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E-Book

Mein Weg zum Sonnentanz

Ein Leben in indianischer Spiritualität

AutorManny Twofeathers
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783105619209
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Als Manny Twofeathers beinahe wider Willen in das spirituelle Abenteuer seines Lebens hineinkatapultiert wird, ist er ein nordamerikanischer Indianer wie viele seiner Generation: Er hat eine katholische Erziehung genossen, ernährt sich und seine Familie schlecht und recht durch den Verkauf von indianischem Kunsthandwerk und hat wenig Beziehung zur traditionellen indianischen Kultur oder gar Spiritualität. Bis zu jenem Sonntagmorgen in Sacramento, an dem sein Leben eine überraschende Wendung nimmt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Manny Twofeathers war ein in Arizona geborener »Native American« mit aztekischen Vorfahren. Er lebte von der Herstellung und dem Verkauf indianischen Kunsthandwerks und wurde als Ratgeber in spirituellen Fragen von Indianern wie Nicht-Indianern aufgesucht.

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Leseprobe

Der Osten – die Farbe Gelb
»Neuanfänge«


Die aufgehende Sonne

1985: Sacramento, Kalifornien

Alles begann ungefähr um 6.30 Uhr an einem Sonntagmorgen. Es war angenehm kühl, und ich fühlte mich großartig. Zwei Tage lang hatte ich meinen Türkis- und Silberschmuck auf einer Tagung der indianischen Völker in Sacramento ausgestellt, und am Ende dieses Tages würde ich nach Hause fahren. Ein paar gute Freunde in Sacramento hatten mich eingeladen, bei ihnen zu wohnen (eine Gastfreundschaft, die bei den Indianern selbstverständlich ist), und dies hatte mir die Möglichkeit gegeben, mich nicht nur gemütlich mit ihnen zu unterhalten, sondern auch Geld zu sparen.

An diesem Sonntagmorgen wachte ich früh auf, duschte, zog mich an und verließ in aller Ruhe das Haus. Ich wollte mir in einem nahegelegenen Restaurant ein ausgiebiges Frühstück gönnen. Danach würde ich meinen Schmuck zurechtlegen und den Stand früh öffnen.

Ich war bereits seit mehreren Tagen unterwegs, und ich vermißte meine Kinder. Eigentlich bin ich so früh am Morgen nie besonders guter Laune, vor allem wenn ich noch keinen Kaffee getrunken habe, aber an diesem besonderen Morgen fühlte ich mich ungewöhnlich glücklich. Mir war etwas seltsam, fast als ob ich schwebte. Ich machte mehrere Ansätze, meine Gefühle zu analysieren, aber ich fühlte mich einfach zu gut, um mir darüber Gedanken zu machen. Tief in meinem Inneren hatte ich das merkwürdige Gefühl, als würde dieser Tag auf irgendeine Weise zu etwas ganz Besonderem werden. Ich hatte eine starke Vorahnung, ohne zu wissen, was mir bevorstand.

Wie Sie sich vorstellen können, war an einem frühen Sonntagmorgen nirgends viel Verkehr. Ich fuhr die Schnellstraße mit zügiger Geschwindigkeit entlang. Als meine Ausfahrt kam, bremste ich schnell ab und lenkte meinen alten Van von der Schnellstraße herunter. Als ich an die erste Kreuzung kam, war die Ampel gerade auf Rot gesprungen. Also hielt ich an und wartete auf Grün.

Ich wartete und wartete und habe wohl drei- oder viermal auf meine Uhr geschaut in ebenso vielen Sekunden. Als ich so dasaß, stieg ein schwacher Ölgeruch vom Motor in meine Nase, und ich dachte: »Ich sollte vorsichtiger sein und diesen alten Wagen nicht so schnell fahren, sonst muß ich noch zu Fuß gehen.«

Als ich keinen Ölgeruch mehr wahrnehmen konnte, schwanden auch meine Bedenken über den Zustand meines alten Autos. Meine Gedanken schweiften ab. Ich überlegte, ob der Verkauf heute besser laufen würde als am Vortag. Wiederum stellte ich fest, daß sich der Motor gut anhörte. Er lief gleichmäßig und leicht im Leerlauf.

