2 Bourdieus Kapitaltheorie: Die Gemeinsamkeiten zwischen Filmförderung und Mäzenatentum
Filmförderung und Mäzenatentum sind zwei unterschiedliche Arten von Kulturförderung, die erstaunliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Diese werden vor allem dann deutlich, wenn man den Fokus auf die Fördermittel beziehungsweise auf das eingesetzte Kapital und den damit zu erzielenden Effekt richtet.
Manuel Frey schreibt in Macht und Moral des Schenkens, Mäzenatentum sei »eine Strategie der Umwandlung von Geld in Kulturprestige«39. Ein Mäzen kauft sich durch sein Mäzenatentum etwas, dass man mit Geld eigentlich nicht kaufen kann. Es handelt sich dabei um kulturelle Anerkennung. Diese kann er auf ganz unterschiedliche Art und Weise erfahren, beispielsweise durch die Teilhabe am Erfolg eines von ihm geförderten Künstlers oder auch durch die Gesellschaft selbst, die ihn als Kunstkenner wertschätzt. Im Bereich der Filmförderung ist die Situation ähnlich. Diese partizipieren ebenfalls am Erfolg an von ihnen geförderten Filmen, wenn diese beispielsweise auf einem bedeutsamen Festival zu sehen sind oder mit einem Preis ausgezeichnet werden. Zwar setzen sich die Förderbudgets der einzelnen Förderinstitutionen aus unterschiedlichen Mitteln zusammen, der überwiegende Teil sind jedoch öffentliche Gelder. Bund und Länder erfahren durch ihre Unterstützung des Kulturguts Film ebenfalls eine symbolische Wertschätzung.
Demnach findet sowohl beim Mäzenatentum als auch bei der Filmförderung eine Transformation von Kapital statt, die sich weiter spezifizieren lässt, indem man sich an Bourdieus Kapitaltheorie orientiert. Diese wurde in einem soziologischen Kontext formuliert, sie bietet sich aber dennoch dazu an, die Umwandlung von Geld in Kulturprestige anhand diverser Kapitaltransformationen zu veranschaulichen und auf theoretischer Ebene zu diskutieren.
Bourdieu führt seine Kapitaltheorie primär in Die verborgenen Mechanismen der Macht aus. Darin unterscheidet er folgende Kapitalformen: »ökonomisches«, »kulturelles« und »soziales Kapital«. Zudem definiert er im Zusammenhang mit sozialem Kapital eine weitere Kategorie: das »symbolische Kapital«.40 Im Laufe seiner Forschungsarbeit hat Bourdieu weitere Spezifizierungen vorgenommen – er spricht beispielsweise von »Bildungs- und Schulkapital«, oder von »intellektuellem«, »wissenschaftlichem«, »philosophischem«, »universitärem«, »politischem« und »linguistischem Kapital« als Unterarten des kulturellen Kapitals. Um wirtschaftliche Strukturen und Prozesse zu analysieren verwendet er auch die Begriffe »finanzielles«, »technologisches«, »kommerzielles«, »juristisches Kapital« und »Organisationskapital«.41 Da er aber keine dieser Kapitalformen präzisiert wie in Die verborgenen Mechanismen der Macht, werden hier nur die vier klar definierten und dadurch gegeneinander abgrenzbaren Kapitalformen – ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital – herangezogen.
Doch bevor ich genauer auf diese vier Typen eingehe, möchte ich ausführen, was Bourdieu unter Kapital versteht, denn seine Auffassung davon unterscheidet sich von der Wirtschaftstheorie. In Die verborgenen Mechanismen der Macht kritisiert er den wirtschaftswissenschaftlichen Kapitalbegriff:
Dieser wirtschaftswissenschaftliche Kapitalbegriff reduziert die Gesamtheit der gesellschaftlichen Austauschverhältnisse auf den bloßen Warenaustausch, der objektiv und subjektiv auf Profitmaximierung ausgerichtet und vom (ökonomischen) Eigennutz geleitet ist. Damit erklärt die Wirtschaftstheorie implizit alle anderen Formen sozialen Austausches zu nicht-ökonomischen, uneigennützigen Beziehungen.42
Seine Kritik richtet sich vor allem gegen die im wirtschaftswissenschaftlichen Kapitalbegriff postulierte Uneigennützigkeit. Dies ist für die hier zugrunde liegende Analyse besonders wichtig, da weder die Filmförderung noch Mäzenatentum frei von Eigennutzen ist. Bourdieu hebt vielmehr »die polymorphen Interessen, Einsätze und Profitmöglichkeiten in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern«43 hervor. Eine allgemeine ökonomische Praxiswissenschaft müsse sich deshalb bemühen, das Kapital und den Profit in allen ihren Erscheinungsformen zu erfassen und die Gesetze zu bestimmen, nach denen die verschiedenen Arten von Kapital gegenseitig ineinander transformiert würden.44
Die vier Kapitalformen ökonomisch, kulturell, sozial und symbolisch definiert Bourdieu wie folgt:
Unter ökonomischem Kapital versteht er die verschiedenen Formen materiellen Reichtums.45 Es »ist unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar und eignet sich besonders zur Institutionalisierung in der Form des Eigentumsrechts«46.
