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E-Book

Kriminalität in München

Verbrechen und Strafen im alten München (1180-1800)

AutorReinhard Heydenreuter
VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl120 Seiten
ISBN9783791760384
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Der wirtschaftliche Aufstieg Münchens zur mächtigsten Handelsstadt und schließlich zur Residenzstadt des Herzogtums Bayern ließ bald auch die Kriminalität ansteigen, und so hören wir schon im 13. Jahrhundert von Brandstiftungen, Morden, Aufständen und der entsprechenden Reaktion der Obrigkeit: Es wurde gehängt, geköpft und ertränkt. Auf dem Galgenplatz, auf der Köpfstätte und in den Gefängnissen der Stadt spielten sich die Dramen ab, die zeigen, wie sich seit dem Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Zahl der oft unschuldigen Opfer einer grausamen Strafjustiz ständig vermehrte. Das Buch verdeutlicht aber auch den übermächtigen Schatten des Landesherrn, der zwar der Stadt die Blutgerichtsbarkeit überlässt, aber doch nach Belieben in diese eingreift, wann immer es ihm gefällt.

Reinhard Heydenreuter, Prof. Dr., geb. 1942, Jurist und Historiker, war bis Ende 2007 Archivdirektor am BayHStA und Leiter des Archivs der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Er lehrte Neuere und Neueste Geschichte sowie Bayerische Landesgeschichte.

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Leseprobe

Die Entwicklung des Strafverfahrens in München vom Mittelalter bis 1800


Münchner Zuständigkeiten über Leben und Tod: Landesherr, Stadtrat, Hofrat und Stadtoberrichter


Gerichtsherr in München und damit Herr über Leben und Tod waren zunächst der Landesherr oder die von ihm delegierten Richter. Schon sehr früh scheinen aber die bayerischen Herzöge die Blutgerichtsbarkeit den Bürgern überlassen zu haben, also die Befugnis, über Mitbürger bei schweren Delikten Gericht zu halten und sie zum Tode zu verurteilen. Die Blutgerichtsbarkeit in der Stadt München wurde durch den Stadtoberrichter ausgeübt, der seit dem Mittelalter durch die Stadt ernannt wurde, offensichtlich schon seit dem ersten großen Stadtprivileg, dem Rudolfinum von 1294. Da er die formelle Befugnis, die Blutgerichtsbarkeit auszuüben, vom Herzog empfing, blieb dessen Einfluss auf die Ernennung bestehen. Aus dem Stadtschreiber wurde ab 1391 ein Stadtunterrichter.

Selbstverständlich konnte der Landesherr jeden Prozess an sich ziehen. Am Ende des Mittelalters, als man daranging, die Kompetenzen juristisch klarer auszuformulieren, entstand in München Streit darüber, wem die Blutgerichtsbarkeit zustehe: Während sich etwa 1427 die Stadt für berechtigt hielt, einige zum Tod verurteilte Pferdediebe zu begnadigen, lesen wir 1488 in einem landesherrlichen Eidbuch, dass der Herzog die Blutgerichtsbarkeit in München ausübe.

Dagegen weist die Stadt in ihren Kammerrechnungen einen besoldeten Scharfrichter auf. Doch scheinen die teilweise recht gewaltsamen Eingriffe der jeweiligen Landesherrn in die städtische Gerichtsbarkeit weitgehend klaglos hingenommen worden zu sein. 1457 etwa befreite der junge Herzog Johann zwei Straßenräuber, die Augsburger Kaufleute überfallen hatten, gewaltsam vom Galgen. Wahrscheinlich hatte es ihn gestört, dass die Festnahme der Delinquenten in München durch Augsburger Schergen (im Zusammenwirken mit der Stadt) erfolgt war. 1467 holte Herzog Sigmund eigenmächtig aus der städtischen Fronveste (städtisches Gefängnis) im Rathaus, der sogenannten Schergenstube, einen Adeligen namens Pernrieder, weil dieser als Mitglied des Hofstaats seiner Meinung nach nicht in ein städtisches Gefängnis gehöre. Ein ähnlicher Eingriff ist für das Jahr 1482 überliefert, als Bürgermeister Schrenck einen Adeligen namens Rohrbeck in der Schergenstube inhaftierte. Erbost bestrafte Herzog Albrecht IV. den Bürgermeister mit kurzfristiger Stadtverweisung und einer Haft von drei Monaten im Rathausturm.