Meine Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück. Langsam wurde ich unruhig. »Wann wird diese verdammte Ampel nur endlich grün?« Ich schaute mich um und blickte dann in meinen Rückspiegel: »Wenn ich keine Polizei sehe, fahre ich einfach los.« Dann dachte ich: »Die Ampel muß wohl kaputt sein.« Ich begann ernsthaft darüber nachzudenken, sie einfach zu überfahren, und überlegte mir Ausreden, die ich der Polizei erzählen konnte, wenn man mich erwischen würde. Tausend Gedanken rasten mir durch den Kopf, als ich so dasaß und immer nervöser wurde wegen dieser dummen Ampel, die einfach nicht umsprang.

Ich hatte Hunger. Ich hatte noch keinen Schluck Kaffee getrunken, und meine Zigaretten schmeckten deshalb scheußlich. Weder Ampeln noch sonst etwas sollten einen Mann von den kleinen Dingen des Lebens abhalten, die so wichtig sind! Sie haben vielleicht die Geschichte von dem alten Bär gehört, der aus dem Winterschlaf erwacht? Nun, genau so begann ich mich langsam zu fühlen.

Wir alle neigen dazu, recht kindisch zu handeln, wenn alles nicht so läuft, wie wir uns das vorstellen. Ich näherte mich diesem Stadium und wollte mir nicht von irgend etwas meine gute Laune verderben lassen – schon gar nicht von einer Verkehrsampel.

Dann dachte ich: »Ha, sicher ist da irgendwo ein Polizist, der die Ampel per Knopfdruck regelt und nur darauf wartet, daß ich Mist baue, um mich dann zu schnappen. Nein, mein Herr, so leicht kriegen Sie mich nicht. Ich warte so lange, bis es Ihnen zu dumm wird.«

Ungefähr zu diesem Zeitpunkt, trotz meines nervösen und gereizten Zustandes, begann ich etwas zu hören. Anfangs war es ganz leise, fast wie ein Flüstern in meinem Hinterkopf. Obwohl ich keine Ahnung hatte, was das war, kam es mir bekannt vor, und es lief mir kalt den Rücken herunter. Es ist sehr schwierig, ein Geräusch zu beschreiben, aber ich versuche es. Es begann ganz leise, ein schrilles Flüstern – »Sherii – Sherii – Sherii – Sherii.« Je länger es anhielt, desto lauter wurde es.

Ich wußte, ich hatte diesen Klang schon einmal gehört, und versuchte mich zu erinnern, wo und wann das war. Obwohl er mir so vertraut war, fiel mir sein Ursprung nicht ein. Ich empfand den Versuch fast als quälend, sich einen so wunderschönen und unvergeßlichen Ton ins Gedächtnis zu rufen.

Da mein Van schon älter war, kam mir der Gedanke, er entwickele vielleicht neue Macken. Und ich betete zu Gott, daß es das nicht war. Der alte Wagen hatte mich bereits 30000 Dollar gekostet zusammen mit den Reparaturen!

Dieses Geräusch des »Sherii – Sherii – Sherii – Sherii« wurde lauter und lauter und nahm kein Ende.

Ich reckte den Kopf, drehte ihn langsam herum und versuchte herauszufinden, wo das Geräusch herkam. Vom Motor kam es nicht. Vielleicht war es ja das Radio, also griff ich hinüber und versuchte, es abzustellen. Aber es war gar nicht an. Vielleicht verursachte irgend etwas im Fond dieses Geräusch, ausgelöst durch die Vibrationen des Motors?

Ich drehte mich im Sitz ganz herum. Sorgfältig musterte ich alles im Fond. Da war nichts. Als ich mich zurückdrehte und wieder richtig in den Sitz setzte, war die Ampel immer noch rot, und ich saß einfach da, etwas mitgenommen, und lauschte diesem melodiösen, gespenstischen Geräusch.

Während ich so lauschte, bekam ich am ganzen Körper eine Gänsehaut. Ich fühlte mich überströmt von einer warmen, ruhigen Mischung von Klang und friedlicher Energie, und mein lange angehaltener Atem löste sich in einem großen Seufzer. Jetzt wußte ich ohne jeden Zweifel, was ich hörte. Es war nicht nur eine, es waren mehrere Adlerknochenpfeifen. Genau wie die, die ich bei den Sonnentänzen gehört hatte.

