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Kritische Wälder

Vollständige Ausgabe

AutorJohann Gottfried Herder
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl483 Seiten
ISBN9783849627706
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Kritische Wälder, oder Betrachtungen die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, gilt als die wichtigste von Herders Studien. Dabei handelte es sich um eine Vertiefung und Erweiterung seiner Sprachphilosophie, die er auf den Satz Hamanns gründete, wonach 'die Poesie die Muttersprache des menschlichen Geschlechts' ist. Die literarischen Erzeugnisse aller Nationen sind, so Herder, durch den besonderen Genius der Volksart und Sprache bedingt. Hier prägte er auch den Begriff Zeitgeist.

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Leseprobe

 


Der große Winkelmann hat uns die schöne Griechische Natur so Meisterhaft gezeiget, daß wohl keiner, als ein Unwissender und Fühlloser, es leugnen wird, »ihr Hauptgesetz in der bildenden Kunst sey Schönheit gewesen.« Deß ohngeachtet dünkt mich noch die erste Quelle mit einigen ihrer Adern unentdeckt: warum die Griechen in Bildung des Schönen so hoch gekommen, um allen Völkern der Erde hierinn den Preis abzulaufen? Herr Leßing giebt auch ein Supplement1 dazu, da er uns den Griechen, im Gegensatz mit dem Kunstgeschmack unserer Zeit, als einen Künstler zeiget, der der Kunst nur enge Grenzen gesetzt, und sie blos auf die Nachahmung schöner Körper eingeschränket: »sein Künstler schilderte nichts, als das Schöne.«

 

Nichts, als das Schöne? Nun ja! mein Leser, ich habe die weisen Erinnerungen und Einschränkungen gelesen, die man wider diesen Leßingschen Satz sehr gelehrt aufgeworfen; allein man muß L. erst verstehen, ehe man ihn widerlegt. Will er sagen, daß die Griechen nichts Häßliches gebildet? Ich glaube nicht, und wünsche an einem andern Orte2 die Worte weg: »die Griechen haben nie eine Furie gebildet.« Denn gienge sein Satz so weit: so hätte Hr. Klotz noch in jedem seiner künftigen Schriftchen Gelegenheit, ein Beispiel anzubringen, daß die Alten auch Furien, Medusen u.s.w. gebildet hätten – etwas, was wohl jeder weiß, der etwa ein Museum durchlaufen.

 

Oder hätten die Alten das Gesetz gehabt, häßliche Figuren auch schön zu bilden, weil was gebildet werde, schön seyn müsse? Ich weiß, daß man ihn auch so verstanden, und alsdenn die liebe Meduse statt Alles angeführt; allein auch dieß ist nicht die Verbindung des Sinnes.

 

Ich verstehe ihn so: es sei bei den Griechen kein herrschender, kein Hauptgeschmack gewesen, das erste beste zu schildern und zu bilden, um blos durch die Nachahmung Werth zu erhalten, blos durch Aehnlichkeit sich als Künstler zu zeigen: sondern hier habe ihr Geschmack das Schöne zum Hauptgegenstande gemacht, um nicht blos mit leidigen Geschicklichkeiten zu pralen. Und in diesem Verstande bleiben folgende Bestimmungen ja von selbst eingeschlossen.

 

Um von einem herrschenden Geschmacke zu urtheilen, nehme man nicht jede einzelne Beispiele: denn die Pausons, Pyreicus und andre Rhyparographen, so lange sie nicht Schulen ziehen, und diese mit andern, mit den Schilderern der Schönheit noch nicht um den Vorzug streiten dörfen, hindern nichts.

 

Um von einem herrschenden Geschmacke zu urtheilen, muß man die Worte eines Gesetzgebers,3 eines Politischen Philosophen, nicht als Beweis des Gangbaren annehmen: denn sie sagen, was da seyn sollte, nicht was da ist.

 

Die besten Zeugen eines herrschenden Geschmacks sind die öffentlichen Kunstwerke, die Anordnungen der Obrigkeit: und da Hr. Leßing auch vorzüglich auf diese gesehen, so lehrt man ihn ja nichts neues, wenn man sich vernehmen läßt:4 »Der griechische Künstler schilderte nichts, als das Schöne –« »Entgegengesetzte Zeugnisse der Schriftsteller und Beispiele der Künstler bestimmen mich, dieser Beobachtung engere Grenzen zu setzen, und sie bloß auf öffentliche Denkmäler einzuschränken.« Ich denke, daß das Hrn. L.erste Quelle gewesen, und er sucht ja vielleicht Anordnungen, wo selbst keine sind.5

 

Um von einem herrschenden Geschmacke zu urtheilen, nehme man ferner nicht Tempelwerke, wo Religion die Hauptabsicht gewesen, oder der Geschmack der Religion nicht geändert werden konnte. Hr. L. macht sich diese Einschränkung selbst,6 und sie ists, die seinen Satz so mildert, daß, ich gestehe es, er freilich durch ihn so viel oder so wenig bedeuten kann, als er will.

 

Um endlich vom herrschenden Geschmacke zu urtheilen, nehme man freilich nicht alle Zeiten gleich, sondern die, da der Geschmack schon ausgebildet, da er durch keine Kakozelio verdorben erscheint: im ersten Fall ist noch kein Gesetz gegeben, im zweiten ists eine Zeitlang unter die Bank gebracht; deßwegen aber noch immer Landesgesetz. – Und nach diesen Bestimmungen kann L. allerdings vest setzen: »daß bei den Alten die Schönheit das höchste Gesetz der bildenden Künste gewesen.«

 

Allein bei welchen Alten? seit wenn? wie lange? welche Unter- welche Nebengesetze? Und woher ists bei den Griechen so vorzüglich, vor allen Nationen, höchstes Gesetz geworden? Andre wichtige Fragen, wo bei der letzten mir W. selbst kaum ein Gnüge thut.

