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Lebst du noch, oder sparst du schon?

Forever young - trotz Rente und Reformen

AutorChristine Lüders, Harald Lüders
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783105619629
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt! Reformchaos und Rentenangst: Ob wir wollen oder nicht, die Zukunft hat uns eingeholt. Müssen wir länger arbeiten für weniger Rente? Wer gewinnt den Generationenpoker? Fragen, die die Nation bewegen. Tipps zum Umgang mit der BfA, den Krankenkassen und anderen Stolpersteinen, die Politiker aus dem Hut zaubern, finden Sie in diesem erstmals 2004 erschienenen »Manifest der jungen Alten«. Ein provokantes und politisch unkorrektes Buch, in dem Christine und Harald Lüders der Stimmung in diesem Lande mit Witz und Lebenslust Paroli bieten. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, war zuvor PR-Koordinatorin im Pressereferat des Hessischen Kultusministeriums und viele Jahre im Medienmanagement der Lufthansa tätig. Als freie Journalistin hat sie außerdem fürs Fernsehen gearbeitet.

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Leseprobe

1 Einleitung


oder: Welcome to the Club!

»May your heart always be joyful,

May your songs always be sung,

May you stay forever young

Forever young, forever young.«

 

Bob Dylan, Forever Young, 1974

Es war eine absolut geile Fete.

Als ich gegen 5 Uhr 30 nach Hause schwebte, fiel draußen der erste Schnee. Kam mir zumindest so vor. Aber das ist eine andere Geschichte.

Eigentlich hatte ich gar nicht feiern wollen. Ich wollte mich irgendwohin verkriechen, murmelte etwas wie »nach Grönland wollte ich immer schon mal« und begann, Reiseführer über Bergwandern in Kirgisistan zu studieren.

Dann allerdings fiel mir auf, dass einige meiner besten Freunde auffällig oft das Gespräch auf erfolgreiche neue Therapieformen gegen Altersdepressionen brachten. Es war an einem Samstagabend, als mein engster Freund mich zur Seite nahm, mehrfach Single Malt nachgoss und fragte, ob ich schon von der heilsamen Wirkung einer jüngeren Freundin gehört hätte. Spätestens da war klar, dass Grönland warten musste.

Ich feierte. Und zwar fett.

Alles passte, das Buffet war ausgezeichnet, der Prosecco so kalt, dass er glatt als Champagner durchging, die Mischung der Leute stimmte, nur ziemlich bald nach Mitternacht beschwerte sich der Discjockey lautstark bei mir. Einige ältere, aber sehr energische Gäste hätten ihm geraten, er solle sich seine Techno- und Hip-Hop-CDs sonst wo reinstecken und lieber mal was Ordentliches auflegen.

Dann dröhnte »Forever Young« und »Talkin’ ‘bout my generation« durch die Halle, die Tanzfläche tobte, und einige wilde Gestalten in seriösen Anzügen brüllten »Welcome to the Club«.

 

Mein fünfzigster Geburtstag war ein voller Erfolg.

Es war kurz nach zwei Uhr, ein stadtbekannter Anwalt und seine reizende Gattin, beides gut erhaltene Mittfünfziger, legten gerade eine filmreife Sohle aufs Parkett und schmetterten dazu hingebungsvoll »I hope I die before I get old«.

»Hat sich gut von seiner Bandscheiben-OP erholt, der Herr Anwalt«, murmelte neben mir unser gemeinsamer Hausarzt und nahm einen kräftigen Schluck Rotwein. Seine Stimme war nicht ganz so klar und hart wie sonst, wenn er mir kritische Fragen zu meinen Leberwerten stellte. Gut, während seiner Sprechstunde gab es auch keinen Rioja, jetzt aber genoss er meinen ’94 Reserva sichtlich.

Wahrscheinlich ist es ein Fehler, den Hausarzt zum Geburtstag einzuladen. »Biologisch betrachtet bist du derselbe wie gestern, alles reine Kopfsache«, tröstete er mich. Wahrscheinlich würde diese Feststellung auf seiner nächsten Rechnung als »intensive Beratung auch mittels Fernsprecher« auftauchen.

