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Kreuz und Kraft

Literarische, sozialgeschichtliche und theologische Untersuchungen zu Jesus und Paulus

AutorThomas Schmeller
VerlagVerlag Katholisches Bibelwerk
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783460510098
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis41,99 EUR
In diesem Band von »Kreuz und Kraft' sind Aufsätze zusammengestellt, die sich auf die Jesusüberlieferung und auf die soziale Wirklichkeit frühchristlicher Gemeinden beziehen. Die inhaltliche Klammer besteht in einer Fragestellung, die mal mehr, mal weniger deutlich hervortritt: Wie verhalten sich in den ausgewählten Texten »Kreuz' und »Kraft', also einerseits Schwachheit, Leiden und Scheitern, andererseits Stärke, Einsatz, Erfolg?

Thomas Schmeller (geb. 1956), 1993 bis 2004 Professor für Biblische Theologie an der Technischen Universität Dresden, seit 2004 Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments an der Goethe-Universität Frankfurt/Main. - Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Zeitgeschichte des Neuen Testaments, Rhetorik, Paulus.

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Leseprobe

»Hättest nicht auch du Erbarmen haben müssen, wie ich mit dir Erbarmen hatte?« (Mt 18,33)


Zur theozentrischen Ethik der Gleichnisse Jesu


28 Wenn ich diesen Aufsatz über die Ethik Jesu und das Reich Gottes schreibe und ihn nicht nur irgendwie, sondern so kraft- und lichtvoll hinbringe, wie Sie sich das wünschen – hat das Bedeutung für das Wachsen des Reiches Gottes? Was würde Jesus sagen? Würde er sich für meine Mitarbeit an der Sache, die ohne Frage im Mittelpunkt seines Lebens stand, bedanken? Oder würde er sagen: Theologische Aufsätze, so schön und erhellend sie sind, haben mit dem Reich Gottes nichts zu tun, denn dieses ist einzig und allein die Sache Gottes? Natürlich könnte er auch sagen: Zum Aufbau des Reiches Gottes können Menschen viele wichtige Dinge beitragen, aber Aufsatzschreiben gehört nicht dazu.

Wächst die Saat nicht von allein?


Wir haben ein Gleichnis Jesu, das die Diskussion, ob Menschen an dem von Jesus verkündeten Reich Gottes mitarbeiten können oder nicht, zu beenden scheint, bevor wir sie überhaupt so richtig begonnen haben: das sogenannte Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 4,26–29). Wenn hier das Nichtwissen des Bauern und sein Unbeteiligtsein an der Entstehung der Frucht betont sind – muß das nicht heißen, daß das Reich Gottes eben ohne menschliches Zutun kommt? Daß der Mensch nur geduldig warten kann, allerdings Zuversicht und Vertrauen haben darf? Meist wird es in der Tat so verstanden. Ich halte den gängigen Titel des Gleichnisses und die dahinterliegende Interpretation aber für falsch. Ohne hier schon eine eigene Deutung anzubieten, will ich nur auf ein Problem aufmerksam machen, das den meisten Interpreten entgeht. In der üblichen Auslegung wird ja das Tun des Bauern im Gleichnis wie selbstverständlich auf menschliches Handeln bezogen. Dagegen spricht nun allerdings, daß die Ernte hier sicher mit dem göttlichen Endgericht zu tun hat. Der Schlußvers des Gleichnisses enthält nämlich eine klare Anspielung auf Joel 4,12 f.:

»Die Völker sollen aufbrechen und heraufziehen zum Tal Joschafat. Denn dort will ich zu Gericht sitzen über alle Völker ringsum. Schwingt die Sichel, denn die Ernte ist reif.« Wenn die Ernte auf Gottes Gericht anspielt, kann das Gleichnis schlecht von menschlichem Tun sprechen. Sollten auch das Aussäen und das Warten dann auf Gott zu beziehen sein? Dann wäre freilich unerklärlich, warum das Nichtwissen des Bauern hervorgehoben wird. Oder auf Jesus? Das ist in der Tat für die Ebene des Evangelisten möglich. Jesus hatte nach Ostern eine solche Würdenstellung inne, daß er auch mit der Einleitung des göttlichen Endgerichts zusammengebracht werden konnte. Für den historischen (vorösterlichen) Jesus ist ein solches Selbstverständnis aber nicht wahrscheinlich.

Das Problem, auf welcher Ebene das Gleichnis zu lesen ist, wird weniger schwierig, wenn wir die ursprüngliche Fassung rekonstruieren. Mit guten Gründen kann man vermuten, daß das Gleichnis im Munde Jesu etwa so endete: »Wenn die Frucht reif ist, kommt er (der Mensch), um sie zu ernten.« Für Jesus war das Gleichnis dann aber eine Geschichte, die einfach das Tun eines ganz normalen Bauern seiner Zeit beschrieb, der sich auf Aussaat und Ernte verstand, der aber das dazwischenliegende Wachstum der Saat nicht verstehen konnte. Eine solche Geschichte verwendet Jesus für das Reich Gottes. Auch wenn man nicht jedes Detail des Gleichnisses übersetzen darf, liegen damit doch folgende Überlegungen nahe: Aussaat und Erntearbeit machen zwar das Wachstum der Samen nicht überflüssig, sind aber die Voraussetzungen, die der Bauer für den Ertrag bringen muß und die ihn einen Ertrag erwarten lassen – kann das Anliegen des Gleichnisses dann sein, daß das Reich Gottes ohne menschliches Zutun kommt?