 

Hr. L. kommt auf zwo Situationen, die hierin einschlagen: »daß bei den Alten auch die Künste bürgerlichen Gesetzen unterworfen gewesen, und was die bildenden Künste auf den Charakter einer Nation wirken können.«7, Allein, über beides konnte er sich nur im Vorbeigehen erklären. Es muß aus Gründen hergeleitet werden können: wie bei den Griechen Gesetze über die Kunst nicht blos, wie weit es Hr. L. nimmt, erlaubt; sondern nöthig gewesen – wie bei ihnen Kunst und Poesie und Musik weit mehr zum Wesentlichen des Staats gehöret habe, als jetzt – wie der Staat also nicht ohne sie, als seine damaligen Triebfedern, und sie nicht ohne Staat haben seyn können – wie also die Wirkung der Nation auf die Kunst, und der Kunst auf die Nation nicht blos Physisch und Psychologisch, sondern auch großen Theils Politisch gewesen – wie bei den Griechen also aus so manchen Ursachen, und nicht blos ihres Nationalcharakters, sondern auch ihrer Erziehung, Lebensart, des Grades ihrer Cultur, ihrer Religion und ihres Staats wegen, die Bildung der Schönheit mehr Eindrücke haben können, und mehr Eindrücke habe annehmen müssen. Ein wichtiges Problem,8 zu dessen Auflösung mehr, als einige Känntniß der Griechen von der Oberfläche her gehöret. Unsern gewöhnlichen Graeculis also, die jetzt nach dem Modegeschmacke von nichts so gern, als von Kunst, von Schönheit der Griechen sprechen, ist ein Gedanke hieran so wenig eingefallen, daß sie alles glauben erklärt zu haben, wenn sie von nichts, als einer gewissen seinen schönen Empfindung der Griechen für die Kunst, und für die Schönheit, schwatzen; von einer Empfindung, die sie gehabt, die Römer nicht gehabt, und die jetzt in unsern Deutschen Neugriechen wieder auflebe. Alle Klotzische Schriften sind von diesem süßen Geschwätze voll:9 denn freilich aus einer gewissen unnennbaren Empfindung, aus einem sechsten Sinne für die Schönheit, kann man alles, was man will, ohne Kopfbrechen ausfinden. – Ein Philosophischer Kopf, wie Leßing, konnte mit solcher qualitas occulta nicht zufrieden seyn: und welcher halbphilosophische Kopf wird sich denn damit lächelnd begnügen können?

 

Doch nicht zu weit vom Laokoon. Wenn bei den Griechen Schönheit das höchste Gesetz der Kunst war: so mußten gewaltsame Stellungen, häßliche Verzerrungen vom Künstler entweder gemieden, oder herabgesetzt werden: und L. giebt davon die besten Exempel. Indessen hat er Wiederspruch gefunden, und einer seiner Wiedersprecher10 ist, wenn er jetzt einen Stein findet, der dafür, jetzt einen, der dawider zu seyn scheinet, auch im Wechselfieber bald für, bald gegen den Satz, daß der geneigte Leser endlich nicht weiß, wie ihm ist. Ob sich hier nicht ein fester Faden ziehen ließe?

 

Zuerst also: der Mythische Cirkel der alten Griechen war ohne Wiederspruch der Schönheit gebildet: ihre Götter und Göttinnen waren nicht, wie die Aegyptischen, Allegorische Ungeheuer: noch, wie die Persischen und Indischen, beinahe ohne Bild: noch, wie die Hetrurischen, traurige und unanständige Figuren; sondern an Bildung reizend dem Auge. In der ganzen Natur der Dinge fanden die Griechen keine bessere Vorstellung der Göttlichen Natur, wie eines Inbegrifs der Vollkommenheiten, als die Menschliche Gestalt; und wiederum, welches zu beweisen wäre, keine der Gottheiten war so charakterisirt, daß sie immer häßlich hätte gebildet werden müssen, um das zu seyn, was sie seyn sollte. Die Götterbegriffe der Griechen waren von Dichtern bestimmet, und diese Dichter waren Dichter der Schönheit.

 

Die Griechen hatten z.E. einen Jupiter, der freilich nicht immer meilixios, der auch oft der Zornige, der Grimmige war: und der Dichter konnte ihn seinem Zwecke gemäß schildern. Wie aber der Künstler? Wer will denn immer gern einen zornigen Jupiter sehen, da sein Zorn doch mit dem Ungewitter übergeht? Was also natürlicher, als daß er zu dem ewigen Anblicke seines Kunststückes den Anblick einer schönen Größe lieber wählte, und ihm nur hohen Ernst in sein Gesicht schuf? – Nun kann es freilich, und insonderheit in der ältern Zeit der Religion, auch Abbildungen des Zorns gegeben haben: allein, was thut dieß? der Hauptbegriff bei Jupiter, selbst wenn er den Donner wirft, bleibt doch – hoher Ernst, schöne Größe; dieß ist seine bleibende Gestalt, jene geht vorüber.

 

Venus, wenn sie um den Adonis trauret, raset bei Moschus...

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