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Allgemeine Grundlagen
2.1 Liebe als Lebensgrundlage
Liebe und insbesondere die Mutterliebe, um die es hier geht, wird zur fundamentalen Lebensgrundlage jeder Kinderseele. Erst auf diesem Fundament können etwa die Säulen der Gesundheit sinnvoll wurzeln. Mit dem Grundbedürfnis, geliebt zu werden und sich selbst sowie den Nächsten zu lieben, kommt das Kind auf die Welt, nicht nur auf die christliche.
Gemeint ist hier die bedingungslose Liebe. »Liebe mich, auch wenn ich schmutzig bin. Denn wenn ich weiß gewaschen wäre, liebten mich ja alle.« Diesen Satz von Fjodor M. Dostojewski zitiert Jirina Prekop in ihrem Buch Ich halte dich fest, damit du frei wirst. Alle Kinder kommen – seit jeher und überall und egal, ob begabt oder behindert – mit diesem Bedürfnis auf die Welt. Wenn sie die Liebe nicht bekommen, dann schreien sie und fallen mit ihrem Unglück in Form von seelischen und psychosomatischen Krankheiten auf. Wenn sie die Liebe aber genießen, entwickeln sie sich nach ihren Möglichkeiten frei und glücklich.
Dazu gehören allerdings auch noch günstige Lebensumstände und Themen wie die folgenden aus den Bereichen der Ethik bis hin zu so handfesten wie den Säulen der Gesundheit.
2.2 Kriterien des Kindseins
Einige grundsätzliche Gedanken zum Kindsein können helfen, die Grundlagen der hier dargelegten Krankheitsbilder-Deutung besser zu verstehen. Kinder sind die Basis jeder Gesellschaft – alles baut auf ihnen auf. Insofern ist es naheliegend, sich Gedanken zu machen, wo die Kindheit überhaupt hinzielen sollte und was die Aufgaben der Eltern sind.
Was macht uns zu Menschen, zu wahren Menschen, wie spirituelle Traditionen es formulieren? Sicher gehört soziales Verhalten dazu mit Hilfsbereitschaft, nicht nur, aber auch vor allem gegenüber Schwächeren, die Fähigkeit und Bereitschaft, zu teilen und gegen offensichtliches Unrecht vorzugehen, Barmherzigkeit und Respekt vor dem Leben anderer oder, mit Buddhas Worten, gegenüber allen fühlenden Wesen, Mitgefühl mit Schwächeren und der Wille zu verzeihen, aber auch die Fähigkeit, Fehler einzugestehen, und die Bereitschaft, sich zu entschuldigen im Falle allfälliger Irrtümer, wie auch die Offenheit, Dankbarkeit zu empfinden für so vieles, statt alles als selbstverständlich zu nehmen.
Unsere Ethik sollte uns die Größe erlauben, nicht alles zu machen, was machbar erscheint, sondern unser Handeln vor dem Hintergrund der möglichen Folgen zu überdenken und Werte zu vermitteln wie auch Bildung bis hin zur Herzensbildung. Nicht nur der IQ dürfte unsere Welt bestimmen, sondern ebenso der EQ: Es gilt, emotionale Fähigkeiten zu entwickeln, Gefühle wollen wachsen und sich entfalten dürfen, und der Umgang mit ihnen muss gelernt werden. Streitkultur will erlernt und dabei oft erkämpft, manchmal erstritten werden, damit faire Auseinandersetzungen möglich werden. Mut muss Chancen zum Wachsen bekommen und kann dann, in Taten umgesetzt, für Gerechtigkeit sorgen. Wichtig ist ebenso die Courage, zur Not auch gegen den Strom zu schwimmen, authentisch zu sein und zu seinen eigenen Überzeugungen zu stehen, wo es not-wendig ist. Selbstständiges und originelles Denken fallen einem nicht zu, können aber gelernt werden; und es wäre eine unserer Hoffnungen, dass dieses Buch dazu beiträgt.
Ein Kind darf sich als Mittelpunkt der Welt fühlen und nach allen Seiten und für alle Optionen offen sein. Es sollte möglichst viel spielen, um eigene Kreativität und entsprechenden Selbstausdruck zu entwickeln. Noch ganz in der inneren Welt zu Hause, darf und sollte es in seinen Phantasien beheimatet sein und die innere und die äußere Welt gleichermaßen schätzen. Was früher Christkind und Nikolaus waren, sind heute schon oft die magischen Kinder vom Schlage eines »Harry Potter«. Kinder lernen durch Nachahmen und sollten dazu angeregt werden. Die Eltern sind jedoch die wichtigsten Vorbilder. Kinder dürfen die Welt mit den staunenden Augen des Kleinen Prinzen betrachten und noch so vieles zum ersten Mal erleben: vom ersten Schnee über die erste Lüge bis zum ersten Schultag. Weder müssen sie verantwortlich sein noch sich rechtfertigen, sondern sie dürfen unverdiente Geborgenheit erleben und damit rechnen, geliebt zu werden, gleichgültig, was sie tun – jedenfalls in unserer Zeit und modernen Welt, wo wenige Kinder herausragende Rollen spielen. Die Liebe der Eltern begründet Selbstwertgefühl und macht fähig zur Liebe.
