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1 Einleitung
1.1 Wozu Biochemie?
Die Biochemie betrachtet und erforscht die molekularen Zusammenhänge des Lebens. Die richtige Frage am Anfang wäre vielleicht nicht „Wozu Biochemie?“, sondern „Was ist Biochemie?“ oder „Was muss ich von der Biochemie mitnehmen, um Zusammenhänge in der Klinik verstehen zu können?“. Viele Inhalte der Biochemie haben eine besonders wichtige Bedeutung für den behandelnden Arzt. Das sind in erster Linie:
1.2 Der Intermediärstoffwechsel
Der Mensch ist ein offenes System, d. h. es findet ein Stoff- und Energieaustausch mit der Umwelt statt. Egal ob Pizza, Salat, Wasser oder Wein – jeden Tag nehmen wir Nahrung und Flüssigkeit auf. Nach Zerlegung in kleinere Pakete werden diese Nahrungsbestandteile über den Darm resorbiert. Ziel ist es schließlich, die Zellen des Körpers ausreichend mit allem zu versorgen, was sie täglich benötigen. Die Abbauprodukte des Körpers werden letztendlich über den Darm und die Nieren ausgeschieden. Die Moleküle, die wir mit der Nahrung zu uns nehmen, unterscheiden sich ganz erheblich von denen, die wir wieder ausscheiden. Das wird deutlich, wenn Sie sich die unterschiedlichen Strukturformeln einer Aminosäure und des Aminosäureabbauprodukts Harnstoff ansehen.
Die Hauptbestandteile der Nahrung sind die Kohlenhydrate (Zucker), die Lipide (Fette), die Proteine (Eiweiße) und die Nukleinsäuren. Ihre Abbauprodukte werden in enzymatischen Reaktionen in den Zellen umgesetzt. Diese Umsetzung bezeichnet man als Intermediärstoffwechsel. Der Intermediärstoffwechsel des Menschen ist sehr komplex. Es ist sinnvoll, sich zunächst eine Übersicht über den Intermediärstoffwechsel zu verschaffen. Dem wurde in diesem Buch durch die Einführung von Stoffwechselübersichten Rechnung getragen. Dabei bietet Ihnen die ▶ Übersicht 1 einen Überblick über den Stoffwechsel der drei Hauptnahrungsbestandteile, ohne Sie gleich mit einer Fülle an Details zu erschlagen.
Anders als in der Chemie, in der häufig Einzelreaktionen betrachtet werden, steht eine Reaktion in der Biochemie immer in einem Zusammenhang mit Folgereaktionen. Der menschliche Körper kann es sich nicht leisten, einzelne Reaktionen unkoordiniert ablaufen zu lassen. Um Leben zu ermöglichen, ist der Mensch auf eine genau geregelte Koordination aller Stoffwechselprozesse angewiesen. Ablauf und Regulation des Stoffwechsels werden vor allem durch Enzyme gewährleistet, die im Mittelpunkt des Stoffwechsels stehen.
Man unterscheidet den katabolen vom anabolen Stoffwechsel. Dabei versteht man unter Katabolismus den Abbau von Verbindungen im Stoffwechsel, unter Anabolismus deren Aufbau. Im Zentrum des Katabolismus steht die Produktion von ATP, der Energiewährung unseres Körpers. Der Großteil des ATP wird in der Atmungskette gebildet. Der Anabolismus dient in erster Linie dem Aufbau von Speicherstoffen, die bei Bedarf wieder abgebaut werden können, wie z. B. die Fettdepots.
Eine zentrale Position, sowohl im Katabolismus als auch im Anabolismus, nimmt die aktivierte Essigsäure (Acetyl-CoA) ein. Acetyl-CoA ist das Sammelbecken für den Fett-, Kohlenhydrat- und Teile des Proteinabbaus. Nach Einschleusung in den Citratzyklus kann es weiter abgebaut werden. Es ist in dieser Funktion die wichtigste Ausgangssubstanz für die Produktion von ATP. Gleichzeitig dient es als Grundbaustein etlicher Moleküle wie beispielsweise des Cholesterins.
1.3 Die Grundlagen der Immunchemie
Unser Körper ist ständig Eindringlingen wie Bakterien, Viren oder Pilzen ausgesetzt. Ohne eine ausgereifte Abwehrfunktion könnten wir uns gegen diese Angreifer nicht wehren. Die molekularen Grundlagen des Abwehrsystems sind Bestandteil der Biochemie. Dabei verfügt der Mensch über ein ausgeklügeltes Abwehrsystem, das zelluläre und lösliche (humorale) Bestandteile umfasst und bei dem man spezifische und unspezifische Reaktionen voneinander unterscheidet. Die Interaktion dieser Bestandteile ist von größter Relevanz. Über welche Moleküle kommunizieren die verschiedenen Zellen der Immunabwehr miteinander? Über welche Mechanismen werden die einzelnen Fraktionen des Immunsystems aktiviert? Diesen Fragen wird im Kapitel Immunsystem nachgegangen. Dabei kann es motivieren, dass die Betrachtungen der Immunabwehr zum einen an sich sehr interessant sind. Außerdem sind die molekularen Grundlagen der Immunologie derzeit ein zentraler Bestandteil der klinischen Forschung. So ist auch heute noch über die Ursache von Autoimmunkrankheiten wenig bekannt. Aber auch für das Verständnis des Ablaufs banaler Infekte ist das Studium der immunologischen Grundlagen wichtig.