Kulturelles Kapital hingegen untergliedert Bourdieu in drei Zustände: objektivierter, inkorporierter und institutionalisierter Zustand.
Beim objektivierten Kulturkapital handelt es sich um materiell übertragbares Kapital durch materielle Träger (zum Beispiel Bücher, Gemälde, Denkmäler, Instrumente).47 Das objektivierte Kulturkapital ist für die folgenden Ausführungen nicht relevant, denn die materielle Übertragung von Kunstgegenständen kann beim Mäzenatentum zwar eine Rolle spielen, bei der Filmförderung hingegen nicht. Film ist ein immaterieller Vermögensgegenstand, bei dem lediglich mit Rechten gehandelt wird. Und selbst wenn man den immateriellen Aspekt außer Acht lässt, werden diese Rechte aber in keinem Fall auf die Filmförderung übertragen.
Kulturelles Kapital in inkorporiertem Zustand ist eine personen- und körpergebundene Form von Kapital, die einen Verinnerlichungsprozess voraussetzt. In inkorporiertes Kulturkapital muss Zeit investiert werden.48 Der Begriff meint in dieser Form »sämtliche kulturellen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissensformen, die man durch ›Bildung‹ – freilich in einem sehr allgemeinen, nicht nur im schulisch-akademischen Sinne – erwerben kann«49.
Die Schwierigkeiten der Übertragung von inkorporiertem Kulturkapital beschreibt Bourdieu folgendermaßen:
Inkorporiertes Kapital ist ein Besitztum, das zu einem festen Bestandteil der »Person«, zum Habitus geworden ist; aus »Haben« ist »Sein« geworden. Inkorporiertes und damit verinnerlichtes Kapital kann deshalb (im Unterschied zu Geld, Besitz- oder sogar Adelstiteln) nicht durch Schenkung, Vererbung, Kauf oder Tausch kurzfristig weitergegeben werden. Daraus folgt, dass die Nutzung oder Ausbeutung kulturellen Kapitals sich für die Eigner ökonomischen oder sozialen Kapitals als besonders problematisch erweist. Ob es sich nun um private Mäzene handelt oder, im Gegenteil, um Unternehmer, die ein »Kaderpersonal« mit spezifischen kulturellen Kompetenzen beschäftigen (von den neuen Staatsmäzenen ganz zu schweigen), immer stellt sich folgendes Problem: Wie läßt sich diese so eng an die Person gebundene Kapitalform kaufen, ohne die Person selbst zu kaufen – denn das würde zum Verlust des Legitimationseffektes führen, der auf der Verschleierung von Abhängigkeiten beruht?50
Da inkorporiertes Kulturkapital personengebunden und daher nicht übertragbar ist, wird es ebenfalls von der weiteren Analyse ausgeschlossen.
Die dritte Form kulturellen Kapitals, das institutionalisierte Kulturkapital, hingegen ist für die folgende Betrachtung von Bedeutung. Bourdieu versteht darunter Titel, die einen Symbolcharakter haben. Dies können Bildungstitel sein, wie beispielsweise akademische Abschlüsse.51
Bourdieu nennt das soziale Kapital als eine weitere eigenständige Kapitalform. Er versteht darunter »die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind«52. Diese Ressourcen beruhen dabei auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, wie zum Beispiel einer Familie, einer Klasse, eines Stammes, einer Partei oder auch eines exklusiven Clubs.53 Im Rahmen seiner Ausführungen zum sozialen Kapital betitelt Bourdieu dieses auch als symbolisches Kapital. Denn das soziale Kapital bewegt sich »so ausschließlich in der Logik des Kennens und Anerkennens, daß es immer als symbolisches Kapital funktioniert«54. Da ich symbolisches Kapital für den exakteren Begriff halte, werde ich diesen im Folgenden verwenden. Markus Schwingel schreibt in Pierre Bourdieu zur Einführung über den Zusammenhang zwischen symbolischem Kapital und sozialer Anerkennung:
Darüber hinaus sind zum symbolischen Kapital sämtliche Formen des Kredites an sozialer Anerkennung zu rechnen, die sich innerhalb der verschiedensten gesellschaftlichen Bereiche etablieren können, zum Beispiel die (symbolische) Wertschätzung, die ökonomisch reiche Akteure oder Institutionen sich durch »gemeinnützige« Spenden und Stiftungen verschaffen...