Bevor ich zu einer alternativen Deutung von Mk 4,26–29 komme, sei ein kleiner Umweg erlaubt, in dem es um die Stellung Jesu zu Apokalyptik und Weisheit, zwei Stränge der jüdischen Tradition, gehen soll. Diese Frage, die hier natürlich nur gestreift werden kann, ist insofern relevant, als das menschliche im Verhältnis zum göttlichen Handeln in diesen Traditionssträngen verschieden bewertet wird. Für die Apokalyptik sind – vereinfacht gesagt – Welt und Mensch so fern von 29 Gott und ihm so entfremdet, daß ein völliger Abbruch der menschlichen Geschichte nötig ist, um Gottes Willen in einer neuen Welt wieder zur Geltung zu bringen. So heißt es in 4 Esra, einer apokalyptischen Schrift vom Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr.: »Das Böse, wonach du mich fragst, ist ausgesät; aber seine Ernte ist noch nicht gekommen. Bevor also nicht geerntet ist, was ausgesät war, und der Platz noch nicht verschwunden ist, wo das Böse gesät worden war, wird der Acker nicht erscheinen, wo das Gute gesät ist.« (4 Esr 4,28 f.)

Um das neue Jerusalem, die Stadt Gottes, die sich am Ende der Zeiten zeigen wird, in einer Vision zu schauen, muß der Seher in 4 Esr sich von menschlichen Siedlungen entfernen, denn:

»Es kann kein menschliches Bauwerk an dem Ort bestehen, wo die Stadt des Höchsten sich zeigen soll.« (4 Esr 10,53 f.)

Die gegenwärtige Weltzeit ist schlecht, das Tun der Menschen eingeschlossen. Gottes Initiative ist die einzige Hoffnung und für die Menschen unverfügbar.

Anders das weisheitliche Denken. Hier wird die Welt in ihren natürlichen und sozialen Ordnungen, also in Natur und Geschichte, vor allem unter dem Aspekt der Schöpfung gesehen. Diese erregt Staunen, Bewunderung und Lobpreis:

»Herr, wie zahlreich sind deine Werke! Mit Weisheit hast du sie alle gemacht, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen.« (Ps 104,24)

Der Mensch kann diese Weisheit in der Schöpfung erkennen und selbst weise werden, indem er sich an der von Gott gesetzten Ordnung orientiert. Er ist so zu sinnvollem und gottgefälligem Handeln fähig. So heißt es in dem zitierten Psalm einerseits: »Sie alle warten auf dich, daß du ihnen Speise gibst zur rechten Zeit« (V. 27), aber andererseits auch: »Gibst du ihnen, dann sammeln sie ein« (V. 28); einerseits: »Du läßt Gras wachsen für das Vieh, auch Pflanzen für den Menschen …« (V. 14), aber andererseits auch: »… die er anbaut, damit er Brot gewinnt von der Erde« (V. 14); bei Sonnenaufgang »geht der Mensch hinaus an sein Tagwerk, an seine Arbeit bis zum Abend« (V. 22 f.).

Weisheitslehrer oder Apokalyptiker?


Die Frage ist nun: Wo stand Jesus? Die Antworten der Exegese sind sehr vielfältig, aber es lassen sich in ihrer Geschichte gewisse Trends erkennen. Die allerneueste Entwicklung, insbesondere in den USA, zeichnet den historischen Jesus als einen Weisheitslehrer, dessen Botschaft nicht so sehr durch einen nahe bevorstehenden, durch Gott herbeigeführten radikalen Umbruch bestimmt war, als vielmehr durch die Vermittlung neuer Weisen des Umgangs mit den Mitmenschen und mit Gott. Diese Sicht greift in vielem auf die liberale Theologie des 19. Jahr- 30 hunderts zurück, die Jesus ebenfalls vor allem als Lehrer eines neuen Ethos verstand; das Reich Gottes sollte sich in einer Evolution der sozialen Verhältnisse verwirklichen. Hier ist natürlich keine Frage, daß menschliches Tun eine echte Mitwirkung am Reich Gottes sein kann und soll. Die Arbeiten von Johannes Weiß und Albert Schweitzer führten um die Jahrhundertwende einen Umschwung mit großer Tragweite herbei: Diese Theologen und in ihrem Gefolge die meisten (zumindest protestantischen) Exegeten des 20. Jahrhunderts bestimmten Jesus als einen Apokalyptiker, der den nahe bevorstehenden, den Menschen unverfügbaren Einbruch des endzeitlichen Reiches Gottes verkündete. In dem berühmten Gleichnisbuch von Joachim Jeremias, das bis heute ein Standardwerk ist (»Die Gleichnisse Jesu«,101984), schlug sich dies so nieder, daß alle Wachstumsgleichnisse als Kontrastgleichnisse gedeutet wurden. Überall dort, wo in Gleichnissen von Entwicklungen (wie dem Wachstum eines Samens oder der Durchsäuerung einer Mehlmenge) die Rede ist, soll nach Jeremias eigentlich nur der kleine Anfangs- und der überraschend große Endzustand, also der Kontrast, nicht das allmähliche und progressive Element auf das Reich Gottes bezogen werden. Die katholische Exegese hat das von Jesus gepredigte Reich Gottes bis in die 1950er Jahre so stark an die Kirche gebunden, daß Mitarbeit in der Kirche zugleich Mitarbeit im Reich Gottes war. Die Auffassung von der apokalyptischen Unverfügbarkeit des Reiches setzte sich hier erst mit Rudolf Schnackenburgs Buch »Gottes Herrschaft und Reich« (1959) durch. Heute wird, wie gesagt, Jesus wieder mehr schöpfungstheologischer Optimismus zugeschrieben. Seine Überzeugung von der bereits erfolgten Entmachtung des Satans ließ ihn demzufolge Natur und Geschichte in einem positiveren...

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