Die meisten und schlimmsten zivilen Katastrophen wurden in der deutschen Vergangenheit durch Kriege hervorgerufen. Der Schutz der Zivilbevölkerung vor den Auseinandersetzungen war für die Kriegsführung nicht wichtig, zumal die Auseinandersetzungen im Wesentlichen zwischen den Streitkräften stattfanden. Vorbereitungen für andere zivile Katastrophen waren die Ausnahme.
Dies änderte sich erstmals im Ersten Weltkrieg, als der militärische Warndienst entstand, der die Aufgabe hatte, das Hinterland vor Luftangriffen zu schützen. Diese Aufgabe wurde von rein militärischen Stäben wahrgenommen.1
Vor dem Zweiten Weltkrieg wurde der Sicherheits- und Hilfsdienst (SHD) gegründet. Er hatte die Aufgabe, die Bevölkerung vor den Auswirkungen des Krieges zu schützen. Seine einzelnen Teilorganisationen sind vergleichbar mit dem heutigen Katastrophenschutz. Die Einsätze erfolgten unter Leitung der Schutzpolizei.2
Im Nachkriegsdeutschland wurden 1953 mit der Errichtung der Bundesanstalt für den zivilen Luftschutz erste Maßnahmen für den Bevölkerungsschutz eingeleitet. In der weiteren Entwicklung wurde 1968 das Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes verabschiedet. Dieses setzte folgende Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern fest:
• Die Länder sind zuständig für den Katastrophenschutz in Friedenszeiten,
• der Bund ist zuständig für den Katastrophenschutz im Verteidigungsfall.
Für beide Aufgabenstellungen wurde auf dasselbe Personal zurückgegriffen.
Die Führung erfolgte in regional sehr unterschiedlich organisierten Strukturen.
In den 1970er und 1980er Jahren kam es in Deutschland zu mehreren Naturkatastrophen (z. B. Waldbrandkatastrophe Niedersachsen 1975), die zeigten, dass der Katastrophenschutz schon in Friedenszeiten Großschadensereignisse nur noch mit Hilfe Externer (Bundeswehr, Bundesgrenzschutz, usw.) bewältigen konnte.
Die Reorganisation des Katastrophenschutzes führte zu einer Verbesserung der Leitungs- und Führungsstruktur. 1979 wurde das erste bundeseinheitliche Modell der Katastrophenschutzleitung (KatSL) für die Kreisstufe eingeführt, die sich Technischer Einsatzleitungen (TEL) bediente.3
1.1Der Stab des Hauptverwaltungsbeamten (HVB)/Katastrophenschutzleitung (KatSL)
Die Katastrophenschutzleitungen wurden vor dem Hintergrund verteidigungspolitischer Überlegungen auf der Ebene der kreisfreien Städte und der Kreise organisiert. Es wurde davon ausgegangen, dass im Verteidigungsfalle die Gebietskörperschaften weitgehend auf sich alleine gestellt sein würden.4
Ziel der Stabsorganisation war es, für die Katastrophenabwehr (Verteidigungsfall) einen hoch qualifizierten Leitungs- und Führungsapparat aus gut eingespielten Fachleuten in einer leistungsstarken Organisation mit reibungslos funktionierenden Kommunikationsmitteln bereitzuhalten. Diese Strukturen wurden üblicherweise auch für zivile Katastrophenfälle genutzt. Neben der gewachsenen Personal- und Organisationsstruktur der Verwaltung wurde ein weiteres Stabselement, bestehend aus verwaltungsfremden Personen, die als Fachberater aus den im Katastrophenschutz mitwirkenden Organisationen fungieren, in den Führungsapparat eingebaut. Die Leitung der Einsatzkräfte erfolgte nach dem militärischen Vorbild durch Einteilung in vier Sachgebiete:
S 1 Personal/Organisation
S 2 Lage/Öffentlichkeitsarbeit
S 3 Einsatz
S 4 Logistik
Abb. 1: Grafik „KatSL Schaubild“, Diagramm einer Katastrophenschutzleitung (Quelle: s. Ewald Andrews, „Bevölkerungsschutzpolitik. Studien und Beobachtungen zur Risikobeherrschung durch Krisenmanagement. Die Neuordnung des Katastrophenschutzes, S. 103. Carl Heymanns Verlag KG Köln)
Die folgenden Fotos zeigen ausgewählte Bereiche aus der verbunkerten Befehlsstelle der KatSL einer kreisfreien Stadt.
Abb. 2: ABC-Mess- und Auswertestelle (Quelle: Karsten Arbeiter)
Abb. 3: Luftlage (Quelle: Karsten Arbeiter)
Der Stab des HVB hatte unter anderem die Aufgabe der Gesamtlenkung von Einsätzen. Aufgabe der Technischen Einsatzleitung (TEL) war die Lenkung der operativen Maßnahmen zur Schadensbekämpfung vor Ort.5
Mit den Katastrophenschutzleitungen standen zum ersten Mal bundesweit zivile Stäbe zur Katastrophenvorsorge und -abwehr zur Verfügung. Trotz der sehr aufwendigen Organisationsform kann dies als Meilenstein in der Geschichte der Katastrophenvorsorge betrachtet werden.
