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Landgang von der Fichte

Der Koch aus "Zur See" erzählt aus seinem Schauspielerleben

AutorBernd Storch
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl168 Seiten
ISBN9783743160347
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Wer jagte bei ausgefallenem Schiffsdiesel aufgeregte Hühner, wer machte nachts, nur mit einem Zementsack bekleidet, die Straßen von Havanna unsicher und wer sollte mal einfach so auf hoher See einen ausgewachsenen Bullen schlachten? Das war Detlef, der legendäre Schiffskoch auf der "Fichte" in der DDR-Fernsehserie "Zur See". Der Schauspieler Bernd Storch blickt mit viel Witz auf sein Leben und seine Erlebnisse zurück und erzählt mit einem kleinen Augenzwinkern von vergangenen, aber längst nicht vergessenen Zeiten.

Bernd Strorch, Jahrgang 1947, wurde in Senftenberg geboren und lebt heute wieder in der Lausitz. Als Film- und Theaterschauspieler sowie als Kabarettist war er viele Jahrzehnte lang ein vielbeschäftigter Künstler. Seine wohl bekannteste Rolle ist die des Schiffskochs in der legendären Fernsehserie "Zur See". Internet: berndstorch-schauspieler.jimdo.com

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Leseprobe

Von Kirche, Kader und Konflikten


Eines Tages, genauer gesagt im Sommer 1956, verlangte eine Einrichtung meine ganze Aufmerksamkeit: die Schule.

Sie stand idyllisch am Marktplatz mit einer großen Terrasse davor und von alten Buchen umsäumt. Vorn gab es eine breite Freitreppe mit Eingang für das Lehrpersonal und um die Ecke auf einem staubigen Schulhof neben dem Schulklo den Eingang für die Schüler.

Es war mir übrigens nur zweimal in meinem Leben vergönnt über die große Freitreppe zu gehen. Mit sieben Jahren und prall gefüllter Zuckertüte, und in den neunziger Jahren, als man aus unserer schönen Schule ein Museum machte. Aber zurück zu mir als Schüler.

Mein Vater beschäftigte sich auf Grund seiner beruflich politischen Weiterbildung sehr intensiv mit den Werken von Marx, Engels, Lenin und Stalin. Das Ergebnis waren seitenlange Lektionen, die er der mehr oder weniger interessierten Familie vortrug. Ich folgte diesen Vorträgen immer sehr aufmerksam.

Was ich am meisten bewunderte, waren weniger die Theorien von Marx und Lenin, sondern wie ein Mensch aus einem mir völlig unverständlichem Gewirr von Zeichen und Punkten und Strichen ganze Sätze formulieren konnte. Mein Interesse am Lesen war geboren. Nach und nach erschlossen sich mir die geheimnisvollen Schriftzeichen, und kurz vor meinem Schuleintritt las ich schon hintereinander kleinere Kapitel von Marx und Lenin.

So vorbereitet ging ich in die erste Klasse. Ich hatte nur ein mitleidsvolles Lächeln für meine Schulkameraden übrig, die sich in der Lesefibel mit „Lilo hat ein lila Lampion“ abmühten. Hatte ich doch schon ganz andere Werke gelesen. Das nächste große Ereignis war mein Eintritt in die Pionierorganisation. Nachdem wir stolze Mitglieder waren, stand die Wahl zum Gruppenratsvorsitzenden an.

Für mich gab es nur einen Kandidaten und ich schlug mich selbstredend vor. Dabei muss ich schon damals politisch sehr überzeugend gewirkt haben, denn ich hatte keinen Gegenkandidaten und errang einstimmig die erste große Funktion in meinem Leben. Doch in meinem Drang zu immer Höherem strebte ich schon das nächste Ziel an. Das Amt des Freundschaftsratsvorsitzenden. Sozusagen ein Generalsekretär auf unterster Ebene.

