Wie Weihnachten: Das Mysterium der Papstwahl
Die Wahl eines neuen Papstes fasziniert die Menschen, egal ob sie katholisch sind oder nicht. Eine Milliarde Zuschauer weltweit verfolgten 2005 an den Bildschirmen die Beisetzung Johannes Pauls II. und die Wahl Joseph Ratzingers zum Papst. Dessen Rücktritt als Benedikt XVI. 2013 schlug ein wie eine Bombe, denn nach sechshundert Jahren hatte zum ersten Mal wieder ein Oberhaupt der katholischen Kirche von dieser im Kirchenrecht prinzipiell gegebenen Möglichkeit Gebrauch gemacht. Und wieder einmal starrte wenig später die ganze Welt wie gebannt auf ein Kupferrohr auf dem Dach der Sixtinischen Kapelle, in der sich die Kardinäle zum Konklave versammelt hatten.
Habemus Papam: Wenn wie hier bei der Wahl Pius’ XII. am 2. März 1939 weißer Rauch aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle aufsteigt, haben die Kardinäle im Konklave einen neuen Papst gewählt.
Aus dieser Wahl ging Jorge Mario Bergoglio als Papst hervor, der sich als erster Nachfolger des Apostelfürsten Petrus nach dem Armen aus Assisi Franziskus nannte. Die eingeschlossenen Papstwähler kommunizierten wieder einmal nur durch Rauchzeichen mit den gespannt wartenden Gläubigen und sonstigen Neugierigen draußen: Schwarzer Rauch bedeutet einen Wahlgang ohne Ergebnis, weißer Rauch hingegen kündigt eine erfolgreiche Papstwahl an. Mehr Informationen dringen nicht nach außen. Zu twittern oder eine SMS zu schreiben, ist den Eminenzen ausdrücklich verboten. PCs, Laptops oder Tablets sind tabu. Die Kardinäle dürfen auch keine Tageszeitungen oder sonstige Journale lesen, sie dürfen weder Radio hören noch fernsehen, geschweige denn im Internet surfen.
Die Papstwahl soll eine wirklich geheime Wahl sein, vielleicht die einzige geheime Wahl auf der Welt, die diesen Namen verdient: die Wähler allein mit sich und ihrem Gott versammelt unter Michelangelos Jüngstem Gericht in der Sixtina. Auch wenn das Gemälde seit der letzten Restaurierung in Pastellfarben leuchtet und nicht mehr ganz so bedrohlich dunkel wirkt wie zuvor, macht es jedem Kardinal, der seine Stimme abgibt, doch deutlich: Christus wird den strafen, der seine Entscheidung aus eigennützigen Gründen trifft. Die ewige Verdammnis droht denen, die nicht den zum Papst wählen, den Gott haben will. Ewige Seligkeit wird dagegen den Kardinälen sichtbar vor Augen geführt, die Gottes Willen folgen. Deshalb schreitet ein Kardinal nach dem anderen in der Reihenfolge der Ernennung, den ausgefüllten Stimmzettel in der rechten Hand hochhaltend, von seinem Platz aus auf den Altar unter Michelangelos Fresko zu und sagt, bevor er sein Votum in die Wahlurne wirft: «Ich rufe Christus, den Herrn, als Zeugen an, der mein Richter sein wird, dass ich denjenigen wähle, dem ich nach dem Willen Gottes meine Stimme geben muss.»[1]
Aber wie stellen die Kardinäle fest, was Gott gefällig ist und seinem Urteil entspricht? Wie können sie sicher sein, den Richtigen zum Papst zu wählen? Reden sie miteinander darüber? Oder sprechen sie im Gebet ausschließlich mit Gott? Wird hier, wie bei jedem anderen Wahlakt auch, politisch taktiert, koaliert, intrigiert und bestochen? Oder ist die Papstwahl doch im Letzten ein frommer Akt, ein einziger Gottesdienst, eine fast endlose Folge von Heiligen Messen, Psalmgebeten und Gesängen mit Wahleinlagen?
Wer wäre nicht gerne dabei und würde sich den Blick in das große Geheimnis einiges kosten lassen? Wer würde nicht gerne Mäuschen spielen, wenn mit dem Ruf «Extra omnes!» alle hinausmüssen, die nicht dazugehören, die Türen der Sixtina verschlossen werden und die Kardinäle schließlich unter sich sind? Wer würde nicht gerne wissen, welcher Kardinal welchen Kandidaten in welchem Wahlgang gewählt hat und wie sich die Stimmenverhältnisse der einzelnen Prätendenten im Verlauf des Konklaves entwickelt haben? Immerhin sind die draußen Gebliebenen durch den Kamin auf dem Dach der Sixtina über die Zahl der Wahlgänge informiert, denn nach jedem zweiten Wahlgang werden Rauchzeichen gegeben. Die Stimmzettel werden im Kanonenofen der Sixtinischen Kapelle verbrannt, zusammen mit allen möglichen Aufzeichnungen der Kardinäle. Nichts soll die Geheimhaltung der Wahl gefährden. Nichts soll später den Historikern Gelegenheit geben, offizielle Unterlagen einer Papstwahl einzusehen. Die geheimste aller geheimen Wahlen soll ein Geheimnis bleiben, auch in tausend Jahren – so will es die derzeit geltende Papstwahlordnung.