Ende der 1990er Jahre veränderte sich die sicherheitspolitische Weltlage. Der Warschauer Pakt brach zusammen und nach Einschätzung der Bundesregierung war eine militärische Auseinandersetzung auf dem Territorium der Bundesrepublik nicht mehr zu erwarten. Folgerichtig löste sie deshalb 1995 ihre Einheiten und Einrichtungen der Führung und Kommunikation auf. In der Folge bedeutete dies das Ende der Vorhaltung und Ausbildung der Stäbe des HVB, der Fernmeldezentralen der Technischen Einsatzleitungen und der Fernmeldezüge.
Damit war die einheitliche Regelung des Katastrophenschutzes bei Bund und Ländern beendet.
1.2Der Stab Außergewöhnliche Ereignisse (SAE) u. Ä.
Vor dem Hintergrund fehlender gesamtstaatlicher Regelungen wurden nun ab 1995 individuelle Lösungen in allen Verwaltungsebenen erarbeitet. Das Feuerschutz- und Hilfeleistungsgesetz Nordrhein-Westfalen forderte beispielsweise von seinen Katastrophenschutzbehörden die Aufstellung von Leitungs- und Koordinierungsgruppen (LuK).
Beim Aufstellen dieser Einheiten orientierte man sich im Wesentlichen an der Organisationsstruktur der alten Stäbe HVB. Schwierigkeiten bereitete häufig das Fehlen von Fernmeldeeinheiten. Gelegentlich wurden hierfür Feuerwehreinheiten eingeplant. Bei solchen Planungen soll es auch vorgekommen sein, dass Einheiten für mehrere Tätigkeiten gleichzeitig vorgesehen wurden. Probleme waren dann vorprogrammiert.
Im Rahmen der kommunalen Organisationshoheit wurde das Sachgebiet „Öffentlichkeitsarbeit“ aus dem S 2 herausgelöst und als S 5 „Presse- und Medienarbeit“ neu gebildet. Aus der Fernmeldezentrale des HVB und aus Teilaufgaben des S 3 entstand das Sachgebiet 6 „Informations- und Kommunikationswesen“.
Damit ergab sich folgende Gliederung:
S 1 Personal/Innerer Dienst
S 2 Lage
S 3 Einsatz
S 4 Versorgung
S 5 Presse- und Medienarbeit
S 6 Informations- und Kommunikationswesen
Häufig waren diese Veränderungen innerhalb der Organisationsstruktur mit neuen Namensgebungen verbunden. Da nun für die Kommunen der Kalte Krieg endgültig Vergangenheit war, wollte man sich mit neuen Namen der Stäbe, wie z. B. „Stab Außergewöhnliche Ereignisse“, von den alten Zeiten distanzieren.
Insgesamt waren in dieser Zwischenphase die Stäbe eher ungeliebte Anhängsel in den Verwaltungen, deren Notwendigkeit nicht mehr gesehen wurde.
1.3Der Krisenstab
Wie zu erwarten und zu befürchten war, wurde der Bedarf an Verwaltungsstäben bald eindrücklich bewiesen.
Die Hochwasser an Oder und Elbe zeigten deutlich, dass Großschadenslagen ohne ein stringentes Führungssystem nicht zu bewältigen sind.
Als die Terrorwelle den westeuropäischen Kontinent in Madrid und London erreichte, wurde offensichtlich, wie notwendig eine effektive Vorbereitung für ein zielgerichtetes Krisenmanagement ist.
Schon im Jahr 2002 gab die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) den Auftrag an den Arbeitskreis V „Feuerwehrangelegenheiten, Rettungswesen, Katastrophenschutz und Zivile Verteidigung“ (AK V), ein bundesweit einheitliches und durchgängiges Führungssystem zu erarbeiten. Ziel dieses Auftrages war es, eine reibungslose Zusammenarbeit der unterschiedlichen Hilfsorganisationen zu organisieren. Dieser Auftrag bezog sich zum einen auf die bundesweite Einführung der aktualisierten Führungsdienstvorschrift 100 (für den operativ-taktischen Teil) auf allen Ebenen und zum anderen auf die Regelung der administrativ-organisatorischen Komponente.
Bezüglich der Regelung für die Führungsorganisation wünschten die meisten Länder eine Dreiteilung: Eine*n politisch Gesamtverantwortliche*n, ihr*ihm untergeordnet zwei gleichberechtigte Stäbe. Von einigen Ländern wurde aber auch die Verschmelzung beider Stäbe unter der Führung der*des politisch Gesamtverantwortlichen bevorzugt. Vor diesem Hintergrund hatte die Arbeitsgruppe den Auftrag, die Stabsorganisation so zu gestalten, dass sie beiden Vorstellungen gerecht wurde. So entstanden dann die Hinweise für Verwaltungsstäbe, die der AK V in seiner Sitzung am 20. und 21. November 2003 zur Kenntnis nahm. Er empfahl den Ländern, die Hinweise zur Bildung von Stäben der administrativ-organisatorischen Komponente, also Verwaltungsstäben (VwS) im Rahmen ihres Gesamtführungssystems, umzusetzen.6
In Nordrhein-Westfalen führten diese Ergebnisse dazu, dass mit Wirkung vom 14.12.2004 der Erlass „Krisenmanagement durch Krisenstäbe bei den kreisfreien Städten, Kreisen und Bezirksregierungen bei Großschadensereignissen (§ 1 Abs. 3 FSHG) im Lande Nordrhein-Westfalen“ eingeführt wurde. Auch in...