Abb. 1:
München von Osten. – Holzschnitt von Michael Wolgemut aus Hartmann Schedels „Liber cronicarum“, Nürnberg 1493.

Dass sich der Landesherr, sehr gegen den Willen des Stadtrats, das Recht anmaßte, jedes Verfahren an sich zu ziehen, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 1652, als der landesherrliche Hofrat eine Baddirn aus der Schergenstube in den Falkenturm bringen ließ, obwohl der Stadtrat einen zaghaften Protest einlegte.

Zu einer definitiven und juristisch detaillierten Regelung der städtischen Gerichtsbarkeit kam es schließlich im sogenannten Albertinischen Rezeß, infolge der landesherrlichen Zusagen auf dem Landtag von 1557 zwischen Herzog Albrecht V. und der Stadt München geschlossen. Der Stadt wird nun die Blutgerichtsbarkeit bestätigt, die man als bestehend voraussetzte. Das Datum der Verleihung ließ man offen.

Wie trotz des Vertrags von 1561 die Verhältnisse noch ungeklärt waren, zeigt sich 1586, als Herzog Wilhelm V. versuchte, für das vakante Stadtoberrichteramt einen eigenen Kandidaten durchzusetzen. Die Stadt wies dieses Ansinnen zwar zurück und erließ eine eigene Stadtgerichtsordnung, doch 1592 wiederholte sich bei der erneut anstehenden Wahl eines Stadtoberrichters der Vorgang. Herzog Maximilian beauftragte seine Hofkammer, in einem Gutachten zu klären, wem es eigentlich zustehe, das Oberrichteramt in München zu besetzen. Der Herzog gab schließlich nach. Die Stadt musste dem Landesherrn für die Übertragung der Blutgerichtsbarkeit jährlich 67 Gulden, 25 Kreuzer, 5 Heller zahlen. Darüber hinaus hatte der Stadtoberrichter vor dem landesherrlichen Hofrat einen Eid abzulegen, der lautete: „Ihr sollt schwören zu Gott einen Eid unserm gnädigsten Landesfürsten und Herrn N., zu richten über das Blut, dem Armen als dem Reichen, dem Gast als dem Landsmann, das rechtlich ist.“ Dann empfing er vom Hofrat die Vollmacht.

Der Stadtoberrichter agierte unabhängig vom Hofrat; er war in seinem Amt autonomer als die landesfürstlichen Pfleger, Landrichter oder Verwalter.

Der Albertinische Rezeß

Dieses Dokument aus dem Jahr 1561 ist ein nach Herzog Albrecht V. benannter Vertrag, der die Beziehungen zwischen dem Herzog und seiner Residenzstadt München regeln soll. Darin wird festgelegt, dass die Stadt die gesamte Gerichtsbarkeit (auch die Blutgerichtsbarkeit) über ihre eigenen Bürger ausüben soll. Sie darf auch den dafür zuständigen Stadtoberrichter ernennen. Die Gerichtsbarkeit über die Hofbediensteten hat der Herzog. Geregelt wird auch die Stellung der Hofbediensteten, die nicht in der Residenz, sondern in der Stadt wohnen, insbesondere deren Steuerpflicht.

Seit dem 17. Jahrhundert wurde der Magistrat mehr und mehr zum Befehlsempfänger des Landesherrn und verlor damit zunehmend an Kompetenzen im Bereich der Strafrechtspflege. Im Dreißigjährigen Krieg musste die Stadt sogar um ihre Blutgerichtsbarkeit bangen. 1638 bis 1649 übertrug der Landesherr neben dem Stadtoberrichter auch dem Hofoberrichter die Gerichtsbarkeit in der Stadt, angeblich wegen Mängeln in der Verfahrensweise. 1642 drohte der landesherrliche Hofrat der Stadt aus Anlass eines Malefizprozesses, in dem der Stadtoberrichter angeblich zu milde geurteilt hatte, mit dem Entzug des „jus gladii“, wenn die Delinquenten weiterhin „so gering und schlecht“ abgestraft würden. Schon 1611 hatte es wegen eines Hexenprozesses, den die Stadt nach Meinung des Hofrats zu wenig energisch betrieb, Erörterungen über die Strafgerichtsbarkeit der Stadt gegeben. Damals stellte der Hofrat fest, dass der Stadt die Gerichtsbarkeit jederzeit wegen Nachlässigkeit („ob causam negligentiae“) bzw. damit das öffentliche Wohl gewahrt bleibe („ob causam publicae utilitatis“), entzogen bzw. vom Hofrat an sich gezogen werden könne.

