4. Psychoanalyse und Schamanismus – Wie gehört das zusammen?
So lange ich denken kann, bin ich ein begeisterter Fan der Psychoanalyse gewesen. Mit 13 Jahren begann ich, Adler, Freud, Jung zu lesen, die Transaktionsanalyse und andere tiefenpsychologische Bücher.
Als junger Mensch habe ich, bereits angedeutet, sehr gelitten. Ich wuchs in der DDR als Kind einer politisch oppositionellen Familie auf; im „Widerstand“ zu stehen war mir zeitlebens eine Selbstverständlichkeit, somit auch die Einsamkeit und gewisse Isolation in jungen Jahren, die dazu gehören, „wenn man anders ist“: In der Schule wurde ich geächtet, hatte keine Freunde, wurde regelmäßig verprügelt und malträtiert. Schwarze Schafe sind wunderbare Sündenböcke, wie Juden, Christen, Muslime, Schwarze oder Frauen … je nachdem, wer in der Gesellschaft und Kultur zum Sündenbock erklärt und somit diffamiert wird.
Als ich16 Jahre alt war, wurde meine Familie aus der DDR freigekauft. Ich entging ganz knapp einem „Jugendgefängnis für verhaltensauffällige Jugendliche“, in das in der DDR politisch Oppositionelle verfrachtet wurden: Kinder und Jugendliche, gleich welchen Alters, die „nicht im Sinne des Arbeiter- und Bauernstaates erzogen wurden“ – Kinder von politisch Resistenten. Die Einweisung hätte mir den Freitod gebracht. Dessen bin ich mir sicher.
Um der Isolation zu entgehen, verschlang ich in meinem trüben DDR-Städtchen alles, was ich im Bücherschrank meiner Eltern in die Finger bekommen konnte: Leon Uris, Alfred Andersch, Christa Wolf, Sarah Kirsch - und eben auch Sigmund Freud. Das Wunderbare an der Psychoanalyse war, dass ich mich plötzlich nicht mehr als „leidendes Objekt“ sah, vereinzelt und isoliert in der grauen Provinzstadt, sondern mich verstanden fühlte. Plötzlich wusste ich, was ich hatte: Depression – eine schöne schwarze! (Es gibt auch eine weiße, von dem französischen Psychoanalytiker André Green in den 80ern in dem Artikel „Die tote Mutter“ meisterhaft als Diagnose entworfen.)13
Ich stand jeden Morgen gegen vier Uhr auf, um Querflöte zu üben und Hausaufgaben zu machen, damit ich nach der Schule nicht das ganze Pflichtprogramm der Musikerziehung, die ich seit dem fünften Lebensjahr genoss, zu absolvieren hatte. Der Morgen war aber auch dazu da, um zu lesen: Massenpsychologie, Das Unbehagen in der Zivilisation, Das Ich und das Es, dazu Nietzsche und Marx. All diese wunderbaren Denkwelten hatte ich durchforstet, bevor ich volljährig, also 18 alt Jahre wurde. Und eines stand fest: Wenn es irgendwie ginge, wollte ich Psychoanalyse und Philosophie studieren!
Als aufmüpfige DDR-Schülerin aber war das undenkbar. Aus revolutionären politischen Gründen hätte ich nicht einmal die 10. Klasse absolvieren dürfen! Ich verweigerte bestimmte Unterrichtsfächer, wie den Wehrkundeunterricht, verließ die Klasse in regulären Schulstunden, wenn der Lehrer mal wieder über Biermann & Co, also über Staatsfeinde hetzte… Da ich keiner Jugendorganisation angehörte und alles verweigert hatte, was an Staatskonformen zu verweigern ging, (Jungpioniere, FDJ, Deutsch-Sowjetische Freundschaft, Jugendweihe…) war der Zugang zum Abitur sowieso eine fest verschlossene Tür im tief sächsischen Kreisstädtchen. Weil sich die politische oppositionelle Situation unserer Familie derart zuspitzte, kam die Rettung 1983 aus dem Westen: Der Freikauf ins Bayerische Lande mit 16 Jahren und damit, nach Abschluss des Abiturs, endlich das ersehnte Studium bei den Altlinken (Habermas, Honneth, A. Schmidt) in Frankfurt/Main.
Zwischendurch kam allerdings noch der Zusammenbruch. Da half auch kein Freud mehr, keine Jungsche Analyse, keine Existenzphilosophie von Kiergegaard, der nur bestätigte, was ich hatte: nämlich wahnsinnige Furcht vor der Angst. Ich war fertig. Am Ende. Energetisch, seelisch. Ein zusammengekauertes Häuflein Trauer, meinen Kopf an die Wand schlagend, auf dass er schmerzen möge: Äußerer Schmerz als Zeichen des Inneren und eines noch am Leben Seins … Ich wies mich selbst in die Psychiatrie ein, 18 Jahre alt. Ich konnte nicht mehr leben. Ich wusste nicht mehr WIE.
Nach acht Wochen kam ich heraus, besuchte die 11. Klasse, holte allen Stoff nach, den ich versäumt hatte und beschloss, in Frankfurt/M. in der Tradition der Kritischen Theorie Psychoanalyse und Philosophie zu studieren. Bei Jürgen Habermas natürlich! Es waren die späten 80er. Kommunistisch waren wir alle sowieso, irgendwie… und Joschka Fischer hatte den Bundestagspräsidenten gerade als „Arschloch“ betituliert. Wunderbar! (Weil so sehr authentisch und wenig konform wie heutzutage in der Politik kaum jemand mehr wagt zu sein.)
