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E-Book

Krumme und gerade Wege

Pilgern alternativ

AutorAnne E. Dünzelmann
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl136 Seiten
ISBN9783744857031
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Pilgerwandern quer durchs Land. Einfach so. Auch wenn nur Kurzstrecken gegangen werden, so bringt diese Art des Pilgern doch Vieles - Positives, aber auch Negatives. Vor allem, wenn sich die Ziele unterscheiden, mit anderen Landschaften und Begegnungen und Glück erfahren wird.

Jahrgang 1941. Ausbildung zur Buchhändlerin. Unterwegs als Daumen-Reisende. Studium der Ethnologie und Sozialanthropologie. Tätigkeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Autorin und Privatgelehrte.

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Leseprobe

»Gott befohlen«


Entlang der Bonifatius-Route von Mainz nach Fulda

Um 713 verließ der etwa vierzigjährige Benediktiner

mönch Wynfreth England, um auf dem Kontinent den

christlichen Glauben zu verbreiten. Er erhielt vom Papst in Rom

719 den Namen Bonifatius (Wohltäter). Als Missionar war er

intensiv in Hessen und Thüringen sowie in Friesland und

Bayern tätig, wurde zum Bischof und Erzbischof ernannt,

gründete Kirchen, Klöster und Bistümer. 746 wurde er Bischof

von Mainz. Als Achtzigjähriger reiste er 754 nochmals

nach Friesland und starb dort den Märtyrertod.

Seinen Leichnam überführte man zunächst mit dem Schiff

nach Mainz und von dort in einer großen Prozession

seinem Wunsch entsprechend nach Fulda.

Hier befindet sich in der Krypta des Doms sein Grabmal.

»GOTT BEFOHLEN«

Mit diesen Worten verabschiedete mich ein Mitarbeiter der Evangelischen Kirchengemeinde Dortelweil bei Frankfurt. Hier sollte mein Pilgerweg beginnen und nicht in Mainz. Doch stimmt das so? Beginnt der Weg nicht vor der eigenen Haustür? Tatsächlich impliziert bereits die Planung den Aufbruch. So habe ich mir während der Vorbereitungen überlegt, erst einmal in einzelnen Etappen zu wandern. Wichtig war für mich: Was bringe ich an Erfahrungen mit für eventuelle weitere Pilgerfahrten, wo sind meine Grenzen, wie gehe ich mit den ›erlaufenen‹ Erkenntnissen um. Wollte spüren, was mir und mit mir passiert.

Von Bremen am Nachmittag mit dem Zug kommend, fuhr ich in Frankfurt mit der S-Bahn weiter nach Dortelweil. Während der Fahrt rief ich mir das harmonisch verlaufende Gespräch mit einer zufälligen Reisegefährtin im Zug nach Frankfurt ins Gedächtnis. Sie arbeitete seit Jahren in Russland im sozialen Bereich und sprach sehr angetan von ihrem Leben dort, das anfangs recht gewöhnungsbedürftig war. Gerne denke ich an diese Begegnung zurück. Da am Dortelweiler Bahnhof kein Hinweis auf den Bonifatiusweg zu finden war, fragte ich im Büro der dortigen evangelischen Kirche nach. Kirchen sind ja nicht nur für Pilgernde ein guter Orientierungs- und Anlaufpunkt. Die Wolken zogen sich immer mehr zusammen, was den Mitarbeiter besorgt fragen ließ, ob ich auch gegen den zu erwartenden Regen einen Schirm dabei hätte! Na, wandern und gar Pilgern mit Schirm!

Auf dem Weg nach Karben unterlief mir bereits der erste Schnitzer beim Zuordnen des anscheinend verschobenen Pilgerweg-Logos: Ich landete in der Nähe eines Golfplatzes, wäre fast auf Bad Vilbel zugewandert und machte dadurch einen ziemlichen Umweg. Dabei hatte mir der Mitarbeiter deutlich den Weg erklärt! In Karben endlich angekommen, ging es auf dem gut ausgeschilderten Weg an der Kirche als zentralem Ort vorbei. Hier kam es zu einem kurzen Gespräch mit einer sehr freundlichen Mitarbeiterin. Langsam führte mich der Weg aus dem Ort hinaus in die Landschaft. Auf angenehmen Waldwegen und über freies Feld marschierte ich in Richtung Büdesheim. Ein kleiner Teil der Strecke gehörte zur alten Römerstraße und war als solche gekennzeichnet. Außer mir war niemand unterwegs, lediglich ein Jogger durchquerte den Wald.

Allmählich hatte sich der Himmel mit dunklen Regenwolken bezogen, es tröpfelte, was aber im Wald kaum zu spüren war. Also bestand keine Notwendigkeit, den Regenponcho aus dem Rucksack zu klauben. Dachte ich. Dann auf freiem Feld regnete es schon stärker. Aber im Westen gen Frankfurt zeigte sich ein schmaler, hellgelb schimmernder Streifen. Ich hoffte auf ein schnelles Verziehen der Regenfront, doch … es pladderte weiter. Da es schon später Nachmittag war, es fortwährend regnete, marschierte ich kurzerhand ab Büdesheim nicht den vorgezeichneten Pilgerweg, sondern entlang der Verkehrsstraße nach Nidderau, meinem ersten Zielort.