Die von der Stadt verhängten Todesurteile konnten vom Landesherrn auf dem Gnadenweg gemildert werden. Auch bei der Bestimmung des Ortes und der näheren Umstände der Hinrichtung redeten die Landesherren mit. So wurden beispielsweise unter Herzog Wilhelm V. fast alle Verurteilungen zum Tod durch Hängen in Hinrichtungen mit dem Schwert umgewandelt. Auch die Aussetzung von Verfahren konnte der Herzog anordnen, wie etwa 1622, als zwei ausländische Soldaten wegen Räubereien zum Tod verurteilt worden waren, der Herzog ihnen jedoch nach Bittgesuchen einflussreicher Leute das Leben schenkte und den schon anberaumten Hinrichtungstag (Malefizrechtstag) absagen ließ. Die Delinquenten wurden des Landes verwiesen.

Der Scharfrichter (Henker)


Erstmals taucht ein Scharfrichter, in München meistens Züchtiger oder Nachrichter genannt, im Jahr 1321 auf. Dieser Magister Haimpert beginnt sein Amt mit einer eindrucksvollen Aufgabe: Er darf seinen Amtsvorgänger köpfen. In den Kammerrechnungen wird dieser Haimpert „jugulus“, also Henker genannt, was darauf hinweist, dass im Mittelalter die Strafe des Hängens die gebräuchlichste Todesstrafe in München war. Da dieser Magister Haimpert von der Stadt bezahlt wird, kann man annehmen, dass die Blutgerichtsbarkeit damals schon in den Händen der Stadt lag.

Die Ehre

Dieser Begriff spielte seit dem 16. Jahrhundert im gesellschaftlichen Leben eine beherrschende Rolle. Ehrverletzung durch Beleidigung wird jetzt zunehmend schärfer bestraft und die Mitgliedschaft in einer Zunft wird nur „ehrenhaften“ Personen gestattet. Als nicht ehrenhaft galten etwa eine uneheliche Geburt oder eine „unehrliche Tätigkeit“, wie etwa die Arbeit des Scharfrichters. Eine verlorene Ehre konnte durch einen obrigkeitlichen Akt wiederhergestellt werden.

Der Scharfrichter galt zwar später als „unehrliche Person“, der mit Handwerkern und den Mitgliedern einer Zunft keinen gesellschaftlichen Umgang pflegen sollte, seine soziale Stellung war jedoch nicht so niedrig, wie man gemeinhin annimmt. Im Mittelalter war er sogar in wesentlichen Punkten am Strafverfahren beteiligt. So ist für das Jahr 1371 überliefert, dass der Stadtrat die Verurteilung ausspricht und der Scharfrichter die Todesart bestimmt.

Die Scharfrichter waren in der Regel sehr vermögend, da sie nicht nur von den beträchtlichen Gebühren der Hinrichtungen lebten, sondern meist als Heilkundige und Verkäufer von mehr oder weniger wirksamen Heilmitteln viel Geld machen konnten. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts lieferten sie das Menschenfett, das zu dieser Zeit in keiner Apotheke fehlte.

Diese „Nebentätigkeit“ führte zu Konflikten mit den landesherrlichen Behörden. So beschwerte sich der Hofrat 1612 über den Münchner Scharfrichter Hans Stadler, der „allerhand zauberische und verbotene Stückel mit Wahrsagen und Wiederbringung verlorener Sachen“ vollbringe und dabei einen großen Zulauf genieße. 1617 verbot man dem Scharfrichter, in seine Arzneien Weihwasser zu mischen, und 1640 beschuldigte man ihn, ohne Genehmigung eine Leiche seziert zu haben: Er hatte einer Kindsmörderin das Herz herausgeschnitten und die Haut abgezogen, um diese zu Medizin zu verarbeiten. Tatsächlich hatte ihm der Bannrichter, der für München und Oberbayern zuständige oberste Strafrichter, die Genehmigung zur Sektion erteilt.

Der unfähige...

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