Mit bewährter Methode, klassenbewussten Reden aus geliehenen Lektionen meines Vaters und Zeitungsparolen nahm ich auch diese Hürde. Und als ich das erste Mal morgens auf dem Schulhof die Meldungen meiner mir politisch anvertrauten Schäfchen entgegennahm, wähnte ich mich am Ziel meiner Wünsche. Alles ging für mich seinen sozialistischen Gang.

Hätte da nicht ein Gebäude immer mehr meine Aufmerksamkeit erregt, in dem ein so ganz anderes Weltbild vermittelt wurde, als ich es aus meinen Lektionen kannte: die Kirche.

Ein eher schlichter, aber der höchste Bau in unserem kleinen Ort. Ich weiß nicht mehr, wie und wann es geschah. Eines Tages traf ich den Pfarrer und er lud mich zu einem Gottesdienst ein. Und ich sagte zu. Politisch zuverlässig und klassenbewusst wie ich war, sah ich keine Probleme.

Und als an einem Sonntag die Glocken läuteten, machte ich mich auf den Weg. Als ich das erste Mal die Kirche betrat, ich kannte sie bis dahin nur von außen, war ich von der Größe und der Stille beeindruckt. Zwei alte Damen nahmen mich in ihre Mitte und gaben mir ein Gesangbuch. Sie falteten die Hände und dachten ständig über irgendetwas nach. Auf einer Empore erkannte ich den Pfarrer wieder. Er stand in einem schwarzen Talar an einem Rednerpult und wetterte, was das Zeug hielt. Wir wären alle Sünder und wenn wir uns nicht änderten, würden wir alle in der Hölle schmoren. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie sich die beiden alten Damen versündigt haben sollten, und warum sie sich in ihrem Alter noch ändern müssten. Aber irgendwas musste da vorgefallen sein. Denn sie nickten ständig mit dem Kopf und flüsterten immer wieder Amen.

Nach einer Stunde wurde noch ein Abschiedslied gesungen und alles stand auf und ging. Als ich zur Tür kam, fiel mir allerdings etwas Sonderbares auf. Alle Besucher, auch meine zwei alten Damen steckten Geldmünzen in eine Spendenbüchse. Jetzt verstand ich auch, warum meine Mutter mir fünfzig Pfennig mit gegeben hatte. Ich sah die Büchse, fühlte die Münzen in meiner Tasche und dachte nicht daran, mein Vermögen der Kirche in den Rachen zu werfen. Mit reinem Herzen und fünfzig Pfennig in der Tasche verließ ich das Gotteshaus.

Ich konnte ja damals noch nicht ahnen, dass ich gerade Martin Luthers Reformationsgedanken ein kleines Stück weiter zum Durchbruch verholfen hatte. „Gewiss, sobald das Geld im Kasten klingt, können Gewinn und Habgier wachsen“, schrieb er in seinen Thesen. So hatte ich ohne es zu wissen, der Kirche ein Schnippchen geschlagen.

Mit gestärktem Selbstbewusstsein ging ich über den Marktplatz direkt ins Kulturhaus in die Kneipe. Eine rote Brause und ein Spritzkuchen kosteten genau fünfzig Pfennig. Übrigens, der Kirchgang wurde bald zu einer schönen Regelmäßigkeit. Und auch in der Kneipe wurde ich bald als Stammgast begrüßt.

Ob es nun an meiner Mitwirkung sonntags im Kirchenchor lag oder an meinem Drang, mich in der Öffentlichkeit immer neu zu profilieren, weiß ich nicht mehr genau. Jedenfalls entdeckte ich in dieser Zeit meine künstlerische Ader. Genauer gesagt, meinen Hang zur Vortragskunst. Es dauerte auch gar nicht lange und es gab kaum noch eine Veranstaltung von Gemeinde, Partei oder Gewerkschaft, auf der ich nicht klassenbewusste Gedichte vortrug. So wurde ich bald ein gefragter Rezitator.