Dort kam ich hübsch nass an, und die heiße Dusche in einem bald gefundenen Hotel war besonders wohltuend. Die erste Teilstrecke hatte ich also geschafft, ich konnte zufrieden sein! Zur Freude darüber, eine Etappe gut überstanden zu haben, kam die Besorgnis einer möglichen Überanstrengung der Kniegelenke beim Wandern auf den vielen asphaltierten Wegen. Doch wunderbar war die gewonnene Gewissheit, gut aufgehoben, in ›Gottes Hand‹ zu sein. Am nächsten Morgen beobachtete ich vom Fenster aus drei Flugzeuge im Landeanflug auf Frankfurt: lautlos und wie gefährliche Insekten schwebend, stahlgrau und bedrohlich, an Ernst Jüngers Stahlgewitter, an Krieg erinnernd. Sehr beklemmend. War das nicht inzwischen bewältigte Vergangenheit, oder?

Ziel meines zweiten Pilgertages war die Benediktinerinnenabtei Engelthal bei Altenstadt. Hier wollte ich zwei Tage bleiben, um das dortige Klosterleben kennen zu lernen. Zunächst ging es durch Nidderau und entlang der alten Römerstraße zum alten Bahnhof und – wieder einmal abseits der vorgezeichneten Route – dann durch ein schönes Waldgebiet. An Eichen entlang wandernd, verlief ›mein‹ Weg an Feldern vorbei mit Blick auf das Dorf Eichen. Nach dessen Durchquerung erreichte ich den zum Kloster Engelthal führenden Weg, auf seinem höchsten Punkt hatte man einen weiten Blick auf Höchst und andere Ortschaften. Weiter ging es mitten durch den Wald bei angenehm sonnigem Wetter. Unterwegs begegnete mir ein anderer Wanderer, der sich mir unbedingt anschließen wollte. Es kostete mich ein wenig Mühe, ihm deutlich zu machen, ich würde als Pilgerin lieber allein gehen.

In Engelthal traf ich rechtzeitig zur Mittagszeit ein und erhielt noch ein Essen im Gästerefektorium. Da sich stärkere Muskel- und Knieschmerzen ankündigten, war ich froh, von Anfang an einen ganzen Aufenthaltstag mit zwei Übernachtungen im Kloster mit seinem spezifischen Rhythmus eingeplant zu haben. Aber dank Franzbranntwein (äußerlich) und Arnika (innerlich) war bald alles wieder in Ordnung. Einige Zeit nach mir traf eine kleine Pilgergruppe ebenfalls in Engelthal ein. Sie strebte etwas aufgeregt hin zum Stempelkasten, schaute sich kurz den klösterlichen Innenhof und den Laden an – und verschwand wieder. Nachmittags döste ich auf einer Bank vor der Klosterpforte in der Sonne. Am Himmel setzten in fast regelmäßiger Folge Flugzeuge zur Landung auf dem Frankfurter Flughafen an. Die Geräusche der Motoren erinnerten mich erneut an Krieg und Bedrohung. War das nicht längst Vergangenheit? Seltsam, dass nur zwei Pilgertage eine derartige Assoziation auslösten.

In den beiden Tagen meines Aufenthalts hier fand ich die Teilnahme an den klösterlichen Stundengebeten sehr wohltuend und spirituell anregend. Dabei zu beobachtende Unterschiedlichkeiten in den einzelnen Klöstern sind immer wieder Beweis für die Vielfalt liturgischer Formen. Die Abtei Engelthal kann insgesamt auf ein über 700-jähriges Bestehen zurückblicken und war ursprünglich eine gotische Klosteranlage der Zisterzienserinnen. Nach der 1803 zwangsweise erfolgten Auflösung konnte erst wieder 1962 klösterliches Leben einziehen, viele Gebäude mussten neu errichtet werden. Der frühere Nonnenchor wurde der benediktinischen Regel entsprechend reaktiviert und eine dem Presbyterium vorgelagerte Gästekirche angebaut. Heute bietet sich das Bild eines in sich geschlossenen Komplexes mit einem großen Gästetrakt.

Da eine wirtschaftliche Grundlage des Klosters die Gästebeherbergung ist, waren über den ersten Mai alle Zimmer besetzt. Ich selbst war im Torhaus in einer Dachkammer, im Pilgerzimmer, untergebracht. Im Gästerefektorium traf sich eine bunte Mischung aus Einzelreisenden und Gruppen zu den Mahlzeiten, aber mit wenig Kommunikation untereinander. Es lief alles sehr funktional ab. An unserem Tisch sprachen wir über Klosterfahrungen, stellten Vergleiche an, teilweise wurde über die mangelnde Nähe zu den Schwestern und zum Klosterleben ›gemeckert‹. Hier traf also wieder einmal eine hohe Erwartungshaltung auf die Realitäten eines ebenfalls von Zwängen bestimmten klösterlichen Lebens.

Außer mir waren keine anderen Pilger anwesend, obwohl an diesem verlängerten Wochenende sicher welche auf der Bonifatius-Route unterwegs waren. Bei einigen der Klostergäste stieß mein Pilgern zwar auf Interesse, aber ‒ war ich eine Exotin? Mit einer Reisenden aus Berlin kam es zu einem intensiveren Gespräch über das Pilgern, über die damit verbundene Reduzierung bestimmter Bedürfnisse und überhaupt eine asketischere Lebensweise: Man/frau benötigt doch dieses und jenes und ohne Handy unterwegs zu sein – geht das überhaupt? Und da sie allein mit dem Auto unterwegs war, bot dieses genügend Platz, um all die scheinbar unentbehrlichen Dinge aufzunehmen. Tatsächlich: Sobald man einen fahrbaren Untersatz hat, steigen anscheinend die Bedürfnisse, vergrößert sich das Gepäckvolumen, wird unnötiger Ballast mitgeschleppt, nicht auf das Wesentliche geachtet. An diesem Punkt setzt dann für mich die Frage des Vertrauens ein, in sich und...

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