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DIE KRAV-MAGA-PRINZIPIEN
Die Krav-Maga-Prinzipien können im Wesentlichen auf nur einen Satz reduziert werden: Nutze deine natürlichen Reaktionen und Bewegungsabläufe zur Verteidigung und kombiniere diese mit einem Gegenangriff. Darüber hinaus muss jede daraus resultierende Technik unter Stress funktionieren und somit schnell für jeden Menschen abrufbar sein.
Effektive Selbstverteidigung besteht grundlegend aus einem technischen und einem taktischen Teilelement. Beide Elemente sollten gleichwertig für den Lösungsweg in der jeweiligen Selbstverteidigungssituation berücksichtigt werden.
Als technische Elemente (im Krav-Maga-Training als Checkpoints bezeichnet) werden die bewusste oder unbewusste Körperreaktion, die bewusste oder unbewusste Verteidigungsbewegung sowie der schnellstmögliche, bestenfalls simultan ausgeführte, effektive Konterangriff zusammengefasst. Alle drei technischen Elemente müssen sich in einer Verteidigungsstrategie wiederfinden. Je nach Situation und der zur Verfügung stehenden Reaktionszeit überwiegt der bewusste (Muskelerinnerung) oder der unbewusste Anteil (Basisreflexe).
Um eine Technik gut und einfach erlernbar und dadurch auch unter Stress abrufbar zu machen, darf diese nicht zu stark vom natürlichen Reflexverhalten abweichen. Der Konterangriff ist eine Aggressionsumkehr und somit eine Übernahme der dominanten Position im Geschehen. Es gilt, die geeigneten Mittel in angepasster Intensität so lange wie erforderlich einzusetzen, um selbst so unbeschadet wie möglich aus der Situation zu entkommen.
Als taktische Elemente werden das aktive Bewegen, das Lösen aus dem Angriff und die Neubeurteilung der Situation sowie das Orientieren im Raum zusammengefasst. Ziel ist hier eine Optimierung der Verteidigungs- oder Konterposition, gefolgt vom Erarbeiten eines Zeitfensters zur Orientierung. Diese wiederum dient dem Erkennen weiterer Gefahren und dem sicheren Entkommen aus der Gefahrensituation. Bestehen mehrere Gefahren in einer Situation, werden diese als primäre (unmittelbare) und sekundäre (nachrangige) Bedrohungen bezeichnet. Im Zuge einer dynamischen Situation können sich sekundäre Probleme schnell zu primären Problemen entwickeln und umgekehrt. Daher ist ein taktisches Orientieren fester Bestandteil jeder Verteidigungsstrategie im Krav Maga.
1.1TECHNISCHE ELEMENTE EINER KRAV-MAGA-SELBSTVERTEIDIGUNGSTECHNIK
Technische Checkpoints
1.Verteidigungsbewegung – die Verteidigungstechnik muss unter Stress funktionieren und somit schnell für jeden abrufbar sein.
2.Körperbewegung – der Körper bewegt sich schnellstmöglich aus der Linie des Angriffs heraus – als Reflex oder kontrolliert.
3.Konterschläge – die Verteidigung ist im Optimalfall direkt, gleichzeitig oder unmittelbar darauf folgend, der Gegenangriff ist gegen verwundbare Punkte zu richten.
1.2TAKTISCHE ELEMENTE EINER KRAV-MAGA-SELBSTVERTEIDIGUNGSTECHNIK
Taktische Checkpoints
1.Frühzeitiges Erkennen von Gefahren und darauf folgende Reaktion mit Flucht oder Kampf – im militärischen Krav Maga das Herstellen der Feuerbereitschaft.
2.Sich bewegen, heraus aus der Linie des Angriffs und gegebenenfalls eine neue Positionierung finden.
3.Distanz – Technik, angepasst an die Distanz zum Angreifer und
4.Scanning – Orientierung und Auflösung des Tunnelblicks.
Es gibt zudem weitere Checkpoints, auch in der Ausführung einer Technik, wie zum Beispiel das Prinzip „hart gegen weich, weich gegen hart“. Es geht darum, mit welchem Bereich deiner Arme du einen Angriff blockst. Versucht der Angreifer, dir ein Messer von unten nach oben in den Bauch zu rammen (Seite 130ff., orientalischer Messerangriff), blockst du den muskulären Abschnitt seines Unterarms mit dem Knochen deines Unterarms und somit mit deiner harten Stelle gegen seine weiche Stelle. Blockst du mit den Armen jedoch gegen den Angriff mit einem Stock oder mit einer Eisenstange, dann nutzt du dazu nicht deine Knochen, sondern den muskulären Teil deines Unterarms und du blockst somit „weich gegen hart“.
Nachfolgend möchte ich auf solche Besonderheiten allerdings nur am Rand eingehen, da ich diese im ersten Buch bereits hinreichend beschrieben habe. Nur wenn es für die Ausführung der Technik äußerst relevant ist, werde ich diese Prinzipien zusätzlich erläutern.