Mir brach der Schweiß aus, als ich das volle Ausmaß dessen begriff, was mit mir vorging.

Im Geist wurde ich geschwind zu jenem weit entfernten heiligen Sonnentanzbaum gebracht – zu jenem einsamen Baum in Fort Duchesne, an dem ich gebetet hatte und von Gefühlen überwältigt worden war. Und wieder kniete ich zu seinem Fuße, die Hände auf seiner rauhen Rinde. Ich hörte, wie er zu mir sprach.

Ich hörte die Worte, die an mich gerichtet waren, ganz deutlich: »Du hast lange genug gesucht. Es ist an der Zeit, daß du auf uns schaust, um deine Zukunft und deine Bestimmung zu sehen. Es gibt viel zu tun.« Ich dachte nicht darüber nach, wo ich war oder was ich tat. Alles, was ich denken konnte, war, wie sanft diese Stimme war, und ich fragte mich, was dies wohl bedeutete. Es fiel mir schwer zu begreifen, was mit mir geschah.

Als ich mich wieder in meinem Wagen an der Ampel fand, war mein Geist voller Fragen. Ich saß eine Minute lang so da, verwirrt und etwas ängstlich. Wenn ich auf meine Hände schaute, konnte ich nichts Ungewöhnliches sehen, und dennoch, ich schwöre es, konnte ich noch immer die rauhe Rinde des Baumes spüren. Die Adlerpfeife und die Erinnerung an den Sonnentanz waren meinem Gedächtnis wieder frisch eingebrannt. Die sanfte Stimme, die zu mir gesprochen hatte, hatte mich zutiefst erschüttert. Einen Moment lang war ich körperlich beim Sonnentanzbaum gewesen.

Als ich aus diesem Erlebnis erwachte wie aus einem Traum, schüttelte ich den Kopf. Ohne daß ich es bemerkte, hatte ein anderes Auto hinter mir gehalten und kurz gehupt. Ich schaute auf. Die Ampel hatte auf Grün gewechselt. Ich legte den Gang ein, überquerte langsam die Straße und fuhr zu dem Restaurant.

Die widerstreitenden Gefühle, die mich in diesem Augenblick bewegten, sind nur schwer zu beschreiben, aber für Indianer sehr real. Obwohl viele von uns sich von den alten Glaubensvorstellungen gelöst haben, so verlieren sie diese doch nicht wirklich. Sie sind tief in unseren Genen verankert. Und obwohl viele von uns verstädtert sind und ihr Leben ganz vom alltäglich-materiellen Lebenskampf bestimmt wird, kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem wir feststellen, daß die Spiritualität, die uns von dieser Gesellschaft mitgegeben wurde, nicht zu uns gehört.

Was uns wirklich gehört, ist die tiefe Spiritualität, die uns von den Geistwesen gegeben wurde. Wenn wir das einmal begriffen haben, dann kehren die meisten von uns zur Schwitzhütte und den anderen Zeremonien zurück. Wir kehren zurück, um etwas zu lernen und wieder zu etwas zu gehören, das so ursprünglich unser ist. Inzwischen ist mir klargeworden, daß dieses Erlebnis meine erste Vision war, und ich hatte sie, weil ich an einem Punkt meines Lebens angelangt war, wo ich sie brauchte. Die Geistwesen wollten mir sagen, daß es an der Zeit war, zu meiner indianischen Spiritualität zurückzukehren. Sie zeigten mir den Weg, und es lag in meiner Hand, ob ich ihnen folgte oder nicht.

Nachdem die Veranstaltung an diesem Sonntagabend geendet hatte, fuhr ich nach Hause zurück zur Mi-wok Rancheria in der Nähe von Tuolumne in Kalifornien. Die Fahrt durch Oakland verging wie im Traum. Ich denke, ich habe mindestens eine rote Ampel überfahren und war schon über die Kreuzung hinweg, bevor ich es überhaupt bemerkte. Ich...

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