Das Studium war so spannend, wie ich es erwartet hatte. Danach ging ich als Doktorandin der Sozialwissenschaften und mit einem Forschungsstipendium in der Tasche nach Paris, um bei Julia Kristeva, Luce Irigaray und Jaques Derrida vor Ort die Postmoderne zu studieren, die mir mittlerweile auf dem Herzen brannte. Dazu musste ich noch Französisch lernen. Ich tat es und verstand das erste Halbjahr in Paris nur „Chinesisch“, dafür aber den Subjunktiv von Sein, weil ich in Frankfurt/M. eine Lektorenprüfung für die französische Sprache abgelegt und Sartre übersetzt hatte. Derrida konnte ich mit Enthusiasmus folgen, wohnte im selben Viertel des collège de philosophie, nur Einkaufen konnte ich nicht gehen, weil Butter und Brause zu benennen zu schwierig waren für eine Sartre-Übersetzerin … Auch das überlebte ich nach etwa drei Jahren intensiver Arbeit der „Integration“.
Und dann kam die Zeit, als ich immer mehr spürte: Die Psychoanalyse ist toll, aber sie kann nicht heilen! (Eine Tatsache, die jeder „ethisch reife“ Analytiker heute bestätigen wird, auch, wenn er im Sektor des Gesundheitsberufs zu den Großverdienern zählt, mit bis zu 130€ pro 50 Minuten bei sieben bis zehn Patienten pro Tag.) Trotz einer abgeschlossenen Analyse nach fünf Jahren und dreimal in der Woche Besuch bei der werten Analytikerin auf dem nur relativ komfortablen braunen Ledersessel, fühlte ich mein Herz immer noch so schwer wie ein Rucksack voller Steine, obwohl ich nun wusste, was die Steine repräsentierten! Insbesondere an den Morgenden, an denen meine Beine gelähmt zu sein schienen, konnte ich nicht aufstehen. Depressiv war ich noch immer.
Mittlerweile hatte ich das Studium der Psychoanalyse bis zur Reife der Promotion absolviert und mich mit der Hypnotherapie nach Milton Erickson angefreundet. Und tatsächlich: Nach zwei Sitzungen kam „mehr Gesundung heraus“, als nach zwei Jahren Monologisieren bei der Analytikerin, unterbrochen von drei Fragen in 50 Minuten Sitzung.
In der Hypnotherapie reiste ich das erste Mal in die Mittelwelt, ohne damals zu wissen, was das überhaupt ist, die Mittelwelt. Auch der Hypnotherapeut wusste und weiß nicht, dass es sich um eine reale parallele Welt handelt, in die der Schamane problemlos reisen kann so wie jeder Patient, mit dem ich arbeite. Der Hypnotherapeut ging und geht davon aus, dass es sich um einen Teil der Innenwelt des Patienten handelt, um einen Anteil seiner im Unterbewusstsein liegenden Welt.
Ich aber fand mein Land, meinen Baum, meine geistige energetische Präsenz, praktisch sofort und ich wusste auch sofort, dass das, was ich sah, ebenfalls real war – so real, wie für andere das morgendliche Besteigen der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit… Ich fühlte, dass das reale Sehen dank der Augen und das telepathische Sehen dank der Sinne lediglich zwei verschiedene Möglichkeiten der Wahrnehmung des Menschen sind, wobei ersteres, das Sehen dank der Physis, sogar wesentlich begrenzter ist als das telepathische Wahrnehmen dank unserer Sinne. (Viele Blinde werden dies bestätigen.)
In dieser Mittelwelt baute ich eine Brücke: Als ich die Hypnotherapie begann, gab es einen Abgrund, den ich in zahlreichen Gedichten in meinem Buch „Auf der Suche nach Leben“14 beschreibe: diesen unüberwindbaren Abgrund, dessen Sprung hinein den sicheren (inneren) Tod zu bedeuten schien. In der Hypnotherapie baute ich zunächst eine ganz wacklige Brücke, wie im Dschungel bei Tarzan, an Seilen und aus Brettern. Schon nach wenigen Sitzungen befestigte sich die Brücke, aus Sisal, wurde stabiler, klarer. Und nach zehn Sitzungen kam ich eines Tages in meiner Mittelwelt an und stellte fest: Es gibt keine Brücke, weil keinen Abgrund mehr.15 Mein Land war eine verbundene Landschaft geworden, mit Wiesen, Bergen und ein Bächlein vor meinem starken Baum (der Existenz): Das Bächlein, das da floss und fließt, das wusste ich, war/ist mein Schreiben. (Mittlerweile ein schöner bewegter lebendiger klarer Bergfluss, der in ein Meer mündet, in dem Delphine spielen.) Es gab kein Anzeichen eines Abgrunds mehr, als hätte es nie einen gegeben. Das Typische für die schamanische und spirituelle nonverbale Heilarbeit ist, dass das „symbolisch“ Gebaute oder anders gesagt, das telepathisch Integrierte, sofortigen Einfluss auf unsere aktuelle Realität besitzen: Ich wurde sicherer, klarer, stabiler, weil es eben zwischen mir und der Welt keinen Abgrund mehr gab!
Warum formuliere ich aktuelle Realität? Weil unsere Realität lediglich diejenige ist, die wir sehen, die sich materiell vor unserem physischen Auge verdichtet. Unser aller Realität ist wesentlich weiter, wesentlich mehr, lassen wir es denn zu, zu sehen: Die Mittel-, Ober- und Unterwelt sind reale Welten, die Krafttiere, die darinnen wohnen und auf unseren Besuch warten, sind real, die energetischen feinstofflichen Wesen, die uns so treu begleiten, sind real, Engelwesen, Hüter, Begleiter, Wesen aus der...