Denn das ist sicher: Dadurch, dass Kinder in den Industrieländern zahlenmäßig immer weniger werden, erhalten die wenigen einen immer exponierteren Status, der einige Chancen, aber auch vielfältige Gefahren mit sich bringt. Kinderrechte gehen in modernen Einkindfamilien nicht selten über die von Erwachsenen. Das schadet beiden Seiten, aber vor allem den Kindern, die Grenzen brauchen und einen Rahmen, den sie noch nicht selbst bestimmen, denn er könnte sonst ausufern und Kinder verloren gehen lassen.
Die Kleinen sollen wissen, dass die Eltern bereit sind, zu helfen und ihnen den Raum zum Lernen zur Verfügung zu stellen. Aber die Verantwortung für ihr So-Sein und die altersgemäße Verantwortung für ihre Handlungen müssen sie schon in der Kindheit zu übernehmen lernen, denn wie sollen sie es sonst in der Pubertät und als Erwachsene können? Verantwortung muss vorsichtig dosiert und dem Alter entsprechend mitgetragen werden. Anderenfalls erhält sich die kindliche Haltung der Projektion: Wenn nicht die Eltern schuld sind, dann sind es die Partner, die Gesellschaft, der Staat oder das Schicksal. Wo solch kindliche Opferstrukturen bleiben, droht dem Leben die Gefahr, kindisch zu verlaufen, und das Erwachsenwerden bleibt bereits in Kinderschuhen stecken.
In den ersten Jahren bis zum Schuleintritt mit sechs könnte ein Feld der Geborgenheit und des Wachsen-Dürfens vorherrschen, das von einem Erziehungsfeld überlagert wird, welches vor allem Werte vermittelt. Kinder müssen, können und wollen früh lernen, dass sie nicht allein auf der Welt sind und Teilen Freude macht, dass der Respekt vor Schwächeren sie stärkt und helfen beglücken kann. Das ist besonders für die mit sinkenden Kinderzahlen immer häufiger werdenden Einzelkinder wichtig, die zugleich auch immer Erstgeborene sind mit all den dazugehörigen Themen – Kinder also, die ohne kindliche Vorbilder in der eigenen Familie aufwachsen und so noch mehr auf Erwachsene angewiesen sind.
Wenn dieses Feld stark und lebendig ist, kann alle weitere Erziehung einfach sein, weil viele notwendige Bausteine von den Kindern spontan verstanden werden. Wir müssen fast alles im Leben neu lernen, auch das Kranksein. Dafür sind Kinderkrankheiten – inklusive Fieber – da. Krankheit wird so zum wesentlichen, sinn-vollen und not-wendigen Teil des menschlichen Entwicklungsweges.
Diese Grundgedanken können helfen, vom »Falsch« und »Richtig« wegzukommen, das über seine Wertung so leicht verletzt. Wo das im Laufe dieses Buches trotzdem geschehen sollte, ist es jedenfalls nicht beabsichtigt, und wir entschuldigen uns schon jetzt dafür – auch uns selbst zuliebe, denn ent-schuld-igen bedeutet ja ebenso, die Schuld wieder abzugeben.
Dieses Buch will und soll Kindern und ihren Eltern helfen, und wir haben hier eine wunder-volle und klassische Win-win-Situation: Was den Kindern guttut und auf ihrem Lebensweg weiterhilft, ist meist auch für die Eltern das Beste.
Ein Problem ist, dass die angebotenen Hilfestellungen altersabhängig sind und wir nicht überall Altersangaben machen konnten und wollten, weil schon Kinder und nicht erst Erwachsene so unglaublich individuelle und originelle Wesen sind, denen man fast immer unrecht tut, wenn man sie über einen Kamm schert. Alle Normierungen und Normwerte enthalten mindestens so viele Gefahren wie Hilfen und haben sich zum effektivsten Arbeitsbeschaffungsprogramm für Schulmediziner entwickelt. Wir vertrauen auf das Einfühlungsvermögen der Eltern und geben ihnen manchmal auch sehr weit gehende Hilfen an die Hand.
Natürlich wird das Ergebnis noch oft ungleich besser, wenn man die Familie von seinen kleinen Lieblingen nicht nur in Tieren malen lässt, sondern das Werk dann auch noch mit einem symbolkundigen Fachmann deutet. Aber besser als nichts sind allemal auch die Augen der Eltern und besonders ihre Herzen. Denn wer mit den Augen der Liebe schaut, kann fast nichts falsch machen. Der Fuchs im Kleinen Prinzen sagt diesbezüglich: »... man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.« Und die Mutterliebe kommt der höchsten und himmlischen Liebe schon sehr nahe.
2.2.1 Elterliche Zuwendung
Die Frage nach dem rechten Maß an elterlicher Zuwendung berührt ein zentrales Problem moderner Familien. Die Vielfachbelastung, die sich unter dem Schlagwort »Multitasking« einen »denglischen« Namen gemacht hat und von der in der Regel vor allem die Mütter betroffen sind, ist auch überfordernd, krankmachend und – wie neuere Forschungen ergeben haben – nicht einmal produktiv bzw. effizient.
Vor diesem...