1.3HANDLUNGSFÄHIGKEIT UNTER STRESS
Um die Kontrolle über sich selbst und die Situation zu behalten, ist es in einer Selbstverteidigungssituation notwendig, dass der Verteidiger immer das maximal nötige Aggressionsniveau anstrebt, nie das maximal Mögliche.
Hierzu ist ein hohes Maß an Stresstoleranz und Selbstkontrolle sowie das schnelle Verarbeiten und Abbauen von Stress erforderlich. Dies begründet sich in der Notwendigkeit, Situationen so realitätsnah wie möglich und unter physischer Belastung zu simulieren, um dem Anspruch an das System gerecht zu werden.
Ich persönlich profitiere davon nicht nur in Alltagssituationen, sondern insbesondere auch in meinem Job, um in brenzligen Situationen einen kühleren Kopf zu behalten. Immer wieder fragen mich Leute, ob ich auch außerhalb der Matte „Kampferfahrung“ habe oder Krav Maga bereits „anwenden“ musste. Ich antworte darauf, dass ich es nahezu täglich tue: in meinem Beruf als Geschäftsführer mehrerer Unternehmen; in der Kommunikation mit Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern; als Leiter einer auf Personenschutz spezialisierten, internationalen Gesellschaft und natürlich auch als Krav-Maga-Ausbilder in unterschiedlichen Teilen der Welt.
Ich bin natürlich kein Straßenschläger und auch kein professioneller Kämpfer. Meiner bescheidenen Erfahrung nach ist die reale Gefahr bedeutend kleiner, wenn man diese frühzeitig als solche erkennt und klar und deutlich anspricht! Wenn es dann trotzdem zur Konfrontation kommt, hilft es nur noch, die eigene Adrenalinausschüttung dazu zu gebrauchen, kompromisslos und kontrolliert – aber eben nicht blind – zu agieren.
Dieses „Switch-on-/Switch-off-Prinzip“, also das schnelle Umschalten von einem entspannten in einen aggressiven Zustand und umgekehrt, ist fester Bestandteil des Krav-Maga-Systems und bildet mit den Teilelementen aus Technik und Taktik die Grundlage für das Entwickeln und Anwenden von Verteidigungsstrategien in der Selbstverteidigung.
Krav Maga hat selbstverständlich und gerade im zivilen Bereich sehr viel mit Prävention zu tun. Kann ich eine Auseinandersetzung vermeiden, ist dies immer die bessere Lösung. Sehe ich die Gefahr, dann entziehe ich mich dieser durch Flucht. Oft ist es aber nicht so einfach, denn das Leben ist mitunter nicht schwarz und weiß, sondern gerade solche Situationen sind vielleicht grau. Es ist dir nicht direkt klar, dass sich aus der Situation ein Angriff entwickeln könnte, dein Bauchgefühl sagt: „Vorsicht.“ Dein Verstand sagt dir: „Es kann dir nichts passieren.“ Aber genau dann passiert der Übergriff.
Auf Prävention im Allgemeinen möchte ich in diesem Buch deshalb weniger eingehen. Auch ist es kein Buch über das Erkennen und Einschätzen von Gefahren. Ich gehe davon aus, dass du die Situation entweder richtig eingeschätzt hast oder nicht einschätzen konntest. In beiden Fällen befindest du dich in einer Selbstverteidigungssituation.
Grundsätzlich ist eine deiner Waffen aber im Nachfolgenden nur selten beschrieben und zwar die verbale Kommunikation. Den Angreifer „wegzubrüllen“, ist ein wichtiger Aspekt, der oftmals sehr unterschätzt wird. Gleichgültig, ob präventiv (und gerade da) oder während der Abwehr eines Angriffs. Schrei dein Adrenalin hinaus, mach klar, wer du bist. Du bist nicht die Maus, sondern der Löwe.
1.4ENTWICKLUNGSPROZESS EINER KRAV-MAGA-SELBSTVERTEIDIGUNGSTECHNIK
Ich möchte kein Buch über Krav-Maga-Techniken schreiben, diese dann aufführen und bunte Bilder dazu erstellen, ohne meine Sicht der Dinge darzustellen, warum ich die dort beschriebene und abgebildete Technik überhaupt für geeignet halte.
Ich trainiere und unterrichte Krav Maga nun seit sehr vielen Jahren. Aber nach vielem „stumpfen“ Trainieren von Techniken habe ich erst in den letzten Jahren angefangen, mich mit dem „Warum?“ einer Technik auseinanderzusetzen und diese auch zu hinterfragen. Vielleicht ist dies auch der Grund zur Entwicklung eines eigenen und mittlerweile international erfolgreichen Krav-Maga-Verbands gewesen. Diese offene Denkweise und...