1.4 Die Molekularbiologie
Seit der Aufklärung der DNA-Struktur in den 50er-Jahren hat sich das Wissen über unsere Erbinformation rasant entwickelt. Seit einigen Jahren ist das Genom des Menschen entschlüsselt. Das gewonnene Wissen birgt neue Chancen und Risiken, denen der Arzt in zunehmendem Maße gegenübersteht. Ein Studium der Grundlagen der Molekularbiologie ist daher notwendig und wichtig, um mit Begriffen wie DNA, RNA, Replikation, Translation, Transkription u. a. sicher umgehen zu können. Weiterhin ist es hilfreich, sich mit einigen molekularbiologischen Labormethoden auseinanderzusetzen, da diese heute in vielen medizinischen Bereichen Verwendung finden (z. B. PCR zur Amplifikation von DNA). In den meisten medizinischen Labors und bei vielen medizinischen Doktorarbeiten werden diese molekularbiologischen Methoden angewandt.
Zudem sehen viele Mediziner im Bereich der Molekularbiologie die größten Entwicklungschancen für die Medizin von morgen. Die rasante Entwicklung der molekularbiologischen Forschung wirft Fragen auf, die ein Grundlagenstudium für die Generation junger Mediziner unabdingbar machen. Dabei sollte man sich auch mit ethischen Fragen auseinandersetzen, die durch die vielen neuen molekularbiologischen Methoden aufgeworfen werden, wie z. B. mit der pränatalen Diagnostik oder den Nutzen von Gen-Therapien.
1.5 Die Hormone
In keinem anderen Teilgebiet der Biochemie ist die Verbindung zur Klinik so offensichtlich wie bei der Endokrinologie. Besonders die Endokrinologie als Teilgebiet der Inneren Medizin oder die gynäkologische Endokrinologie machen diese Verbindung deutlich. Die biochemischen und physiologischen Grundlagen der Hormone sind daher essenziell für jeden behandelnden Arzt. Das zeigt das Beispiel Diabetes mellitus. Bei etwa vier Millionen Diabetikern in Deutschland ist es mehr als wahrscheinlich, dass Ärzten jeder Fachrichtung etliche Diabetiker begegnen werden. Zudem lässt sich zu beinahe jedem Hormon ein klinischer Aspekt finden, der das Studium dieses Themas besonders interessant macht.
1.6 Die Biochemie und das Verständnis klinischer Krankheitsbilder
Warum also Biochemie? Schauen wir das Beispiel Diabetes mellitus einmal genauer an. Bei dieser Erkrankung unterscheidet man einen Typ 1 und einen Typ 2. Der Typ 2 kommt in den Industrieländern besonders häufig vor. Vereinfacht gesagt haben diese Patienten ständig erhöhte Blutzuckerwerte, da ihr Insulin den Blutzucker nicht mehr kontrollieren kann. Häufige Ursache ist ein Defekt des Insulinrezeptors. Man hat nun zwei Möglichkeiten, sich die Auswirkungen dieses Zustandes einzuprägen. Möglichkeit eins: Man lernt sie stur auswendig. Möglichkeit zwei: Man leitet sich die klinischen Erscheinungen anhand der biochemischen und physiologischen Grundlagen her. Wahrscheinlich werden Sie zustimmen, dass der zweite Weg der leichtere und sinnvollere ist. Warum zum Beispiel kann es bei Diabetes zu einem ketoazidotischen Koma kommen? Aus dem Fettgewebe werden vermehrt Fettsäuren freigesetzt. Die Fettsäuren, die unter Einwirkung von Insulin eigentlich wieder mit Glycerin zu Fetten verestert würden, werden in der Leber aufgrund des Insulinmangels zu Acetyl-CoA abgebaut. Aus dem Acetyl-CoA werden dann vermehrt Ketonkörper gebildet. Da die Ketonkörper relativ starke Säuren sind, resultiert eine metabolische Azidose. Der Abfall des pH-Wertes beeinträchtigt die Funktion der Gewebe, insbesondere des ZNS. In schlimmen Fällen resultiert daraus das diabetische Koma.
Dies soll nur ein Beispiel sein, um die Relevanz der biochemischen Grundlagen für das Verständnis vieler klinischer Krankheitsbilder zu verdeutlichen.
1.7 Die Biochemie und das Verständnis pharmakotherapeutischer Grundlagen
Warum kann Acetylsalicylsäure (Aspirin) Kopfschmerzen lindern? Acetylsalicylsäure hemmt das Enzym Cyclooxygenase. Die Cyclooxygenase ist verantwortlich für die Umwandlung von Arachidonsäure in Prostaglandine. Durch eine Hemmung des Enzyms werden die Prostaglandine vermindert synthetisiert. Dadurch nimmt die Schmerzempfindung ab.
Die Grundlagen hierzu finden Sie in der Biochemie. In vielen Fällen greifen die Pharmaka in bekannte biochemische Prozesse ein. Dabei sind häufig stoffwechselrelevante Enzyme der Angriffsort des Medikaments.
1.8 Die Biochemie und klinisch-chemische Parameter
Viele...