig Religionsunterricht in monokonfessionellen Lerngruppen. So haben beide großen christlichen Kirchen Möglichkeiten zu unterschiedlichen Formen konfessioneller Kooperation geschaffen, sodass beispielsweise evangelische Religionslehrer/innen auch katholische Kinder oder katholische Religionslehrer/innen auch evangelische Kinder unterrichten können. (Vgl. Kuld, Schweitzer, Tzscheetzsch & Weinhardt, 2009; Schmid & Verburg, 2010) Hier müssten meines Erachtens noch deutlich mutigere Schritte gewagt werden bis hin zu einem Religionsunterricht, der im Sinne eines ökumenischen Modells wirklich von beiden christlichen Kirchen gemeinsam verantwortet wird. Auch ein solcher ökumenischer Religionsunterricht wäre aus meiner Sicht bekenntnisorientiert und in diesem Sinne konfessionell. Von daher versteht sich meine dritte These: Im Zusammenhang mit dem Wandel seiner Inhalte und Zielsetzungen bedarf der konfessionelle Religionsunterricht auch eines Wandels seiner organisatorischen Gestalt in Richtung eines von beiden großen christlichen Kirchen gemeinsam verantworteten ökumenischen Religionsunterrichts.
Die Alternativen zu einem konfessionellen Religionsunterricht sind damit nicht ein ökumenischer, sondern ein interreligiöser und ein bekenntnisneutraler Religionsunterricht. Und in diesem Sinne bin ich tatsächlich ein Befürworter des konfessionellen Modells, als ich sagen würde: Unter den in Deutschland heute gegebenen Bedingungen halte ich einen konfessionellen Religionsunterricht gegenüber einem interreligiösen oder einem bekenntnisneutralen Modell für die bessere Lösung. Es sind vor allem drei Gründe, die mich zu einem solchen Votum veranlassen.
1.) Ein theologischer Grund: Ich habe großen Respekt vor dem, was an interreligiösen Konzepten beispielsweise in Großbritannien oder in Hamburg entwickelt wurde. Aber ich glaube, dass die diesen Konzepten zugrundeliegende Theologie der Religionen erhebliche Schwachpunkte hat. Im Verlauf der Diskussion zum Beispiel...