Eines Tages erfuhr ich von meinem Klassenlehrer, dass ein Rezitatorenwettbewerb ins Leben gerufen wurde. Er sollte sich bis zur Republikmeisterschaft erstrecken. Selbstredend meldete ich mich sofort an und konnte es kaum erwarten, mich der Konkurrenz des Landes zu stellen. Ich entschied mich als Wettbewerbsbeitrag für eine ausgedehnte Ballade aus dem Schulleben.

Was die Länge des Werkes betraf, hatte ich keine Bedenken. Ich dachte mir, je länger ich auf der Bühne stehe, umso mehr Zeit hat die Kommission mein Talent in vollem Umfang zu erkennen.

Der Tag der Kreismeisterschaften kam und ich war wild entschlossen die gesamte Konkurrenz mit meiner Ballade von der Bühne zu fegen. Ob es an der Art meiner Interpretation oder an der Länge meines Vortrags lag, kann ich nicht mehr sagen. Jedenfalls sprach mir die völlig erschöpfte Jury nach kurzer, aber intensiver Beratung den ersten Preis zu. Und das natürlich völlig zu Recht, wie ich damals meinte.

So gestärkt in meinem Selbstbewusstsein kehrte ich in meine Schule zurück, nahm die Glückwünsche entgegen und bereitete mich intensiv auf die nächste Herausforderung vor. Keine Frage, dass ich mit meiner Ballade die gesamte Konkurrenz um Längen schlug und auch den Bezirkstitel errang.

Jetzt hieß das Ziel Republikmeisterschaft. Für diese Herausforderung hatte ich mir eine besondere Strategie ausgedacht. Von den beiden vorausgegangenen Auseinandersetzungen wusste ich, dass meine schärfste Widersacherin eine klassische Ballade ins Rennen schicken wollte. Den „Zauberlehrling“ von Goethe. Also setzte ich voll auf die klassenbewusste, gesellschaftspolitische Schiene, um damit meiner Konkurrentin kurzerhand das Wasser abzugraben. Aus meinem reichhaltigen Repertoire wählte ich zwei Werke der bewährten Dichter Zimmering und Preissler aus. Ihr dichterisches Anliegen hieß ja „Keine Kunst ohne Kampf“.

So vorbereitet fuhr ich nach Berlin, um die Krone der Rezitationskunst zu erkämpfen. Wie ich vor Ort feststellte, saßen unter den Kampfrichtern so bewährte Arbeiterdichter wie KUBA (Kurt Barthel) und Willi Bredel. Das ließ mich für meine Strategie hoffen. Während meine Konkurrentin klassische Verse aus alten Zeiten vortrug, setzte ich auf die Gegenwart. Machtvolle Worte wie „Ein Staat, geboren aus des Volkes Müh. Der Frieden will. Und Frieden kann erzwingen.“ Gegen diese zukunftsweisenden Verse war kein klassisches Kraut gewachsen. Ich punktete bei der Jury gnadenlos. Meine Strategie war in vollem Umfang aufgegangen. Es bedarf kaum noch einer Erwähnung, mit welchem Triumph und welcher Begeisterung ich zu Hause und in meiner Schule empfangen wurde. War ich doch der erste DDR-Meister, den unser kleiner Ort je hervor gebracht hatte. Nicht mal den Fußballspielern von Aktivist-Brieske-Senftenberg war während ihres kurzen Aufenthaltes in der DDR-Oberliga dieser Triumph vergönnt gewesen.

Sofort gründete ich nach meinem Sieg an unserer Schule den Zirkel Junger Rezitatoren, dessen Leitung ich selbstverständlich persönlich übernahm. Zwar hielt sich die Zahl der Teilnehmer, freundlich gesagt, stark in Grenzen. Aber ich und die beiden anderen Mitglieder machten dieses Manko mit Begeisterung und Enthusiasmus wieder wett. Leider musste der Zirkel nach einer gewissen Zeit wegen schwindender Mitgliederzahlen seine künstlerisch und politisch so wertvolle Arbeit einstellen. Mit Enttäuschung und Bedauern musste ich einsehen, dass in der Lausitzer Braunkohle die Zeit für anspruchsvolle Kunst noch nicht gekommen...

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