Im Kaminofen der Sixtina werden nach jedem zweiten Wahlgang die Stimmzettel und alle anderen Wahlunterlagen verbrannt.
Wir hätten gerne gewusst, ob Jorge Mario Bergoglio wirklich schon 2005 eine Chance auf die Mehrheit gehabt hätte, es aber nicht auf eine langandauernde Kampfabstimmung mit Joseph Ratzinger ankommen lassen wollte. Höchst interessant wäre auch, ob es während der Beerdigungsmesse, die Joseph Ratzinger als Kardinaldekan auf dem Petersplatz für Johannes Paul II. zelebrierte, tatsächlich einen Schlüsselmoment gab, als der Wind oder vielleicht doch der Hauch des Heiligen Geistes das Evangelienbuch aufblätterte, das auf dem schlichten Holzsarg des verstorbenen Papstes lag. Die Skepsis vieler Kardinäle gegenüber dem gefürchteten obersten Glaubenswächter soll in diesem Moment in sich zusammengebrochen sein. Ratzinger schien plötzlich nicht nur zum scharfen Hirtenhund zu taugen, sondern auch zum Hirten.
Wir hätten gerne gewusst, ob die Kardinäle in einem Augenblick frommer Anwandlung mit Bergoglio wirklich einen Reformer zum Papst wählen wollten, beeindruckt durch die tiefe Krise, in die Vatileaks, Vatikanbankaffäre, Missbrauchsskandal und nicht zuletzt der Rücktritt Benedikts XVI. Kirche und Papsttum gestürzt hatten, und in der Hoffnung, ein Mann vom anderen Ende der Welt werde endlich Ordnung schaffen im Chaos der Römischen Kurie. Oder war der Argentinier für viele Wähler doch bloß ein schon betagter Herr und deshalb ein geeigneter, weil voraussichtlich nur kurz regierender Übergangspapst? Dann hätten die Kardinäle die Entscheidung über den richtigen Weg der Kirche in die Zukunft wieder einmal nur vertagt, wie schon so oft in der Kirchengeschichte. Aber wie der Pontifikat Johannes’ XXIII. gezeigt hat, sind gerade vermeintliche Übergangspäpste für Überraschungen gut. Sie bewegen in fünf Jahren mitunter mehr als andere in fünfundzwanzig. Das hat die Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils durch Johannes XXIII. im Jahr 1959 eindrücklich vor Augen geführt, und damit konnte bei seiner Wahl wirklich niemand rechnen.
Die Antworten auf all diese Fragen bleiben Spekulation, auch wenn immer wieder der eine oder andere Kardinal absichtlich oder nebenbei Details aus dem Konklave ausplaudert und damit Gefahr läuft, Geheimnisverrat zu begehen, der die Exkommunikation zur Folge hätte, den Ausschluss aus der Gemeinschaft der Kirche. Und selbst wenn etwas nach außen dringt: Objektiv überprüfbar sind diese Informationen meistens nicht. Aber genau das macht Papstwahlen so interessant. Während moderne Medien alles in die Öffentlichkeit zerren und mitunter selbst Top-Secret-Informationen der Geheimdienste im Internet bequem nachzulesen sind, entzieht sich das Konklave dem Trend zur Transparenz. Geschickt wird die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das Verborgene gelenkt. Es ist die gelungene «Inszenierung des Geheimen» schlechthin, wie es Günther Wassilowsky treffend formuliert hat.[2] Denn gerade das, was verborgen und keusch bedeckt ist, regt die Fantasie an und bietet eine einmalige Projektionsfläche für Verschwörungstheorien und Wunschträume, für Thriller und Hollywood-Filme.
Die Papstwahl ist ein festgefügter Ablauf von symbolischen Handlungen, der nicht nur im Hinblick auf die gespannte Erwartung der Bescherung mehr mit Weihnachten zu tun hat, als man zunächst vermutet. Doch wann es zur Bescherung kommt, ist in diesem Fall völlig unklar. Und die Anzahl der schwarzen Rauchzeichen sagt nichts darüber aus, ob sich die Kardinäle womöglich gerade schon im letzten Akt befinden. Erst der weiße Rauch zeigt, dass dieser Teil des Theatrum sacrum, des heiligen Theaters, zu einem Ende gekommen ist.
Wer Papst geworden ist und welchen Namen er angenommen hat, wissen wir dann immer noch nicht. Wir müssen demütig weiter warten, bis sich endlich auf der mittleren äußeren Loggia der Peterskirche eine Tür öffnet. Im «Drehbuch» der Papstwahl, dem Ordo Rituum Conclavis, steht, dass das gläubige Volk auf dem Petersplatz freudig applaudiert, wenn ihm der neue Pontifex maximus präsentiert wird. Eine...