Wie passend, ärztliche Inkassolyrik zum Fünfzigsten.

Doch ich hatte Glück, mein strenger Doktor med. hatte alles Interesse an meinen Leberwerten verloren und fixierte stattdessen starr den Anwalt, der mit seiner Gattin gerade Chubby Checkers Klassiker »Let’s Twist Again« völlig neu interpretierte. »Noch drei so Songs und ich verkaufe ihm ein neues Hüftgelenk«, flüsterte er mir triumphierend zu. Wer braucht Feinde mit solchen Freunden?

Langsam wurde ich sauer, ich war jetzt gerade mal 13 Stunden lang 50 und schon wurde auf meiner Party über Hüftgelenke geredet.

Glücklicherweise wurde ich auf die Tanzfläche gezogen und vergaß Bandscheiben, Arthrose und vor allem künstliche Gelenke ziemlich schnell. Später erlaubte ich mir das eine oder andere Glas und pfiff auf die Leberwerte.

Die Party kam langsam in Schwung. Unsere Feten waren legendär, aber auch jetzt ist noch mächtig Feuer unter der Hütte.

Dann aber nahm mich ein Freund, 45 Jahre jung und überzeugter Single, zur Seite, grinste bedauernd und flüsterte leicht vorwurfsvoll:

»Früher hätten jetzt langsam die Anmacherspielchen begonnen, warum hast du eigentlich nur feste Paare eingeladen?«

Hatte ich gar nicht, aber der Mann lag richtig – es blieb sehr ruhig an der Geschlechterfront.

Dann grinste mich Sebastian an, ein junger Kollege, der – obwohl erst Anfang 30 – dennoch über eine recht gute Allgemeinbildung verfügt.

Er klopfte mir aufmunternd und doch leicht spöttisch auf die Schulter und brüllte: »Ich geh jetzt mal besser. Sonst erzählt mir gleich so ein potenzieller Frührentner, wir sollten doch auch mal eine Uni besetzen und nicht so verdammt angepasst sein. Außerdem singt ihr gleich wieder ›Marmor, Stein und Eisen bricht‹.« Recht hatte er. Ab drei mutierte die Fete zum Karaoke-Wettbewerb.

Später legte jemand Jimmi Hendrix auf, und in immer kürzeren Abständen knallten die Korken.

»Was hat der Sebastian bloß gegen Drafi Deutscher«, war einer meiner letzten klaren Gedanken, dann wurde ich gefragt, wo der Whisky stehe. Später gab es, glaube ich zumindest, noch eine sehr eindrucksvolle Belcanto-Version von »Forever Young« zu hören.

Als wir nach Hause gingen, fiel wirklich der erste Schnee.

 

Am nächsten Morgen weckte mich grelles Licht und ohrenbetäubender Lärm. »Das also ist das Alter«, schoss es mir durch den Kopf, »extreme Lichtempfindlichkeit und leichter Hörsturz.«

Okay, ich hatte einen Kater, allerdings einen verdammt großen, genauso groß wie damals, als ich 20, 30 und 40 feierte.

Als die Espressomaschine endlich aufhörte, schmerzhaft laut zu fauchen, goss ich die geliebte braune Brühe in die kleine Tasse und wunderte mich einen Moment, dass es erst halb elf war – früher hatte ich nach so einer Fete locker bis halb drei am Nachmittag gepennt.

Es war »The Day After«, der Tag nach meinem Fünfzigsten, ich hatte frei und beschloss, die Zeitungen zu holen und dann ins Café zu gehen.

Ein Kater macht nicht nur arg langsam, sondern auch sehr empfindsam, man fühlt sich sensibler, verletzbarer. Ich hätte es wissen müssen: Es ist ein Fehler, mit einem ziemlich beachtlichen Restalkoholspiegel als Erstes die BILD-Zeitung zu lesen.

Gleich rechts, neben einer der obligatorischen Nackten prangte das Bild eines milchgesichtigen Mittzwanzigers, der unentwegt zu der Nackten rüberschielte. Über beiden – dem jungen Mann und der Nackten – schrie die Schlagzeile: »Jungpolitiker: Keine Hüftgelenke für Senioren mehr.«

Da waren sie wieder, die Hüftgelenke, über die ich mich schon vergangene Nacht geärgert hatte.

Ob Sie es glauben oder nicht, ich hatte noch nie einen Artikel über künstliche Hüftgelenke gelesen. Und auch jetzt las ich ihn eigentlich nur, weil ich noch Chubby Checkers Twist im Ohr hatte und an den blöden Spruch meines Arztes denken musste.

Als ich den Artikel durchhatte, litt ich immer noch an meinem Kater, war aber um einiges klüger. Ich hatte verstanden, dass der Junge auf dem Bild mit der Nackten nichts zu tun hatte, dafür aber immerhin der Chef der Jungen Union war, nicht etwa nur der Ortsvorsitzende von irgendeinem kleinen Kaff, sondern von ganz Deutschland. Der Junge heißt Philipp Missfelder – gut, dafür kann er nichts –, aber das, was er da, ganz nassforscher Nachwuchspolitiker, so von sich gab, das war eine Kriegserklärung, zwar nicht direkt an mich, sondern eher an meinen Vater, aber auch das nehme ich persönlich, besonders wenn ich einen Kater habe und gerade 50 geworden bin.

Herr Missfelder meint, eine immer älter werdende Gesellschaft solle gefälligst aufhören, 85-Jährigen noch künstliche Hüftgelenke auf Krankenschein einzubauen.

Kann man drüber reden, kein Problem, aber wer so einen Gedanken via BILD unter die Leute bringt, der weiß, was er will, auch wenn er erst 24 ist und Missfelder heißt! Der will provozieren, der will einen Versuchsballon starten, der will Ärger! Im Namen der Generationengerechtigkeit müsse Schluss sein mit der Verschwendung, vergnügungssüchtige Greise verfeierten die Zukunft der Jungen – behauptet der Jungpolitiker und bekam dafür zwar heftigen Ärger mit seinen Parteisenioren, aber Beifall von anderen Jugendbewegten.

Was ist bloß los mit mir, ich bin gerade 50 geworden und beginne, mich mit Twist tanzenden Greisen gegen die Junge Union zu verbünden? Keinesfalls! Mir war bei der Lektüre nur ein ganz einfacher Gedanke gekommen: Er meint nicht nur Papi oder Opa, der meint auch uns!

Alles klar so weit, nur: Was habe ich mit einem Konflikt »Jung gegen Alt« zu tun? Ich gehöre zur goldenen Mitte, fühle mich fit – auch wenn mein Arzt gelegentlich anderer Meinung ist –, und im Job machen mir die Jungen noch lange keine Angst.

Ich hatte mich, wie bereits gesagt, noch nie für Hüftgelenke interessiert, keiner meiner Altersgenossen wollte je über Hüftgelenke reden, aber jetzt kommt da ein Mittzwanziger, von dem ich noch nie gehört hatte, und erklärt mir, wenn ich denn jemals ein neues Hüftgelenk bräuchte, dann könnte ich mir das glatt abschminken.

Sie meinen, ich übertreibe? Mitnichten! Ich kenne die Politiker! Wenn ein 24-jähriger Vorsitzender einer Jugendorganisation von 85-Jährigen redet, dann sollten auch die 55-Jährigen aufpassen.

 

Ob es am Kater lag oder an der latenten »Hilfe-ich-bin-fünfzig-Depression« oder aber schlicht an der Nachrichtenlage – auf jeden Fall machte mich die Zeitungslektüre völlig fertig. Meine Lieblingsministerin Ulla Schmidt, die Dame mit der nöligen Stimme, jedenfalls erklärte, es sei nur...

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